Wie eine einzige Sommernacht - Teil 4

Autor: NoNo
veröffentlicht am: 24.12.2012


Timo

Der Bus ist so heiß wie eine Sauna. Nein, schlimmer noch. Er ist so stickig wie ein Backofen – beinahe ist es unerträglich.
„Oh Gott! Macht die Fenster runter! Schnell! Ich bekomm’ keine Luft mehr“ ruft Frieda theatralisch aus und springt zu Christian und mir nach hinten, während sich Emmi hinter das Steuer setzt. Sie will die letzte Strecke fahren, bevor es dunkel wird. Sobald Nacht ist, fährt sie kein Auto mehr. Sie sagt, dann sieht sie so schlecht und kann sich nicht mehr konzentrieren.
„Reichst du mir mal bitte meine Tasche?“ fragt sie an Joschka gewandt, welcher ihr ihre braune Handtasche reicht.
Sie kramt ein bisschen darin herum und zaubert schließlich ihr Brillenetui hervor.
Solange ich Emmi kenne, trägt sie ihre Brille nur beim Autofahren, obwohl sie auch sonst eine Brille bitter nötig hätte.
Immanuel steigt als Letzter in den Bus. Er verzieht das Gesicht und stöhnt: „Eine Klimaanlage wäre mir lieber als das Radio“
„Sag’ nichts gegen unsere gute Musik“ Frieda beugt sich nach vorne und legt eine andere CD ein. Joschkas 17.! steht darauf. Und sofort hören wir irgendwelche schlechte Partymusik aus dem Jahre 2008. Die CD Kützer Roadtrip hat mir eindeutig besser gefallen.
Mit einem lauten Schlag schließt Immanuel die Autotür und Emmi startet den Motor. In mir verkrampft sich sofort alles.
Ich habe bis jetzt keine guten Erfahrungen mit Emmi bezüglich des Autofahrens gemacht. Einmal hat sie mir meinen Polo geschrottet, indem sie ihn mehrfach aufgesetzt hat. Fragt mich nicht, wie sie das geschafft hat. Doch ich muss ihr zugute halten, dass sie immer noch besser fährt als Frieda. Ganz zu schweigen von Chris!
„Wer hat eigentlich all die alten CDs aufgehoben?“ fragt Immanuel plötzlich.
Frieda grinst und zuckt mit den Schultern: „Musik wirft man nicht weg. Musik archiviert man. Ich habe noch alle alten Mix-CDs von uns. Sogar die von Timos Konfirmation“
„Ach du meine Güte!“ ruft Emmi lachend aus und überfährt eine rote Ampel, ohne es selbst zu merken.
Doch in Mailand scheint das keinen zu stören. Sie wird noch nicht einmal angehupt.
Joschka dreht sich über die Schulter zu Frieda um und die beiden tauschen einen Blick aus, den jeder versteht.
Sie fängt an in einem Stoffbeutel, der wohl ihre Handtasche darstellen soll, zu wühlen und zerrt schließlich eine Hüllenbox voller CDs hervor. Kurz sucht sie alle durch, bevor sie Joschka eine selbstgebrannte Disk reicht.
„Oh, bitte Leute!“ Ich sträube mich dagegen, die Orgelmusik meiner Konfirmation zu hören. Das geht wirklich zu weit!
„Wir können auch die hören, auf der du singst“ fängt Chris an mich zu necken.
Ich habe einen Fehler und der ist, dass ich nicht singen kann, aber trotzdem immer singe: unter der Dusche, beim Abwaschen, beim Kochen, eigentlich fast immer und eindeutig zu oft.
Nun hatte sich Joschka vor etwa einem Jahr einen Spaß daraus gemacht, alle meine aufgenommenen Gesangsversuche zu einer CD zu brennen. Und nun „archiviert“ Frieda eine Disk mit dem tollen Namen: Deutschland sucht den Superstar – Gesangstalent Timo.
„Die habt ihr nicht auch dabei?!“ frage ich fassungslos.
Frieda zwinkert mir zu und sieht empört aus: „Für wen hältst du mich?!“
Fast schon will ich erleichtert ausatmen, als sie mir genau jene verhasste Disk unter die Nase hält. „Niemals würde ich diese CD vergessen!“ Sie fängt an zu lachen und ich merke, dass ich rot anlaufe, wie eine Tomate. Nichts ist mir so peinlich, wie diese Disk. Ich wusste, dass ich schlecht singe, aber dass ich mich so schrecklich anhöre, ahnte ich nicht.
Die evangelische Kirchenmusik bricht ab und stattdessen ertönt Killing me softly. Es hört sich an, als würde man mit einem Knüppel auf einen Sack Katzen einschlagen. Alle anderen – und auch ich – biegen sich vor lachen, bis Emmi plötzlich todernst sagt: „Ich glaube, ich hab’ mich verfahren.“
Immanuel stöhnt auf. „Nicht schon wieder“
Chris reicht ihm wortlos die Karte und ich ahne schon, dass wir erst sehr spät in der Nacht in Verona ankommen werden.

Das Hostel in Verona sieht nicht sehr einladend aus. Überhaupt gar nicht. Und eigentlich wehrt sich alles in mir, auch nur eine Nacht darin zu verbringen.
Doch eine andere Wahl habe ich nicht. Es ist zwei Uhr in der Früh und bis nach Venedig sind es noch mehr als hundert Kilometer. Außerdem hatten wir das Zimmer in Verona bereits gebucht und auch schon bezahlt. Noch dazu würden Frieda und Emmi mich umbringen, wenn wir nicht wenigstens eine Nacht in der Stadt von Romeo und Julia bleiben würden.
Mit einem leisen Seufzen ziehe ich meinen Rucksack aus dem Kofferraum und nehme dankbar die Zigarette an, die Chris mir reicht.
„Gegen den Stress“ erklärt er leise und ich nehme sie, ohne mir Gedanken darüber zu machen, dass ich eigentlich nicht mehr so vie rauchen wollte.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie auch Emmi sich eine Zigarette anzündet.
„Ich dachte, du hast aufgehört?“ fragt Immanuel und er klingt betont gleichgültig, doch ich weiß, wie sehr es ihn ärgert, dass Emmi wieder raucht. Er konnte es noch nie leiden – bei keinem von uns.
Emmi wirft ihm einen traurigen und entschuldigenden Blick zu und zuckt mit den Schultern: „In der letzten Zeit ging es mir nicht so gut“
Er nimmt es nur nickend zu Kenntnis und schlendert mit Joschka schon ins Innere des Hostels. Es ist ein kleines, heruntergekommenes Altbaugebäude, ziemlich zentral gelegen und so von außen könnte es beinahe romantisch aussehen – zumindest im Dunkeln. Ich will gar nicht wissen, wie es drinnen aussieht.
Mit einem leisen Seufzen schaut Emmi Immanuel hinterher und wendet sich dann schließlich ab. Stattdessen schaut sie in den Himmel; am Himmelszelt ist kein einziger Stern zu sehen.
Die Luft ist lau und vom Teerboden aus spürt man noch die glühende Hitze des Tages.
„Mach’ dir nichts draus. Du weißt wie er ist“ sagt Frieda schließlich und drückt Emmi kurz die Schulter.
„Er kann einem das Gefühl geben, absolut verachtenswert zu sein“ meint Emmi nur leise und ich kann verstehen, was sie meint. Doch ich kann es nicht nachvollziehen. Sie nimmt sich alles viel zu sehr zu Herzen. Frieda ist da ganz anders. Frieda ist ein halber Kerl.
„Er verachtet dich nicht“ sage ich und bin selbst darüber verwundert wie unbeholfen und dümmlich mein Satz klingt.
„Das weiß ich selber“ faucht sie und wirft ihre Zigarette in den Gully, bevor sie ihre Reisetasche nimmt und auch ins Haus geht.
Unbeholfen bleibe ich zusammen mit Chris, welcher die Augen verdreht, und Frieda draußen.
„Meinst du zwischen den beiden lief mal was?“ fragt Frieda plötzlich todernst und schaut von Chris zu mir und wieder zurück.
„Du meinst so, wie bei Chris und dir?“ spotte ich.
„Bei uns wussten von Anfang alle, dass was ging. Das mit der Beziehung wurde lange geheim gehalten“ verbessert mich Chris.
Ich zucke nur mit den Schultern: „Wie dem auch sei. Zwischen den beiden läuft nichts“
„Meinst du?“ hakt Frieda misstrauisch nach. Sie zieht skeptisch die Brauen zusammen und dreht sich eine weitere Zigarette.
„Komm, die beiden sind so verschieden. Das würde niemals gut gehen“
„Aber meinst du nicht, dass vielleicht doch? Zwischen den beiden war es so oft so, dass ich dachte…“ Sie unterbricht sich selbst und schüttelt mit dem Kopf: „Ach, es geht mich eigentlich auch nichts an. Nur ich habe mich das oft gefragt“
„Wir wüssten es, wenn’s so wäre“ meine ich und zucke erneut mit den Schultern.
„Niemals würde Immanuel mit uns darüber reden!“ ruft Chris lachend aus.
„Aber Emmi. Ihr kennt sie. Sie kann nicht schweigen“
Kurz hängen wir drei unseren Gedanken nach. Jeder denkt an vergangene Tage und an die vielen Ausflüge, die wir gemeinsam erlebt haben. Die vielen Partys, auf denen wir gemeinsam abgestürzt sind. Die vielen Schulstunden, die wir gemeinsam geschwänzt haben.
Früher haben wir fast alles gemeinsam gemacht. Jetzt sucht jeder seinen eigenen Weg in der Welt.
Es ist verwunderlich, wie schnell sich die Zeiten ändern.






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