Turkish Delights - Zucker und Zorn - Teil 12

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 21.06.2013


Ufffff...nach langer Zeit endlich die Fortsetzung!
Wisst ihr überhaupt noch, worum es ging? :D
Ich musste selbst einiges nachlesen und mich entsinnen, doch jetzt bin ich wieder auf dem Schirm und die Geschichte wird ihr verdientes Ende bekommen...aber bis dahin brauch ich noch ein paar Teile...und eure Motivation ^^

Teil 12


Marlena fühlte sich unbehaglich.
Nicht, weil Yati ihr so nahe war, ihre Hand hielt und alles den Eindruck vermittelte, dass sie zueinander gehörten. Sondern weil sie im Begriff waren, jeden Moment Theresa gegenüber zu treten.
Und die würde mit Sicherheit nicht so begeistert sein, ihren Ex-Verflossenen und das blonde Gör, Hand in Hand, vor ihrer Schwelle stehen zu sehen.
Eben noch hatte Marlena erfahren, dass Yati vor nicht all zu langer Zeit dem Mädchen das Herz gebrochen hatte. Keine gute Ausgangssituation für das Bild, was sich der Brünetten gleich zeigen würde.

Marlena und Yati standen in dem heruntergekommenen Hausflur, von den Wänden blätterte der Putz ab und die Luft war so schwül, dass sie das Gefühl hatte, nicht ausreichend Sauerstoff zu bekommen.
Marlena fühlte sich allgemein nennenswert beschissen. Sie schwitzte, ihre Hand schmerzte, das Fieber war auf dem besten Weg sie wieder vollends in Beschlag zu nehmen und sie hatte Angst vor dem, was sie gleich erfahren würde.

Sie schielte zu Yati, der wie selbstverständlich durch den Flur ging und wahrscheinlich keinen Gedanken daran verschwendete, wie seine Exfreundin auf Marlena an seiner Hand reagieren würde.
Wenn sie ehrlich zu sich war, bereitete ihr momentan diese Vorstellung die meisten Bauchschmerzen.

Als sie vor besagter Tür standen, unternahm Marlena einen kurzen Versuch und lockerte den Griff, Yati sah sie sofort an.
„Was ist?“, fragte er misstrauisch.
Marlena lächelte schüchtern, versuchte die Situation zu entschärfen. „Ich weiß nicht, ob das so gut ankommt...“, sagte sie leise und deutete dabei auf ihre Hände.
Yati folgte ihrem Blick. Er schien kurz zu überlegen, schluckte dann hart und öffnete sofort seinen Hand.
„Stimmt.“, antwortete er mit belegter Stimme. „Keine gute Idee.“
Dann klingelte er.

Marlena beglückwünschte sich mitleidig.
Du bist so geistesgegenwärtig, dachte sie enttäuscht und gleichzeitig erleichtert. Yati steht also nicht zu dir, Theresa hängt noch an ihm und du bist eine alte Scheißhose. Erkenntnisreich, dieser Augenblick!
Sie schielte nochmal kurz zu dem Halbtürken, welcher sie zurückhaltend anlächelte und dann ernst zur Tür sah, hinter welcher Marlena schlürfende Schritte vernahm.

Theresa sah so aus, als hätte sie noch kein Auge zugetan. Im Gegenteil. Sie war komplett angekleidet, die Haare lagen ordentlich auf ihren Schultern und sie wirkte auch keinesfalls überrascht, Yati vor ihrer Tür zu sehen.
Nur bei Marlena zog sie fragend die Augenbrauen in die Höhe.
„Was wollt ihr denn hier?“, sagte sie sofort ziemlich trocken.
Yati räusperte sich, Marlena biss sich auf die Lippen. Eine echt unangenehme Situation.

„Wir müssen Marlena aufklären.“, flüsterte Yati. „Sie steckt mittlerweile zu tief in dem ganzen Mist mit drin.“
Marlena beobachtete, wie er Theresa eindringlich ansah, kurz betont die Augen verdrehte und dann in Richtung Wohnung nickte. „Lass uns rein.“, befahl er weiter.
Theresa verzog den Mund, sie sah wenig begeistert aus und ihr Blick huschte immer wieder zwischen ihren beiden Besuchern hin und her.
Irgendwann nickte sie ergeben.
In der Küche erwartete Marlena die nächste unangenehme Überraschung des Abends:
Völlig unerwartet saß ein ziemlich skeptisch blickender Ben vor ihr.
Unsicher blieb Marlena im Türrahmen stehen, während Yati völlig unbeeindruckt durch den kurzen Raum schlenderte und sich elegant direkt gegenüber von Ben auf den Stuhl sinken ließ.
Die beiden Männer musterten sich mal wieder abschätzend und nickten sich nur kurz zur Begrüßung zu. Dann wandte Ben seinen Blick zu Marlena und zwinkerte aufmunternd.
Theresa dagegen strafte sie mit Nichtachtung. Nicht mal einen Platz hatte sie ihr angeboten, so dass sie einfach gegen den Türrahmen gelehnt stehen blieb.

Die Spannung, die in der Luft lag, war zum Greifen nah. Marlena beobachtete die drei Personen, die sich um den mickrigen Tisch versammelt hatten. Keiner von ihnen wollte anscheinend das Gespräch beginnen, die Blicke huschten hin und her, die Emotionen schwankten zwischen Aufregung, Verschwörung und offensichtlichem Hass. Marlena konnte sich bildlich eine kleine Gewitterwolke vorstellen, die über dem Tisch schwebte und jeden Augenblick mit Blitz und Donner zu explodieren drohte.

Theresa ergriff als erste das Wort:
„Hayati, das ist mein Bruder, Ben.“, stellte sie die Beiden einander vor, hastig und ohne Yati dabei in die Auge zu sehen. In ihren Worten war eine Art Sarkasmus, den Marlena so interpretierte, als würde das braunhaarige Mädchen die Bekanntmachung nur pro Forma eröffnen, als wüsste sie nicht, was sie sonst sagen sollte.
„Wir kennen uns bereits.“, knirschte Ben und seine Augenbrauen zogen sich noch dichter zusammen.
„Ja, ich war überrascht. Du hast mir nicht erzählt, dass dein Bruder hier ist.“, lächelte Yati und verzog dabei seinen Mund. Aus seinen Worten tropfte der Spott und er wirkte leicht verärgert.
Theresas Wangen verfärbten sich rötlich. „Und ich wusste nicht, dass dich das interessieren könnte. Schließlich wolltest du meine Familie ja nie kennen lernen.“

Marlena hielt kurz die Luft an. Dieses Gespräch verlief eindeutig in eine sehr merkwürdige Richtung. Es standen so viele ungeklärte Dinge im Raum, dass ihr bei den ganzen Fragen, die ihr durch den Kopf schwebten, fast schwindlig wurde. Sie musste sich mächtig konzentrieren, um die Fakten und Geschehnisse richtig zu kombinieren.
Offensichtlich kannten sich Ben und Yati wirklich nicht, nur vom Hörensagen. Das erklärte auch, warum Ben gestern Abend in der Golden Beach Bar so empfindlich auf Yatis Namen reagiert hatte. Ein Kerl, für den die eigene Schwester das Land verlässt und dann eiskalt abserviert wird, der ist wohl offensichtlich das spitzeste Dorn im Auge eines liebenden Bruders.

„Ich schätze, er ist dein Kontakt?“, fragte Yati abfällig und überging den anklagenden Ton von Theresas Vorwurf.
Diese nickte mit versteinerter Miene.
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass es dein Bruder ist?“, bohrte er tiefer.
„Weil dich das nichts anging.“, warf Ben mit hasserfülltem Blick in seine Richtung.
Marlena bekam eine Gänsehaut, doch Yati zog nur mäßig beeindruckt die Brauen in die Höhe.
„Du sagtest,“ wandte er sich wieder zu Theresa, die ziemlich betroffen aussah „Du hättest einen Mittelsmann, eine sichere Quelle. Ich habe dir vertraut. Doch offensichtlich war das der größte Fehler, den ich machen konnte.“, giftete Yati mit zischender Stimme. „Jetzt, in diesem Augenblick, wird mir so einiges klar!“
Marlena verstand nur Bahnhof. Ein Mittelsmann? Ein Kontakt? Von was zur Hölle redeten sie da?

Theresa und Ben rissen empört die Augen auf.
„Wie kommst du darauf? Ben kann man vertrauen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer!“, schoss es aus Theresa hervor. Sie ballte vor Wut die Hände zu Fäusten und sah ihren Ex-Geliebten herausfordernd an.
Yatis Lippen umspielte ein spöttisches Grinsen.
„Und warum treffe ich dann deinen ach-so-zuverlässigen Bruder zwei Tage nach der Aktion zusammen mit der Angestellten meines Vaters in einer Bar, beide alkoholisiert und flirtend?“

An dieser Stelle schnappte Marlena erschrocken nach Luft. Das war zu viel.
Sie verstand nur die Hälfte, doch der letzte Satz drehte sich gerade um sie. Um den Abend, als sie mit Ben in der Golden Beach Bar gesessen hatte.

„Was zur Hölle...?“, entfuhr es ihr, doch sofort brachte Yati sie mit seinem Blick zum Schweigen. Er sah sie so merkwürdig an, dass ihr Herzschlag kurzzeitig aussetzte. Eine Mischung aus Misstrauen und Enttäuschung, für ihr Empfinden völlig unangebracht und kein Stück nachvollziehbar.
„Marlena, du solltest dich momentan am besten ganz raus halten.“, sagte er hastig und emotionslos.
Ihr fiel sofort auf, dass dies das erste Mal war, dass er sie mit ihrem vollen Namen angesprochen hatte. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was das zu bedeuten hatte.

Theresa kniff berechnend die Augen zusammen, Ben brodelte wie ein kleiner Vulkan, der kurz vorm Ausbruch stand. Seine mächtigen Muskeln am braungebrannten Oberarm zitterten verdächtig.
„Marlena und Ben kennen sich, weil sie sich hier, bei MIR, nach dem Einsatz, kennen gelernt haben. Weder er, noch sie, wussten, dass er oder sie in die Sache beim Fabrikhaus beteiligt waren. Bis jetzt.“, knurrte sie und atmete aufgebracht. „Doch du hast dich ja nun selbst verraten.“

Yati sah überraschend wenig betroffen aus. Stattdessen fixierte er Marlena.
„Stimmt das?“, fragte er kalt.
Sein Tonfall ging ihr durch und durch. Was war auf einmal mit ihm passiert? Bis vor zwei Minuten hatte er noch ihre Hand gehalten.
„Nicht ganz.“, gestand sie mit zittriger Stimme. Sie war die Lügen leid und wollte endlich alles offen auf den Tisch legen. Dazu gehörten auch ihre eigenen, kleinen Geheimnisse.
„Wir sind uns DORT begegnet, in der Halle...“, flüsterte sie beinah und vor Aufregung flimmerte ihr Blickfeld.

Alle drei rissen die Augen auf. Yati ganz eindeutig mit Bestätigung erfüllt, Theresa überrascht und Ben enttäuscht.
„Wie?“, hauchte Theresa nur ungläubig und sah zwischen Marlena und ihrem Bruder hin und her. Dieser schüttelte traurig mit dem Kopf.
„Ich war an diesem Abend mit dabei, bei dem Einsatz.“, sagte er schuldig. „Ich dachte ihr wärt alle weg, wollte grad die erste Halle sichern, da kam sie.“ Er deutete in Marlenas Richtung. „Mit dem verfluchten Huhn.“

Nun richteten sich wieder alle Augen auf sie.
„Ich dachte du wärst niemandem begegnet?“, fragte Yati spöttisch.
Marlena zuckte nach Worten suchend hilflos mit den Schultern.
„Und ich dachte“, warf Theresa an ihren Bruder gewandt ein, „ du wärst garnicht dort, auf dem Gelände. Warum hast du mir nichts von ihr erzählt, verdammt?“

Eine unangebrachte Stille breitete sich im Raum aus. Trotz der sommerlichen Hitze fröstelte Marlena. So wie es aussah, war momentan grad Jeder von Jedem enttäuscht oder krachsauer auf den jeweils Anderen. Eine ausweglose Situation.

„Vielleicht...“, erhob sie piepend und unsicher ihre Stimme, „Sollten wir einfach mal alle komplett von Vorne die Geschichte aufwickeln und erzählen. Ehrlich! Ohne Lügen.“

Alle schwiegen. Yati blickte misstrauisch über die Köpfe hinweg, er beachtete Marlena absichtlich nicht, es versetzte ihr einen Stich, den sie zu überspielen versuchte. Theresa blickte herausfordernd zu Ben, dieser sah anteilnahmslos aus dem Fenster. Keine Reaktion. Von Niemandem.

Marlena seufzte. Sie fühlte sich komplett ausgelaugt. Die Anspannung lastete auf ihren zarten Schultern, wie ein dicker Stab, an dessen Enden schwere Wassereimer hingen und als trüge sie diese harte Bürde schon seit Tagen mit sich rum. Hinzu kam ihr angeschlagener Gesundheitszustand. Die Hand schmerzte stärker denn je, das Fieber versetzte ihren Körper in Flammen und die Übermüdung tat ihr Übriges. Fast am Ende ihrer Kräfte ließ sie sich an der rauen Wand hinab gleiten, stütze ihre Ellenbogen auf die Knie, hielt sich die Hände verzweifelt vor das Gesicht und holte tief Luft.

Ich kann nicht mehr, dachte sie. Diese Ungewissheit, diese Lügen und Intrigen, das ist doch alles unerträglich.
Marlena schüttelte ungläubig den Kopf, ohne dabei aufzublicken.
„Alles in Ordnung?“ Das war Bens tiefe Stimme.
Marlena blickte auf. Alle sahen sie plötzlich etwas besorgt an, bis auf Yati, in seinem Gesichtsausdruck stand Ablehnung. Marlena versuchte ihn zu ignorieren. Was war denn plötzlich mit ihm los?
„Ja.“, antwortete sie schwach. „Ich will nur, dass das alles endlich ein Ende hat. Und ich will wissen, wie es überhaupt zu diesem ganzen Wirrwarr kommen konnte!“

Yatis schön geschwungene Augenbrauen zischten in die Höhe.
„Ach, das willst du wissen?“, spottete er. „Kann ich mir blendend vorstellen. Weißt du Marlena -“, sie zuckte bei der Kälte in seiner Stimme zusammen, „- ich wusste von Anfang an, dass man dir nicht trauen kann. Kurzzeitig hättest du mich fast vom Gegenteil überzeugt, doch jetzt bin ich endgültig überzeugt, dass du ein falsches Spiel spielst. Mit deinen grauen Kulleraugen und deiner infantilen Art kann man ganz schnell keinen Verdacht schöpfen...“

Marlena klappte die Kinnlade runter. Sie starrte Yati an, begriff nicht, was er ihr da an den Kopf gepfeffert hatte. Über ihre Lippen kam nur ein ungläubiges und stotterndes „W...W..Was?“

Der Halbtürke schnaubte. Seine Augen blitzen bösartig. Er verzog abfällig den Mund.
„Genau das meine ich. Du tust immer wahnsinnig unschuldig, dabei hast du es faustdick hinter den Ohren, stimmts? Versuchst einen zu verführen, machst auf unschuldig und lieb. Was willst du damit bezwecken -“ Er machte eine kleine Kunstpause, dann sagte er verächtlich „Marli?“

Ihr wurde speiübel. Wie behandelte er sie auf einmal? So herablassend, so entwürdigend. Was war da in ihn gefahren?
Selbst Theresa sah ratlos und schockiert zu ihm, und er ließ Marlena nicht aus den Augen. Yati studierte ihre Reaktion auf seine Worte bis ins kleinste Detail.
Ihre Hände zitterten, unwillkürlich stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie war so perplex, in ihrem Kopf rotierten die Anschuldigungen und sie konnte sich keinen Reim auf den plötzlichen Ausbruch machen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schlug der Managersohn ungeduldig mit der flachen Hand auf den kleinen Tisch. Marlena zuckte zusammen.
„Mir reichts.“, schimpfte er. „Hier ist was faul. Ihr steckt doch alle unter einer Decke!“
„Yati...“, warnte Theresa.
„Nein!“, unterbrach er sie sofort. „Wir hatten eine Abmachung, Theresa! Und jetzt muss ich erfahren, dass du mich belogen hast! Und sie -“, er deutete abfällig auf die völlig verstörte Marlena, die noch immer sprachlos auf dem Boden saß, „- erst kreuzt sie beim Tierschutz auf. Warum erst an diesem Abend? Warum habe ich dich noch nie vorher da gesehen?“
„Weil..ich...“, Marlena versuchte irgendwas zu erwidern, doch er ließ sie nicht antworten, redete sich buchstäblich in Rage.
„Zuerst habe ich nicht weiter darüber nachgedacht, es tat mir sogar leid, dass wir dich zurückgelassen haben. Immerhin erweckst du den Eindruck, als könntest du keiner Fliege was zu Leide tun.“ Er zog höhnisch die Mundwinkel nach oben, dann fuhr er fort. „Doch dass du das Huhn mitgenommen hast, das fand ich schon seltsam. Erst später habe ich genau darüber nachgedacht. Warum hast du es mitgenommen?“, fragte er stichelnd.
„Das würde mich auch interessieren?“, fügte Theresa trocken dazu.

Marlena kam es plötzlich so vor, als stünde sie auf der Anklagebank. Völlig verdrehte Welt, dachte sie. Ich bin doch diejenige, die die Fragen stellen sollte. Ich hab von dem ganzen Werdegang und den Hintergründen keinen blassen Schimmer und auf einmal werde ich verdächtigt?

„Na, weil...“, die Wortfindungsstörungen in dieser Nacht waren verheerend, sie wusste einfach nicht, wie sie sich passend ausdrücken sollte. „Weil...das Huhn hat mir das Leben gerettet.“
Sogar Ben, der die ganze Zeit noch halbwegs mitleidig zu ihr geblickt hatte, sah nun ziemlich skeptisch aus.
Yati lachte schadenfroh. „Das Huhn, hat dir das Leben gerettet?“, wiederholte er spottend.
„Ja.“, gab sie trotzig und verzweifelt zurück. „Ich weiß wie albern sich das anhört -“, sie machte eine kurze Pause um Luft zu holen. „- aber ohne diesem Tier, hätte ich niemals aus der Halle wieder rausgefunden. Ich konnte es nicht zurück lassen!“

„Sie hat sich an das Vieh geklammert, als würde wirklich ihr Leben von abhängen.“, fiel Ben unerwartet in die Unterhaltung mit ein. Marlena dankte ihm innerlich.
Yatis Augen fixierten den deutschen Soldaten abschätzend.
„Dir traue ich genauso wenig.“, giftete er den breitschultrigen Jungen an. „Ist schon ein großer Zufall, dass sie ausgerechnet dir in der Halle begegnet ist, was? Und dann trefft ihr euch nebenbei hier, bei Theresa und geht danach noch rein zufällig in dieselbe Bar?“
Ben kniff die sonst so sanften Augen zusammen. Seine Stirn zog sich in zornige Falten, er sah unglaublich einschüchternd aus. Yati dagegen guckte nur provozierend. Der Junge hat wohl keinen Respekt vor Muskeln, dachte Marlena zweifelnd.

„Was zur Hölle willst du uns hier eigentlich unterstellen?“, fragte Ben in einem lauernden Tonfall. Marlena spürte, dass er fast am Ende seiner Geduld war.
Yati schnaubte abschätzig. „Das fragst du noch? Diese ganzen zufälligen Verbindungen zwischen euch? Das ist mir Beweis genug, spätestens als die kleine Verräterin da -“, diesmal machte er sich nicht mal die Mühe auf Marlena zu deuten, „- bei meinem Vater im Büro stand. Angeblich weil ihr Zimmer verwüstet wurde! Das ich nicht lache...!“ Er spuckte die Sätze förmlich in den Raum. „Was immer ihr vor habt, ihr werdet mich nicht aufhalten!“ Redete er er weiter, seine Worte überschlugen sich fast. „Ich zieh das durch und lass mir von keinem in die Quere kommen. Merkt euch das!“

Mit dieser Drohung stand er auf, blickte Marlena ein letztes Mal an, in seinen Augen konnte sie bösartige Blitze zucken sehen, sie schossen ihr direkt ins Herz. Dann verließ er stumm das Zimmer.
Die alte Holztür knallte in den Angeln, entfernt hörten sie seine Schritte im Hausflur.
Er war weg. In der kleinen Küche von Theresa herrschte bedrücktes Schweigen.

Marlenas zierlicher Körper wurde von eiskalten Schauern durchjagt.
Plötzlich hatten sich die Ereignisse überschlagen. An welchem Punkt war das Gespräch überhaupt so ausgeartet? Wann und warum hat sich Yati auf einmal in dieses unberechenbare Monster verwandelt?
Am Strand hatten sie sich geküsst, er hatte sie mit hier hergenommen, um ihr endlich das zu erzählen, was sie nicht wusste, wollte ihr die rätselhaften Zusammenhänge erklären. Stattdessen ist seine Stimmung von der einen auf die andere Sekunde gekippt und aus dem Mädchen, dessen Hand er noch so romantisch gehalten hatte, ist plötzlich seine Erzfeindin geworden.
Das ist doch verrückt, dachte Marlena. Was habe ich denn auf einmal falsch gemacht? Hatte er schon die ganze Zeit diesen absurden Verdacht, den sie noch nicht mal in Worte fassen konnte, weil sie garnicht verstand, wegen was sie beschuldigt wurde, und hatte sie nur geküsst und so lieb behandelt, um sie hier her zu locken? Um Informationen aus ihr raus zu bekommen?
Nein, es hatte ehrlich gewirkt.
Konnte man sich so an der Nase herumführen lassen?

Marlena nahm die Hände von ihrem Gesicht und sah zu Ben und Theresa. Beide wirkten eher verärgert, als verwirrt oder sogar ertappt. Sie blickten sich gegenseitig tief in die Augen, als würden sie ein stummes Gespräch führen.
„Hey!“, sagte Marlena und lenkte die Aufmerksamkeit der Beiden auf sich. „Kann mir bitte endlich jemand erklären, was hier verdammt nochmal los ist? Was sollte das gerade?“, fragte sie verzweifelt.

Theresa seufzte, sie sah um Bestätigung suchend zu Ben, dieser nickte sanftmütig und lächelte dann aufmunternd. „Erzähl es ihr. Wir klären das jetzt!“
„Na schön.“, sagte sie laut ausatmend, jedoch vermied sie es, Marlena direkt in die Augen zu sehen. „Diese ganze Aktion, der Abend in der Fabrik mit den Hühnern, das war von mir und Yati geplant. Und es war von mir geplant, dass dort deutsche Soldaten aufschlagen, jedoch dachte ich, dass Ben dort nicht sein wird. Ich habe ihn darum gebeten.“ Etwas enttäuscht sah sie ihn an, dann fuhr sie unbeirrt fort. „Es sollte ein Skandal werden, ein Schlag gegen zu mächtige Männer dieses Landes. Doch stattdessen haben wir nichts erreicht, alles vertuscht, wie immer.“

In Marlenas Hirn ratterte es. „Was für ein Skandal und was für mächtige Männer?“, fragte sie hastig.
„Die Hühner dort kommen ursprünglich aus der Ünlü-Farm. Sagt dir der Name was?“, erklärte Theresa sarkastisch.
Ja, der Name sagte ihr selbstverständlich etwas. Sie nickte.
Die Ünlü-Farm war der größte und einflussreichste Fleischlieferant der gesamten türkischen Riviera. Überall sah man LKWs und Werbeschilder mit dem berühmten Logo dieses Unternehmens.
Ein riesiges Gelände mit Zuchtstationen, Legehallen und der hauseigenen Metzgerei.
Die Firma warb mit hohen Qualitätsstandards, artgerechter Haltung und qualfreier Schlachtung von Hühnern, Puten, Rinder und Schafen.
Soweit Marlena wusste, belieferte Ünlü so gut wie alle Hotels an der ganzen türkischen Küste. Die Firma expandierte explosionsartig, schuf viele Arbeitsplätze und hatte einen sehr guten Ruf.

Ihr blieb der Atem weg bei dem Gedanken, dass die todkranken Hühner von dieser Farm kamen.
„Das kann nicht sein..?“, hauchte sie mit angsterfüllten Augen.
Theresa und Ben nickten ernst.
„In einer der Hallen von den Legehühnern ist ein resistenter Keim ausgebrochen, hat alle Tiere infiziert. Der Virus hat sich ausgebreitet wie ein Fegefeuer, konnte aber so weit eingedämmt werden, dass keine weiteren Hallen befallen wurden.“
Die Brünette machte eine kurze Pause.
Marlena schüttelte entgeistert den Kopf. Das war Wahnsinn, was sie da hörte.
„Dennoch, hätte eine Behörde davon etwas erfahren, hätte sie den ganzen Schuppen dicht machen können. Milliarden Verluste, zerstörtes Image und Misstrauen wären die Folgen gewesen.
Also wurde alles vertuscht.
Die infizierten Tiere wurden zu der alten Halle gebracht. Sie zu euthanisieren hätte zu viel gekostet, außerdem, wohin mit tausenden von Kilo totem, verseuchten Fleisch?“

Marlena blieb die Spucke weg. „Das ist doch krank!“, entfuhr es ihr.
Theresa zuckte mit den Schultern. „Sicher. Aber immer noch besser als ein geschlossener Schlachthof und Geldeinbuße in unvorstellbarer Höhe. Diese geldgierigen Machtschweine interessieren sich doch kein Pfifferling für die Tiere, sie sehen nur den drohenden Untergang eines riesigen Imperiums. Also wird alles vertuscht, Leute werden mit Geld geschmiert und korrupte Behörden kommen ganz auf ihre Kosten.
Denkst du irgendwer ist auch nur ansatzweise auf die Idee gekommen, dass Ünlü hinter den todkranken Federvieh in der alten Fabrikhalle stecken könnte? Keiner hat Verdacht geschöpft, in der Zeitung war ein spärlicher Artikel.
Es interessiert keine Sau und diejenigen, die es interessiert, werden zum Schweigen gebracht. Die Finger von Ünlü erstrecken sich wie ein Spinnennetz über das ganze Land. Sogar Ben seine Vorgesetzten, die deutsche Armee, ist ganz schnell aus der Angelegenheit abkommandiert wurden. Zufall?“, fragte sie ironisch.

Marlena war völlig überfordert. Das war so krass, diese Enthüllung war so wahnsinnig, sie überstieg völlig ihren kleinen Horizont.
In was für eine kranke Scheiße war sie da hineingeraten?
Ein kleiner Einsatz beim Tierschutz! Das sie nicht lachte! Die Aktion, die sie da gebracht haben, hätte ihnen ihr Leben kosten können!
Waren Theresa und Yati völlig übergeschnappt?
Und was war mit Ali, dem Kopf der Tierschützergruppe?

„Woher weißt du das alles?“, flüsterte Marlena unheilvoll.
Theresas Gesicht verwandelte sich zu Stein. „Von Yati.“
„Und wer weiß noch davon?“, fragte sie zitternd weiter.
„Nur Yati, Ben, ich...und jetzt du.“
„Aber? Wo hat Yati die ganzen Informationen her?“
Theresa sah zu Ben, dieser blickte noch immer todernst aus seinen braunen Augen, die Sorge um seine Schwester, die eindeutig zu viel wusste, stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Sie scheint wirklich keinen blassen Schimmer zu haben.“, murmelte Theresa ihm zu. Er zuckte nur mit den breiten Schultern.
„Jetzt kannst du ihr auch gleich alles erzählen.“, meinte er.
„Gut.“, Theresa verzog verschwörerisch das hübsche, zart geschnittene Gesicht. „Ich kann dir nicht sagen, woher Yati diese ganzen Details weiß. Da haben wir nämlich auch keine Ahnung. Was wir jedoch wissen, und was Yati mir auch erzählt hat: Die Firma Ünlü ist kein Familienbetrieb. Der Vorstand besteht aus Investoren und stillen Teilhabern. Ein einflussreicher Kreis von stinkreichen, türkischen Managern. Nazar Canavar ist einer von diesen.“

Das Gesagte schlug ein wie eine Bombe.
Marlenas Augen weiteten sich. „Aber... wenn Nazar zum Vorstand von Ünlü gehört, dann wusste er von der Infektion seiner Tiere. Also ist er an der ganzen Vertuschungsaktion beteiligt!“
„Genau.“, bestätigte Theresa. „Yati hat Ali auf das Gebäude aufmerksam gemacht, hat den ganzen Tierschutzeinsatz organisiert, hat mich darum gebeten, irgendwie deutsche Behörden auf den Skandal aufmerksam zu machen. Ich hatte ihm mal erzählt, dass ich Kontakt zur deutschen Bundeswehr habe, die hier stationiert ist. Er hat sich natürlich nicht für Details interessiert, wollte nur, dass ich mich um alles kümmere, damit sein Name sauber aus dem Spiel ist.“
Theresa verzog ärgerlich die zarten Lippen, Marlena erkannte den Schmerz und die Enttäuschung in ihren Augen. Der Älteren musste inzwischen klar sein, dass sie für ihren ehemaligen Geliebten nur ein Mittel zum Zweck war.

„Aber warum?“, fragte Marlena verwirrt. „Warum schießt Yati so offensichtlich gegen seinen Vater? Nur wegen der Hühner?“
Ben schnaubte abfällig, Theresa schüttelte den Kopf. „Weil er ihn hasst.“, sagte sie emotionslos. „Yati verabscheut seinen Vater. Weshalb genau, weiß Keiner, aber es muss wohl irgendetwas mit seiner Mutter zu tun haben.“

Ach ja, dachte Marlena, die gruselige Geschichte mit der deutschen Mutter. Die Frau, die ihrem Sohn diese göttlichen Augen vererbt hat, um ihn dann bei seinem Vater zurück zu lassen. Micha hatte es ihr erzählt.
Saß Yatis Zorn so tief, dass er mit aller Macht versuchte, seinen Vater in den Ruin zu treiben?
Was war da nur vorgefallen?

Ihr schoss gleichzeitig eine ganz andere Frage in den Kopf:
„Ahnt Nazar von dem Treiben seines Sohnes?“
Theresa riss verängstigt die Augen auf. „Um Himmels Willen!“, flüsterte sie. „Nein! Nazar hat nur erfahren, dass eine Tierschutzorganisation ihm auf die Schliche gekommen ist. Er hat alles daran gesetzt, die Behörden mundtot zu machen.“
Diesmal fiel Ben, der bis jetzt auffällig still war, mit in die Unterhaltung ein:
„Offiziell wurde uns mitgeteilt, dass die Hühner zu einer Kette von jugoslawischen Viehhändlern gehören. Die Fabrik war eine Art Zwischenlager. Die türkische Polizei würde ermitteln und damit sei die Angelegenheit für uns, der deutschen Bundeswehr, erledigt. Wir sind ja sowieso nur wegen der internationalen Zusammenarbeit hier stationiert und nicht, um in dem Land Verbrechen aufzudecken, die uns nichts angehen.“

So einfach war das also, dachte Marlena verbittert. Es war so wie immer, die kleinen Leute hatten keine Chance gegen die Großen, und das zum Leidwesen der ärmsten Geschöpfe.

„Yati ist natürlich wahnsinnig frustriert. Er hatte sich so viel von der Aktion erhofft. Und ich bin ihm blind gefolgt, habe mich und meine Familie in Gefahr gebracht.“, sagte Theresa mehr zu sich selbst, als zu ihren Gästen.
Marlena hob fragend den Kopf. Ben erklärte wieder, während Theresa ziemlich verzweifelt ins Leere blickte:
„Es war nicht einfach, meinen Vorgesetzten von diesem Einsatz zu überzeugen.“ Er verzog das Gesicht. „Immerhin steht bei solchen Handlungen die politisch und wirtschaftliche Freundschaft zwischen Deutschland und der Türkei auf dem Spiel.“

Marlena nickte verstehend.
Das war eine ganz schöne Welle, die Hayati Canavar da losgetreten hatte.
Mal abgesehen von dem Umstand, dass sogar europäische Militärabkommen kurzzeitig auf der Kippe standen, waren es vor allen Dingen Theresa und Ben, die Kopf und Kragen für den Halbtürken und seine familiären Rachegelüste riskiert hatten.
Und damit war auch die Frage geklärt, deren Antwort Marlena sowieso schon ahnte. Theresa musste noch unglaublich verliebt in Yati sein, sonst hätte sie nicht ihren Bruder in eine solch gefährliche Situation gebettelt.
Yati war sich der unerwiderten Liebe bewusst und hat Theresas Zustand für seine Zwecke missbraucht. Er wusste, dass sie alles für ihn tun würde.
Mieses Schwein, dachte Marlena. Gleichzeitig verkrampfte sich ihr Herz bei der Erinnerung an seinen Abgang.

„Wow.“, zischte Marlena völlig geflasht von den vielen neuen Informationen. „Das muss ich erstmal alles verdauen.“
Ungeachtet ihres Zustands fragte Theresa plötzlich: „Marlena? Kannst du uns vielleicht jetzt erklären, warum Yati vorhin so unerwartet auf dich los gegangen ist?“
Tja, diese Frage schwirrte Marlena auch schon unbeantwortet und leicht verborgen im Hinterkopf.
Sie konnte sich absolut keinen Reim auf sein Verhalten machen.
Immerhin hatte er doch am Strand noch so ehrlich gewirkt, ihre Hand gehalten, hatte ihr versprochen, alles aufzuklären, schien sichtlich besorgt auf Grund des merkwürdigen Verhaltens seines Vaters und dann: Bäm! Ohne Vorwarnung richtete sich seine Wut gegen Marlena.

„Ich hab keine Ahnung.“, antwortete sie planlos. „Er hat mir gegenüber nie den Eindruck vermittelt, dass er mich wegen irgendwas verdächtigen würde, geschweige denn, dass ich irgendein absurdes \'Spiel spiele\'“, sie hob die Finger und imitierte Anführungszeichen, „Ganz im Gegenteil. Ich bin diejenige, die ihn nicht durchschauen kann. Er ist für mich das Rätsel und sein Verhalten ist mehr als merkwürdig. Was habe ich gemacht?“, fragte sie niedergeschlagen.

Sie bekam auf ihr Frage keine Antwort.





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