Die Kunst zu lieben - Teil 2

Autor: I.AMsterdam
veröffentlicht am: 09.11.2012


- Tag 1 -

„Guten Morgen!“
Mit einem strahlenden Lächeln betritt unsere Kunstlehrerin den Klassenraum und wirft uns allen einen beneidenswerten, fröhlichen Blick zu. Dass sie nur auf müde, lustlose und verdrossene Schüler stößt, lässt sie völlig kalt.
Mit hochgezogenen Augenbrauen schaut sie uns auffordernd an und nachdem wir in einem einstimmigen, unmelodischen Chor ihre Begrüßung erwidert haben, strahlt Frau Jacobi wieder. Sie lehnt sich an das Pult und verschränkt locker die Arme vor die Brust, so wie sie es immer tut.
Neben mir schüttelt ein Mädchen namens Nia verständnislos den Kopf und malt mit einem Kugelschreiber irgendwelche mysteriösen Zeichnungen in ihren Block.
„Wie kann man am Morgen nur so gut gelaunt sein?“, murmelt sie und wirft unserer Kunstlehrerin einen verstohlenen, prüfenden Blick zu.
Frau Jacobi ist eine der hübschesten Lehrerinnen im Kollegium. Ihre langen Beine stecken in einem schönen, beigen Bleistiftrock, während eine sommerliche, rosa Bluse ihren zierlichen Oberkörper bedeckt. Sie wirkt aufgeweckt und charmant wie eh und je. Sicherlich muss sie sehr glücklich sein - Im Gegensatz zu mir.
Frau Jacobi ist noch recht jung und sehr beliebt unter den Schülern, da sie eine wirklich nette Lehrerin ist, die diese gute Mischung aus Freundsein und Maßnahmenergreifen beherrscht.
„Ich wette, sie nimmt irgendwelche Pillen dafür“, flüstert ein anderes Mädchen, die links von mir sitzt und dessen Namen ich mir nicht gemerkt habe. Gelangweilt spielt sie mit ihren rosabemalten Fingernägeln und gähnt theatralisch.
„Wie kommst du denn darauf?“, zischt Nia entgeistert von meiner rechten und beugt sich über den Tisch leicht zu dem anderen Mädchen, so dass sie mich fast zerquetscht. Natürlich werde ich mal wieder wie Luft behandelt und keines Blickes gewürdigt.
„Ich habe gehört, dass Frau Jacobi mal an dem Burnout-Syndrom gelitten haben soll und seitdem solche Pillen nimmt, die sie glücklich machen“, erwidert die andere achselzuckend.
Nia schnaubt. „Das ist doch Quatsch. Wie kommt man–“
„Meine Damen!“, unterbricht unsere Lehrerin das Gespräch.
Sofort rutscht Nia wieder zurück auf ihren Stuhl und sitzt kerzengerade. Frau Jacobi wirft uns drei einen strengen Blick zu, wobei ich doch eigentlich gar nichts mit der Sache am Hut habe.
„Ich möchte heute mit einem neuen Kunstprojekt starten“, erklärt sie und macht eine bedeutsame Pause, um die Reaktionen unsererseits zu beobachten.
Einige setzen sich nun aufrechter hin und bedenken unsere Lehrerin mit einem neugierigen Blick, malen sich schon allerlei Möglichkeiten aus.
Doch ich hänge mit meinen Gedanken noch immer an den Worten von Rosa - so nenne ich einfach mal das Mädchen links von mir mit den schweinchenfarbigen Fingernägeln -, die meint, dass Frau Jacobi glücklich machende Pillen schlucken würde. Wäre das eine Alternative für mich?
– Wohl nicht, wie ich mir im nächsten Moment seufzend eingestehen muss. Das Leben lang von irgendwelchen Tabletten abhängig zu sein, ist auch keine Möglichkeit. Zumindest keine sinnvolle. Also vergesse ich den Gedanken schnell wieder.
„Das große Thema, womit wir uns nun beschäftigen werden, sind Gefühle.“, fährt unsere Lehrerin fort. „Denn auch in der Kunst werden Emotionen zum Ausdruck gebracht und das in den unterschiedlichsten Arten und Weisen“
„Na, super!“, stöhnt Nia leise neben mir und verdreht die Augen.
„Dieses Projekt soll zu zweit stattfinden“, erklärt Frau Jacobi. „Jeder von Ihnen bekommt einen Partner zugeteilt und zu zweit müssen Sie dann in Form eines Fotos ein Gefühl, wie zum Beispiel Hass oder Mitleid, symbolisieren. Dazu werden wir gleich noch einmal die genaueren Einzelheiten durchgehen, was die wichtigen Aspekte bei der Fotografie sind.“
Sie verschränkt ihre Hände miteinander und schaut uns abwartend an.
„Danach werden Sie dieses Foto als Vorlage für eine Kohlezeichnung nehmen, welches ich ebenfalls benoten werde.“
Ich seufze.
Sofort schießen die ersten Hände in die Höhe, um Fragen zu stellen. Auch Rosa neben mir meldet sich und wird auch sogleich von Frau Jacobi dran genommen.
„Ja, bitte?“
„Wieso sollen wir das ganze zuerst fotografieren und dann noch mal zeichnen? Das ist doch unsinnig!“, beschwert sie sich und zieht eine trotzige Miene.
Unsere Lehrerin lächelt bescheiden. „Nun, das ist eine gute Frage. Kann sie vielleicht jemand anderes beantworten?“
Niemand zeigt auf.
Frau Jacobi räuspert sich. „Dann will ich es erklären. Das eine ist, was die Kamera uns sagt. Und das andere, wie Sie es selbst sehen und was Sie damit beschreiben wollen. Ich bin mir sicher, dass es Unterschiede zwischen den Fotos und den Zeichnungen geben wird.“
Sie lächelt und nimmt eine andere Person dran, die sich gemeldet hat.
„Können wir uns aussehen, mit wem wir das Projekt machen?“
„Nein.“ - Unzufriedenes Brummen der Klasse - „Ich werde die Paare bilden.“
Der nächste Arm schießt in die Höhe. „Wie lange haben wir dafür Zeit?“
„Heute werde ich die Paare zuteilen, die dann jeweils eine andere Emotion bekommen. Es tut Ihnen gut, wenn Sie sich schon in dieser Stunde damit befassen, wie Sie dieses Gefühl darstellen wollen. Außerdem muss das Foto noch in dieser Woche entstehen, das heißt, Sie sollten einen Termin vereinbaren, wo Sie beide Zeit haben, um das Foto zu machen. Nächste Woche möchte ich schon das Ergebnis haben.“
„Das ist unmöglich!“, schnaubt Nia neben mir entrüstet.
Auch der Rest des Kunstkurses reagiert negativ und gar nicht begeistert. Frau Jacobi sorgt wieder für Ruhe.
„Ich bin mir sicher, dass es möglich ist, sich für einen Tag ein paar Stunden Zeit zu nehmen. Und sei es nur nach der Schule.“, sagt sie und wirkt nun ein wenig verärgert. Sie streicht ihre rosa Bluse glatt und holt ein kleines Notizbuch aus ihrer Tasche. Flüchtig schweifen ihre Augen über ihre Aufzeichnungen, ehe sie entschlossen den Kopf hebt.
„Nun, gut. Ich habe die Paare so gebildet, dass ich mir sicher sein kann, dass ein gutes Ergebnis entstehen wird. Und wo ich denke, dass eine Zusammenarbeit ganz interessant wäre.“
Sie räuspert sich und mit einem Mal ist es mucksmäuschenstill im Raum.
Die ersten Namen werden verlesen - „Nicole und Sandra mit dem Thema Eifersucht. Charlotte und Nia mit…“ - und ich unterdrücke nur mühsam ein Seufzen.
In diesem Kunstkurs befinden sich hauptsächlich Mädchen, was auch kein Wunder ist. Es gibt nicht viele Jungs, die diesen kreativen Kurs gewählt haben. Wenn ich meinen Blick einmal durch den Raum schweifen lasse, erkenne ich vier männliche Schüler inmitten von 12 angehenden Abiturientinnen.
Ich selbst hätte eigentlich nicht diesen Kurs wählen dürfen, doch mit viel Geduld und Überzeugung und auch Unterstützung ehemaliger Kunstlehrer von meiner alten Schule, konnte ich meine Eltern schließlich doch überzeugen, das B-Profil mit diesem Kursus auszusuchen. Auch, wenn es eigentlich egal ist.
Schließlich bin ich - ab dem heutigen Tag - in 20 Tagen tot.
Dennoch sollte ich mich weiterhin normal verhalten, sonst würde der ganze Plan nicht aufgehen. Immerhin will ich nicht, dass plötzlich jemand Verdacht schiebt, obwohl die Aufmerksamkeit, die mir zuteilwird, so oder so nicht gerade groß ist.
Trotzdem: Ich will keinen dummen Fehler begehen.
„…Leona und Milan mit dem Thema Sympathie…“, ertönt Frau Jacobis Stimme und reißt mich aus meinen Gedanken.
Überrascht schaue ich auf und taste mit meinen Augen die einzelnen Schüler ab, um ein Gesicht zum Namen zu finden. Wer ist Milan? Verdammt, in den bisherigen drei Monaten habe ich mir wirklich so gut wie keinen Namen gemerkt.
Neben mir fängt Rosa an zu kichern. Als ich sie fragend anschaue, wirft sie mir einen herablassenden, beinahe schon spöttischen Blick zu.
„Viel Spaß mit deinem Partner, Hexe.“
Ich kneife die Augen zusammen, erwidere jedoch nichts.
Hexe. Wie originell.
Dabei ist Rosa nicht die erste auf dieser Schule, die mich so nennt.
Und das nur wegen meinen - passend zur Jahreszeit - herbstroten Haaren, den Sommersprossen auf der blassen Haut und weil meine Gehirnkapazität deutlich größer ist, als die der anderen, ich somit mehr weiß und ein erschreckendes Monstrum, sprich: Hexe, bin.
Wirklich originell.
„Du hast echt den schlimmsten von allen erwischt.“, pflichtet nun auch Nia bei und für einen kurzen Moment glaube ich so etwas wie Mitleid in ihren Augen aufflackern zu sehen. Aber wahrscheinlich habe ich es mir nur eingebildet.
Stirnrunzelnd lasse ich meinen Blick erneut durch den Raum schweifen, blicke einen Jungen nach dem anderen an, und treffe dann auf einmal auf zwei mondgraue Augen, die mich regelrecht zu durchbohren scheinen.
Ich schlucke hart.
Milan.
All die fiesen Informationen über ihn, die ich hier und da eher unwillig aufgeschnappt habe, tauchen nun wieder in meinem Kopf auf. Er ist einer der Sorte, den man lieber vermied, weil seine dunkle Ausstrahlung und die üblen Gerüchte über ihn, nicht sehr angenehm und einladend sind. Und auch abschrecken.
Eigentlich bin ich kein Fan von Gerüchten, denn es sind meistens nur Lügenmärchen, wie jeder weiß. Dennoch habe ich noch nie ein Wort mit ihm gesprochen, vielleicht auch deswegen, weil ich wie alle anderen immer automatisch und ohne es zu bemerken einen großen Bogen um den bösen, bösen Jungen gemacht, da ich mich von der dümmlichen Naivität der anderen angesteckt habe.
Seltsamerweise bemerke ich das erst jetzt.
„Na, da haben sich ja zwei gefunden“, stichelt Rosa und grinst hämisch. „Pass auf, dass er dich nicht vergewaltigt, oder dein Geld ausraubt, oder dich tötet. Oder alles zusammen.“
Ich stelle fest, dass sie dieses fiese »Haigrinsen« besitzt. Jemand, der sein Opfer mit einem wissenden, gierigen Lächeln anschaut und dabei eine gruselige Boshaftigkeit in den Augen zu sehen ist.
„Obwohl ich andererseits glaube“, fährt Rosa in einem gespielt nachdenklichen Ton fort und legt den Kopf schief, „dass der Ripper und du gut zusammenpassen würdet. Das Loser-Paar schlechthin.“
Hart beiße ich mir auf die Zunge, um nicht einen bissigen Kommentar abzugeben, und wende meinen Kopf von ihr ab. Stattdessen richte ich meinen Blick stur auf Frau Jacobi, die nun eine Folie mit dem Titel »Fotografie« auf den Overheadprojektor legt.
Glücklicherweise erhebt sie wieder das Wort.
„Also, ich werde jetzt die wichtigsten Aspekte der Fotografie mit Ihnen durchgehen, ehe Sie mit Ihrem Partner den Arbeitsauftrag bearbeiten und Ideen sammeln können und natürlich einen Termin vereinbaren.“, erklärt sie mit einem freundlichen Lächeln.

Eine halbe Stunde später sitze ich neben Milan.
Keiner von uns sagt ein Wort, beide haben wir unsere Blicke auf das leere Blatt vor uns gerichtet, wo wir unsere Ideen aufschreiben sollen.
Sympathie.
Wie bitteschön soll man das in einem Foto mit zwei Menschen ausdrücken? Ich schüttele den Kopf, streiche mir eine rote Strähne hinter das Ohr und mustere verstohlen meinen Kunstpartner aus den Augenwinkeln.
Er wirkt so… düster.
Vielleicht liegt das einfach daran, dass sein rabenschwarzes Haar, die dunkle Jacke, die er nie auszuziehen scheint (manche glauben, er versteckt darunter Waffen) und allgemein, seine weniger oder gar nicht farbenfrohen Klamotten nicht sehr vertrauenserweckend oder eben sympathisch wirken.
Dazu kommt seine unklare Miene, wo ich nicht weiß, wie ich sein Gesichtsausdruck deuten soll. Distanziert und neutral? Gelassen und spöttisch? Oder doch eher grimmig? Milan ist ein einziges Rätsel.
Hätten wir doch nur das Thema Antipathie, das Gegenteil von Sympathie. Das wäre mit Sicherheit einfacher.
Ich seufze, presse die Lippen aufeinander und schaue ihn nun ganz offen an.
„Hast du… irgendeine Idee?“, frage ich mit klopfendem Herzen, weil sein grauer Blick mich so schneidend mustert, dass es mir eiskalt den Rücken hinab läuft. Noch nie hat mich jemand so feindselig angeschaut.
„Nein“
Ein einziges Wort, in dem so viel Bestimmtheit und Härte steckt, dass ich beinahe zusammengezuckt wäre.
Ich beiße mir auf die Unterlippe und richte meinen Blick wieder auf das weiße Papier. In einem Anflug von Zorn frage ich mich, was Frau Jacobi dazu geleitet hat, mich mit diesem Menschen, der so viel Sympathie ausstrahlt wie eine Mülltonne, in ein Team zu stecken. Wendet sich denn nun die ganze Welt gegen mich?
„Okay“, sage ich gedehnt.
Augenblicklich entscheide ich, dass eine Zusammenarbeit mit Milan unmöglich ist, weshalb ich nun einfach alles auf das Blatt schreibe, was ich mit Sympathie verbinde und welche Synonyme mir dazu einfallen.
Positive Eigenschaft. Zuneigung. Vorliebe. Verbundenheit. Wohlwollen. Herzlichkeit. Spezielle Neigung. Freundlichkeit.
Kurz bin ich versucht, hinzuzufügen: „Gegenteil von Milan“. Doch ich glaube, dass wenn er das lesen würde, die Chance auf eine gute Zusammenarbeit, sich noch mehr verringern würde als ohnehin schon. Also lasse ich es lieber.
Nun gut.
Jetzt brauche ich Ideen für ein geeignetes Foto.
Zwei Menschen, die sich anlächeln. Zwei Menschen, die sich helfen. Zwei Menschen, die sich umarmen. Helle Farben im Hintergrund. Am besten in der Natur.
Immerhin.
Ich lege den Stift beiseite und werfe noch einmal einen kurzen, prüfenden Blick zu Milan. Sein Blatt ist noch immer blankweiß und unbenutzt. Mit locker verschränkten Armen sitzt er zurückgelehnt auf dem Stuhl, seine Augen schweifen durch den Klassenraum, ehe sein Blick an mir hängen bleibt.
„Ich gehe mal eben… weg“, informiere ich ihn mit gepresster Stimme und erhebe mich.
Bei Frau Jacobi ist das glücklicherweise so, dass wir einfach aufstehen und gehen dürfen, wenn wir mal das stille Örtchen besuchen müssen – auch wenn es in meinem Fall nur ein Vorwand ist, um Milans Nähe nicht länger ertragen zu müssen.

Auf dem Mädchenklo schließe ich mich in eine der Kabinen ein und setze mich seufzend auf den Klodeckel.
Ruhe.
Ich weiß einfach nicht, was ich von meinem Kunstpartner halten soll. Er ist gruselig, unfreundlich und mit Sicherheit ein grausamer Mensch. Auf einmal kann ich mir sehr gut vorstellen, weshalb die üblen Gerüchte über ihn existieren. Ich sage nicht, dass sie der Wahrheit entsprechen, aber wundern tut es mich nicht, dass sie von wahrscheinlich beleidigten oder geringschätzigen Schülern in die Welt gesetzt wurden. Die Leute brauchen etwas zum reden und tratschen. Und Milan scheint mit seiner kühlen, patzigen Art und dem Außenseiter-Image das perfekte Ziel der Lästermäuler zu sein.
Genau wie ich.
Bloß, dass es bei mir etwas anderes ist.
Ich wurde von vornherein mit bösen Blicken in Empfang genommen und schnell als Freak oder Hexe bezeichnet - eine etwas gehässigere Version von Streber. Bei Milan kann ich mir vorstellen, dass die Leute noch am Anfang versucht haben, ihn kennenzulernen oder vernünftig mit ihm zu sprechen.
Vergeblich, wie man sieht.
Seufzend fahre ich mir durch die rote Mähne. Für einen kurzen Moment frage ich mich, was Milan wohl denken oder fühlen wird, wenn er erfährt, dass ich tot bin. Wahrscheinlich nichts.
Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr und stelle ein wenig erleichtert fest, dass es nur noch eine viertel Stunde bis zur erlösenden Pause ist. Also gebe ich mir einen Ruck und verlasse das Mädchenklo.
Als ich im Kunstraum ankomme, sitzt Milan genauso auf dem Stuhl wie vor ein paar Minuten. Unverändert. Ich runzele die Stirn, schüttele den Kopf und lasse mich wieder auf den Platz neben ihn sinken.
„Und?“, frage ich ihn mit geheucheltem Interesse. „Schon Ideen gesammelt?“
„Sieht es so aus?“, entgegnet er genervt.
Ich werfe einen Blick auf das Papier vor ihm. Nichts. Nicht einmal ein Tintenfleck oder ein Knick. Sogar der Füller liegt immer noch an Ort und Stelle.
Ich knirsche mit den Zähnen.
„Nein“, stelle ich fest.
„Nein“, bestätigt er.
Ich beiße mir auf die Unterlippe und versuche den aufkeimenden Zorn hinunter zu schlucken. Ich hasse es, wenn die ganze Arbeit an mir kleben bleibt. Das ist einfach nicht fair!
„Hast du denn vor, an dieser Tatsache irgendwie etwas zu ändern?“, speie ich ihm wütend entgegen und kneife die Augen zusammen.
„Nein“
Ich schnaube. „Kannst du auch etwas anderes sagen als dieses eine Wort?“
Er schaut mich mit seinen grauen Irden streng an, beinahe schon warnend. Scheinbar ist er nicht willig, mir eine Antwort zu geben und schweigt lieber.
Blödmann!
„Und, wie sieht es bei Ihnen aus?“, meldet sich eine andere Stimme und lässt mich erschrocken hochfahren.
Überrascht drehe ich meinen Kopf zu Frau Jacobi, die uns neugierig mustert. Ein kleines Lächeln ziert ihre Lippen.
„Wie wollen Sie Ihr Gefühl in Form eines Fotos darstellen?“, fragt sie uns gespannt und schaut uns abwechselnd in die Augen.
„Wir…“, setze ich zu einer Antwort an, als Milan mich plötzlich unterbricht.
„Lassen Sie sich überraschen, Frau Jacobi“
Sie hebt die Augenbrauen. „Sie wollen es mir also nicht sagen? Ich könnte Ihnen eventuell behilflich sein und sagen, wie ich Ihre Idee finde oder was Sie verbessern könnten.“
„Nein, danke.“, erwidert Milan und ich hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht.
Im Gegensatz zu ihm hätte ich mir schon gerne die Meinung unserer Lehrerin angehört. Immerhin möchte ich nicht, dass das Projekt ein Reinfall wird - Tod hin oder her, ehrgeizig bin ich immer.
„Unsere Idee ist gut“, versichert er mit einem so falschen Lächeln, dass ich unwillkürlich die Augen verdrehe.
„Okay, dann glaube ich Ihnen.“, meint Frau Jacobi und lächelt.
Sie wendet sich von uns ab und - nachdem sie einen prüfenden Blick auf ihre Uhr geworfen hat - erlaubt sie unserem Kurs, unsere Sachen einzupacken. Ich habe gerade einmal meinen Füller in der Hand, da springt Milan auch schon auf und verlässt den Kunstraum.
Eilig verstaue ich meine Sachen im Rucksack, ehe ich ihm schnell hinterherlaufe.
„Warte!“, rufe ich ihm zu. „Wir müssen doch noch einen Tag vereinbaren!“
Im Gehen dreht er sich zu mir um. „Übermorgen, nach der Schule!“
Verblüfft bleibe ich stehen. „Aber–!“
Er verschwindet um die Ecke.
Und weg ist er.
Für einen kurzen Moment bin ich über seine Dreistigkeit zu verwundert, dass ich wie eine Statue erstarre und die leere Stelle anschaue, wo er sich eben noch befand. Doch als ich von der ersten Person angerempelt werde - „Steh nicht so blöd im Weg, Hexe!“ -, löse ich mich aus meiner perplexen Starre und ziehe verärgert die Stirn kraus.
Milan hat einfach so beschlossen, dass wir uns Übermorgen - Freitag - nach der Schule treffen. Dabei habe ich ihm noch nicht einmal mein Einverständnis gegeben!
Idiot!
Ich balle meine Hände zu Fäusten und verfluche ihn im Stillen mit all den Schimpfwörtern, die sich in meinem Wortschatz befinden.
Das sind - leider - nicht sehr viele.






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