Wie eine einzige Sommernacht

Autor: NoNo
veröffentlicht am: 14.12.2012


Kapitel 1

Emma

Ich sehe den Bus von Frieda schon von Weitem.
Leuchtend grün, bestimmt schon 100 Jahre alt und mit viel Gebaumel direkt vor der Windschutzscheibe. Federketten, Traumfänger, ein oder zwei Duftbäumchen. Das ist der Bus von Frieda.
Seit sie ihren Führerschein hat, fährt sie diesen Bus und ich bin mir eigentlich fast sicher, dass sie schon mehr Geld in Reparaturen investiert hat, als ein neues Auto kosten würde. Und dennoch will sie sich nicht von diesem Auto trennen. Ich glaube, sie kann es einfach nicht über’s Herz bringen. Schon fast ist dieser Bus ihr Markenzeichen. Ohne ihn wäre Frieda nicht mehr Frieda.
Sie hupt, als sie mich sieht, hält abrupt an und ich höre einen lauten Ausruf aus dem Inneren des Wagens. Unverkennbar Chris’ Bassstimme.
Mit einem Knarren zieht Frieda die Handbremse und ich kann nur hoffen, dass uns ihr Bus auch sicher bis nach Griechenland bringen wird – doch der Bus hat uns noch nie hängen lassen.
Egal, ob wir zu einem Konzert, in die Schule oder betrunken nach einer Party nach Hause gefahren sind. Der Bus macht alles mit.
Freudig strahlend springt sie aus dem Auto und sie sieht aus wie immer. Die sechs Wochen, die wir uns nicht gesehen haben, haben sie nicht verändert. Sie trägt Jeans, welche sie selber knapp unter dem Po abgeschnitten hat und ein gelbes Vintagetop. Ihre Füße stecken in Cowboystiefeln.
Ich muss schmunzeln. Entweder trägt sie diese Stiefel oder braune Indianersandalen – so war das schon immer.
„Emmi!“ ruft sie schließlich aus und ich falle ihr um den Hals.
Es ist immer noch ein komisches Gefühl, meine beste Freundin nicht jeden Tag um mich herum zu haben. Es ist immer noch komisch, dass wir alle nun in verschiedenen Städten wohnen und alle etwas Unterschiedliches studieren. Selbst nach fast zwei Jahren ist es immer noch komisch. Ich werde diese Nostalgie nicht los.
Es ist trotzdem schön zu wissen, dass wir den Kontakt aufrecht halten können. Trotz der Distanz sind Frieda und ich immer noch beste Freunde.
„Was macht dein Studium? Viertes Semester, was?“ frage ich und betrachte sie noch einmal. Sie ist ganz die alte Frieda – meine alte Frieda.
„Oh Gott, Emmi! Wir wollen doch nicht über’s Studium reden“ Sie lacht und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse.
„Hey, quatschen könnt ihr auch später! Wir müssen noch Thalmann abholen und bis nach Karlsruhe! Ich will…“
„Beruhig’ dich mal wieder, Schatz!“ geifert Frieda zurück.
Seit einer gefühlten Ewigkeit sind Christian und Frieda ein Paar. Vor drei Jahren sind die beiden in Mannheim zusammen gezogen und eigentlich hatte jeder damit gerechnet, dass es früher oder später auseinandergeht. Doch ihre Beziehung hält nun schon über fünf Jahre.
Ich springe neben Christian ins Auto und Frieda packt meinen Koffer in den Kofferraum, in dem normalerweise eine große Matratze liegt. Für unseren Urlaub hat sie diese aber anscheinend aus dem Bus geräumt.
Kaum sitze ich, drückt Chris mich an sich. „Na, Kleines?“
„Alles bestens“ nicke ich und klopfe ihm freundschaftlich aufs Knie.
Seine blonden Locken hängen ihm verwuschelt in der Stirn. Mittlerweile reichen ihm seine Haare bis zu den Schultern.
Als sich Frieda und er kennen gelernt hatten, trug er kurz geschorene Haare. Nun gleicht er immer mehr Frieda. Beide trugen lange Haare, meistens zusammengebunden oder mit Bändern darin und seit Neustem zieren Friedas Haare Strähnchen, welche in einem satten Orange leuchteten.
Frieda lässt sich auf dem Fahrersitz fallen, löst die Handbremse und fährt los, ohne noch ein Wort zu verlieren.
„Benzinkosten und Strecke werden geteilt“ erläutert Chris unnötigerweise. Als ob das nicht selbstverständlich wäre!
„Davon bin ich ausgegangen“ erwidere ich und sehe wie Frieda mir ein breites Lächeln schenkt. Sie versteht mich. Sie kennt mich.
„Was ist mit… wie hieß er doch gleich?“ fragt Christian plötzlich und ich weiß sofort, worauf er hinaus will. Er meint Felix. Der supernette, supersüße, superheiße Typ aus der Uni. Doch ich schüttele nur den Kopf und Christian versteht.
„Wie hieß er denn?!“ murmelt Frieda trotzdem vor sich hin und kratzt sich nachdenklich am Kopf. „Robert? Tim?“ Sie wirft mir einen fragenden Blick zu und ich verdrehe die Augen.
„Felix“ sage ich leise und Frieda klopft sich auf den Schenkel, während sie den Bus auf die Autobahn Richtung Heidelberg Pfaffengrund lenkt. „Genau, Felix! Aber die anderen gab es doch auch, oder?“
Ich nicke und klammere meine Handtasche auf meinem Schoß fester zusammen. Es gab so viele Jungennamen. So viele Schwärmereien, die sich in den letzten Jahren angesammelt haben. Und immer endete es gleich: Es ist nichts daraus geworden.
„Manchmal komme ich bei dir echt nicht mehr mit!“ Chris schüttelt mit dem Kopf und lacht. „Echt, Emmi. Das sind zu viele Namen“
„Du sagst das so, als wäre ich eine Schlampe!“ Ich sage dies gespielt empört und doch schwebt ein Fünkchen Ernst mit darin.
Chris zuckt mit den Schultern: „Ach, komm! Du weißt, wie ich das meine!“
„Wir wissen, dass du keine Schlampe bist“ stimmt auch Frieda zu und ich weiß, dass die beiden es ehrlich meinen.
Trotzdem füge ich leise hinzu: „Ich habe nicht mit Felix geschlafen“

An der S-Bahn-Station HD Pfaffengrund holen wir Joschka – auch liebevoll bei seinem Nachnamen (Thalmann) genannt - ab. Er studiert wie ich an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. Und doch sehen auch wir uns seltener, als zur Schulzeit.
Eine Zeit, in der wir alle noch in Ludwigshafen gewohnt haben; in der unsere größte Angst daraus bestand, am Wochenende nicht feiern gehen zu können oder eine unwichtige Klausur in den Sand gesetzt zu haben.
Jetzt ist alles anders. Die Probleme im Leben werden immer größer. Und ich muss sagen, die Schulzeit war gar nicht so schlecht. Leider kam diese Erkenntnis zu spät.
Oftmals ist es so, dass die richtig guten Erkenntnisse – die, die einen im Leben weiterbringen – oftmals zu spät kommen. Hier passt auch das Sprichwort gut: Hinterher ist man immer schlauer. Doch meistens lässt sich dieses Sprichwort nicht positiv auslegen.
Joschka fängt an zu winken, als er uns entdeckt und wieder bremst Frieda abrupt. Kurz reißt es mich nach vorne und ich befürchte schon, dass ich mir mal wieder den Kopf an der Windschutzscheibe anschlagen werde. Doch der Gurt reißt mich unsanft zurück.
Frieda will gleich wieder aussteigen, doch Joschka lehnt ab: „Ich spring schnell rein“
Er reißt die hintere Schiebetür auf, wirft seine Reisetasche über den Rücksitz in den Kofferraum und schnallt sich an. „Lasst uns keine Zeit verlieren. Ihr seid sowieso spät dran“ Er hat seinen Bart wieder länger wachsen lassen, das fällt mir sofort auf und eigentlich will ich ihm sagen, dass es ihm steht, doch Frieda quatscht dazwischen. Sie zieht eine Grimasse und sagt ironisch: „Ich freue mich auch, dich zu sehen, Joschi!“
Er macht eine schuldbewusste Miene und ich weiß, dass er es nicht so meint, wie er es sagt. Er ist eben einfach organisiert und ein bisschen ein Kontrollfreak ist er auch. Als Entschuldigung drückt er Frieda von der Rücksitzbank aus, wuschelt Chris durch die Haare und drückt mir einen Kuss auf die Wange.
„Timo hat schon angerufen, wo ihr bleibt“ meint er schließlich.
„Dann schreib’ ihm, dass wir in einer halben Stunde da sind“ antwortet Frieda und schaltet einen Gang höher. Die Tachonadel erreicht die hundert und der Motor des Busses fängt laut an zu brummen.
„Wie schnell willst du denn bis nach Karlsruhe fahren, wenn der Motor schon so bei 100 km/h klingt?“ spotte ich und zwinkere Frieda zu. Sie verzieht nur das Gesicht zu einer Grimasse.
„Grüße von Timo. Er sagt, du spinnst, Fried!“ lacht Joschka vom Rücksitz aus und hängt sich mit dem Kopf zwischen Frieda und Chris, während ich meine Stirn an der Fensterscheibe kühle. Schon hier in Deutschland sind es über dreißig Grad – wie heiß wird es dann wohl in Griechenland sein?
„Hat der Bus eine Klimaanlage?“ frage ich, auch wenn ich die Antwort eigentlich schon kenne.
„Wo denkst du hin?!“ Chris sieht mich entgeistert an. „Es hat mich schon Stunden gekostet, das Radio einzubauen!“ Demonstrativ dreht er die Musik lauter. Irgendein Lied von The Doors, das mich automatisch an den Urlaub in Hamburg mit fünfzehn erinnert. Für eine Woche haben Frieda und ich damals die Erlaubnis von unseren Eltern bekommen nach Hamburg zu ihrer Oma zu fahren. Frieda war damals schon sechzehn.
Und jetzt fünf Jahre später machen wir einen Roadtrip nach Griechenland, mit einem alten VW-Bus ohne Klimaanlage. Und kurz fühle ich mich, als wäre ich wieder fünfzehn.






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