Turkish Delights - Zucker und Zorn - Teil 7

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 24.10.2012


Ein neuer Teil :D
Und diesmal wirds HEIß ;)




Kapitel 7




Für einen kurzen Augenblick schien die Zeit still zu stehen. Selbst das unaufhörliche Ticken der Küchenuhr wurde von dem Rauschen in Marlenas Kopf übertönt.
Dann drehte sich die Welt weiter.
Theresa setzte sich wieder auf ihren ursprünglichen Platz, griff nach ihrer Tasse und bemerkte nicht, dass der Blick zwischen ihren Besuchern einen Moment zu lange anhielt.
„Ben, das ist Marlena. Eine Kollegin vom Tierschutz.“, sagte sie eher nebenbei, dann nippte sie an ihrem Tee.
Der Junge lächelte unschuldig, reichte Marlena die Hand und sagte „Hi!“
Diese nickte perplex, zu mehr war sie nicht im Stande. Hätte sie den Mund geöffnet, wäre nichts Anständiges dabei herausgekommen. So nannte man das wahrscheinlich, wenn es einem buchstäblich die Sprache verschlug.
Er setzte sich ihr gegenüber, er schien völlig gefasst. Kein Wunder, er hatte sie im Café mit seiner Schwester weggehen sehen, er hatte sich auf die erneute Begegnung vorbereiten können.
„Na? Haltet ihr einen Kaffeeklatsch?“, stellte er im Plauderton fest.
Marlena war noch immer stumm vor Schreck, Theresa verdrehte die Augen.
„Nicht ganz.“, lächelte sie spitzbübisch. „Marlena hat mich gerade nur ein bisschen ausgefragt.“
„So?“ Er hob eine Augenbraue.
„Ja, sie wollte wissen, was mich dazu getrieben hat, dem guten alten Deutschland den Rücken zu kehren.“
„Sie war blind vor Liebe.“ Er richtete seine Worte an Marlena, welche gerade so wieder die Fassung zurück gewonnen hatte. „Und er hat sie fallen lassen, wie eine heiße Kartoffel.“
„Ist gut, Ben!“ Theresa schien über diese Aussage nicht unbedingt erfreut.
Nun hatte Marlena auch ihr Antwort. Arme Theresa.
„Bei diesem Thema ist sie immer sehr empfindlich.“ Er zwinkerte ihr zu.
Marlena war völlig erschüttert. Er saß ihr gegenüber, so locker und tat so, als wäre er ihr noch nie begegnet. Sie selbst war nicht zu solch einer Selbstbeherrschung im Stande.
„Marlena, gehts dir gut? Du wirkst so blass?“ Theresa hatte ihr wohl den Schock angesehen.
„Alles bestens.“, log sie mit brüchiger Stimme.
„Wie steht es eigentlich um deine Hand?“
Ja, die Hand! Sie hatte den ganzen Tag immer wieder einen gemeinen Schmerz gespürt, den sie allerdings mit einer enormen Dosis an Billigaspirin aus der türkischen Apotheke halbwegs hatte bewältigen können. Im Moment pochte die Wunde jedenfalls nicht.
„Ähm, alles in Ordnung.“, wich sie der besorgten Frage aus.
Theresa runzelte unüberzeugt die Stirn.
„Lass mal sehen!“, sagte sie im Krankenschwesterton und duldete keine Widerrede.
Irgendwie hatte die brünette Frau einen Hang dazu, Situationen die Marlena eh schon unangenehm waren, noch einen drauf zu setzen.
Ehe sie sich versah, war Theresa auch schon vor ihr in die Knie gegangen, hatte ihren Arm geschnappt und entfernte den schon etwas in Mitleidenschaft gezogene Verband.
Ben beobachte alles ganz genau.
Als die Wunde offen gelegt war, überkam Marlena erneut ein heftiger Ekelschauer.
Es sah furchterregend aus. Entzündet, knallrot, eine Kruste aus getrocknetem Blut umgab den tiefen Schnitt und kleine weiße Verbandsreste klebten an den Wundrändern.
„Uhhh!“, rief Ben erschüttert aus. „Das ist ja heftig! Was hast du nur gemacht?“
Marlena meinte eine gewisse Ironie in der Frage zu vernehmen.
„Sie ist gestern am Strand gestürzt und auf einem spitzen Ast gelandet.“, log Theresa sofort.
„So, so!“
Über Theresas Kopf hinweg, sah er sie an. Er schürzte selbstgefällig die Lippen.
Natürlich konnte er sich denken, wo Marlena tatsächlich gestürzt war. Sein Blick sprach Bände.
Während Theresa geschäftig die Wunde inspizierte, flogen regelrecht die Funken zwischen Ben und Marlena. Die Begegnung des letzten Abends wurde wieder lebendig und Marlena fragte sich, wie viel er wusste. Wie viel wusste Theresa? Hatte beide keine Ahnung von dem, was der andere getan hatte?
Ben führte unauffällig eine Zeigefinger an seine Lippen, dann zwinkerte er ihr zu. Eine jungenhafte, freche Geste, die ihr verdeutlichte, dass Theresa tatsächlich nicht wissen durfte, dass er gestern bei dem Einsatz gewesen war und erst recht nicht, dass sie sich begegnet waren.
„Marlena, ich muss die Verletzung nochmal ausspülen. Die ist ja total dreckig!“
Der Vorwurf riss sie aus der stummen Unterhaltung mit Ben. Er sah sie amüsiert an.
„Äh, okay.“
„Komm mit.“
Sie dirigierte sie durch die Küche zum Badezimmer.
Als sie einen letzten Blick über die Schulter warf, lächelte Ben ihr zu, verschwörerisch – plötzlich hatte sie das Gefühl, irgendwie mit ihm eine Verbündete zu sein. Es fühlte sich gut an.

„Na? Wie findest du meinen kleinen Bruder?“
Theresa schmunzelte sie an, nebenbei tupfte sie mit einem Wattepad an ihrem Schnitt herum. Der Schmerz war fast unerträglich. Sie konnte sich kaum auf die Frage konzentrieren.
„Nett?“, antwortete sie nach einer kurzen Bedenkzeit.
„Du konntest ja nicht die Augen von ihm lassen.“, stellte Theresa fest.
Also war es ihr doch aufgefallen, dass sein Anblick ihr den Atem geraubt hatte. Auch wenn es nicht aus dem Grund geschehen war, den Theresa annahm.
„Er ist hübsch.“ Marlena bekräftigte sie lieber in ihrem naiven Glauben und außerdem war das nicht mal eine Lüge.
Ben war wirklich eine Augenweide. Er hatte etwas hartes und raues an sich, was wahrscheinlich an seiner Größe, den kurz geschorenem Armee-Haarschnitt und den vielen Muskelpaketen lag. Im Gegensatz dazu diese liebevollen Augen in einem warmen, braunen Schokoladenton.
„Natürlich ist er hübsch. Er ist ja auch mein Bruder.“ Theresa lachte.
„Was macht er hier?“, fragte Marlena um einen neutralen Ton bemüht.
„Er ist Soldat bei der deutschen Bundeswehr. Zur Zeit im Auslandseinsatz.“
Auf die Antwort hatte Marlena gewartet.
Konnte Theresa nicht eins und eins zusammen zählen?
Sie musste einfach die logische Schlussfolgerung ziehen.
„Theresa!“, zischte sie aufgebracht. „Dann war er doch gestern auch dort!“
Marlena hoffte inständig, dass sie nicht auffällig oder verräterisch klang.
Theresa blickte sie mit zusammen gekniffenen Augen an. „Meinst du nicht, dass ich davon gewusst hätte?“, fragte sie kühl.
Marlena zuckte mit den Schultern. „Weißt du es denn?“
Ganz oder garnicht, entschied sie spontan. Langsam stieg in ihr nämlich ein Verdacht auf.
Warum war sie da nicht schon eher drauf gekommen? Sie war es, die nicht eins und eins zusammen zählen konnte. Die Verbindung war ja wohl so was von offensichtlich!
Und Theresa antwortete nicht.
Marlena nahm ihren Mut zusammen und setzte alles auf eine Karte:
„Du hast ihm von dem Gebäude mit den Hühnern erzählt, oder? Und er hat den Einsatz angezettelt!“
Theresa drückte den mit Alkohol getränkten Wattebausch so fest auf ihre Verletzung, dass sie beinah aufschrie.
„Bist du übergeschnappt?!“, sie fuhr sie aufgebracht an. „Ben hatte damit nichts zu tun!“
Am liebsten hätte sie diese entrüstete Aussage dementiert, indem sie ihr steckte, dass sie ihren Ben leibhaftig dort gesehen hatte. Aber das konnte sie ihm nicht antun.
Er baute auf ihre Verschwiegenheit.
Also ging sie um ein paar Ecken.
„Naja...er ist nun mal Soldat. Und da liegt eben die Vermutung nahe...“
„Du vermutest eine ganze Menge Marlena! Halt dich mit solch geistlosen Aussagen lieber zurück!“
Nett, wenn man so angegiftet wird und dabei doch im Recht ist., dachte Marlena beleidigt.
Wahrscheinlich war Theresa aufgefallen, dass ihr letzter Satz doch ein Spur zu hart gewesen war.
Sie fuhr in einem sanfteren Ton fort, jedoch immer noch distanziert:
„Hier sind über hundert Deutsche zur Zeit. Bei dem Einsatz waren maximal Zwanzig. Ben hat gerade für fünf Tage Urlaub, deshalb ist er auch bei mir.“ Sie seufzte. „Er war gestern definitiv nicht mit dabei und er weiß auch nicht, dass wir von seinen Kameraden fast erwischt worden wären.“
Da war sie dann sogar in doppelter Hinsicht auf dem Holzweg, doch Marlena schwieg und ließ sie in ihrem Glauben. Erstens wollte sie Ben nicht verraten und zweitens hatte sie Angst um ihre Hand, die noch immer unter Theresas Obhut stand, welche sich gerade daran machte, die Wunde zu desinfizieren.
Der Schmerz war mal wieder fast unerträglich und ihr brach der kalte Schweiß aus.
Theresa redete unbeirrt weiter:
„Marlena, du solltest das Thema langsam auf sich beruhen lassen. Es geht uns doch nichts mehr an und wir sollten keine schlafenden Hunde wecken, indem wir Aufmerksamkeit auf uns lenken, weil du unbedingt Nachforschungen anstellen musst!“
Die Ansage schmeckte Marlena überhaupt nicht.
Es lag keinesfalls in ihrer Natur, Fragen unbeantwortet zu lassen. Und von diesen hatte sie noch allerhand auf Lager. Zum Beispiel, warum Yati ihr heute Morgen nichts von dem Einsatz der Soldaten erzählt hatte. Oder was nun wirklich mit den Hühnern war und woher sie tatsächlich stammten.
Sie sah ein, dass sie in dieser Hinsicht bei Theresa an der falschen Adresse war.

Zurück in der Küche, fiel Marlenas Blick auf die Küchenuhr und sie stellte leicht geschockt fest, dass die Minidisco in weniger als zwanzig Minuten begann. Sie musste sofort zurück ins Hotel.
Der Abschied von den Geschwistern fiel etwas verkrampft aus.
Die Stimmung zwischen ihr und Theresa war dahin und mit Ben hätte sie am liebsten ein Gespräch unter vier Augen geführt, doch sie konnte ihn ja schlecht darum bitten.
Er lächelte nur nett und reichte ihr seine große, raue Hand. Der Händedruck fiel ungeahnt zart aus und sie fühlte etwas an ihren Fingern. Sofort umschloss sie den Fremdkörper, nickte Theresa zu und verließ ihre Wohnung.
Erst auf dem Hausflur öffnete sie wieder ihre Hand und sah einen ordentlich zusammengefalteten Zettel. Hektisch riss sie ihn auseinander. Auf dem Papier stand in typischer Jungenschrift:
„Golden Beach Bar, heute Abend, zehn Uhr!“
Ihr Herz machte sofort einen aufgeregten Hüpfer. Sie versuchte sich einzureden, dass das daran lag, dass sie endlich ein paar Fragen stellen konnte und nicht, weil sie den gutaussehenden Deutschen wiedersehen würde.

In der Minidisco war es wie immer einfach nur fürchterlich demütigend und unendlich langweilig.
Sie hatte mit den Knirpsen diesen entwürdigenden Tanz vor deren Erzeugern aufgeführt und jetzt lief ein schrecklicheres Kinderlied nach dem anderen, während sie unbeachtet am Rande der kleinen Tanzfläche stand und aufpasste, dass sie nicht zu oft Gähnen musste.
Im Kopf war sie schon ganz woanders. Sie hatte sich ausgerechnet, dass ihr nicht mal eine ganze Stunde zur Verfügung stand, um Yati zu finden und ihn unauffällig zu verhören.
Das Treffen mit Ben machte ihr einen Strich durch die Rechnung, wobei sie diese Tatsache keineswegs bedauerte. Sie war gespannt, wie es sein würde, sich ungezwungen mit ihm zu unterhalten. Er hatte einen vernünftigen Eindruck gemacht, außerdem war sie ihm ein mehr als großes Dankeschön schuldig.
Völlig in Gedanken versunken, bemerkte sie nicht, wie Micha die Disco betrat.
Er hatte schon Feierabend, da seine „Teens“ wahrscheinlich irgendwo außerhalb der Anlage die Sau raus ließen. Er liebte seine Arbeit jedoch so sehr, dass er gern auch nach der Schicht noch durch den Club zog, gute Laune verbreitete und Marlena ab und zu auf den Geist ging.
„Marli!!“, er stupste sie von der Seite an, sie schrak zuckend zusammen.
„Bist du irre?“, fuhr sie ihn mit klopfendem Herzen an.
Er grinste so, wie nur ein Junge grinsen konnte, der gerade erfolgreich ein Mädchen erschreckt hatte. „Du bist aber schreckhaft in letzter Zeit. Vielleicht solltest du dich mal locker machen?“
Sie kniff prüfend die Augen zusammen. Micha heckte doch etwas aus.
„Ich BIN locker!“, gab sie mit äußerster Betonung zurück.
„Ah, ja!“ Er nickte eifrig, dann reichte er ihr seine Trinkflasche. „Nimm mal nen Schluck.“
Gutgläubig, wie Marlena manchmal war und außerdem kurz vorm Verdursten, nahm sie dankbar einen Schluck, in der Annahme sie würde Wasser trinken.
Beinahe hätte sie den Inhalt der Plasteflasche mittig der Tanzfläche gespuckt und damit die Bälger in eine Dusche aus reinem Wodka gehüllt. Doch sie schluckte tapfer das Hochprozentige runter und bedachte Micha mit einem eisigen Blick. „Hättest mich ja mal vorwarnen können!“
Dieser kringelte sich fast, bei ihrer Reaktion.
„Du hättest dein Gesicht sehen sollen!“, lachte er zufrieden und nahm selbst einen ordentlich Schluck aus der gut getarnten Flasche.
Dann stellte er das Feuerwasser neben ihr ab und stürzte sich auf die Tanzfläche.
Marlena beobachtete belustigt, wie er mit der kleinen Anna tanzte und diese völlig angetan von seinem Charme mit großen Augen jede seiner Bewegungen verfolgte.
Micha war wirklich der geborene Entertainer.
Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Inneren aus und sie tippte mit dem Fuß vorsichtig im Takt der Musik.
Vielleicht hatte Micha ja Recht und sie sollte sich mal ein bisschen lockerer machen. Sie musste zugeben, dass der Wodka in dieser Hinsicht hilfreich war. Und eventuell wäre es nicht verkehrt sich für das Gespräch mit Yati etwas Mut anzutrinken.
Sie schielte zu der Flasche. Dann nahm sie schnell noch einen Schluck.
Der Geschmack war unterirdisch und es schüttelte sie. Dennoch meinte sie zu spüren, wie sich ihre Glieder entkrampften und auch, dass der Schmerz in ihrer Hand leicht nachließ.
Hektisch trank sie weitere zwei Schlucke und verzog dabei das Gesicht.
Micha hatte sie beobachtet. Er grinste ihr zu, streckte ihr den Daumen entgegen und drehte sich dann einmal schwungvoll im Kreis.
Er hatte wirklich Rhythmus im Blut und selbst beim „Schni-Schna-Schnappi“-Lied wirkten seine Bewegungen ziemlich cool.
Marlena musste lachen. Sie begann nun auch ihr Hüften im Takt zu bewegen und ihre Lippen formten sich wie von alleine zu einem netten Lächeln.
Plötzlich stand Jordan, der miese kleine Unterdrücker, neben ihr und nahm sie bei der Hand.
„Marli, wir tanzen jetzt!“, brüllte er in seinem gewohnten Befehlston.
Normalerweise hätte sie an dieser Stelle das Weite gesucht, doch sie genehmigte sich noch schnell einen Schluck, dann ließ sie sich von dem übergewichtigen Jungen in das Gewusel führen.
In Deutschland war sie nur selten in der Disco gewesen, was nicht daran gelegen hatte, dass sie keine Musik mochte, sondern eher an der Tatsache, dass sie an ihren Wochenenden andere Aktivitäten zu sehr schlauchten, so dass ihr viel zu oft der Elan zum abendlichen Weggehen gefehlt hatte.
Auf der Tanzfläche drehte sie sich mit dem Jungem im Kreis und bewegte sich ungewohnt leicht zu den sanften Tönen. Sie hatte schon zig Minidiscos miterlebt, doch dies war das erste Mal, dass sie freiwillig mit den Kleinen tanzte.
Irgendwann kam Micha zu ihr, nahm sie an den Händen und wirbelte sie lächelnd vor sich umher.
Er war wirklich ein guter Tanzpartner, stellte sie amüsiert fest. Die ganze Zeit grinste er fröhlich, führte sie bei einigen gewagteren Schritten und hielt trotzdem den gebührenden Abstand.
Nach dem Lied klatschten die Kinder sogar kurz Beifall zu ihrer kleinen Showeinlage.
Dann war es auch schon soweit und die ersten Eltern verabschiedeten sich von den Animateuren.
Nach und nach leerte sich der Raum und Marlena begann vergnügt für etwas Ordnung zu sorgen. Ihre Stimmung war dank des Alkohols und der ansteckend guten Laune von Micha auf ungewohnt hoher Frequenz.
„Ich glaube, das war das erste Mal, dass du wirklich Spaß bei deiner Arbeit hattest!“, stellte er fest, während er ein paar Plastikbecher einsammelte und Orangensaftflecken von den Tischen wischte.
„Ein bisschen.“, gab sie heiter zurück.
„Hast du vielleicht Lust heute mal mit an den Strand zu kommen?“, fragte er hoffnungsvoll.
Kurzzeitig klang das Angebot wirklich verlockend. Es wäre zu schön, einfach mal so zu sein, wie sie nie gewesen war. Mal die Sau raus lassen, Party machen, mit Leuten in ihrem Alter rumhängen und den Auslandsaufenthalt in vollen Zügen genießen.
Doch sofort besann sie sich wieder.
Scheiß Alkohol!, dachte sie kopfschüttelnd. Er vereitelt meine Pläne!
Nein, sie hatte schon etwas vor. Sie musste Yati und Ben ausquetschen, sie brauchte Informationen.
„Tut mir leid Micha. Ich habe keine Zeit.“
Er sah ein klein wenig enttäuscht aus. „Wieder irgendeine Tierrettungsaktion?“
„Nicht ganz.“, antwortete sie zögerlich.
„Naja, dann viel Spaß. Und lass dich nicht von Tülin erwischen. Die ist zur Zeit garnicht gut auf solche Dinge zu sprechen.“, warnte er sie mit einem Augenzwinkern.
„Ich weiß.“, antwortete Marlena zerknirscht. „Wo ist sie überhaupt?“
„Wahrscheinlich in ihrem Zimmer.“ Er zuckte mit den Schultern. „Du solltest mit ihr reden. Der Streit vorhin hat sie wirklich runtergezogen.“
Schlechtes Gewissen eroberte Marlenas etwas vernebelten Verstand.
Auch ihr hatte das Wortgefecht zugesetzt. Tülin bedeutete ihr als Freundin viel. Sie nahm sich fest vor, die Angelegenheit zu klären. Aber vorher musste sie unbedingt...
„Bis Morgen Marli!“ Micha umarmte sie kurz. Dabei schnupperte er lautstark. „Ich glaub du hast ne Fahne!“ Sein Körper bebte vor unterdrücktem Lachen. „Ich lass dir die Flasche trotzdem hier!“
Und mit einem Kopftätscheln ließ er sie alleine.


Zwei Runden durch die Hotelanlage und mehrere kleine Schlucke aus der Trinkflasche später, fand Marlena endlich den Sohn des Managers.
Yati stand umringt von drei aufgetakelten Russinnen an der Poolbar und versprühte auf ungeheuerliche Weise seinen Charme.
Die Touristinnen waren Marlena schon mehrmals aufgefallen. Nicht das sie Vorurteile gegen die sowjetische Bevölkerung hegte, doch die Frauen waren einfach nur laut, mit greller Schminke vollgeschmiert und mit Schmuck überhangen, wie ein Weihnachtsbaum einer amerikanischen Familie mit dem zwanghaften Hang zum Übertreiben.
Selbst am Pool hatten sie mit ihren Goldkettchen geprotzt, bunte Cocktails geschlürft und Marlena jedes mal mit einen ziemlich abfälligen Blick begutachtet.
Automatisch trank sie den letzten Rest ihres flüssigen Mutes und tappte dann unbeholfen um Yati herum. Sie traute sich einfach nicht, in diese Flirterei hineinzuplatzen und damit wahrscheinlich den Zorn von drei volltrunkenen Olgas oder Zwetlanas auf sich zu lenken.
Ihr blieb noch eine knappe halbe Stunde und sie wurde zunehmend nervöser.
Es war wieder so, wie noch vor einem Tag. Sie war Luft für Yati.
Er hätte sie doch längst schon bemerken müssen, so auffällig oft war sie schon an ihm vorbei gegangen!
Sie stand verloren in der hintersten Ecke der Bar, als sich kurz sein Kopf unmerklich in ihre Richtung bewegte und er, während er redete, sie mit einem schnellen Blick wahrnahm.
Dann sah er wieder weg, tat so, als stünde sie nicht wartend da und beschäftigte sich weiter mit den Russinnen.
Sie kam sich ungeheuer dämlich vor.
Weiter zehn Minuten vergingen, in denen er nicht ein mal auch nur im Ansatz sich in ihre Richtung gedreht hatte. Dann erst gab sie auf und stapfte aufgebracht und enttäuscht in Richtung Strand.
Arschloch!, dachte sie wütend. Er hat mich genau gesehen! Was wäre daran so schlimm gewesen, sich kurz mal mit mir zu unterhalten?
Sie stolperte an den übereinander gestapelten Strandliegen vorbei und schlug die Richtung der Golden Beach Bar ein. Diese lag etwas außerhalb des Ortes und sie konnte von Weitem schon die blinkenden und bunten Lichter erkennen, doch noch lag ein dunkler Strandabschnitt vor ihr.
Plötzlich hörte sie, wie hinter ihr Schritte im Sand knirschten.
Sie drehte sich um und erkannte, dass ein dunkle Gestalt auf sie zu kam, ziemlich schnell sogar.
Kurz überfiel sie Panik, dann erkannte sie Yati. Ihr Herzschlag wollte sich trotzdem nicht beruhigen.
„Was war das denn eben?“, begrüßte er sie amüsiert.
Sie erkannte im Mondlicht seine blitzenden Augen und wurde sofort rot.
„Äh...ich wollte kurz mit dir reden!“, stotterte sie.
„Und warum bist du nicht einfach zu mir gekommen, statt mich ne halbe Ewigkeit aus dem Dunkeln zu belauern?“
„Be...belauern?“, fragte sie entrüstet. „Ich dachte du hättest mich gesehen?“
„Sicher habe ich dich gesehen. Du standest da, wie ne kleine Stalkerin.“
Nun lachte er und musterte sie prüfend, etwas Herablassendes war in seinem Blick. Marlena kam sich einfältig vor.
Sie musste ihre Strategie ändern. Yati war vielleicht übermenschlich schön, reich, begehrenswert und auch sonst die Wucht in Tüten, allerdings würde sie sich davon nicht einschüchtern lassen. Sie hatte eh keine Chance bei ihm, also war es letztendlich egal, was er von ihr hielt, entschied sie.
Trotzig reckte sie ihr Kinn vor und funkelte ihn so gut es ging von unten an.
„Warum hast du mir heute Morgen nichts von den deutschen Soldaten erzählt?“
Ganz kurz, einen winzigen Augenblick, veränderte sich etwas in seinem Ausdruck. Marlena meinte, ein unsicheres Flackern in seinem sonst so kühnen Gesicht zu erkennen.
Dann kniff er seine Augen abschätzend zusammen.
„Warum weißt du davon?“
„Ich habe Augen und Ohren...und türkische Freunde, die Zeitungsartikel ziemlich gut übersetzen können!“
Er pfiff durch seine Zähne, ein Laut der irgendwie zu ihm passte. Doch die Geste hatte nichts anerkennendes, Marlena empfand seine Reaktion eher nach dem Motto >Die Blondine hat ja doch Hirn!<
Etwas verlegen fuhr er sich durch sein dichtes Haar und lächelte schief.
„Tja...also weißt du es jetzt!“
„Warum hast du es mir nicht erzählt?“, fragte sie nochmal.
Er zuckte mit den Schultern. „Zu dem Zeitpunkt, wusste ich selber noch nichts davon. Ali hat mich später angerufen und es mir erzählt.“
Er klang eine Spur zu gelangweilt, dennoch sah er sie fest an, fixierte mit seinem ungewöhnlich blauen Augen die ihren und fesselte sie gekonnt mit seinem Blick.
Glaub ihm nicht so schnell!, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf.
Er muss es schon vorher gewusst haben.
„Also liest du selbst keine Zeitung oder hörst Radio?“, fragte sie mit unschuldigem Unterton.
Er lachte kurz auf, verstand ihre unterschwellige Anschuldigung und legte den Kopf leicht schräg.
„Doch, sicher! Nur gerade zufällig heute Morgen nicht.“
Er machte einen Schritt auf sie zu, langsam und unauffällig, ließ sie dabei nicht aus den Augen und lächelte verführerisch.
„Zufällig, natürlich!“ Ihr Mut bereitete ihr Herzklopfen, ebenso der Umstand, das der sanfte Wind seinen unwiderstehlichen Duft unaufhörlich in ihre Richtung wehte. „Und...und was hältst du von der ganzen Angelegenheit?“
„Jemand hat uns verraten. Das habe ich gestern Abend schon gesagt.“, antwortete er finster. Sein Blick wanderte nachdenklich in Richtung Meer.
Wieder konnte sie eingehend sein markantes Profil begutachten. Die klaren deutlichen Linien seiner Wangenknochen, die angespannten Kiefermuskeln, die mit leichten Stoppel überwuchert waren, die gerade Nase und die langen, femininen Wimpern.
Dann sah er sie wieder an, bemerkte, dass sie ihn angestarrt hatte und lächelte wissend.
Sie verfluchte den Wodka, der noch immer durch ihre Blutbahn blubberte und sie hatte unvorsichtig werden lassen...und sehnsüchtig.
Ja, sie musste sich eingestehen, dass es wahnsinnig aufregend war, so nah neben Yati zu stehen, mit ihm alleine hier am einsamen Strand, unterm Sternenhimmel...
Reiß dich sofort zusammen!, schrie sich sich innerlich an. Er verheimlicht dir irgendetwas.
„Und? Gibt es da einen Verdacht?“, fragte sie betont lässig.
Wieder schenkte er ihr diesen berechnenden, halb belustigten Blick.
„Eventuell.“, antwortete er geheimnisvoll.
Nochmal war er ihr ein Stück näher gekommen, ohne das sie es bemerkt hatte. Er stand da und blickte sie unverwandt an, sie versuchte die Nervosität, die sie einzuengen drohte, zu unterdrücken.
„Und? Wer soll das sein?“, presste sie atemlos hervor.
„Du stellst ganz schöne viele Fragen!“, stellte er mit einem spitzbübischen Grinsen fest.
„Und du antwortetest ganz schön ausweichend.“, konterte sie mit zitternden Knien.
Nun lachte er, rauchig und sexy. Yati wirkte sogar ein bisschen beeindruckt, zumindest empfand Marlena es so. Forschend kniff er die Augen zusammen.
„Das hätte ich dir garnicht zugetraut!“, sagte er belustigt.
„Was?“
„Das du nicht nur süß bist, sondern auch noch Köpfchen hast!“
Süß?Hatte er sie grad als süß bezeichnet?
Kurzzeitig fehlten ihr die Worte. Sie bemerkte den geringen Abstand zu ihm und war nun auch komplett eingehüllt von seinem Duft. Es musste irgendein berauschendes Aphrodisiakum sein, beschloss sie. So gut konnte man einfach nicht riechen!
Sie wusste, dass da noch viel mehr war. Dass sie ihm noch nen Haufen Fragen stellen musstee und dass sie seine ganze Art kritisch hinterfragen sollte.
Doch sie war von ihm wie in einen Bann gezogen. Und er schien ebenso verzaubert.
Die Atmosphäre um sie herum, das Meeresrauschen, die entfernten Geräusche der Stadt, surrende Grillen und das unaufhörliche Plätschern der ankommenden Wellen, taten ihr übriges.
Er sah in ihre großen, mandelförmigen Augen und verlor sich in ihrem unschuldigen Gesicht.
Etwas an ihr war anders, er hatte sie falsch eingeschätzt.
Marlenas Herz klopfte bis zum Hals, als sein Kopf sich zu ihr herab senkte.
Sie traute ihren Sinnen nicht mehr. Das konnte unmöglich in diesem Augenblick geschehen, sie musste träumen.
Und dennoch spürte sie eine Sekunde später seine Lippen auf den ihren.
Er küsste sie erst vorsichtig und zurückhaltend und erst als er spürte, das sie ihn nicht wegstieß, sondern den Kuss ganz sachte erwiderte, schloss er die Arme um ihren zierlichen Körper und zog sie ganz nah an sich heran.
Marlena rauschte das Blut in den Ohren, ihre Beine waren butterweich und ihr ganzer Körper zitterte vor Aufregung.
Yati küsste göttlich...und er wusste was er tat.
Wenn es eine Profiliga im Küssen gäbe, wäre dieser Halbtürke wahrscheinlich an deren Spitze.
Erst massierte er sanft mit seinen Lippen ihren Mund, knabberte verspielt, biss zur Abwechslung zärtlich zu und übernahm die volle Kontrolle.
Sie konnte sich ihm total hingeben, brauchte den Kuss nicht mal zu erwidern, weil er vollends mit ihr beschäftigt war und den Ton angab.
Seine Hände erkundeten derweil ihren Rücken und ihre Taille. Wanderten forschend an ihr rauf und runter, rastlos und irgendwie wild. Sie wusste garnicht, auf was sie sich als Erstes konzentrieren sollte.
Als seine rechte Hand sich durch ihr dichtes Haar wühlte und sie schließlich fest am Hinterkopf umfasste, entrang er ihr ein leises Stöhnen.
Yati unterbrach kurz den Kuss, sie spürte wie er lächelte. Sie war völlig atemlos und überfordert und von der Wucht seiner Präsenz erschlagen.
Dann presste er sie an sich und drang grob mit der Zunge in ihren Mund.
Er war heiß, fordernd und sie war völlig willenlos.
Wieder hatte er das Ruder an sich gerissen, dominierte sie beim Zungenspiel und lockte sie vollkommen aus der Reserve.
Marlena hatte das Gefühl, nicht mit ihm mithalten zu können. Er war zu erfahren und gleichzeitig extrem bestimmend. Trotzdem fesselte sie dieses Verhalten, auch wenn sie Angst hatte, von ihm überrollt zu werden.
Mit ihrem Exfreund, der auch gleichzeitig ihr einziger Freund gewesen war, hatte sie eine dreijährige Beziehung überstanden, in der es nicht nur ziemlich spießig gewesen war, sondern auch das Sexleben auf die Missionarsstellung begrenzt wurde. Keusche Küsse hatte es am Anfang gegeben, bis der Alltag zu schnell über sie eingebrochen war. Sie hatten sich gegenseitig gelangweilt, waren nie offen zueinander gewesen und im Grunde hatten sie sich nie länger als fünf Sekunden in die Augen schauen können. Leidenschaft war ein Fremdwort.
Ganz anders dieser Augenblick, dieser Mann, der es innerhalb von einem Augenzwinkern geschafft hatte, sie komplett um den Verstand zu bringen.
Er küsste sie in Grund und Boden. Marlena wusste nicht mehr wo oben und unten war, bekam kaum noch Luft und spürte seine Zunge einfach überall.
Sie vergaß alles um sich herum und wünschte sich nur noch, dass dieser Kuss nie enden sollte.





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