Kirschblütenstaub - Teil 2

Autor: MissCarolina
veröffentlicht am: 24.12.2012


Das Stimmengewirr auf der Plantage überschlug sich. Überall standen Leute. In der Halle, im Salon, im Garten.
Reifröcke aus Seide, welche aneinander raschelten, Männer in Anzügen, die Zigarre rauchten und sich währenddessen über den neu gewählten Präsidenten und die möglichen politischen Folgen unterhielten.
Ich war gelangweilt. Gelangweilt von den sich wiederholenden Festen auf der Westwood Plantage. Es waren immer dieselben Leute, die mein Vater einlud. Es waren immer dieselben Leute, mit denen er redete.
Ich sah Mr. Borrow, wie er mit unserem Verwalter redete – eindeutig ging es um Politik und um einen möglichen Krieg. Ich wollte nicht von einem Krieg wissen. Ich wollte noch nicht einmal daran denken, dass es eventuell Krieg geben könnte.
Es war kurz vor Weihnachten – es sollte eine friedliche Zeit sein. Und doch war die Situation im Landesinneren alles andere als entspannt und friedlich. Immer wieder gab es Gerüchte, dass es zu einer Sezession der südlichen Länder kommen sollte und dass besonders South Carolina sich gegen den eigentlich schon längst beschlossenen Schutzzoll, gegen die Abschaffung der Sklavenhaltung und vor allem gegen Abraham Lincoln aussprach. Viel lieber wollte das Volk John C. Beckinridge als Präsidenten sehen. Doch die nördlichen Staaten versagten ihm ihre Stimmen.
Es wurde gemunkelt, dass South Carolina und viele andere Staaten aus der Union austreten wollten. Ich hielt all das nur für Gerüchte und musste darüber schmunzeln. Es wurde immer getratscht. Ob nun über das peinliche, gelbe Kleid von Mrs. Teherne oder über Politik. Überall gab es dieses Gerede, dem man besser keinen Glauben schenken sollte.
Ich seufzte leise, hob meinen Rock an und ging durch den Salon, in dessen Mitte ein riesiger, beleuchteter Weihnachtsbaum stand. Es lagen bereits einige Geschenke darunter und ich fragte mich, womit mich mein Vater diesmal beschenken würde, nur um die mangelnde Aufmerksamkeit wieder gut zu machen.
Das Korsett schnürte mich ein und ich bekam beinahe keine Luft mehr in diesem stickigen Raum. Zu viel Rauch, zu viel Qualm, zu viele Menschen. Irgendwann würde ich Rehani dafür umbringen, dass sie mir das Korsett immer so eng schnürte.
Rehani war unser Hausmädchen und einst einmal meine Gouvernante gewesen. Sie war eine kleine, zierliche Frau aus Afrika – soweit ich weiß, kommt sie aus Namibia. Doch nun lebt sie schon seit fast zwanzig Jahre bei uns. Ihr amerikanisch ist nicht perfekt, aber ich kann mich gut mit ihr unterhalten und ich habe sie wirklich lieb gewonnen. Wenn sie nur das Korsett nicht immer so eng schnüren würde. Doch sie nahm alles sehr genau, auch den Umfang meiner Taille.
Ich verließ den Salon und gehe durch den Flur in das Speisezimmer, in dem unsere Köchin Lisha bereits eifrig mit Hilfe einiger anderer Dienstboten den Tisch deckte. Ich kannte die Anzahl unserer Dienstboten nicht. Es waren schlichtweg zu viele. Für jede Kleinstarbeit hatte mein Vater einen anderen Bediensteten eingestellt. Natürlich ohne Bezahlung, denn es waren ja Sklaven. Er sagte, er tue schon genug für sie, indem er sie in unserem Haus im dritten Stock wohnen ließe. Das sei schon eine Verbesserung zu ihren sonstigen Lebensstandards.
Ich verdrehte bei dem Gedanken an die Worte meines Vaters die Augen.
„Oh, Miss Fairytale!“ rief Lisha aus und strahlte freudig. „Welch ein Überraschung!“
Ihr Akzent brachte mich zum Schmunzeln und ich musste zugeben, dass ich auch sie liebgewonnen habe. „Der gnädige Herr hat sich mal wieder selbst übertroffen, mit seiner Feier, finden Sie nicht?“
Ich schüttelte mit dem Kopf: „Nein, ich kann seine Veranstaltungen nicht ausstehen“
„Ach, Kindchen. Seien Sie sie doch nicht immer so griesgrämig“
„Lisha, ich will doch gar nicht griesgrämig sein. Es ist das Leben hier. Es macht mich…“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten, als Lisha sich den Zeigefinger auf die Lippen legte und mir bedeutete, ich solle ruhig sein. „Die Wände haben hier Ohren, Miss. Ich würde nicht zu laut fluchen!“
Ich nickte und versuchte mich zu entspannen. Doch meine innere Unruhe, welche ich seit ich denken kann mit mir herumtrage verschwand nicht.
„Sie sollten wieder zu Ihrer Gesellschaft gehen. Der Herr wird sonst nach Ihnen suchen. Sie wissen doch, wie er ist“ riet mir Lisha und scheuchte ein paar Dienstboten herum.
„Du hast Recht“ gab ich mich schließlich geschlagen und wollte das Speisezimmer wieder verlassen, als mich ihre Stimme zurückhielt: „Miss?“
„Ja, Lisha?“
„Essen Sie ein Stück Brot“ Sie reichte mir eine kleine Scheibe frisch gebackenes Brot und fügte hinzu: „Sie sind so dünn geworden“
Das liegt am Korsett, dachte ich grimmig. Doch ich wusste, dass sie es gut meinte und nahm dankbar das Stück Brot entgegen. Ich bemerkte, dass ich hungrig war.
„Und jetzt: Husch, raus mit Ihnen!“ rief Lisha lachend aus und ich folgte ihren Anweisungen und verließ das Esszimmer, während ich mir das Brot äußerst undamenhaft in den Mund stopfte. Wenn das Mr. Borrow sehen würden!
Ich kicherte bei diesem Gedanken.
„Elora, es ist unmöglich, dass du dieses Stück Kuchen auch noch isst!“
„Aber Mutter…!“
„Kein aber, junge Dame. Willst du etwa dick werden wie die junge Miss McCartney?“
„Nein, Mutter!“
Mrs. Fielding drehte sich um und entdeckte mich, bevor ich untertauchen konnte. Genau auf diese Begegnung hatte ich nicht gehofft. „Miss Westwood! Sieh nur Elora. Da ist deine kleine Freundin“
Ich setzte mein strahlendes Lächeln auf und ging auf die beiden zu. Mit Elora ging ich damals in die Sonntagsschule und es war jedes Mal auf’s Neue eine Qual. Doch Elora konnte einem Leid tun. Ich würde mich selbst erhängen, wenn ich so eine Mutter hätte.
„Fairy“ begrüßte mich Elora leise und knickste förmlich.
Ich lächelte nur.
„Ein wirklich prächtiges Fest. Aber das sind wir von Ihrem Vater ja gewohnt. Seine Gesellschaften sind wirklich herrlich“ Mrs. Fielding nippte einem Glas in dem sich entweder Bowle oder Wein befand.
„Dankeschön“
„Wissen Sie schon das Neuste?“
„Dass es Krieg geben wird?“ Ich war selbst überrascht, wie gelangweilt meine Stimme klang. Doch Mrs. Fielding schien davon nichts zu bemerken. Unbeirrt plapperte sie weiter: „Aber nicht doch, Sie Dummerchen. Wer will denn ständig vom Krieg reden? Unsere liebe, kleine Elora will heiraten. In drei Wochen ist der Verlobungsball!“
Ich schaute geschockt zu Elora, welche nur mit den Schultern zuckte, als würde es nicht um ihre Hochzeit gehen.
„Wie? Wann? Wen?“ stammelte ich und Mrs. Fielding begann zu lachen. Und schnell verbesserte ich mich: „Ich meine natürlich: Herzlich Glückwunsch. Und wer hat die Ehre, Ihre Tochter zu heiraten, Mrs. Fielding“ Mr. Borrows Unterricht schien also doch nicht ganz umsonst zu sein.
„Kein anderer als Franklin Gregory“
Franklin Gregory war der älteste Sohn des Sir Gregory. Ein hoch angesehener Plantagenbesitzer – ebenso wie mein Vater. Ihm gehörte all das Land hinter dem Dorf Mirror Lake und soweit ich das einschätzen konnte hatte er viel Einfluss mit seiner Baumwollplantage. Dass Elora den Erben der Plantage heiraten würde, versetzte mich in Staunen. In meinem Schock nahm ich mir ein Glas Wein von dem Tablett, mit dem Jabari durch den Salon flitzte.
„Die Familie ist ganz begeistert!“ Mrs. Fielding klatschte in die Hände und rückte ihren schwarzen Hut zurecht. Seit etwa vier Jahren war sie verwitwet, das eigene Haus und der eigene Hof waren verkommen und natürlich suchte sie nun nach einer passenden Absicherung für ihr Alter. Eloras Heirat war ihre einzige Möglichkeit auf weiterhin bleibenden Wohlstand.
Elora lächelte teilnahmslos und sie nickte: „Ich freue mich riesig“
Ich suchte den Salon nach Franklin Gregory ab und fand ihn schließlich bei Sir Price und Mrs. Whites mit ihren beiden Söhnen. Ich wusste nicht, dass sie auch anwesend waren.
Mr. Gregory jr. sah weder atemberaubend noch abstoßend aus. Es war sein hochnäsiger und gleichzeitig unsicherer Charakter, der ihn hässlich machte.
„Du wirst sicher glücklich“ meinte ich an Elora gewandt und lächelte. Ich hoffte, dass mir ein ehrliches Lächeln gelang.
„Natürlich wird sie glücklich sein! Und natürlich sind Sie und Ihr Vater herzlich zum Verlobungsball eingeladen. Wir lassen Ihnen eine Einladung zukommen“
„Danke, Madam“ sagte ich, obwohl ich jetzt schon wusste, dass ich ganz sicher nicht zum Verlobungsball von Elora und Mr. Gregory jr. erscheinen würde.
Ich entfernte mich von Elora und ihrer schrecklichen Mutter und dachte über ihre Heirat nach, die mit Sicherheit von Mrs. Fielding arrangiert worden war. Auch mein Vater hatte mehrfach Andeutungen gemacht, dass ich fast zwanzig Jahren nun endlich „unter die Haube gebracht werden sollte. Wer sollte denn sonst die Plantage übernehmen? Etwa dein dümmlicher Cousin William Burgh?“
Das kam für meinen Vater natürlich gar nicht in Frage! Ich seufzte bei dem Gedanken an eine Hochzeit. Doch bis jetzt hatte sich mein Vater deutlich zurückgehalten, was das Pläne schmieden meiner Heirat anging. Zu groß und zu wichtig waren die anderen Probleme. Und ich hoffte, dass sie sich so schnell nicht lösten.






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