Melt Caramel

Autor: Peri
veröffentlicht am: 12.04.2013


Teil 1


Der Blick dunkelgrauen Himmels bot sich mir an. Ein grauer, trister, regnerischer und anstrengender Tag. Ein krasses Gegenteil zu meinem quietschgelben Regenschirm. Er trotzte diesem Tag mit seiner ganzen, imposanten Farbe, ließ sich durch nichts und wieder nichts beeindrucken.

Mit verzogenem Gesicht starrte ich auf die nasse Straße und konnte es nicht verhindern, dass ein genervtes Stöhnen meine Lippen verließ, während ich darauf wartete, dass die Ampel endlich umschaltete. Mit genügend Sicherheitsabstand, um nicht von einer Wasserlache erwischt zu werden, hielt ich mich etwa einen Meter entfernt von der Bordsteinkante. Der Tag würde schließlich seine Krönung erhalten, würde ich noch nass gespritzt werden. Wieder seufzte ich.



Wieso war ich nochmal hier in Frankreich?



Ach ja, ich wollte weg aus Deutschland. Ich wollte mein Französisch verbessern. Ich wollte mal etwas anderes sehen und erleben. Über mich hinauswachsen, mich neuen Hindernissen stellen und Erfahrungen sammeln.

Na wunderbar, das ist dir aber so was von gelungen Henri, dachte ich. Bevor ich mir selbst weiterhin schlechte Laune bescherte, stellte ich fest, dass die Ampel endlich mit dem grünen Männlein aufleuchtete.

Schnell überquerte ich die Straße und musste aufpassen, dass ich mit niemandem eine Regenschirmschlacht veranstaltete. Mein süßer Regenschirm würde zwar auch hierbei königsgold oder -gelb glänzen, aber warum unnötig gewaltfreudig werden?



Mit deutlich besserer Laune ging ich schon fast summend am Straßenrand entlang und ärgerte mich über die ganzen Autofahrer. Wieso meinten eigentlich alle, auf den Individualverkehr umsteigen zu müssen? Wieso konnten sie nicht öffentliche oder umweltfreundliche Fortbewegungsmittel nutzen? Obendrein fuhren sie so schnell, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her. Kopfschüttelnd ging ich meinen Weg weiter.



Obwohl mich mein super Schirm bestens geschützt hatte, konnte er nicht verhindern, dass ich dennoch ein paar Tropfen abbekam. Völlig durch den Wind und das im wahrsten Sinne der Worte, gelangte ich nach einem zwanzigminütigen Marsch endlich an.

Mit meinem eigenen Schlüssel öffnete ich die Tür und ließ sie hinter mir ins Schloss fallen, sobald ich das Geschäft betreten hatte.



„Salut, ich bin da“, rief ich in das nicht gerade kleine Geschäft. Ein Glück, dass meine Kolleginnen Deutsch sprachen.

„Oh bonjour, Enri“, rief mir meine herzallerliebste Chefin schon zu, als sie kurz aus der hinteren Tür den Kopf hervorstreckte, um mich zu grüßen.

Enri, dachte ich mürrisch. Wieso konnten diese verdammten Franzosen kein H aussprechen, wenn es am Wortanfang stand? Ich entledigte mich meiner Regenjacke und ging in den hinteren Raum. Dort sah ich meine Chefin eine Torte verzieren.



„Wie geht es dir, Enri“, fragte mich meine äußerst junggebliebene, aber schon lange nicht mehr junge, Chefin Florence.

Henri, dachte ich. Einfach Henri! Doch obwohl ich schon längst hätte aufgeben müssen, zu hoffen, dass mein Name irgendwann richtig ausgesprochen werden würde, tat ich es nicht. Henri war nicht Henri ohne H. Und auch wenn mein Name eigentlich eher ein Fluch sein müsste, empfand ich dies nicht so. Ich fand ihn außergewöhnlich und vielleicht auch altmodisch, aber was sprach schon gegen Nostalgie. Mir gefiel er, egal was andere dazu sagten. Meine Chefin hatte mir sogar gesagt, ich sollte mich den Kunden als Enri vorstellen, damit es keine Verständnisprobleme gab. Das musste sie gerade mir sagen. Mir, die doch auf diesen pikanten Unterschied mit oder ohne H so sehr achtete und Enri einfach von Anfang an verachtete. Aber was regte ich mich überhaupt auf? Inzwischen war ich schon seit drei Monaten hier. Ich sollte mich daran gewöhnen.



„Gut geht’s mir? Und bei dir alles klar?“

„Aber natürlich. Mir geht es sehr gut. Du kannst mir gleich helfen“, erwiderte meine französische Chefin mit einem starken Akzent.



Wir machten uns auch gleich an die Arbeit. Es war noch recht früh. Gerade mal halb acht. Im „Le caramel“ waren somit noch keine Kunden. Aber in knapp zwei Stunden würden die ersten Kunden eintrudeln. Wenn nicht früher, da wir bereits um neun öffneten, weswegen wir uns langsam sputen mussten. Florence war für die Torten und das Süßgebäck zuständig und ich hauptsächlich für den Service. Aber manchmal buk ich auch etwas und durfte die Torte sogar dekorieren, so wie ich es von meiner Chefin, die Meisterkonditorin war, gelernt hatte. Zwar konnte ich ihr bei Weitem nicht das Wasser reichen, aber das bedurfte es auch gar nicht. Ich wollte nur so viel wie möglich, während meines Aufenthaltes hier in Paris mitnehmen.



Das rege Geschäft ließ mir kaum Zeit zum Durchatmen. Das Caramel lag an der Seine, dem berühmten französischen Fluss, der Paris in zwei teilte. Gerade durfte ich Pause machen. Das war auch dringend von Nöten. Der Regen hatte aufgehört, aber meine Laune sank auf einen Tiefpunkt. Ich hatte heute Morgen meine Tage bekommen. Immer wenn ich meine Tage hatte, war ich schlecht gelaunt. Manchmal schaffte ich es, dass man es mir nicht anmerkte, aber im Großen und Ganzen, konnte ich das leider nicht verhindern. Genervt und mit einem unwohlen Gefühl in der Magengegend, vertrat ich mir meine Beine entlang der Seine. Ich überlegte bereits, ob ich nach Hause gehen sollte. Ich war einfach nur halbherzig bei der Arbeit, wenn ich unter dem Fluch aller Frauen litt.



Nach der Mittagspause musste ich feststellen, dass meine Hoffnungen vergebens waren. Florence und Estelle, meine andere Arbeitskollegin, hatten alle Hände voll zu tun und waren froh um jede helfende Hand. Also riss ich mich zusammen und fing schon mal an, die Minuten und Stunden zu zählen. Leider verging die Zeit langsamer, wenn man seine Augen nicht von der Uhr lösen konnte.



Das Caramel war bekannt als deutsch-französisches Café und so wusste auch jeder, dass man sich hier auch mit nicht-französischen Kenntnissen verständigen konnte. Ein Kunde forderte meine ganze Aufmerksamkeit, weil er mitten im wunderschönen Cafe eine dämliche Zeitung in die Höhe hielt und las.

Sicher ist er so ein Polit-Typ, dachte ich nicht gerade begeistert.

Ich trat näher an den Mann und erkannte eine deutsche Zeitung in seinen Händen. Er sah mich nicht einmal, so vertieft war er in seine Nachrichten, als ob er der Retter der Welt werden wollte. Konnte er etwa der Eurokrise endlich ein Ende bereiten? Wohl kaum?

Solche neunmalschlauen, wichtigtuerischen Menschen konnten mir echt gestohlen bleiben. Wozu hielt er die Zeitung denn so überflüssig demonstrativ in die Höhe? Als ob wir Frauen ihn jetzt sofort zum Traualtar zerren würden, nur weil er intelligent wirken wollte, um höchstwahrscheinlich bei einer landen zu können.



Ich erhaschte einen Blick zu dem jungen Mann und schimpfte sogleich mit mir selbst. Vielleicht musste er geschäftsmäßig etwas erledigen und war ein total netter Mensch. Blöder Ketchup-Tag, du beeinflusst mich mit deinem Fluch, dachte ich stumm seufzend.



„Bonjour, willkommen. Was darf es sein?“, fragte ich wie immer freundlich. Der Mann hob nicht einmal seinen Kopf, um mich anzusehen und erwiderte desinteressiert: „Schwarzer Kaffee und ein Stück Pfirsich-Torte.“



Ungläubig starrte ich seine Zeitung mit offenem Mund an.

So ein aaah, von wegen nett! Großkotziger Ignorant!

Beleidigt wandte ich mich von ihm ab und ging hinter die Theke. Von der Theke aus warf ich dem Mann noch einen bösen Blick zu, welchen er natürlich nicht sehen konnte. Einen Moment lang war ich sogar wirklich versucht, ihm einfach weißen Kaffee zu geben, damit er aufsah, doch verwarf ich diesen Gedanken schnell wieder.

Ich war schon 22 und keine 12 mehr.



Folglich brachte ich dem Ignoranten seine Bestellung und legte sie ihm auf seinen Tisch.

Auf dem Rückweg zu der Theke, um Gläser abzutrocknen und sie bereits in die Schränke einzuräumen, vergaß ich den Mann mit der Zeit. Er hatte mich zwar geärgert, doch noch mehr ärgerten mich meine Tage. Warum musste heute der erste Tag sein? Verdammt, warum hatten wir Frauen immer alles schwieriger als Männer? Das war doch ungerecht. Ein Glas nach dem anderen wurde geordnet in die Schränke platziert.



„Verzeihung, ich würde gerne zahlen“, vernahm ich nach einer Weile hinter mir eine Stimme. Sofort drehte ich mich zu der Stimme um und bemerkte den Ignoranten.



„Henriette?“, fragte er mehr als verdutzt.

Ich folgte seinem Beispiel und blickte genauso blöd aus der Wäsche.

„Wow, du hier? In Paris?“, brachte er immer noch fassungslos hervor.

Okay, woher wusste er meinen Namen? Müsste ich ihn denn dann nicht auch kennen?

„Du erkennst mich nicht, oder?“

„Doch na klar“, fing ich an, doch mir war der Unbekannte einfach unbekannt. „Na ja, vielleicht auch nicht. Ich kann dein Gesicht nicht so ganz zuordnen, aber du kommst mir schon bekannt vor.“

Sein Schock währte nicht lange und er fing plötzlich mehr als arrogant an, zu grinsen, beugte sich anschließend vor und hauchte: „Wie kannst du mich vergessen Baby? Wir hatten so schöne unvergessliche Stunden.“



Ich starrte ihn geschockt an.

„Du bist doch nicht etwa…“

„Etwa?“

„Elias“, hauchte ich. Mir saß der Schrecken augenblicklich in den Gliedern.

„Richtig, Baby“, grinste er unverschämt.



Und ehe ich wusste was ich tat, hörte ich es schallend klatschen, sah meine Hand an seiner Wange und sein schockiertes Gesicht, das durch die Wucht meines Schlages zur Seite gedreht wurde.


„Du Arsch!“, presste ich bebend hervor. „Du widerwärtiger Mistkerl!“





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