Voiceless - Teil 4

Autor: Emiliemia
veröffentlicht am: 04.11.2013


Weiter geht's mit Teil 4 :) Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat. :/
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- Sam -


Ich sehe den beiden nach. Summers Schritte sind unbeholfen, sie stolpert hinter dieser Frau her, die sie energisch mit sich zieht. Definitiv eine Kontrollfrau. Solche Menschen kann ich nicht leiden.
Ich erhasche einen Blick auf ihre nackten Fußsohlen. Schmutzig sind sie und doch irgendwie unschuldig. Schließlich verschwinden sie hinter dem Gemüse-stand von Mrs. Tibby und ich wende mich ab. Die Bewohner gehen alle wieder ihren Geschäften nach, während ich den Heimweg antrete.
Noch bevor ich den Marktplatz verlassen habe, weiß ich, dass sie sich in meinem Kopf festgesetzt hat. Summer spricht nicht. Das ist mir klar geworden, als diese Frau – und ich bete, dass es nicht ihre Mutter ist – auf sie eingeredet und sie weggesehen hat. Ich will den Grund dafür wissen. Und noch viel mehr – ich will sie kennenlernen.

Obwohl die Sonne uns gnadenlos ihre Hitze spüren lässt, sind meine Klamotten, als ich Zuhause ankomme, immer noch nicht trocken.
»Sam? Schon zurück?«, fragt meine Mutter erstaunt. Sie steht in der Küche, die blau karierte Schürze umgebunden, die Dad ihr geschenkt hat, wenige Wochen bevor er gegangen ist. Es riecht verdächtig nach Muffins.
»Ja.«, ich lasse meinen Rucksack in den Flur fallen und ziehe meine nassen Schuhe aus.
»Himmel, du bist ja ganz nass!«, ruft sie erstaunt aus, als ich die Küche betrete. »Was ist passiert?«
»Ich bin in den Brunnen gefallen und habe außerdem noch ein Mädchen mit hineingezogen.«
»Ein Mädchen? So so.«, sagt sie, hebt eine Augenbraue und grinst anschließend. »Hab ich was verpasst, oder ist das etwa die neueste Art ein Mädchen an zu baggern?«
Ich grinse ebenfalls. »Nein. Oder – Ja. Ich weiß nicht. Da war ein Pferd, was total ausgerastet und einfach blindlings losgerast, direkt auf den Brunnen zu, wo das Mädchen stand. Sie hat sich nicht gerührt sondern einfach nur das Pferd angestarrt, also bin ich zu ihr hin und habe uns beide in den Brunnen befördert.«
Das Lächeln verschwindet aus ihrem Gesicht.
»Sam.«, sagt sie ernst. »Das hätte schlimm enden können. Für euch beide.«
»Ich weiß. Aber es ist ja nichts passiert.«
»Trotzdem.«, sie seufzt leise, bevor sie weiter spricht. Ich weiß woran sie denkt – oder besser gesagt, an wen. Denn der Grund warum ich hier vor ihr stehe, heißt Dad.
Ich war Elf, als Dad mich zu meinem ersten Fußballspiel mitgenommen hat. Das Spiel war fantastisch – die Stunden danach die reinste Hölle. Das Team, für das Dad und ich waren, hatte 3:2 gewonnen und die Fans von der gegnerischen Mannschaft alles andere als gute Verlierer, sie waren betrunken, sie waren wütend. Am Ausgang des Stadions kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung. Menschen brüllten und schlugen auf alles und jeden ein, der ihnen im Weg stand. Dad hat mich fest am Arm gepackt und versucht uns in Sicherheit zu bringen, doch wir wurden kurz darauf auseinander gerissen. Und dann zog ein Fan von der gegnerischen Mannschaft eine Waffe und richtete sie ziellos auf die Menge, bis der Lauf dann auf mich schwenkte und dort blieb. Mit einem Schlag wurde die ganze Menge nüchtern und hörte auf sich zu prügeln.
Die Augen des Mannes waren gerötet, an seiner Stirn war der Schweiß in Strömen hinab geflossen.
Seinen irren Gesichtsausdruck werde ich nie vergessen, ebenso wie die Worte, die darauf folgten.
»Sag Adieu, Pisskind!«
Dann hat er einen Schuss abgefeuert.
Und Dad hat sich in die Schussbahn geworfen.
Ich habe wie gelähmt dagestanden und überhaupt nicht begriffen, wie mir geschieht. Bis ich Dad zu Boden gehen sah.
Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass der Krankenwagen zu spät kam oder? Er ist kurz nachdem der Wagen eingetroffen ist, verblutet.
Sechs Jahre ist es nun her und es tut immer noch so weh wie am Anfang.
»Wie heißt sie?«, Mum holt mich wieder zurück in die Wirklichkeit, zurück in die Küche und dafür bin ich ihr dankbar.
»Summer.«, erwidere ich heiser und räuspere mich.
»Schöner Name.«, sie nickt bekräftigend und prüft die Muffins im Ofen. »Worüber habt ihr denn noch so geredet, wenn ich fragen darf?«
Ich schüttele den Kopf.
»Wir haben nicht miteinander gesprochen, Mum.«
»Wie?«, fragt sie verwirrt.
»Sie kann nicht reden. Das vermute ich jedenfalls.«, sage ich leise. »Sie hat kein einziges Wort gesagt.«
»Du meine Güte.«, murmelt sie. »Das arme Mädchen.«
Ich nicke zustimmend. Es verstreichen einige Sekunden, bis Mum wieder etwas sagt.
»Weißt du wo sie wohnt?«
»Nein.«
Leider, ergänze ich in meinem Kopf.
Mum scheint meine Gedanken gelesen zu haben, denn sie fügt hinzu: »Du hast vor sie wiederzusehen, stimmt's?«
Und als ich »Ja.« sage, fühlt es sich richtig gut an.



- Summer -

»Du bist unmöglich! Nie hörst du einem zu! So geht das nicht weiter!«, ich blende Tante Laurens Stimme einfach aus, starre auf meine nackte, dreckige Füße und denke an Sam, an seinen offenen, freundlichen Blick, indem keinerlei Spur von Verachtung gelegen hat. Gehört Sam zu einer anderen Sorte von Mensch?
Seine letzten Worte hallen durch meinen Kopf.
Ich hoffe, wir sehen uns mal wieder.
Falls Tante Lauren mich nicht im Haus einschließt, fährt es mir durch den Kopf.
Ich gebe zu, dass Sam mein Interesse geweckt hat. Mehr als mir lieb ist. Er hat völlig anders reagiert als die Anderen und ich rede mir ein, dass das der Hauptgrund ist, was mich so neugierig auf ihn macht und nicht die Tatsache, dass ich bei seinen freundlichen Blicken weiche Knie bekommen habe.
Die Autofahrt dauert so viel länger als der Weg! Ich glaube, Tante Lauren nimmt extra Umwege, damit sie eine längere Standpauke halten kann. Ich kann nicht sagen, wie viel Abscheu ich für diese Frau empfinde.
»Ich will, dass du keinen Ärger machst in diesen zwei Wochen, verstanden? Sprich nicht mit Fremden und geh erst nicht mit ihnen mit!«
Mit Fremden sprechen?
Jetzt wird mir klar, dass sie noch nicht wirklich gerafft hat, dass ich nicht spreche.
»Sieh mich an wenn ich mit dir rede!«, faucht Tante Lauren, packt mein Gesicht und zerquetscht mein Kinn mit ihrer Hand.
Wütend sehe ich ihr in die Augen und hoffe, dass sie für ein Mal versteht, wie sehr sie einem die Laune vermiest. Doch in ihren Augen sehe ich, dass sie die Sprache der Blicke nicht beherrscht.
Sie biegt in die Kieselauffahrt ein und das Auto rollt noch, als ich die Tür aufstoße und aussteige.
»Hast du die Schlüssel mitgenommen?«, keift sie. Als ich keine Anstalten mache, in meinen Hosentaschen herum zu kramen, begreift sie, dass ich die Schlüssel im Haus gelassen habe.
»Hervorragend!«, zischt sie. »Und wie sollen wir jetzt rein kommen?« Sie wendet sich ab und stapft wieder zurück zum Auto, um die Einkäufe zu holen. Ich nutze die Chance, laufe rasch um das Haus herum in den Garten und schlüpfe durch die noch offene Terrassentür ins Innere. Anschließend durchquere ich den Flur und öffne die Haustür.
Man kann Tante Lauren glatt mit einem Stier verwechseln, so sehr ähnelt sich der Gesichtsausdruck, den sie aufgesetzt hat. Sie presst die Lippen zusammen und drängt sich an mir vorbei ins Haus, zur Küche. Ich verschwinde nach oben in mein Schlafzimmer und beschließe meinen Koffer auszupacken und das Bett zu beziehen.
Eine gute Viertelstunde später, dringt Tante Laurens schrille Stimme nach oben: »Ich fahre jetzt!«
Kurz darauf höre ich die Tür ins Schloss fallen und das brausende Aufheulen des Motors.
Sie ist weg.
Dem Himmel sei Dank, endlich ist sie weg!
Ich stürme hinunter in die Küche, denn mit einem Mal habe ich schrecklich Lust Musik zu hören. Dummerweise finde ich keine CDs, also muss ich mich mit einem Radiosender vergnügen. Gott sei Dank treffe ich gleich sofort auf einen Sender, der gute Musik spielt und keine Klassik. Zur Musik durchstöbere ich Tante Laurens Einkaufstaschen.
Das, was sie gekauft hat, könnte man alles wieder wegschmeißen, das werde ich nicht essen. Sie kennt mich überhaupt nicht. Würde sie mich kennen, wüsste sie, dass ich nur rote oder gelbe Paprika esse, keine grüne. Oder, dass ich Rahmspinat anstatt Blattspinat esse.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es 17 Uhr ist und ich werfe Tante Laurens Einkaufstüten in den Müll. Ich habe sowieso keinen Hunger.
Im Wohnzimmer stehen zwei große Bücherregale. Doch mein Blick fällt nicht auf die dicken Wälzer, sondern auf das daneben hängende Gemälde.
Ich kenne es.
Ich kenne es sehr gut sogar.
Mom hat das gemalt. Es ist eines ihrer besten Bilder und es hängt ausge-rechnet hier. Ausgerechnet in diesem Haus.
Ihr lachendes Gesicht erscheint vor meinem inneren Auge. Das war der Tag an dem sie das Bild fertig hatte. Da war ich zehn. Ich schließe die Augen und lehne meine Stirn gegen das Gemälde. Der Geruch nach Farbe steigt mir in die Nase.
»Sieh mal, Summer.«, Mom hat sich zu mir herunter gebeugt, meinen Finger genommen und mit ihm über die noch frische Farbe gestrichen. Dabei wurden dann mehrere Farben miteinander vermischt. »Jetzt ist es auch dein Bild.«
Ich habe staunend auf meinen Finger gesehen, dann auf die Stelle, wo sich die Farben vermischt haben. Es hat wunderbar ins Bild gepasst. Tut es immer noch.
»Wirst du es verkaufen, Mommy?«, habe ich gefragt und meine Mom hat mit den Schultern gezuckt.
»Erst einmal müssen wir jemanden finden, der es toll findet.«, hat sie sanft erwidert und mir einen Kuss aufs Haar gegeben. »Es ist super geworden, findest du nicht auch?«
Und ich habe genickt.
Einige Wochen später, hat Mom mir erklärt, dass sie das Bild an einen Mann verkauft hat.
Hat Dr. Hawn etwas davon gewusst? Ist ER der unbekannte Käufer gewesen?
Von dem vielen Nachdenken habe ich leichte Kopfschmerzen bekommen und bin müde geworden. Ich beschließe mich schlafen zu legen und vergesse völlig, die offene Terrassentür zu schließen.





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