Schatten des Mondes - Teil 12

Autor: Ai
veröffentlicht am: 05.11.2012


Montagmorgen. Immer wieder schön. Mein Stundenplan sah für die ersten zwei Stunden Zaubertränke und Elixiere vor. Auch wenn ich den Unterricht an sich gern mochte, hasste ich diese Stunden. Es war die schlimmste Zeit des Tages. Ich konnte tun, was ich wollte, dumme Sprüche musste ich mir immer anhören. Wenn ich nur da saß und still dem Unterricht folgte, von dem ich sowieso das Meiste schon von meiner Mutter gelernt hatte, kamen Sprüche wie: „Na, heute nicht mehr so schlau?“ oder „Ist dir über Nacht deine Klappe abhanden gekommen?“ und sollte ich es wagen, doch einmal aktiv am Unterricht teilzunehmen, durfte ich mir Dinge wie: „Scheiß Streberin!“, „Klugscheißerin“ oder „Schleimerin“ anhören.
Aber an diesem Montagmorgen war irgendetwas anders und es dauerte nur Sekunden, bis ich wusste, was. William Wilcker saß auf dem Platz neben meinem!, der sonst immer frei war. Und um ihn herum war der weibliche Teil der Klasse gescharrt. Was machte er in diesem Kurs? Normalerweise besuchten ihn nur Kinder von Hexen oder Magiern. Niemand sonst interessierte sich dafür, so wie sich niemand außer Feen für den Kurs „Feenstreiche und Mehr“ interessierte, oder der Kurs „Jagen bei Mondschein“ nur von Werwölfen besucht wurde. So hatte jede Art ihre eigenen Kurse, dafür gab es aber auch genug Kurse für Alle. Mathe, Englisch, Französisch, Biologie, Physik, Chemie, Geschichte und so weiter. Wobei im Kurs „Geschichte“ nicht nur die Geschichte der Menschheit, sondern auch die der übernatürlichen Wesen gelehrt wurde.
Also war William Wilcker mehr als fehl am Platz. Wobei ein Geist wahrscheinlich in so ziemlich jedem Kurs fehl am Platz wäre. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob sich alle Mädchen um ihn scharren, weil er ein Geist ist oder einfach nur, weil er gut aussieht. Auf jeden Fall überhäuften sie ihn mit einem Gewirr aus Fragen, von denen ich keine einzige verstehen konnte.
Ich beschloss, die Sache einfach zu ignorieren und mich an der Menge vorbei auf meinen Platz zu quetschen. Es dauerte einige Zeit, bis Bill mich entdeckte. „Oh, hey!“ sagte er und setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. „Wie lange sitz du denn schon da? Ich hab dich gar nicht gesehen.“ Oh Gott, unmöglich bei diesem Lächeln noch länger cool zu bleiben.
Reis dich zusammen! „Eine Weile“, sage ich kühl und würdige ihn keines Blickes. Wenn ich ihn ansehe, sterbe ich, dann ist es absolut vorbei und Alle werden mich auslachen, wenn ich vor der gesamten Klasse rot anlaufe.
„Ich wusste gar nicht, dass du auch in diesem Kurs bist“, sagte er lächelnd.
Er wusste es nicht? „Ich bin eine Hexe, natürlich bin ich in diesem Kurs“, höre ich mich schroff sagen und sofort spüre ich, wie mir das Blut in die Wangen schießt. Warum habe ich das gesagt?
„Entschuldige. Es war nur der einzige übernatürliche Kurs, der sich halbwegs interessant angehört hat und die Schulleitung hat von mir verlang, mich in einen dieser Kurse einzutragen.“
Schon wieder diese Entschuldigerei. „Aber Menschen müssen doch normalerweise solche Kurse nicht besuchen“, piepse ich. Oh Gott, wie peinlich.
„Ja, aber da ich kein Mensch mehr bin, gelten diese Regeln für mich nicht und da kein Kurs für Geister angeboten wird, musste ich mir einen aussuchen.“ Klingt irgendwie logisch.
„Ach so“, sage ich kleinlaut. Ich bin so dumm.
Ich war so beschäftigt damit, meine Fassung zu bewahren, dass ich gar nicht richtig mitbekommen hatte, wie sich die Menge um Bill aufgelöst hatte. Sie saßen nun Alle auf ihren Plätzen und tuschelten darüber, warum der absolut scharfe William Wicker gerade mit einem Mädchen wie mir redete. Erst als die Lehrerin hereinkam, verstummten die hitzigen Diskusionen langsam.
„Guten Morgen“, sagte Mrs Twinin und ließ ihre schweren Bücher auf den Tisch fallen. Mit dem lauten Knall, den der Aufprall der Bücher verursachte, verstummten die letzten Gespräche. „Wie ich sehen hat unser Kurs einen neuen Teilnehmer“, sie wandte sich an Bill. „Möchten Sie sich der Klasse kurz vorstellen?“
Bill nickte, stand auf und wandte sich zur Klasse. „Hallo zusammen“, sagte er lächeln und die Mädchen schmolzen dahin. „Mein Name ist William Wicker, ich bin mit meiern Familie letzte Woche hier hergezogen und nun ja, jetzt bin ich hier.“
Er wollte sich wieder setzen, doch Mrs Twinin hielt ihn mit einem gespielt lauten Räusperer davon ab. „Und was genau hat Sie und ihre Familie hier her geführt, Mr Wicker?“
„Nun ja, eigentlich führt uns die Tatsache hier her, dass wir Alle seit fünfzig Jahren Geister sind“, mit diesen Worten nahm Bill wieder Platz, Mrs Twinin nickte zufrieden und begann mit dem Unterricht.
Die drei Stunden waren viel angenehmer, wenn ich mir nicht dauern dumme Sprüche anhören musste. Zur Abwechslung war der Großteil der Aufmerksamkeit auf jemand anderen als mich gerichtet. Obwohl es in diesem Fall eine andere Art von Aufmerksamkeit war, die Willima Wicker zuteilwurde. Die Mädchen scharrten sich um ihn und jede versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Irgendwie war diese Situation schon ganz schön lächerlich.
Nach drei Stunden ungewohnter Ruhe stand ich auf um noch zwei Stunden Geschichte zu überstehen, bevor ich mich in der Cafeteria an einen Tisch mit Kaschmir setzte würde und schweigend mein Mittagessen essen würde. Doch auf dem Weg aus dem Kursraum wurde ich durch ein „Hey, Violetta! Warte!“ aus Bills Mund aufgehalten. Warum? Warum nur?
Resignierend bleibe ich stehen und drehe mich langsam um. Er packt gerade seine Bucher in die Tasche und kommt dann auf mich zu. „Was hast du jetzt?“ fragt er lächelnd, als er bei mir angekommen ist.
Oh Gott, bitte lass ihn nicht auch noch Geschichte haben, bitte. „Geschichte bei Mr Hober“, sage ich leise. Bitte, bitte, bitte.
„Oh ja, ich hab jetzt Mathe bei …“ er kramt in seiner Tasche herum und zieht dann einen Zettel heraus. „bei Mr Cock.“ Fragend sieht er mich an. „Wo muss ich da hin?“
Selbst hilflos sieht er noch gut aus. „Eh da musst du in den zweiten Stock in Kursraum 28, der sieht gleich neben der Treppe, den findest du schnell“, sage ich lächelnd und meine Wangen röten sich wieder. „Die Treppe ist dort“, ich deute nach rechts zu der hölzernen Treppe am Ende des Ganges.
„okay, alles klar. Danke. Sehen wir uns in der Mittagspause?“
„Eh … ja klar“, mein Herz pulsiert in meinem Hals. Jetzt verschwinde endlich, damit ich wieder normal atmen kann!





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