Wie eine einzige Sommernacht - Teil 2

Autor: NoNo
veröffentlicht am: 17.12.2012


Immanuel

„Scheiße, Mann! Ich hab dein Geschenk vergessen!!“ Wir sitzen kaum fünf Minuten, da schlägt sich Timo mit der flachen Hand gegen die Stirn und schüttelt mit dem Kopf. „Sorry, Joschka. Du kriegst es ein anderes Mal, versprochen“
Ich höre Frieda kichern und sehe wie Emma die Augen verdreht. Ihr Blick trifft meinen im Rückspiegel und wieder einmal weiß ich nicht was sie denkt. Natürlich denkt sie: „Typisch Timo“. Aber das denken alle im Auto.
Es ist auch typisch Timo. Es vergeht kein Jahr, in dem er nicht da sitzt, auf einmal mit dem Kopf schüttelt und sagt: „Ich habe dein Geschenk vergessen!“
Doch Emmas Blick sagt noch etwas anderes. Ich kenne sie gut genug, um zu sehen, dass in ihrem Kopf nicht nur Typisch Timo vor sich geht. Doch ihre Miene bleibt ein Rätsel für mich.
„Macht nichts. Kannst es mir ja dann zu meinem 22. schenken“ Joschka zwinkert Timo zu und klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter.
Hier hinten im Bus ist es ziemlich eng und wir sitzen gerade mal eine halbe Stunde. Am liebsten würde ich jetzt schon aussteigen und mir die Beine vertreten. Kurz schaue ich aus dem Fenster und sehe die blauen Autobahnschilder, ohne sie zu lesen.
Frieda weiß, wo sie lang fährt. Zumindest so lange Chris mit verschiedensten Landkarten neben ihr sitzt.
Ich muss schmunzeln. Emmi und Frieda gehören zu den Leuten, die gar keinen Orientierungssinn haben. Vor vier Jahren schaffte es sogar, sich auf einem wirklich kleinen Campingplatz zu verlaufen. Chris suchte sie bestimmt zwei Stunden lang, bis sie von selbst wieder auftauchte, mit einer Flasche Bier in der Hand, einer Zigarette im Mundwinkel und einem schiefen Grinsen im Gesicht.
„Fahr’ nicht so schnell!“ mahnt Chris und reißt mich damit aus meinen Gedanken.
„Schnell?!“ ruft Joschka aus. „Wir fahren nicht mal hundertzwanzig!“
Emma kichert leise und schüttelt mit dem Kopf. Sie weiß, was jetzt kommt.
Frieda dreht sich über die Schulter zu Joschka um: „Es ist ein alter Bus! Lass ihn in Ruhe!“ Ihre Miene ist so gespielt empört, dass ich lachen muss.
„Schau’ doch auf die Straße, verdammt!“ unterbricht Chris energisch die Neckereien und greift Frieda ins Lenkrad und bringt den Bus wieder auf die richtige Spur.
Ich spüre wie Timo neben mir zusammenzuckt und erleichtert ausatmet, als er merkt, dass wir noch leben.
„An der nächsten Raststätte fährt jemand anderes“ brummt Chris, womit er sich selber ausschließt, da er seit zwei Jahren keinen Führerschein mehr hat. Drogen am Steuer. Wie oft habe ich auf ihn eingeredet, dass er das lassen soll; dass das richtig Ärger geben kann; dass er deswegen seinen Führerschein verlieren wird. Und nun – vor zwei Jahren – war es dann soweit. Chris verlor seinen Führerschein und bekam eine Geldstrafe, die nicht ganz ohne war.
„Ich kann fahren“ bot Emmi an.
„Oh, bitte nicht! Dann kommen wir nie an!“ lacht Timo und sie dreht sich mit funkelnden Augen zu ihm um: „Ich kann fahren!“
„Unfallfrei?“
Wäre Timo nicht ihr bester Freund, so wäre sie in ihrem Jähzorn jetzt auf ihn losgegangen. Doch Timo ist nun mal ihr bester Freund, – die beiden hatten so viel durch – sodass sie nachsichtig lächelt und nickt. Sie will sich gerade wieder nach vorne umdrehen, als sie noch murmelt: „Dafür kann ich besser einparken“ Ich sehe im Rückspiegel, dass sie zwinkert und dass Timo das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt.
Und während mir die Beine so weh tun, dass ich sie am liebsten ausstrecken würde und dem Gezanke vom Emmi und Timo lausche, fällt mir auf, dass ich sie alle vermisst habe – zumindest ein bisschen.

Ich bin der erste, der aus dem Bus springt, als Frieda den Wagen auf einem Autohofparkplatz, in irgendeinem Kaff, parkt.
„Eine Parklücke hat dir wohl nicht gereicht?“ spotte ich, da sie mehr als eine Lücke blockiert. Einparken war noch nie Friedas Stärke gewesen.
„Schönheit braucht eben Platz!“ gibt sie zurück und steigt aus. Ihre blonden Haare, welche jetzt irgendwie auch orange sind, wehen im Wind.
Es ist ein angenehmer Wind. In Karlsruhe ist der Sommer so drückend und schwül. Auf dem Land scheint er angenehmer zu sein.
Chris breitet die Karte auf der Motorhaube aus und meint: „Wir sind jetzt in Kretz – oh, schöner Name. Wir sollten es heute noch bis nach Mailand schaffen!“
„Wer will denn nach Mailand?“ fragt Joschka und schüttelt mit dem Kopf. „Da gibt’s doch nichts, außer Mode!“
Chris fängt an zu grinsen und zeigt auf Emmi. Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass nur Emmi es sein kann, die nach Mailand will. Vor allem, wenn das Ziel eigentlich Griechenland sein soll.
„Oh, Emmi!“ stöhnt Joschka genervt. „Muss das sein? Ich meine, wir können doch bis Verona durchfahren? Du gehst doch in Mailand sowieso nicht shoppen, du Geizhals!“
„Es gibt da auch einen Dom“ fügt sie ein wenig kleinlaut hinzu und fährt sich mit der Hand durch ihre goldbraunen Locken, welche ihr einst bis zu Taille reichten. Mittlerweile sind sie nur noch schulterlang.
Ich frage mich, wann sie ihre Haare geschnitten hat, doch ich stelle ihr diese Frage nicht. Ich weiß, dass ich sie damit nur verunsichern würde. Und eine Autofahrt bis nach Griechenland mit dem ständigen Gefrage: „Sehe ich scheiße aus?“ würde ich nicht ertragen. Bei aller Liebe zu Emmi.
„Den Mailänder Dom! Natürlich – wie konnte ich den vergessen“ spottet Joschka weiter und reißt theatralisch die Hände zum Himmel.
„Ernsthaft, Emmi. Niemand will nach Mailand. Zu viel Verkehr, alles ist dreckig und die Läden sind dir sowieso zu teuer“ mischt sich jetzt auch Timo mit ein. Wie immer redet er sachlich und in einem ruhigen Tonfall mit ihr und ich weiß, dass sie das noch mehr aus der Fassung bringt.
Sie verzieht ihre Lippen zu einem Schmollmund und seufzt: „Na gut…“
„He! Wir können ja wenigstens kurz durchfahren. Jetzt seid mal nicht so egoistisch“ weist Frieda die anderen zurecht und drückt Emmi einen Kuss auf die Wange. „Aber ich wäre auch lieber heute Abend schon in Verona“
„Ist okay“ Nur kurz sieht sie enttäuscht aus, doch Emmi kann nicht lange sauer oder traurig sein. Sofort setzt sie wieder ihr strahlendes Lächeln auf und meint: „Ich brauche einen Kaffee. Soll ich euch Etwas mitbringen?“
„Kaffee schwarz“ – „Einen Grüntee“ - „Ein Sandwich“ (Timo hatte immer Hunger) – „Irgendwas, hauptsache Koffein“
Emmi schmunzelt und nickt. Ich weiß, dass sie sich all das merken kann, ohne es aufzuschreiben. Jeder hätte ihr auch zehn Dinge nennen können, die sie mitbringen soll und sie hätte es zwei Stunden immer noch gewusst. Manchmal glaube ich, sie hat ein Elefantengedächtnis.
„Immi, was ist mit dir?“ Sie wendet sich schließlich an mich. Sie ist die einzige, die mich Immi nennt. Alle anderen nennen mich bei meinem vollen Namen.
Ich schüttele mit dem Kopf und sage nur: „Ich komme mit rein“

Ich laufe neben ihr durch die Regale der Tankstelle. Sie ist auf der Suche nach Schokolade – wie sollte es auch anders sein. Emmi hat immer Hunger auf Schokolade. Emmi hat eigentlich sowieso immer Hunger. Ich betrachte sie, wie sie unschlüssig herumsteht und nicht weiß, was sie nehmen soll.
In der zehnten Klasse war ich unsterblich verliebt in sie. Und sie war ein Biest. Damit meine ich nicht, dass sie mir nur eine Abfuhr gegeben hat. Nein, sie war ein richtiges Biest. Auch, wenn man es ihr nicht ansieht, so kann Emmi richtig fies werden, wenn sie will.
„Welche?“
„Was?“
„Na, welche soll ich nehmen?“
Sie steht vor mir mit je einer Tafel Schokolade in den Händen. Noisette und Erdbeer-Sahne. Beides natürlich von Milka – wie sollte es auch anders sein.
„Das ist deine Entscheidung“ meine ich nur und gehe weiter, um ein Schinkensandwich für Timo aus der Kühlregal zu holen.
„Oh, ich kann mich doch aber nicht entscheiden!“ Sie lacht, aber ich weiß, dass sie es nicht lustig findet. Sie kann sich nie entscheiden. Nie weiß sie, was richtig oder falsch ist. Nie weiß sie, wie sie handeln soll.
„Nimm’ Noisette. Oder nimm lieber gar keine. Die Schokolade kann schmelzen“
„Ach, du bist mir keine große Hilfe“ Sie geht zur Kasse und kauft einfach beide zusammen mit dem Sandwich und den Bechern voll Kaffee. Entscheidungsprobleme löst sie immer auf diese Art: Sie nimmt sich einfach das, was sie will.
Meistens gibt es bei ihr kein Entweder – Oder.
Sie bezahlt, drückt mir zwei Kaffeebecher in die Hand und nimmt den Rest selber. Ohne noch ein Wort zu sagen, verlässt sie die Tankstelle.
„Wenn wir nur kurz in Mailand bleiben, dann schaffen wir es heute Nacht noch nach Verona“ Chris steht immer noch über die Karte gebeugt und zeigte Timo, welcher wohl als Nächstes fahren würde, die genaue Route.
„Wäre es nicht schlauer, wenn wir nicht über Zürich, sondern gleich über…“ setzt Timo an, doch Chris unterbricht ihn gleich: „Nein, nein! Ich habe schon die schnellste Route ausgewählt“
„Okay, okay, Mann. War nur’n Vorschlag“ Timo hebt beschwichtigend die Hände.
Mit Christian war es immer dasselbe Problem. Er ist ein Alphatier, wie Frieda ihn spöttisch immer nennt. Er gibt gerne den Ton an. Er ist gerne der, der das Sagen hat.
„Vielleicht hätte ich doch mein Navi mitnehmen soll“ meint Joschka schließlich, doch Frieda lacht ihn nur aus: „In mein Auto kommt keine Technik – ausgenommen vom Radio natürlich“
„Du hast echt’n Schaden“ murmelt Joschka und schüttelt ratlos mit dem Kopf. Er denkt im Moment genau dasselbe wie ich: Aus unserer Gruppe ist keiner wirklich normal.






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