Son of a Preacher Man - Teil 3

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 12.04.2013


Weiter gehts mit der unsympathischen Tussi - und das kann ich nicht mal abstreiten :D
Viel Spaß ;)
LG Maggie



Teil 3

Ich wünsche mir selten schlechte Dinge. Wer tut das schon?
Doch momentan käme mir ein kleines, schicksalhaftes Unglück ganz recht. Muss nix weltbewegendes sein, ein Auffahrunfall, ein überfahrenes Stopschild...irgendwas um dem Grauen zu entkommen, dem ich unweigerlich Meter für Meter entgegen rolle.
Doch das kann ich mir abschminken.
Allein schon das baumelnde Kreuz am Rückspiegel, der riesige Fischaufkleber auf der Heckscheibe und die kleine weiße Taube, die genau neben meinem Kopf flattert und mir ständig in die Schläfe hackt, überzeugen glaubhaft, das Gott stets seine schützende Hand über dieses Fahrzeug hält.
Es ist quasi ne Kirche auf Rädern. Aus den Lautsprechern dudelt irgendein Kastratenchor grässliche Lieder, die von dem dröhnenden Geräusch einer ungestimmten Orgel begleitet werden.
Meine etwas angespannt wirkende Freundin, die dieses nach Weihrauch duftende Gefährt zielsicher steuert, singt leise mit.

Ich schalte genervt das Radio aus.
„Ein bisschen viel des Guten, ne?“
Unschuldig schielt Caro zu mir rüber. „Tut mir leid, ich bin halt einfach nur so aufgeregt!“
Ich schüttel mit dem Kopf und wende meinen Blick von dem aufgescheuchten Huhn ab.
Sie freut sich geradezu ekelhaft, dass ich jetzt in der Falle sitze und auf dem Weg in ein Wochenende bin, dass wohl irgendwie symbolisch meinen neuen Lebensabschnitt einläuten will.
Ich versuche mich aufrichtig dagegen zu wehren!

„Johann und die anderen sind schon oben. Wir wollten uns ja eigentlich alle am Bahnhof treffen, nur sind wir jetzt etwas spät dran...“ Sie beißt sich auf die Lippen und lächelt gnädig.
Ich weiß genau, dass sie darauf anspielt, dass ich verkatert unter der Dusche stand, als sie mich abholen wollte und dass ich dann noch ne gute Stunde gebraucht habe, um mich fertig zu machen , inklusive klammheimlig noch irgendwie zu versuchen aus der ganzen Kiste rauszukommen – ohne Erfolg.
Doch die Andeutung mache ich mir nicht zum Vorwurf. Ganz im Gegenteil. Ich freue mich über die Schonfrist, die mir noch geblieben ist, auch wenn ich dadurch die Fahrt in diesem Ökomobil auf mich nehmen muss.
Dazu fährt Caro auch noch langsam wie eine Schnecke.
Mir soll es recht sein.
Gerade durchqueren wir den berühmten Wald, in dessen Mitte das ehemalige Konzentrationslager anklagend steht, oder was davon noch übrig ist.
Ich fand es schon immer ziemlich makaber, dass ausgerechnet an diesem Ort die kirchlichen Jugendfahrten enden, jedoch hat man mir erklärt, dass das eine Art von Ehrerbietung ist.
Den Toten zur Ehrung, den lebenden zur Mahnung.
Ich für meinen Teil finde es einfach nur unheimlich.

Wir biegen um die letzte Kurve und Caro tuckert auf das Gebäude zu, in welchem wir übernachten werden. Vor dem modernen, blockartigem Haus ist ein großer Parkplatz, dieser ist krachend voll. Alles Besucher. Die Anziehungskraft dieses Ortes wird auch in hundert Jahren nicht nachlassen.
Obwohl man hier oben noch nicht mal erahnen kann, wo man sich befindet.
Der eigentliche Eingang befindet sich gut 500 Meter weiter unten und ist gut versteckt hinter hohen Buchen.
Wir steigen aus und die grelle Augustsonne knallt mir entgegen, der Asphalt scheint zu kochen und sofort bilden sich kleine Schweißperlen auf meiner Stirn.
Ich will mich schon in den kühlen Schatten der Jugendherberge retten, als Caro mich zurückpfeift.
„Eh Anna? Ich bräuchte mal deine Hilfe!“
Ihr Ton ist verdächtig bestimmend. Sieht ihr überhaupt kein bisschen ähnlich.
Im Grunde hat sie die ganze Fahrt über einen stillen, leicht gereizten Eindruck vermittelt.
Skeptisch drehe ich mich wieder um. Sie öffnet den Kofferraum und mir offenbart sich ein grausiger Anblick.
„Was zur Höl...?“, zische ich, doch Caro unterbricht mich barsch.
„Na!“, warnt sie bissig. „Gewöhn dir das mal gleich ab! Vor den Konfirmanden wird nicht geflucht!“ Ihr Blick ist streng und ich bin voll überrumpelt. „Und jetzt pack mit an!“
Ungläubig zwinkere ich mehrmals hintereinander.
So so! Ging ja recht flott – aus der liebenswürdigen Gebetsschwester ist ein kleiner Drachen geworden und sie fängt schon an mich rum zu kommandieren.

In dem Kofferraum liegen geschätzte tausend Beutel und Taschen, keine Ahnung, was die kleine Irre damit anfangen will, doch ich bin nicht mitgekommen, um ihren Nippes zu schleppen.
Ich zeig ihr den Vogel, sie müsste eigentlich wissen, wie sie mit mir umzugehen hat und dass ich gern mal einen auf eingeschnappt und kindisch mache, wenn ich im falschen Ton angesprochen werde. Typisch Einzelkind.
Ich drehe mich um, ziehe dabei meine Sonnenbrille aus der Handtasche und schlendere betont lässig zur Herberge.

„Anna...“, tönt es hinter mir gedehnt. „Bitte!“
Genervt drehe ich mich wieder um und blicke sie schmollend an.
Meine Freundin sieht irgendwie völlig fertig aus, wie mir in diesem Moment klar wird. In ihrer langärmligen Karobluse und der Leinenhose scheint sie stark zu schwitzen, außerdem hat sie einen gehetzten Blick.
„Bitte hilf mir!“, fleht sie mich nochmal an.
Hinter meiner verspiegelten Pilotenbrille verdrehe ich die Augen, dann gehe ich wieder zu ihr zurück.

„Was ist denn los mit dir?“, frage ich verwirrt, während mir tonnenweise Zeug aufgeladen wird und sie selbst hochgestresst Rucksäcke schultert, sich Taschen umhängt und irgendwie dabei noch versucht das Auto abzuschließen.
„Ich hab doch gesagt, ich bin ein wenig aufgeregt.“, weicht Caro meiner Frage aus. Auf ihren Wangen bilden sich hitzige Flecken.
Ich verziehe den Mund. „Warum denn? Ist doch nichts Besonderes hier...“
Darauf antwortet sie erstmal nicht.
Der Weg über den Parkplatz zieht sich und es bohren sich Nylonstricke in meine zarten Schultern. Mein schwarzer Minirock rutscht hoch und ich habe keine Hand frei, um ihn wieder runterzuziehen. Ich schwitze erbärmlich und meine Haare kleben am Rücken.
Und jammern kann ich auch ganz gut.

„Für mich schon.“, flüstert Caro dann endlich.
Ich nicke nur bedeutend und warte auf eine Erklärung, dabei stolpere ich fast über meine eigenen Füße, weil die FlipFlops so locker sitzen und die ganze Last, die ich wie ein Esel mit mir rumschleppe, mich aus dem Gleichgewicht bringt.
Wir biegen um die Ecke des Gebäudes und sehen jetzt auch den Eingang.
Davor hat sich ein kleines Trüppchen versammelt und ich erkenne von weitem schon den dürren Anblick von Caros Zukünftigem.
„Wenn dieses Wochenende alles gut läuft, dann werde ich die Vorsitzende der CJGW.“, zischt sie mir dann plötzlich schnell zu, dabei hält sie ihren Blick stur geradeaus gerichtet.
Mir rutscht vor Schreck fast die Brille von der Nase.
„Du wirst WAS?“, blöke ich los.
„Pscht!“ zischt sie zurück. „Aber nur, wenn mir Jasmin nicht dazwischen funkt.“, wispert sie dann noch verärgert, setzt dabei aber ein umwerfendes Lächeln auf und strahlt ihren Johann an, der sich gerade zu uns umgedreht hat. „Hallo Schatz!“

Johann stürmt auf seine Verlobte zu, die sich für mich grad als unerwartet karrieregeil entpuppt hat, gibt ihr einen schallenden Kuss und nimmt ihr augenblicklich die schweren Taschen ab.
Ich versuche nicht allzu angewidert zu gucken und dabei noch vor den anderen Leuten, die hier mit herumstehen und von denen ich niemanden kenne, eine halbwegs gute Figur zu machen, auch wenn ich unter den Gewichten fast zusammenbreche und wahrscheinlich mein halber Po zu sehen ist.
Gleichzeitig lasse ich die Info sacken.
CJGW – die christliche Jugendgemeinschaft Weimars. Da will Caro also in die Führungsetage.
Ich kann mir nicht mal annähernd vorstellen, was diese Position für einen Anreiz haben soll und ehrlicherweise weiß ich nicht mal, was für einen Zweck diese Gemeinschaft überhaupt hat, obwohl ich da ja mal selber drin war, aber nie herausgefunden habe, warum diese extra nochmal mit komplizierten Namen gegründet wurde, wo es doch schon lange die stinknormale christliche Gemeinde gibt.
Dennoch finde ich es geradezu niedlich, wie ernst meine kleine Caro-Maus diesen sinnlosen Posten anstrebt und dann auch noch mit Konkurrenz zu kämpfen hat.
Loyal wie ich nun mal bin, beschließe ich augenblicklich, diese Jasmin nicht zu mögen.
Und dieser Entschluss ist nicht mal unberechtigt, wie mir in der nächsten Sekunde klar wird.

Ein Mädel mit blonden Engelslocken und Sommersprossen löst sich aus der Gruppe und kommt mit einem falschen Lächeln näher.
„Wir wollten uns vor einer Stunde am Bahnhof treffen.“, stellt sie maßregelnd fest und sieht meine Caro ganz schön gehässig an. Sofort wird mir klar, wer das sein muss.
Die roten Flecken auf den sonst so blassen Wangen von Carolin werden noch eine Spur tomatenähnlicher und sie blickt schuldbewusst aus der Wäsche.
Ich weiß nicht, wo ich den plötzlichen Beschützerinstinkt herhole.
„Meine Schuld.“, flöte ich und hebe schuldig im Sinne der Anklage die Hand.
Ihr Blick schnellt zu mir und verfinstert sich sobald sie mich musternd von oben bis unten betrachtet. Ich lächle ganz sanft.
Diese abfällige Begutachtung meiner Erscheinung lässt mich kalt, auch wenn ich für sie wie die Hure von Babylon wirken muss und ich mich mit den ganzen Beuteln kaum noch auf den Beinen halten kann.
Sie ist genauso hochgeschlossen angezogen wie Caro und ich stehe hier mit schwarzem Mini, Sonnenbrille und meinem tätowiertem Arm – der Inbegriff der Sünde.
Das verkniffene Mädel zieht ihr ungezupften Augenbrauen in die Höhe.
„Und du bist?“, fragt sie so abwertend, wie es ihr nur möglich ist.
Ich setzte ein Perlweißlächeln auf und will gerade was richtig unpassendes vom Stapel lassen, als Caro hastig eingreift, sie kennt mich wahrscheinlich schon zu gut.
„Anna.“, sagt sie gehetzt. „Das ist unsere Freundin Anna Meyer.“
Für wen genau das „uns“ da jetzt steht weiß ich nicht.
Die alte Giftzwiebel lächelt jedenfalls hochnäsig und stellt sich dann vor.
„Jasmin Gebler.“, flötet sie. „Vorsitzende der CJGW.“
Oh, da muss sich also jemand mit einem Titel profilieren, der meines Wissens nach noch hart unkämpft ist.
Johann sieht das wohl ähnlich und sagt das erste Mal etwas, was ihn mir sympathisch machen könnte, irgendwann, in hundert Jahren vielleicht.
„Immer langsam Jasmin, noch bist du nicht die Vorsitzende.“, dröhnt seine tiefe Stimme mit einem Augenzwinkern.
Der blonde Wolf im Schafspelz kontert mit einem gewinnenden Grinsen.
„Die Betonung liegt auf noch!“
„Na das werden wir noch sehen.“, entfährt es mir und ich kann mir sicher sein, dass ich mir in diesem Augenblick eine Erzfeindin auf Lebenszeit gesichert hab.
Aber das ist mir egal, ich habe nämlich keinen Bock mehr mit den ganzen Gepäck in der Hitze zu stehen und mich mit einer bösartigen Halbnonne zu batteln.
Deshalb wende ich mich auch zu Caro, noch bevor Jasmin weiter Gift versprühen kann.
„Wohin mit dem Zeug?“
„Alles erstmal rein.“, dabei deutet sie auf den dunklen Eingang des Gebäudes.

Erhobenen Hauptes schleppe ich mich an ihr vorbei, spüre nadelstechende Blicke im Rücken und stürze hastig durch die Tür ins Dunkle – und sehe erstmal...nichts.
Wie ein schneeblindes Huhn tapse ich in die Dunkelheit in dem Bewusstsein, dass die Leute hinter mir mich noch immer sehen können und deshalb gehe ich auch einfach weiter.
Mein Stolz erlaubt es mir nicht, orientierungslos stehen zu bleiben und erst recht nicht, die Sonnenbrille abzusetzen, ohne die ich vielleicht wenigstens grobe Schattierungen erkennen könnte.
Ein Schritt vor den anderen, bis irgendwer von irgendwo „Achtung!“ ruft und ich im nächsten Augenblick ungebremst über etwas stolpere und ich mich plötzlich ungeplant mit Sack und Pack auf dem Boden wiederfinde.
Es ist schon verdammt peinlich, wenn man einfach so stürzt, obwohl man dabei noch einen letzten Hauch von Eleganz einbringen kann, indem man sich mit den Händen abstützt oder sich sonst irgendwie halbwegs anmutig abrollt.
Ich dagegen hatte keine Hand frei, gefühlte 20 Kilo Gepäck gebuckelt, die mich umso schneller in die Tiefe reißen konnten und bin dazu noch völlig überrumpelt gewesen, so dass ich gerade stöhnend in einem Meer von Beuteln liege und versuche zur Besinnung zu kommen.

„Ach herrje!“, höre ich jemanden erschreckt sagen und finde diesen Ausdruck mehr als unpassend.
„Geht es dir gut?“, fragt die freundliche Stimme als nächstes.
Meine Sonnenbrille sitzt schief auf der Nase, ich kann froh sein, dass ich mir kein Auge ausgestochen habe, und ich hab immer noch mit den kleinen Sternen zu kämpfen, die durch mein Sichtfeld tanzen, trotzdem erkenne ich den groben Umriss eines Jungen, der vor mir kniet und mich besorgt mustert.
Im Hintergrund vernehme ich das Getrampel von Schaulustigen.
Klasse! So viel zu meinem anmutigen Abgang.
Wenn ich jetzt wenigestens irgendwas Witziges sage, was die Peinlichkeit überspielt, könnte ich so immerhin noch einen letzten, mickrigen Rest Würde behalten, doch stattdessen entfleucht mir nur ein Keuchen.
Der Sturz hat mir doch wahrhaftig die Sprache geraubt.
Oder es ist tatsächlich so, dass sich mindestens drei meiner Rippen in meine Lunge gebohrt haben. So fühlt es sich zumindest an.
Meine rechte Körperhälfte musste den Sturz größtenteils abfangen und ich bin mit den Rippen auf einem der Beutel gelandet, der mutmaßlich mit Backsteinen oder so gefüllt ist.

„Anna!“, schallt es viel zu laut an meinem Ohr.
Ich zwinkere mehrmals kurz, nehme die Brille ab, die leider irreparable Schäden aufweist und kämpfe mit dem zu schnellem Wechsel vom hellen ins Dunkle.
Das war grad Caro. Sie kniet bereits neben mir.
Meine Augen gewöhnen sich langsam an die Dunkelheit, dennoch bin ich immer noch größtenteils geblendet von dem Licht, was durch die Tür strahlt.
„Was ist denn passiert?“, fragt sie mich.
Die Antwort wird mir abgenommen. „Sie ist gestolpert!“
„Über die Kante?“, fragt sie.
„Ja, die Kante hat es echt in sich!“, sagt er wieder.
„Da stolpert fast jeder drüber...“, sagt irgendwer aus dem Publikum, was mit zustimmenden Gemurmel quittiert wird.
Automatisch blicke ich zurück und sehe die hundsgemeine Kante, die völlig sinnfrei mitten in den Flur platziert wurde. Irgendwie klang der Dialog eben mehr als absurd.

Ich kneife noch einmal die Augen zusammen, dann blicke ich in zwei moosgrüne Augen, die viel zu nah vor meinem Gesicht schweben.
Doch anstatt zurück zu zucken, halte ich dem intensiven Blick stand, vielleicht gucke ich dabei auch etwas zornig, schließlich habe ich allen Grund dazu, jedenfalls fängt das mir bekannte Gesicht an zu grinsen.
„He, Anna! Guck mich nicht so an!“, gluckst er fröhlich. „Ich kann nichts dafür, dass du die Kante nicht gesehen hast!“
Dann packt er mich einfach am Arm und zieht mich mit Leichtigkeit wieder auf die Beine.
Das Stechen, welches sich durch meine rechte Körperhälfte zieht, versuche ich zu überspielen und atme einfach nur kraftvoll aus.
Dann erfasse ich nochmals weitestgehend objektiv die Situation.
So gut wie alle, mit denen ich die nächsten achtundvierzig Stunden verbringen muss, haben meine kleine Showeinlage gesehen, jeder starrt mich an und ich werde puterrot.
Da sind Johann, Caro, die fiese Jasmin und noch fünf weitere Personen, alle ungfähr in unserem Alter – und Noah. Der war allerdings schon im Gebäude und hatte damit das Privileg, meinen Stunt aus nächster Nähe live und ungeschnitten begutachten zu dürfen.

Ja, er ist es wahrhaftig. Der Pfarrersjunge.
Ich hätte ihn gleich an seiner weichen Stimme erkennen müssen.
„Jetzt sag doch mal was!“, klingt es wieder besorgt aus Caros Richtung.
Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob meine Stimme sich nicht zu schmerzverzerrt anhören wird, also lächle ich nur und vertraue auf die jahrelange Freundschaft zwischen uns, indem ich ihr einen Blick zuwerfe, der ihr hoffentlich deutlich zeigt, dass ich augenblicklich von IHR aus dieser oberpeinlichen Situation befreit werden will.
Alle starren mich so mitleidig an, selbst Jasmin hat keinen gehässigen Gesichtsausdruck, was ich ihr echt hoch anrechne.
Caro schaltet sofort und dafür bin ich ihr fast so dankbar, dass ich es ihr verzeihe, mich hier überhaupt mit hergeschleppt zu haben.
„Äh, Johann.“, flötet sie um einen neutralen Ton bemüht. „Hilfst du mir mit den Taschen? Bitte? Und der Rest kann ja schon mal die Zimmer beziehen.“

Die Menge setzt sich in Bewegung, meine kleine Retterin zwinkert mich wissend an, während sie sich zu den Taschen bückt und erst jetzt bemerke ich, dass Noah mich noch immer am Arm hält.
Er raunt mir ein „Frische Luft schnappen?“ zu und ich nicke, obwohl ich eigentlich drauf verzichten könnte, nochmal in die Hitze zu gehen.
Aber was solls. Hauptsache weg hier.
Ich setze mich in Bewegung, unterdrücke den Schmerz und trete zusammen mit Noah vor die Tür.
Meine Augen gewöhnen sich diesmal viel schneller an den krassen Lichtwechsel.
Rechts von uns steht ein Bank, auf die gehen wir automatisch zu und setzen uns.

Schon im Haus ist mir aufgefallen, dass Noah ganz schön gewachsen ist. Jedenfalls kann ich mich kaum daran erinnern, dass er früher mehr als zwei Köpfe größer war als ich.
Gut, das ist auch kein Kunststück, ich bin verhältnismäßig winzig.
„Na, das war aber ein ganz schöner Sturz.“, stellt er fest. „Sicher, dass es dir gut geht?“
Wahrscheinlich hat er bemerkt, wie ich beim Hinsetzen kurzzeitig das Gesicht verzogen habe, und dabei habe ich mir echt Mühe gegeben, möglichst neutral das fiese Stechen zu überspielen.
„Alles bestens.“, brumme ich zurück.

Meine Laune ist im Keller.
Die Bruchlandung war die Krönung der ganzen beschissenen Dingen, die mir so in letzter Zeit widerfahren sind.
Und deshalb habe ich auch erst recht keine Lust auf dämlichen Smalltalk mit einem ehemaligen Schulkameraden, der mir früher eigentlich gezielt am Arsch vorbei gegangen ist. Ich warte nur darauf, dass er mich nochmal nach meinem offensichtlichen Schmerzen fragt, bin dann aber umso verblüffter, als ich merke, dass er sich entspannt zurücklehnt und gedankenverloren zwischen die Bäume starrt.
Er ist wirklich ein langer Lulatsch, stelle ich fest, wenn ich ihn mir so ansehe. Dünn und drahtig, wahrscheinlich macht er Sport. Jedenfalls verraten das diese leicht ausgeprägten Muskeln an seinen Unterschenkeln.
Und zugegebenermaßen hat er sich wirklich entwickelt, seit dem Abi.
Er ist nicht mehr ganz so unscheinbar, hat irgendwie eine präsentere Ausstrahlung.

Er spürt meinen Blick auf sich, dreht seinen Kopf und lächelt mich an. Strahlend, noch strahlender als die brennende Augustsonne und wärmer als der heißeste Tag im Hochsommer.
Ein bisschen haut es mich um.
Noch nie hat mich ein Lächeln so berührt und ich starre ihn fasziniert an.
Seit wann zur Hölle kann Noah Kasperski so zauberhaft seine Zähne zeigen?
Dann komme ich wieder zur Besinnung.
„Warum grinst du denn so widerlich?“, spotte ich in meiner gewohnten Art.
Noahs Lächeln bleibt dennoch bestehen. „Ich freue mich, dass du mit hier bist.“, sagt er ganz logisch und die Tatsache ignorierend, dass ich mal wieder ziemlich unfreundlich zu meinen Mitmenschen bin.
„Warum?“
„Findest du es nicht auch toll, wenn man sich nach Jahren wieder sieht?“
„Nein.“, grummel ich.
Und das meine ich auch ernst. Ich stand noch nie auf dieses blöde Wir-halten-Kontakt-und treffen-uns-regelmäßig-Geheuchle. Mindestens zwanzig Klassenkameraden haben mir den Mist ins Jahrbuch geschrieben. Keiner hat sich daran gehalten, mich schließe ich da mit ein, bis auf Caro, die treue Seele.
„Ich fand es traurig, dass wir uns alle nach dem Abitur aus den Augen verloren haben.“, erwidert er nachdenklich.
Meine Güte, der ist ja genauso weltfremd.
Jetzt guckt er wieder so merkwürdig ins Gestrüpp vor uns.
Unweigerlich fallen mir seine grünen Augen auf, die richtig schön mit seinen blond-rötlichen Lockenkopf harmonieren. Wobei ich ja mehr auf den dunklen Typ stehe...und überhaupt, wieso achte ich da denn plötzlich drauf?

„Das war ja doch abzusehen, oder nicht?“, frage ich etwas netter.
Er zuckt mit den Schultern. „Bei dem einem mehr, bei den anderen weniger.“
Ich weiß nicht, ob er damit auf jemand bestimmtes anspielt, aber ich finde die Aussage viel zu kryptisch, so dass ich nicht weiter darauf eingehe.
Ich lehne mich ebenfalls vorsichtig zurück, zupfe mein Top zurecht und beschließe ihn mit der Wahrheit zu schockieren. Mal sehen ob er dann noch immer so einnehmend freundlich ist.
„Ich bin nicht freiwillig hier. Eigentlich hatte ich überhaupt kein Bock auf den ganzen Kram an diesem Wochenende. Caro hat mich gewissermaßen gezwungen.“, knalle ich ihm emotionslos vor die Lockenpracht.
Jetzt sieht er mich direkt an, nachsichtig lächelnd.
„Spielt das irgendeine Rolle?“, fragt er ohne jeden Hauch von Spott.
Ich überlege kurz. „Eventuell?“
Dann schüttelt er leicht den Kopf und grinst so charmant, dass sich meine Mundwinkel von ganz alleine ein winziges Stück anheben.
„Für mich zählt nur, dass du hier bist. Und ich für meinen Teil freue mich darüber! Denn wann hat man schon mal die Gelegenheit mit alten Schulkameraden in Erinnerungen zu schwelgen? Das wird ein tolles Wochenende!“
Der Optimismus, der aus seiner Ansprache spritzt, erinnert mich beinah an einen Motivationsredner einer drittklassigen Fernsehshow, kurz bevor die Kandidaten Känguruhoden oder ähnliches verspeisen dürfen. Ich sehe ihn verwirrt an.

Noah strotzt vor Freundlichkeit, Zuversicht und einem beinah niedlichen Gutglauben.
Ähnlich wie Caro.
Und dabei wirkt er keinesfalls einfältig. Eher lässig.
Er war schon früher so. Immer der Strahlemann, morgens nie schlecht gelaunt und kam die überraschende Ansage einer unangekündigten Matheklausur für den nächsten Tag: – „Hey! Da können wir doch alle zusammen lernen!“
Optimistisch und unerschütterlich, allem gibt es etwas Positives abzugewinnen.
Ich fand es nervig, vielleicht auch, weil ich ein eher pessimistischer Mensch bin.
Deshalb hatte ich auch nie großartig was mit ihm zu tun. Er war einer dieser Schulkameraden, die irgendwie immer da waren, über die man mal ganz gern gelächelt hat, zu denen man sich jedoch nie während der Pause stellte.
Mal ne Hausaufgabe abschreiben, kurz eine gemeinsam geschriebene Klausur auswerten, mit einem Nicken grüßen – das wars.
Und jetzt sitze ich hier mit ihm auf einer Bank und lasse mich plötzlich von seinem Lächeln mitreißen.
Verrückt!

Ich rappel mich auf.
Aufmerksam wie er ist, steht er sofort auf und macht Anstalten mir zu helfen, ich winke ab.
Dann trotte ich zurück zum Eingang und murmle genervt: „Wird sicher GANZ toll...“






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