Romeo und Julie

Autor: Natalie Körner
veröffentlicht am: 13.03.2013


"Julie? Tu est oú?!", ruft meine grandmère aus der Küche. "Ich komme, grandmère!", rufe ich zurück. Sie besteht darauf, dass ich wenigstens einige Wörter französisch spreche,wenn ich sie schon mal in Frankreich besuchen komme. Ich stehe auf und überlege, was ich anziehen soll, als von unten ein weiteres, diesmal deutlich genervteres "Julie?!" ertönt. Also lasse ich die Kleider erst mal Kleider sein und beeile mich, in die Küche zu kommen. "Bonjour!", begrüße ich meine grandmère. "Est-ce que tu vas aller a l'école aujourd'hui?", fragt sie mich unbeeindruckt. "Ob ich heute in die Schule gehe?", frage ich nach. Sie verdreht die Augen, wie immer, wenn ich Deutsch rede. Zwar war mein Besuch bei grandmère als "Sprachaustausch" gedacht, zum Glück gehe ich aber auf eine deutsche Schule, nur eben hier in Frankreich. Meine Eltern haben nämlich zum Glück verstanden, dass ich sonst überhaupt keine Chance habe, hier irgendwas zu verstehen. Okay, im Franze-Unterricht in Deutschland komme ich noch ziemlich gut mit, aber mit echten Franzosen zu reden ist dann noch mal etwas ganz anderes. Da wird mir klar, dass grandmère noch immer auf meine Antwort wartet, also murmle ich ein kurzes "Oui" und laufe zurück in "mein" Zimmer. Jetzt ist es doch Zeit, mich um meine Klamotten zu kümmern! Es ist Sommer, deswegen entscheide ich mich für eine weiße Dreiviertel-Jeans und ein rotes Rüschentop. Nachdem ich mich umgezogen habe und mich auch sonst fertig gemacht habe, werfe ich noch einmal einen Blick in den Spiegel. Erst gestern habe ich meine honigblonde Haarfarbe naja, sagen wir mal: aufgefrischt. Meine grünblauen Kontaktlinsen trage ich sowieso jeden Tag. Wenn ich jetzt in den Spiegel sehe, erinnert nichts mehr an das hässliche, dicke Mädchen, das ich noch vor einem halben Jahr war. Bevor ich 15 Kilo abgenommen habe, meine Brille in Kontaktlinsen getauscht habe und begonnen habe, meine Haare zu färben. 'Aber dieses Mädchen existiert nicht mehr!', denke ich.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich schon spät dran bin. Verdammt! Es gibt ja wohl nichts peinlicheres, als am ersten Tag zu spät zu kommen! Entsprechend schnell verabschiede ich mich von grandmère und stürme aus dem Haus, wobei ich auf dem Bürgersteig beinahe ein anderes Mädchen umrenne. "Attention!", ruft sie empört und wirft ihre langen schwarzen Haare zurück."Tut mir Leid!", antworte ich und denke im selben Augenblick 'Versteht die überhaupt Deutsch?'. Sie beantwortet mir die Frage. "Du sprichst Deutsch?", fragt sie. Ich nicke. "Ich gehe auf die deutsche Schule hier im Ort. Naja, zumindest ab heute!" Sie grinst. "Dann bist du also 'die Neue'. Ich bin Alissa, und du?" "Bonjour Alissa, je m'appelle Julie.", bringe ich in meinem besten Französisch heraus. Sie verzieht gekünstelt das Gesicht. "Uh, mit der Aussprache solltest du froh sein, dass es eine deutsche Schule ist." Ich will sie gerade entsetzt ansehen, als sich erneut ein Grinsen auf ihrem Gesicht ausbreitet. "Ich mach doch nur Spaß!", meint sie. Nun muss ich auch grinsen. Vielleicht wird die Zeit hier in Frankreich ja doch nicht so schlimm, wie ich dachte!





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