Crystal - Teil 5

Autor: Yana328
veröffentlicht am: 06.06.2013


Vielen lieben Dank für die Kommentare. Hier nun auch der nächste Teil meiner Geschichte:

4. Kapitel
Die Tage verstrichen. Da Melinda und Jason nun den Weg zur Stadt kannten, brauchten sie nicht ständig meine Begleitung und machten sich öfters selbstständig auf Erkundungstour, was mir nur recht war. So konnte ich mit Miriam das schöne Wetter nutzen und den Pool in Beschlag nehmen.
Von meiner Familie sah ich in diesen Tagen nicht besonders viel. Mein Vater verbarrikadierte sich mit Paul täglich in seinem Büro und kam nur heraus, um am Abendessen teilzunehmen. Meine Mutter und Sarah hatten sich zusammengeschlossen und beschlossen sich die ersten Tage ein wenig Wellness zu gönnen und bestellten sich Masseure und Kosmetiker her. Verwöhnte Frauen.
Eigentlich waren die ersten Tage nach der Ankunft von Jason, Melinda, Sarah und Paul ziemlich entspannend. Es gab sogar Momente, wo ich vergaß, dass überhaupt jemand noch zusätzlich in unserem Haus wohnte. Vor allem da mir tagsüber niemand unter die Augen trat.
Doch die friedliche Zeit war für mich zu Ende, als Miriam eines Tages bestürzt anrief und berichtete, dass sie mit ihrer Mutter – ihre Eltern waren geschieden und ihr Vater wohnte irgendwo auf der anderen Seite des Kontinents – für eine Woche verreisen würde.
„Das kannst du mir nicht antun“, stöhnte ich entsetzt an meinem Handy hängend. „Ich weiß doch gar nicht, was ich ohne dich machen soll!“
„Meine Mutter meinte, dass wir unbedingt mal wieder einen Urlaub zusammen machen sollten und da sie nur noch diese restliche Woche bis zur Mitte der nächsten von der Arbeit befreit ist...“
„Was soll das heißen?“, fragte ich schockiert. „Heißt das, ihr geht schon in den nächsten Tagen?! Miriam!“
„Ja, ich weiß, das ist ziemlich kurzfristig und wir wollten die Tage noch einiges unternehmen, aber Widerspruch hat bei meiner Mutter wirklich keinen Sinn. Außerdem möchte ich ihr nach allem was passiert ist nicht so vor den Kopf stoßen, indem ich sage, dass ich lieber hier bleiben möchte.“
Ich nickte verständnisvoll, bewusst, dass Miriam diese Geste gar nicht sehen konnte. Natürlich konnte sie nicht einfach verlangen, zu Hause bleiben zu dürfen. Die Trennung ihrer Eltern war nun zwar schon fast zwei Jahre her, doch es hatte Monate gedauert, bis alle Verhältnisse geklärt gewesen waren. Es hatte nicht nur einen erbitterten Kampf um das Haus und alle anderen Besitztümer gegeben, sondern auch um das Sorgerecht für Miriam, die immer noch nicht volljährig war und daher nicht hatte selbst entscheiden dürfen, bei wem sie leben wollte. Ihre Mutter hatte eine wirklich schwere Zeit gehabt, in der sie zusätzlich beinahe ihren Job verloren hätte.
„Wo soll es denn hingehen?“, fragte ich statt weiter rum zu jammern. Ich hörte meine Freundin erleichtert ausatmen. „Florida“, entgegnete sie. „Ein wenig die Gegend bestaunen und was man da so alles macht. Aber spätestens Ende nächster Woche bin ich schon wieder zurück, und dann holen wir alles nach. Versprochen.“
„In Ordnung“, stimmte ich zu. „Wann geht es los?“
„Morgen früh geht unser Flug. Deswegen schaffe ich es auch nicht mehr heute bei dir vorbeizukommen. Ich muss noch packen und meine Mutter hat verlangt noch vor der Abreise das gesamte Haus zu putzen.“
„Dann sehen wir uns nächste Woche wieder“, sagte ich tapfer. Ich war traurig. Nicht nur, weil ich nun die nächsten Tage alleine bewältigen musste, sondern weil sie mir auch unglaublich fehlen würde. Es war bisher erst ein paar Mal vorgekommen, wo wir uns mal länger als zwei bis drei Tage nicht gesehen hatten. „Ruf mich an, wenn du wieder zu Hause angekommen bist. Und melde dich zwischendurch, damit ich mir keine Sorgen um dich machen muss“, sagte ich.
„Na klar. Und denk dran, dass du mir jeder Zeit mailen kannst, wenn dir etwas auf der Seele liegt.“ Auf der anderen Seite der Leitung konnte ich es scheppern hören, dann ein Fluchen. „Ich muss jetzt auflegen, Cat. Meine Mutter randaliert schon gereizt in der Wohnung und meckert rum, weil ich immer noch nichts gemacht habe. Bis bald, ich melde mich bei dir!“ Ich hörte sie noch einen Luftkuss schmatzen und dann legte sie auf.
Seufzend ließ ich das Handy sinken und schmiss mich auf mein Bett. Ich war mir noch nicht sicher, wie ich die nächste Zeit ohne sie überstehen sollte. Ich vermisste sie jetzt schon furchtbar.

Am nächsten Tag beschloss ich, die Zeit trotzdem zu genießen. Oder es zumindest zu versuchen. Also zog ich statt meine gewöhnliche Unterwäsche einen blaubraun gemusterten Bikini an und darüber ein leichtes, weißes Sommerkleid, das meine bereits gebräunte Haut betonte. Meine Haare ließ ich wie üblich offen, streifte mir allerdings ein Haargummi über das Handgelenk für den Fall, dass es mir in der Sonne auf Dauer zu heiß werden würde. Aus meinem Schrank im Badezimmer kramte ich ein frisches Badehandtuch hervor und hängte es mir über die Schulter.
Anschließend ging ich barfuß nach unten, nahm aus dem Kühlschrank einen Muffin auf die Hand und machte mich auf den Weg zum Pool.
Zu meiner Enttäuschung war er allerdings nicht leer.
Ich stöhnte.
Melinda und Jason tummelten sich im kühlen Nass, eng umschlungen. Erst als sie mich bemerkten ließen sie voneinander ab. Melinda lächelte erfreut und winkte mir zu. „Huhu“, rief sie und wollte anscheinend, dass ich mich zu ihnen gesellte. Nein danke. Daher schüttelte ich nur ablehnend den Kopf und wandte mich ab. Aus dem Augenwinkel konnte ich noch sehen, wie Jason sich ohne Schwierigkeiten aus dem Pool hievte.
Ich machte, dass ich davon kam.
Mein Ziel war ein großer Badesee, der sich inmitten des Waldes befand und wo man meistens seine Ruhe hatte. Nur den Bewohnern, die hier in der Nähe ein Haus bezogen hatten, war es gestattet dorthin zu gehen. Er wurde vor einigen Jahren von den verschiedenen Familien aufgekauft und war nun Gemeinschaftsbesitz. Da die meisten allerdings einen Pool besaßen, kamen sie nur selten dorthin. Es war der perfekte Ort, um abzuschalten und vor allem um Jason und Melinda aus dem Weg zu gehen.
Der Weg dauerte ungefähr eine viertel Stunde und führte direkt durch den Wald. Es gab keinen direkten Pfad, doch da ich in meinem Leben schon viele Male zu dem See gegangen war, war es mir nicht schwer mich zu orientieren und mir selbst einen Pfad zu schlagen.
Als ich nach einiger Zeit endlich den See erreicht hatte, war ich schweissnass. Ich trat aus dem dichten Unterholz und ließ meinen Blick kurz umherschweifen. Zu meiner Zufriedenheit konnte ich feststellen, dass ich alleine war.
„Gott sei dank“, murmelte ich und breitete das Handtuch auf dem grasigen Boden aus. Mein Kleid ließ ich daneben fallen.
Ich nahm mir vor mich erst einmal hinzulegen - auch wenn ich durch den anstrengenden Weg durch den Wald verschwitzt war - und anschließend den See zu durchschwimmen. Ein wenig Sport würde mir sicherlich gut tun.
Also legte ich mich hin, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen, um die Ruhe besser genießen zu können.
Es war herrlich.
Ich spürte die warmen Strahlen der Sonne, die über meinen erhitzten Körper strichen, als wären sie Finger einer anderen Person, als wäre die Sonne lebendig geworden. Sie kitzelte mich in der Nase und brachte mein Gesicht zu glühen, streichelte, liebkoste meinen Körper. Ich seufzte vor Wonne und lauschte dem Wald, aus dem fröhliches Gezwitscher kam, Rascheln, Flügelschlagen.
Es war nicht vollkommen still – dafür war der Wald zu belebt. Doch es war eine furchtbar angenehme und entspannende Unruhe, so ganz frei von brummenden Autos, Hupen und anderem Verkehrslärm. Auch die Luft roch hier ganz anders. Frischer, gesünder. Sie war frei von jeglichen Abgasen und anderen Giftstoffen.
Ich hatte diese Nacht fast zehn Stunden geschlafen, doch diese wunderschöne Atmosphäre brachte mich dazu, trotzdem einzudösen.
Als ich dann schließlich wieder aufwachte, war die Sonne schon ein Stück weiter gewandert und meine Haut brannte. Um nicht weiter geröstet zu werden und meinen Körper eine Pause von der erbarmungslosen Hitze zu gönnen, erhob ich mich und machte mich auf den Weg ins Wasser.
Ich verbrachte sicherlich eine gute Stunde im See, und als ich wieder hinaustrat sah ich schon von weitem, dass sich jemand auf meinen Platz gesetzt hatte.
Auch das noch. Ich war schrecklich enttäuscht, dass es nun wohl mit meiner Ruhe vorbei war. Und als ich sah, wer sich da auf MEINEM Badehandtuch tummelte, zogen sich meine Eingeweiden zusammen.
„Du warst aber lange schwimmen“, begrüßte mich Jason. Er hatte eine dunkle Sonnenbrille auf der Nase, durch die man seine Augen nur erahnen konnte.
„Du liegst auf meinem Handtuch“, erwiderte ich und stellte mich vor ihn. Mein Körper warf einen Schatten auf ihn. Er trug zu meinem Leidwesen nur eine Badehose, was hieß, dass meinem Blick nichts im Weg stand, als ich ihn möglichst gleichgültig von oben bis unten musterte. Wie schaffte Mann es nur, so unglaublich gut auszusehen?!
„Pardon“, entgegnete er und sprang mit einem Satz auf, sodass er nur noch einige Zentimeter von mir entfernt stand. Erst jetzt fiel mir auf, dass er fast zwei Köpfe größer war als ich. Und – das nicht zum ersten Mal – dass er einen unglaublichen Waschbrettbauch hatte, von dem ich kaum meinen Blick los reisen konnte.
Scheinbar hatte er genau das bemerkt, denn er verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. „Gefällt dir, was du da siehst?“
Erschrocken zuckte ich zusammen und warf temperamentvoll den Kopf zurück, um ihn ins Gesicht blicken zu können. Doch statt etwas zu sagen, überlegte ich es mir anders und schenkte ihm nur einen arrogantes Lächeln, um schließlich haarscharf an ihm vorbei zu gehen und mich auf mein Handtuch zu setzen.
„Ich hoffe, dir macht es nichts aus, wenn ich dir ein wenig Gesellschaft leiste?“, fragte er und setzte sich ohne eine Antwort abzuwarten neben mich auf den Boden. Scheinbar gehörte er zu der Sorte Mensch, die es als selbstverständlich nahm, dass man sich gerne in dessen Gesellschaft befand. Was bei mir allerdings nicht zutraf.
„Musst du nicht bei deiner Freundin sein?“, fragte ich und warf ihm aus dem Augenwinkel einen Blick zu. Er hatte sich nach hinten auf seine Hände gestützt, den Kopf leicht nach hinten geneigt um sein Gesicht der Sonne zuwenden zu können, und seine Beine ausgestreckt. In dieser Haltung könnte man denken, er wolle der ganzen Welt sagen: „Schaut, wie toll ich aussehe!“. Schnösel.
„Sie wollte noch einmal einen Abstecher in die Stadt machen. Bei der Hitze hatte ich aber keine Lust dazu.“
„Aha“, entgegnete ich nur und schwieg, bis mir etwas Anderes einfiel: „Wie hast du den Weg überhaupt hierher gefunden?“
„Das war nicht besonders schwer für mich“, sagte er. „An sich musste man sich nur in Richtung Süden halten und eure Köchin hat mir noch ein paar Hinweise gegeben.“
„Aha“, wiederholte ich und runzelte über die arrogante Selbstgefälligkeit seinerseits die Stirn. Freute mich für ihn – ich muss betonen: das war nur umgangssprachlich gemeint – dass es für ihn so schrecklich einfach gewesen war den See zu finden, aber musste er dies mit diesem überheblichen Unterton noch so unterstreichen?
„Und für dich ist es vollkommen normal, sich auf Handtücher zu setzen, von denen du nicht einmal weißt, wem sie gehören?“, fragte ich weiter.
Er gab seine Haltung auf und wandte mir das Gesicht zu. Verdammte Sonnenbrille. Ich hasste es, wenn ich meinem Gesprächspartner nicht in die Augen schauen konnte.
„Ich wusste, dass du hier bist“, sagte er schlicht.
Ich wurde sauer. „Spionierst du mir nach, oder was?“, fragte ich scharf.
Er lachte kurz auf. „Warum denkst du immer gleich das Schlechteste?“
„Was anderes ist von dir doch gar nicht zu erwarten.“
„Du kennst mich nicht einmal“, dieses Mal lag in seiner Stimme eine gewisse Schärfe, die mich überraschte. Ich hatte sie bei ihm, seitdem er hier wohnte, zuvor noch nie bemerkt. Nicht einmal, als er sich mit Melinda vor ein paar Tagen wegen irgendetwas gestritten hatte.
„Und du meinst, das würde einen so großen Unterschied machen?“, fragte ich und machte ihm deutlich, dass für mich die Antwort ganz klar „Nein“ lautete.
Daraufhin schwieg er und stierte starr auf den See hinaus.
„Ich hab es mir zusammengereimt“, sagte er schließlich und riss mich aus meinen Gedanken.
„Was?“, fragte ich verwirrt.
Er hatte die Brille abgenommen und warf mir nun einen verärgerten Blick zu, als wäre er sauer, dass ich schon vergessen hatte, über was wir geredet hatten.
„Dass du hier bist“, antwortete er. „Ich hab mir gedacht, dass du bei dem Wetter wohl kaum in den Wald gehst, um ein Baumhaus zu bauen. Also habe ich überlegt und mir ist eingefallen, dass deine Mutter beim Abendessen mal einen See erwähnt hatte. Alles andere war dann kein Problem mehr.“
„Sag das doch gleich“, meinte ich ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, dass ich ihn zu unrecht beschuldigt hatte.
Daraufhin erwiderte er nichts, also saßen wir einige Minuten einfach nur schweigend nebeneinander.
„Warum ist Miriam heute nicht mit dir unterwegs?“, fragte er, als er scheinbar das Schweigen nicht mehr aushielt.
„Urlaub“, antwortete ich knapp. Ich hatte keine Lust auf ein Gespräch, schon gar nicht auf eines mit ihm, bei dem man jede Sekunde irgendeinen fiesen Kommentar erwarten konnte.
„Wohin ging die Reise denn?“
„Florida.“
„Wie schön.“ Wunderschön. „Mit ihrer Familie?“
„Mutter.“
„Was ist denn mit ihrem Vater?“
„Was ist denn mit ihrem Vater?“, äffte ich ihm im Stillen nach. „Geht dich das etwas an?!“, zickte ich in seine Richtung.
Nun war er ebenfalls genervt. „Mit dir kann man sich absolut nicht vernünftig unterhalten!“
„Ach ja, aber mit dir, oder was?!“
„Ich bemüh mich wenigstens um ein anständiges Gespräch!“, verteidigte er sich und starrte in meine Richtung. In seinen Augen blitzte es. In der Sonne wurde deutlicher, wie grün seine Iris eigentlich war.
„Ja, nachdem du mir deine Gesellschaft aufgezwungen hast!“
„Aufgezwungen?!“, ungläubig riss er die Augen auf. „Ich habe gefragt und du hast nichts dagegen eingewandt. Kann ich vielleicht Gedanken lesen?!“
Ich sprang auf und riss mein Handtuch dabei mit in die Höhe. Gleichzeitig schnappte ich mein Kleid und hantierte damit rum, um es gerade zu zupfen, damit ich es anziehen konnte.
„Wenn du ein klein wenig Verstand und Menschenkenntnis besitzen würdest, dann wäre dir das sicherlich aufgefallen!“, fauchte ich weiter und wurde immer ungeduldiger, weil mein Kleid nicht so wollte, wie ich wollte. Verdammtes Drecksteil.
„Wenn du nicht so eine verdammte, voreingenommene und spießige Zicke wärst, dann würdest du dich über meine Gesellschaft freuen, weil...“
„Ich bin WAS?!“, unterbrach ich ihn unsanft. Nun schrie ich. „Voreingenommene, spießige Zicke?!“
„Das war nur die mildere Formulierung, die mir auf der Zunge lag“, fauchte er und sprang ebenfalls auf, sodass wir nun dicht voreinander standen.
„Ach ja, und weißt du was du bist?! Ein unerzogener, eingebildeter, selbstverliebter Dreckskerl!“
Bei diesen Worten klappten ihm die Kinnlade runter und er starrte mich entsetzt an. Dann erlangte er seine Fassung wieder und knurrte leise. „Doofe Ziege!“
In mir brodelte es. Hätte ich in diesem Moment nicht das Handtuch und mein Kleid in der Hand gehalten, hätte ich ihm mit der Faust mitten in sein verdammtes Gesicht geschlagen. „Doofe Ziege?!“, ich lachte böse auf. „Was besseres fällt dir wohl nicht ein.“
„Arrogante Kuh!“, grollte er weiter.
„Idiot!“
„Miststück!“
Ich war kurz vor dem Platzen. „ARSCHLOCH!“, schrie ich ihm ins Gesicht und zog mir gleich darauf ungeduldig das Kleid über den Kopf, nur um ihn kurz darauf wieder zornig anzufunkeln. Leider merkte ich aber sofort, dass mit dem Kleid etwas nicht stimmte und ich mit dem einen Arm durch das Kopfteil geraten war, sodass es nun vollkommen schief saß und ich damit wahrscheinlich aussah wie ein Affe.
Einen Moment erwiderte er noch - ebenfalls aufgebracht - meinen Blick, doch ich merkte, dass er seine zornige Maske nicht länger aufrecht halten konnte. „Dein... Kleid sitzt etwas... ähm, schief.“ Begleitet wurden seine Worte von einem schiefen, erheiterten Grinsen.
Wäre ich in diesem Moment nicht so erbost gewesen, hätte ich das wahrscheinlich verdammt heiß gefunden, doch so schrie ich stattdessen viel zu Laut: „ICH WEIß!!!!!!“ Dann drehte ich mich um und stapfte davon. Ich ließ ihn einfach stehen.

Leider bemerkte ich nach zehn Minuten, dass ich einfach in irgendeine Richtung los gestürmt war, die entgegengesetzt zu unserem Haus lag. Na prima. Doch umdrehen wollte ich auch nicht, denn ich hatte keine Lust, noch einmal auf Jason zu stoßen.
Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich an einen Baum, und als mein Kopf wieder klar war wurde mir bewusst, wie kindisch unser Gespräch, oder besser gesagt, unsere Streiterei vorhin gewesen war. Doch irgendwie hatte er es geschafft mich bis auf das Blut zu reizen. Normalerweis war ich wirklich nicht der Typ Mädchen, der sofort anfing zu schreien oder der gar Schimpfwörter an den Kopf der Mitmenschen schleuderte, doch in diesem Fall wäre ich geplatzt, hätte ich genau dies nicht gemacht.
Zugegeben war meine Reaktion wirklich übertrieben gewesen. Schließlich hatte er sich lediglich um ein anständiges Gespräch bemüht. Aber ich hatte einfach nicht gewusst, wie ich ihm anders klar machen sollte, dass ich keine Lust darauf und auf ihn gehabt habe. Also habe ich ihn angeschrien.
Super Lösung, Catherine.
Während ich mich ein wenig selbst über mein Verhalten schämte, saß ich an einer großen Eiche gelehnt und versuchte das Kleid richtig anzuziehen. Zudem beschloss ich, noch eine Weile hier zu bleiben, bis ich sicher sein konnte, dass Jason sich ebenfalls auf den Heimweg gemacht hatte und ich ihm daher nicht so schnell begegnen würde.
Als ich so da saß, wurde es immer leiser und leiser um mich herum, auch die Sonne sank immer tiefer. Wahrscheinlich ging es schon auf den Abend zu, was hieß, dass es bald Zeit zum Abendessen war und ich mich eindeutig beeilen musste, um noch pünktlich zu kommen.

Ich kam natürlich nicht pünktlich. Das war mal wieder eines der seltenen Ereignissen wo mich das Schicksal lauthals ausgelacht hätte. Denn ich hatte mich fürchterlich verwirrt.
Ja, verirrt. Wie ungern ich es auch zugab. Ich hatte absolut die Orientierung verloren, hatte keine Ahnung mehr gehabt wo oben und unten war, geschweige denn Norden und Süden, hatte mir an gefühlten jeden einzelnen Ast des Waldes die Füße und Beine blutig gerissen und mir das Haar zerzaust, mir die Knie aufgeschlagen als ich tollpatschig über einen Ast gestolpert und zu Boden gestürzt war, hatte mir die Hände aufgeschürft, als ich versucht hatte wie eine irre Schiffbrüchige an einem unbekannten Ort auf einen riesigen Baum zu klettern um eine bessere Übersicht über meine Umgebung zu bekommen – im Nachhinein fand ich das auch eine ziemlich schlechte Idee – und letztendlich hatte ich Rotz und Wasser geheult, weil ich mir schon ausgemalt hatte wie ich demnächst verhungern und schließlich von umherirrende Wölfen aufgefressen würde.
So war es dann – Gott sei Dank – nicht gekommen. Es war zwar schon düster, als ich aus dem – von nun an von mir verdammten – Wald hinausstürzte und am liebsten vor Freude und Erleichterung aufgeschrien hätte.
Ich hastete mit letzter Kraft am Pool und seitwärts am Haus vorbei – darauf bedacht, dass mich niemand sah – und trat durch die offene Eingangstür in den kühlen Flur. Gerade wollte ich so leise wie möglich die Treppe nach oben schleichen, als eine donnernde Stimme mich zurückhielt.
„Catherine Hunington! Darf ich fragen wo du gewesen bist?! Das Abendessen ist seit einer Stunde vorbei und du kommst jetzt erst zur Tür herein – das kann ich einfach nicht glauben!“
Langsam und mit knirschenden Zähnen wandte ich mich auf der untersten Stufe der Treppe um und blickte in das wutentbrannte Gesicht meiner Mutter, die erschreckend nahe bei mir stand.
„Ich war am See.“
„Es ist fast zehn Uhr!“, krisch meine Mutter nicht gerade damenhaft.
„Danke Mum, die Uhrzeit war jetzt genau das, was ich gebraucht habe“, entgegnete ich sarkastisch.
Sie starrte mich nieder. „Ich verlange sofort eine Entschuldigung!“
„Ich kann nichts dafür“, zischte ich. „Ich war am See, dann wollte ich noch ein wenig laufen gehen und hab mich verirrt, ich hab total die Orientierung verloren und hatte keine Ahnung wo lang ich gehen sollte. Ich...“
„Das ist mir doch völlig egal, Catherine!“, unterbrach sie mich wirsch und kniff die Augen zu engen Schlitzen zusammen. „Du hast pünktlich zum Abendessen zu Hause zu sein. Und das weißt du ganz genau. Dass du mich immer und immer wieder provozieren musst, ist das allerletzte. Ich verlange dafür eine Entschuldigung!“
Nun wurde ich auch zornig. Es war wirklich nichts Neues, dass meine Mutter sich nicht sonderlich um mich sorgte. Und zugegeben kam es auch öfter vor, dass ich sie vor allem in den vergangenen Tagen lediglich mit meinem Verhalten hatte provozieren wollen. Doch dieses Mal hatte ich wirklich schreckliche letzte Stunden gehabt und wollte einfach eine kalte Dusche nehmen und nicht ewig mit meiner Mutter streiten.
„Auf eine Entschuldigung kannst du lange warten“, sagte ich trotzig, nicht bereit ihr ihren Willen zu lassen.
„Fräulein!“, brauste sie auf und trat einen weiteren Schritt auf mich zu. „Wenn das so weiter geht, fliegst du hier raus! Dann kannst du sehen, wie du alleine zurecht kommst!“
„Gut!“, schrie ich sie an. „Immerhin muss ich dann wenigstens nicht täglich deine schreckliche, unerträgliche Wenigkeit ertragen und dein Gesicht sehen! Du gehst mir auf die Nerven Mum, so richtig auf die Nerven mit deinem peniblen, penetranten Verhalten! Wenn ich könnte wäre ich schon längst über alle Berge. Wenn ich könnte, würde ich auf der Stelle meine Koffer packen und diese verdammte Familie verlassen...“
Während ich immer weiter so gegen meine Mutter wetterte, wurde sie von Sekunde zu Sekunde röter, ihr Hals und ihre Wangen wurden langsam von dunklen Flecken übersät, bis sie innerlich zu platzen schien und es klatschte. Erst nach ein paar Sekunden spürte ich das ziehen und brennen an meiner Wange und mir wurde bewusst, dass sie mich richtig mit Schwung geohrfeigt hatte.
Anfangs wollte ich einfach nur losheulen und in Selbstmitleid baden, weil mich meine Mutter geschlagen hatte. Zwar hatten wir uns auch schon früher richtig heftig gestritten, doch soweit war es noch nie gekommen.
Doch dann verhärteten sich meine Gesichtszüge und ich fühlte mich schrecklich entschlossen. Ich schob das Kinn nach vorne und erwiderte fest den Blick meiner Mutter.
„Das sagt wohl schon alles.“ Meine Stimme klang eiskalt.
Wie es anders nicht zu erwarten war, ging sie erst gar nicht darauf ein. Stattdessen musterte sie mich kritisch von oben und erwiderte schließlich: „Verdammt nochmal, wie siehst du überhaupt aus?!“





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