Wenn Worte keine Bedeutung haben

Autor: zeitvorhang
veröffentlicht am: 20.08.2012


Ihr denkt euch jetzt wahrscheinlich: "Oooohhh, schon wieder 'ne neue Geschichte von der!", aber die Story hab ich schon vor Längerem geschrieben & sie überarbeitet. :) Ist ein kleiner "Zweiteiler" und ich hoffe, er gefällt euch!

__

Wenn Worte keine Bedeutung haben

Teil 1

Irgendjemand behauptete einmal, dass die Welt für alle Menschen gleich wäre. Wir alle würden mit denselben Augen sehen, mit derselben Nase riechen, mit demselben Mund schmecken, mit denselben Händen fühlen, mit demselben Herz leben - und mit denselben Ohren hören.
Aber ich muss diesem Satz widersprechen. Meine Welt ist anders, als die meiner Mitmenschen.
Ich sehe alles anders.

Warum ich sage sehen?
Weil ich ohne meine Augen aufgeschmissen wäre. Ohne meine Augen wäre mein Leben eine trostlose, bemitleidenswerte Welt ohne Formen, Farben und die kleinen aber wertvollen Augenblicke des Lebens.
Ohne Töne, Melodien und Worte könnte ich leben, ich würde keines dieser Dinge vermissen. Aber ohne mein Augenlicht würde ich innerlich zerbrechen, wie eine Glasscheibe, die man mit Steinen bewirft.
Warum mir Töne, Melodien und Worte nicht von Bedeutung sind?

Man kann nichts vermissen, was man nicht kennt.

Ich trage Hörgeräte auf beiden Seiten und bin trotz dieser Erfindung nicht in der Lage die angeblich glasklare, wunderschöne Stimme von Whitney Houston wahrzunehmen.
Das einzige, was in mein Ohr vordringt, ist der tiefe, wummernde Bass. Für mich ist das natürlich vollkommen logisch, ich kenne es nicht anders und es wird auch nie anders sein.
Manche Menschen denken ja, dass Hörgeräte das komplette Gehör ersetzen, aber das stimmt so nicht. Sie verstärken lediglich nur das, was noch vorhanden ist. Bei mir also alles, was sich weit unter den hohen Tönen von Whitney Houston befindet.
Das ist auch der Grund, weshalb ich Rockmusik bevorzuge, besonders die von Nickelback. Die tiefe Stimme des Frontmanns Chad Kroeger jagt mir jedes Mal eine Gänsehaut nach der anderen vom Nacken bis hin zu den Zehenspitzen - aber das ist ein anderes Thema.

Mein Leben war bis hin zu diesem Tag zwar nicht perfekt, aber ich war zufrieden damit. Es gab nichts, womit ich zutiefst unzufrieden war. Nun ja, bis zu diesem einen Tag.
Der Tag, von dem ich hier rede ist der, an dem meine heile Welt anfing, sich in zwei Teile zu zerteilen und die Mauer dazwischen anfing, immer größer zu werden.
Es sollte eine ganz normale 'Homeparty' werden, doch schon bei der Einladung war mir klar, dass dem nicht so sein würde.
Wieso?
Ist doch glasklar: Wir Hörgeschädigten können uns nicht lange unters andere Volk mischen, ohne dabei großartig aufzufallen.
Mit dem 'anderen Volk' meine ich die Menschen, die sich hinter der Grenze zu meiner Welt befanden.
Um das Ganze noch etwas verständlicher auszudrücken, sage ich es einfach so:
Die ganze Welt besteht für mich sozusagen aus zwei verschiedenen Welten.

1) Wir tauben Spastiker, wie uns viele Ahnungslose aufgrund der Gebärdensprache nennen und
2) der Rest der Welt und somit 'die Hörenden'.

Ich weiß nicht mehr genau, wann mir zum ersten Mal diese scheinbar unüberwindbare Grenze zwischen den zwei Völkern richtig aufgefallen ist, aber je älter ich wurde, desto deutlicher sah ich die Linie zwischen ihnen und uns.
Und an diesem Tag gab es keine Ausnahme.

Schuld an der Tatsache, dass ich mich zu dieser Party mitschleifen ließ, hatte einzig und allein meine beste Freundin Carolin. Sie hat das Talent, von Unglück aller Art wie ein Magnet angezogen zu werden.
Wie ich das meine?
Manuel, sie und ich hätten nicht vor der Haustür eines hellblonden, hyperaktiven Typen gestanden, wenn Fräulein Hasenfuß vor zwei Wochen, wie jeder normale Mensch auch, bei Burger King bestellt hätte. Die Bestellung an sich war nicht das Problem gewesen, schließlich hatte Carolin alles, was sie haben wollte, auf einen Notizzettel geschrieben. Anders als bei mir waren bei ihr Hörgeräte völlig sinnlos, da sie gänzlich taub war.
Da das Fastfood-Restaurant wie immer fast voll besetzt war, konnte ich gerade so einen Tisch ergattern, der sich auf einer leichten Anhöhe an der großen Fensterfront befand. Von dort oben hatte man eine grandiose Aussicht auf das Treiben der Straßen und das Gewusel der Leute, die sich gerade mit ihren fertigen Burgern auf den Weg zu ihren Plätzen oder nach draußen machten. Außerdem hatte ich von dort Carolin perfekt im Blick - es war in der letzten Zeit eine meiner Lieblingsbeschäftigungen geworden, sie bei McDonald's, Subway oder eben Burger King bestellen zu lassen und sie dabei belustigt zu beobachten. Sie sah einfach so süß aus, wie sie ihren Blick hilflos durch die Menge schweifen ließ, bis sich ihr Gesicht entspannte, wenn sie mich breitgrinsend entdeckte und mit dem vollbeladenen Tablett auf mich zusteuerte.
Wie schon erwähnt hatte Carolin das fantastische Talent, Unglück magnetisch anzuziehen und auch diesmal blieb sie nicht verschont. Kurz nachdem sie mich entdeckt und sich auf dem Weg zu unserem Tisch gemacht hatte, wurde sie von einem rücksichtslosen, hirnlosen und noch dazu unfreundlichen Volltrottel angerempelt, sodass außerechnet meine beiden Cheeseburger auf dem dreckigen Boden landeten. Aber anstatt sie aufzuheben, sich zu entschuldigen und wieder zu gehen, hob der Typ ihr die Burger lachend auf und fing an, sie vollzuquatschen! Er konnte ja nicht wissen, dass Carolin keines seiner Wörter verstehen konnte - ich allerdings war noch nie in meinem Leben so froh gewesen, Lippenlesen zu beherrschen.
Zum Glück sprach der unbekannte Vollidiot keinen allzuschlimmen Dialekt, sodass ich nahezu an seinen Lippen hing und praktisch jedes Wort in mich aufsog.

Zu meiner Überraschung wollte er einfach nur Carolins Handynummer haben - ein Gentleman der alten Schule also. Der Arme konnte ja nicht wissen, dass Carolin keines seiner lieb gemeinten Worte verstehen konnte. Carolins Wangen wurden röter und röter, was der Typ allerdings völlig falsch verstand. Als ich Sekunden später feststellte, dass er sie glatt auf Englisch und schließlich auf Französisch anmachte, fiel ich fast vom Stuhl.
Perfekte Aussprache, sofern ich das beurteilen konnte. Allerdings änderte sein Sprachtalent nichts an der Tatsache, dass Carolin ihn immernoch nicht verstehen konnte. Ihre Wangen befanden sich in einem dunklen Rotton, der schon an der Grenze zu Lila war und ihr Gesichtsaudruck veränderte sich von hilflos zu panisch.
"Also mein Spanisch ist leider nicht das Beste, aber...", die laute Überlegung des mir immer sympathischer werdenden Typen veranlasste mich dazu, Carolin aus dieser verzwickten Situation rauszuhelfen. Ich war gerade auf dem Weg zu ihr, da fing dieser Junge an, seltsame Verrenkungen zu machen und selsbt wenn er keine Gebärdensprache beherrschte, so wurde Carolin in diesem Moment klar, was er die ganze Zeit über von ihr gewollt hatte.
Von ihrem Gesicht konnte ich ablesen, dass ihr diese Sache mehr als peinlich war, denn der Junge zeigte immer wieder auf sie, dann auf sich und dann auf sein Handy, auf dessen Tasten er herumdrückte um ihr zu signalisieren, dass er nur ihre Nummer haben wollte. Sein breites, nettes Lächeln, das er die ganze Zeit auf den Lippen trug ließ ihn dabei nur noch selbstbewusster wirken, als er ohnehin schon war. Ich meine, welcher Mensch traut sich sowas in einem öffentlichen Restaurant abzuziehen?
Inzwischen war ich bei den beiden angekommen und erklärte dem Jungen den Grund, weshalb Carolin ihm nicht antworten konnte. Im Gegensatz zu ihr war meine Aussprache beinahe fehlerfrei, was ich einzig und allein meiner gnadenlosen Mutter zu verdanken hatte. Als meine Behinderung schon im frühen Kindesalter bekannt wurde, hatte ich mehr Zeit damit verbracht, die perfekte Aussprache von Wörtern zu erlernen, anstatt mit Puppen und anderen Kindern zu spielen.
Dem blonden Jungen musste ich jedoch etwas zu Gute halten. Statt wie viele vor ihm mit eingezogenem Schwanz abzuhauen und als 'taube Spastis' zu bezeichnen, hörte er sich alles genau an, schrieb danach seine Handynummer auf eine Serviette und verschwand mit den Worten "Wenn Carolin will, kann sie sich ja melden. Ich würde mich echt freuen!" und einem netten Lächeln.

-- -- --

Manuel neben mir seufzte laut und theatralisch auf, als er seinen Schlafsack abstellte, um mir etwas zu sagen. Wir drei gingen auf dieselbe Sonderschule und um wirklich ganz ehrlich zu sein, zu einer Sonderschule zählten wir die Penne, zu der wir täglich fuhren, nicht.
Dort wurde der gleiche Stoff wie auf einem normalen Gymnasium unterrichtet, nur die Klassen waren kleiner.
»Ich hasse ... Anstands-WauWau ... spielen!«
Dabei fuchtelten seine Hände wild in der Luft herum und sein Gesichtsausdruck war so empört, dass ich auflachen musste. Ihm gefiel es auch nicht sonderlich, Carolin auf eine Party zu begleiten, zu der wir eigentlich gar nicht eingeladen waren.
»Entschuldige ... «, ich legte meinen Freunden jeweils einen Arm um die Schultern meiner Freunde und lächelte sie aufmunternd an, dann strubbelte ich ihnen durch die Haare und betätigte die Klingel. »Leute, schlimm ... es ... nicht werden.« - zumindest hoffte ich das. »Genießen wir ... gute Essen und den Alk. Wer weiß, vielleicht macht ... hier ... Spaß!«
Wegen der verängstigten Gesichter meiner beiden Freunde, sagte ich lieber nicht, dass ich selbst an meinen Worten Zweifel hegte.

Die Tür wurde mit einem Ruck aufgerissen, und das breitgrinsende Geburtstagskind stand uns hochzufrieden entgegenüber. Ihm war bereits klar, dass wir mitkommen würden und nicht so 'normal' wie seine anderen Freunde sein würden. Als ich ihm das per SMS mitgeteilt hatte, war ich von seiner Antwort positiv überrascht gewesen:
"Ich bin auch nicht normal, also werde ich ein paar unnormale Kameraden ja wohl verkraften können. ;-)"

Dies war der Grund, weshalb ich Frederik als einen der wenigen 'Hörenden' in mein Herz schloss. Er mag ein Spinner, ein Freak sein, aber die Tatsache, dass er er selbst war und zu dem stand, was er tat, machte ihn äußerst sympathisch.
Freddy fand Auffallen wirklich cool, warum Carolin wohl auch ein wenig Schiss davor hatte, mit ihm alleine zu sein.
"Hey hooo, meine Freunde vom Planeten Mars! Willkommen auf der Erde!", dabei machte er eine Geste, als wollte er E.T. nachmachen, der dabei war, nach Hause zu telefonieren.
Aus einem Impuls heraus versuchte ich mein Grinsen zu unterdrücken aber als mir Manuel schon wie bekloppt auf die Schulter tippte, konnte ich es mir nicht mehr verkneifen. Freddy hingegen schaute höchst zufrieden in die kleine Runde, packte unsere Schlafsäcke, um sie zu den anderen im Flur aufzustapeln.
»Was hat der gesagt?«, wollte Manuel dann wissen, als Frederik im Flur damit beschäftigt war, die immer wieder zusammenbrechende Schlafsack-Pyramide aufzustellen. Ich wehrte jedoch ab und tippte mit dem Zeigefinger gegen die Stirn, was wohl Antwort genug für Manuel war. Mit einem wissenden Nicken und einem undefinierbaren Blick ging er an mir vorbei in das Haus hinein.

"Hör mal, Freddy, meinst du nicht, dass Mars ein wenig weit hergeholt ist und kommt E.T. von einem vollkommen anderen Planeten?"
Beschwichtigend schüttelte der Blonde den Kopf, seitdem ich ihm bei unserem letzten Treffen erklärt hatte, dass wir Hörgeschädigten ein wenig anders als die 'normalen Menschen' waren, glaubte er tatsächlich, dass wir aus einer anderen Dimension stammten. Meiner Meinung nach war das ziemlich banal, aber ich glaubte, dass er so versuchte, dem Unterschied zwischen uns einen Kick zu geben.
Carolin war zu uns getreten und hielt dem Geburtstagskind unser Geschenk vor die Nase. "Ach, das wär doch gar nicht nötig gewesen!"
Manuel, der etwas abseits stand und an Frederiks Miene erkennen konnte, was gerade abging, schaute mich verwirrt an - für ihn war der Typ ein kompletter Widerspruch gegen all das, was er bis jetzt von hörenden Menschen kannte.
Carolin hatte es inzwischen geschafft, Freddy das Geschenk in die Hände zu drücken und bekam schlagartig rote Wangen.
"Wir ... 'o'en, dass es dir gefet.", ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und während den Worten hatte sie mich flehentlich angesehen. Wahrscheinlich wollte sie wieder einmal nur wissen, ob sie sich mit ihrer Lautsprache zum Affen gemacht hatte. Doch diesmal klang es sogar recht gut und ich quittierte ihren Blick mit zwei Daumen nach oben und einem Lächeln, was sie sichtlich erleichterte.

Carolin und ich hatten lange überlegt, was wir unserem neuen Freund zum Geburtstag schenken sollten - Manuel hatte sich da von vornherein komplett rausgehalten -, doch letzten Endes fiel uns nur eines darauf ein. Wir wussten, dass Frederik für sein Leben gerne Nudeln aller Art aß, also hatten wir kurzerhand einen Großeinkauf gestartet.
Gerade als Frederik das Paket öffnen wollte, bemerkte ich einen Jungen auf der Treppe, der mit einem genervten Gesichtsausdruck direkt auf uns zusteuerte. Seine Frisur war ziemlich untypisch für einen Jungen, er hatte seine dunklen Haare zu einem straffen Zopf zusammengebunden, der am Hinterkopf etwas in die Luft stand und mich somit etwas an eine Ananas erinnerte. Auch wenn ich es versuchte, konnte ich mir ein dümmliches Grinsen nicht verkneifen. Anscheinend wollte dieser Typ zu Frederik und sofort heftete ich meinen Blick auf seine Lippen. Es fiel mir schwer, alles zu verstehen, was er sagte, denn er sprach sehr schnell und ziemlich undeutig. "Ey Alter, Domi kotzt gleisch, wenne nicht langsam dafür sorgst, dat die olle Fotze 'ne Mücke macht."
Frederik stöhnte mehr als genervt auf und erwiderte schließlich: "Selber Schuld. Hab dem Idioten gesagt, dass er nicht immer einen auf Mr. Ich-bin-so-geil machen soll."
Danach wendete er sich wieder zu uns und nickte mit dem Kopf nach oben. "Ich will euch nach oben verfrachten, kommt mit."

Wortlos stieg ich die Treppe hinter ihm nach oben und natürlich entgingen mir dabei nicht seine kurzen, scheinbar unauffälligen Blicke, die er meiner Freundin Carolin zuwarf. In ihrem roten Kleidchen sah sie auch wirklich hinreißend aus. Was mich allerdings noch mehr zum Grinsen brachte, war die Tatsache, dass Frederik dermaßen auffällig in meine beste Freundin verknallt war, dass es mich wahrlich wunderte, dass sie immernoch behauptete, sie würde von alledem nichts bemerken.
Oben angekommen, suchte Manuel zu allererst die Toilette auf, während mir eine Flasche Becks in die Hand gedrückt und Carolin von Frederik mitgezogen wurde.

Na toll!
Alleine unter Leuten, denen ich noch nie in meinem ganzen Leben begegnet bin!
Mit der Bierflasche in den Händen, die von meinen Fingern halb zerquetscht wurde, machte ich mich auf den Weg ins Wohnzimmer. Das große, geräumige Zimmer mit Kamin und einem Ausgang auf einen riesigen Balkon war zum Mittelpunkt der Party umfunktioniert worden. Aus den Boxen, die im Raum verteilt waren knallte laute, dröhnende Musik, die mir im ersten Moment furchtbar in den Ohren wehtat. Kurzerhand schaltete ich meine Hörgeräte aus; ich war solche Lautstärken einfach nicht gewohnt.
Mit dem dumpfen Bass unter den Füßen, ging ich geradewegs auf eine schwarze Ledercouch zu, um mich etwas umzusehen. Das leicht abgesessene Leder sank unter meinem Gewicht zusammen und ermöglichte mir somit eine angenehme Sitzposition.
Schon nach der ersten Blickwanderung wusste ich, wie dieser Abend enden würde. Jede Minute würde dahinkriechen wie eine Schnecke auf der Straße. Ich konnte mich jetzt schon dabei ertappen, wie ich alle fünf Minuten einen Blick auf mein Handy werfen würde, in der Hoffnung, irgendwann mit der Ausrede, ich wäre müde - was sowieso keinem auffallen würde -, mich mit meinem Schlafsack in eine einsame Ecke zu verkriechen.

Gelangweilt ließ ich meinen Blick ein weiteres Mal durch den dicht besiedelten Raum schweifen. Einige Leute machten seltsame Verrenkungen, was sie vermutlich als Tanzen bezeichneten, aber es sah furchtbar komisch aus. Da ich nicht weiter darüber nachdenken wollte, was diese Gruppe von Menschen dort tatsächlich tat, ließ ich meinen Blick weiterwandern, bishin zu einem Grüppchen Jugendlicher die am Rand des Zimmers standen. Zuerst stach mir ein Junge mit feuerroten Haaren ins Auge - für mich was ziemlich Neues, ich hatte noch nie einen JUNGEN mit knallroten Haaren gesehen. Der Typ schien sich nicht an dem angeregten Gespräch seiner Freunde zu beteiligen, denn er stand mit versteinerter Miene und geschlossenen Mund daneben. Zwar stießen seine Kumpels ihn immer wieder an die Schulter und sprachen ihn mit "Bauer" an, aber sein Gesichtsaudruck wurde von Versuch ihn ins Gespräch zu integrieren zu Versuch immer genervter.
Da ich sonst nichts Besseres zutun hatte, beschloss ich, dem Gespräch der Jungs zu folgen und heftete meine zu Schlitzen verengten Augen an ihre Lippen um kurz darauf festzustellen, dass es sich - wie sollte es auch anders sein? - um Fußball drehte. Mein Gesicht zu einer angewiderten Fratze verzogen, wendete ich mich wieder ab.
Fußball! Bloß nicht!
Da beobachtete ich doch lieber diesen Pumuckl, der noch immer beleidigt am Rand stand mit dem Blick aus dem Fenster gerichtet. Um herauszufinden, weshalb er womöglich nicht so gut gelaunt war, drehte ich meinen Kopf ebenfalls in die Richtung und konnte auf dem Balkon zwei Personen ausmachen.
Einen Jungen, der mit dem Rücken an der Fensterscheibe lehnte und mit der linken Hand eine halbleere Bierflasche hin-und herschaukelte. Diese Geste interpretierte ich als ein Zeichen der Langeweile. Kurz reckte ich meinen Kopf ein wenig, denn ein Mädchen mit platinblonden, langen Haaren versperrte mir die Sicht auf ihn. Der Junge hatte dunkelbraune, fast schwarze Haare, die in alle möglichen Himmelsrichtungen abstanden. Danach erforschte ich sein Gesicht mit meinen Blick und fand es ungewöhnlich hübsch für einen Jungen. Noch nie hatte ich solch gleichmäßige Gesichtszüge gesehen - hohe Wangenknochen, helle, reine Haut und soweit ich das auf die Entfernung sehen konnte dunkle Augen. Sein schwarzes, enganliegendes Shirt versprach einen gutgebauten Oberkörper und sein heller Teint ergab einen krassen Kontrast zu den dunklen Augen und Haaren, was unwillkürlich mein Interesse weckte. Wenigstens hatte ich nun eine Beschäftigung für diesen Abend gefunden, denn ich hatte nicht vor, diesen Typen aus den Augen zu lassen.

Beschämenderweise pochte mein Herz augenblicklich drei Takte schneller und ich versuchte die Hitzewelle die drohte, mich mit sich zu verschlingen, zu unterdrücken.
In meinen Fingern begann es augenblicklich zu jucken, denn normalerweise hätte ich in solch einem Moment zu meiner Nikon gegriffen und ihn aus einem vorteilhaften Winkel fotografiert. Nicht, dass ich eine kranke Stalkerin war, die sich an Bildern fremder Männer ergötzte. Es war viel mehr meine absolute Leidenschaft, die Welt durch die Linse meiner Kamera zu betrachten.
Fotoapparate waren eine der schönsten Erfindungen dieser Erde - zumindest für mich. So konnte ich die wunderschönen Augenblicke des Lebens für die Ewigkeit festhalten. Mit Bildern konnte man so viel ausdrücken, aber für mich zeigten sie eindeutig nur das, was der Mensch mit dem Auge erfassen konnte.
Lautlos und still.
So wie ich die Welt eben sah, unbeschreiblich schön.

Ich zuckte zusammen, als hätte man mir einen Stromschlag gegeben, als ich bemerkte, dass die dunklen Augen des Typen in meine grünen sahen. Fast hätte ich gedacht, er hätte mich beim Anstarren auf frischer Tat ertappt, aber er zeigte keinerlei Reaktionen und wendete sich wieder dem blonden Mädchen zu. Sie schien unaufhörlich auf ihn einzureden, aber was, konnte ich nicht sehen, da sie mit dem Rücken zu mir gewandt dastand. Frustriert seufzend lehnte ich mich zurück und sah auf die gut gebaute Blondine - zumindest sah sie schon mal von hinten gut aus, da konnte man sich die Vorderseite ja zusammenreimen. Wahrscheinlich genoss der unbekannte Schönling ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, aber wollte es nicht zeigen. Ich kannte diese Masche der Typen; sie taten häufig so, als wäre ihr Name Unschuldslamm und wüssten von nichts. Ich kannte mich da aus, denn ich hatte solche Situationen mehr als einmal beobachtet - in den verschiedensten Variationen.
Überhaupt, Beobachten war eines meiner liebsten Beschäftigungen. Auf diese Weise erfuhr man manchmal mehr über seine Mitmenschen, als ein Außenstehender vermuten konnte.

Noch immer konnte ich den wummernden Bass, der von meinen Füßen aus meinen ganzen Körper durchzog und ich konnte es einfach nicht lassen, diesen fremden Jungen aus der Ferne zu betrachten, wenn auch nicht mehr ganz so auffällig - zumindest hoffte ich das. Seine Art und seine Ausstrahlung machten mich nervös und hibbelig und ich konnte nicht einmal den genauen Grund dafür nennen. Er strahlte irgendetwas aus, was mir keine Ruhe ließ. Ich hatte schon oft gutaussehende Männer gesehen, aber noch nie hatte mich einer so in den Bann gezogen wie dieser Typ da draußen auf dem Balkon! Er ließ ein weiteres Mal - für mich gespielt - gelangweilt seinen Blick schweifen, wobei das Mädchen vor ihm unaufhörlich weiter auf ihn einredete. Zwar konnte ich noch immer nicht sehen, was sie sagte, aber sie gestikulierte wild mit ihren Händen und wippte mit ihrem Kopf immer hin-und her. Ihre zarten, manikürten Fingerchen legten sich besitzergreifend auf seine Schultern, als wollte sie damit demonstrieren "Der gehört mir!". Eine Geste, die, wie ich fand, einer schamlosen Lüge gleichkam. Der dunkelhaarige Junge nahm bestimmt ihre Hände von seiner Schulter und zum ersten Mal an diesem Abend nahm ich wahr, dass sich seine Lippen bewegten.
"Komm schon, Michelle. Du weißt genau, dass ich nichts von dir will."
Seine klaren, bestimmten Worte überraschten mich - er wusste also genau, worauf ihr Getue hinauslaufen sollte. Die Blondine schien enttäuscht, fast schon verletzt, denn ihre Haltung war nicht mehr wie wenige Augenblicke zuvor majestätisch aufgerichtet. Sie erwiderte irgendetwas auf seine abstoßenden Worte, worauf er jedoch keinen Wert zu legen schien. "Die Nummer zieht bei mir nicht", sprach er gelangweilt und nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche. "Sieh dir Bauer an, dann weißte selber, dass du hier Scheiße laberst." In meinem Kopf fingen sich die Puzzleteile langsam zusammenzusetzen, bis sämtliche Glöckchen anfingen zu klingeln. Natürlich! Das Mädchen hatte ihm erzählt, dass sie jedes Mal eine Abfuhr von hübschen Typen bekam und dass kein Junge sie wollte. Na klar, die übliche Mitleidstour eben! Ich war zwar schwerhörig, aber dumm war ich keinesfalls. Solche Maschen versuchten die Mädchen an meiner Schule ebenfalls und mein herzallerliebster Freund Manuel war eines ihrer liebsten Opfer.
Wo ich gerade an Sai dachte - wo steckte dieser Kerl überhaupt? Ein Toilettengang konnte doch nicht - mein Blick schweifte auf mein Handy - eine dreiviertel Stunde dauern!

Mein Blick wanderte ein weiteres Mal durch den großen Raum, bis ich an einer Gruppe Jugendlicher hängenblieb, die lachend in eine Ecke zeigte in der ein riesiger Flachbildschirm stand, an dem eine Playstation angeschlossen war. Ich brauchte nur eins und eins zusammenzuzählen, um zu wissen, dass Manuel sich in ein aufregendes, virtuelles Match gestürzt hatte. Fragte sich nur noch, wer die arme Sau von Herausforderer war...
Gelangweilt stand ich von der Couch auf und begab mich auf den Balkon. Als ich an die frische Luft trat, wehte mir mit dem frischen Wind der Geruch von Zigaretten in die Nase. Hier draußen hatten sich einige Raucher versammelt, die praktisch um die Wette Rauch in die saubere Luft bließen.
Darauf bedacht, dass mich keiner beobachtete, schaltete ich meine Hörgeräte wieder ein und lauschte den dumpfen Tönen, die aus dem Wohnzimmer herausdrangen und mit dem Wind davongetragen wurden.
Ganz ehrlich? Diese Party langweilte mich.
Ich kannte keinen, hatte keine Lust mehr, überflüssigen Gesprächen zu lauschen oder gar mit anderen Leuten zu reden, nur um später wieder enttäuscht stehen zu werden, da sie Hörgeräte abstoßend fanden.
Müde lehnte ich mich gegen das kalte Geländer und sah auf die Dächer der umliegenden Häuser; gleichzeitig fragte ich mich, wie lange ich es hier noch aushalten würde. Der Abend war ein absoluter Reinfall für mich, was hielt mich eigentlich noch hier? Und wieso hatte ich mich überhaupt dazu überreden lassen, mitzukommen?

Jemand trat neben mich, doch ich ignorierte dies - ich musste ja schließlich nicht mit jedem ein Pläuschchen anfangen. Noch immer die halbvolle Bierflasche in der Hand, nahm ich einen Schluck und würgte das bittere Getränk herunter. Ich mochte Bier nicht sonderlich. Da ich aber keine andere Beschäftigung hatte, starrte ich weiterhin auf die Dächer der anderen Häuser und ließ meine Gedanken schweifen. Allerdings störte mich ein hässlicher, stinkender Geruch. Angewidert sah ich zu meinem Nebenmann und erkannte den braunhaarigen Jungen, den ich bis vor wenigen Minuten noch beobachtet hatte.
Genüsslich zog er an dem Glimmstängel und musterte mich aus dem Augenwinkel. Sein scannender Blick war abschätzend und ich fühlte mich wie eine Ziege auf dem Markt. Er hatte sich mit dem Rücken an das Gländer gelehnt und seine rechte freie Hand lässig in die Hosentasche gesteckt. Unsere Blicke trafen sich und es schien, als würde er darauf warten, dass ich den Blickkontakt früher abbrach - doch das hatte ich nicht vor. Wenn Mr. Ich-bin-so-geil meinte, auf diese Art und Weise zeigen zu wollen, dass er der absolut begehrenswerteste und tollste Junge auf diesem Planeten war, dann war es langsam an der Zeit, ihm vom Gegenteil zu überzeugen.
Ein verführerisches, heimtückisches Grinsen huschte über meine Lippen und ich wendete mich meinem Nebenmann zu. Nachdem ich einen Schritt auf ihn zugegangen war und nun mehr schlecht als recht nahe bei ihm stand, hob ich meine Hand und nahm im die Zigarette aus dem Mund. An seinem wissenden Playboygrinsen konnte ich erkenne, dass er wohl ahnte, was ich jetzt tun würde.
Wider seines Erwartens hatte ich natürlich nicht vor, dieses widerliche Zeug einzuatmen - es sollte ja keine dieser billigen Anmachen werden, denn wie ich vorhin mitbekommen hatte, bekam er davon reichliche. Lässig ließ ich die Zigarette vor seinen Augen auf den feuchten Boden fallen und trat sie mit meinem Schuh aus. "Rauchen ist krebserregend und auch sonst sehr sehr schädlich für den Körper. Wenn du jedoch das Bedürfnis hast, dein Leben vorzeitig zu beenden, dann lass es mich wissen. Es geht auch ohne dabei die Luft seiner Mitmenschen zu verpesten."
Ich konnte sehen, wie sein Mundwinkel kurzzeitig verdächtig zuckte, dennoch behielt er die Fassung und nahm mir bestimmt mein Bier aus der Hand. Kurz musterte er es, dann hielt er die Flasche über das Balkongeländer und kippte den restlichen Inhalt aus. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet - und das sah man mir wahrscheinlich auch deutlich an. Innerlich betete ich, dass dort unten in den Straßen kein armes Männlein stand, das die braune Flüssigkeit nun auf die Haube bekam.
"Wenn du vorhast, süchtig zu werden, dann sag es gleich. Ich kenne da andere Drogen, die nicht so typisch für Alkoholiker sind, wie diese Kotze hier."
Ich würde es niemals zugeben, aber dieser Typ hatte es geschafft, mich mit meiner eigenen Waffe zu schlagen. "Und was wären das für Drogen? Speed, LSD und den ganzen Kram kann ich mir nämlich nicht leisten."
Er war so gütig und reichte mir meine nun leere Flasche zurück und legte seinen Kopf in den Nacken. Kurzzeitig herrschte eine unangenehme Stille, bis er sich eine passende Antwort zurechtgelegt hatte: "Wie wäre es mit Videospielen oder Schokolade?" Ich winkte ab und gähnte - wie langweilig! Schokoladensüchtig war heutzutage sowieso schon jeder und auch ich hatte mit meinen kleinen Fettpölsterchen zu kämpfen, die ich Dank dieser süßen Versuchung hatte. "Fällt dir nichts besseres ein? Ich hatte nicht vor, meinem Kumpel den Thron als Zockerkönig streitig zu machen."
Überrascht hob er seine Augenbrauen in die Höhe und fragte belustigt: "Achso, du kennst den Typen, der gerade dabei ist, dem Idioten in seinem eigenen Revier zu schlagen?"
Höh, welchen Idioten meinte er denn jetzt? Aus Unsicherheit nickte ich einfach nur automatisch und schaute lieber wieder auf die Dächer der anderen Häuser. Es war jetzt besser, wenn ich aufhörte mich mit ihm zu unterhalten, da er keine Ahnung hatte, worauf er sich bei mir einließ. Eine Weile lang herrschte wieder betretene Stille, in der er mich argwöhnisch von der Seite musterte.

"Sag mal, hast du'n Macker zu Hause hocken oder wieso ignorierst du mich?"
Ich sah wieder zu ihm und erkannte, dass er leicht schmunzelte. Fast schon süß, wie er nur mit einen Mundwinkel nach oben gezogen dastand und mich betrachtete.
Gott, wieso machte mich dieses Lächeln so verrückt? Dieses - bestimmt eingeübte - Lächeln machte ihn nur mehr unwiderstehlicher, als er eh schon war. Und ihm war wahrscheinlich auch bewusst, was für eine Anziehungskraft er auf schutzlose Mädchen ausübte.
"Ist es Pflicht, dich zu beachten?", stellte ich die kecke Gegenfrage, woraufhin sich sein Schmunzeln in ein lockeres Grinsen umwandelte. "Nee, nee, so geht das Spielchen nicht. Ich hab zuerst gefragt, also bekomm ich auch die erste Antwort."
Ergeben seufzte ich auf und sagte dann: "Ich ignoriere dich nicht, sondern frage mich nur und ausschließlich, was du von mir willst."
"Deinen Namen wissen.", erwiderte er gelassen und lehnte sich noch lässiger an das Geländer. "Ja, klar! Um ihn morgen wieder vergessen zu haben, genau."
"Jetzt so ganz im Ernst?" Ich nickte und sein Gesichtsaudruck wurde ernst.
"Zuerst um ihn morgen schon längst wieder vergessen zu haben, aber...", er legte absichtlich eine Kunstpause ein, um mich wie einen Fisch an der Angel zappeln zu lassen. "Was 'aber'?", hakte ich nach. "Aber ich glaube nach deiner gewagten Aussage gegenüber meinen heißgeliebten Kippen, ist mir dein Name sogar schon knapp 'ne Woche wert."
Also direkt und ehrlich war er schonmal, was seine Sympathieskala unweigerlich steigern ließ. "Na, auskunftsfreudiger?"
"Miriam, und du?"
"Dominik."

Dies war der Abend, an dem ich Dominik Hokamp kennenlernte. Und er wagte es doch tatsächlich, meine bis dato geordnete Welt dermaßen durcheinander zu wirbeln, dass mein innerlicher Kompassen nichtmehr wusste wo Norden und Süden war. Wie ein Wirbelsturm fegte er alle feinsäuberlich erarbeiteten Gefühle und Fakten durch die Gegend, sodass sie wild zerstreut durch meinen Körper wirbelten.
Und dabei tat er nichts anderes, als stinknormal mit mir Konversation zu führen.
Für jedes andere Mädchen auf diesem Planeten wäre es das Selbstverständlichste, mit einem hübschen Typen auf einer Feier zu flirten, doch für mich war es das natürlich nicht - schon gar nicht, wenn es ums Reden ging. Das was mich am mit am meisten verzauberte, war, dass ich ihn verstand, ohne mich großartig anstrengen zu müssen. Sein Lippenbild war klar und deutlich, seine Stimme dunkel und männlich - und wahnsinnig beruhigend. Ich mochte es, ihm zuzuhören, auch wenn es nur banales Zeug war. Ich weiß auch nicht, was mich genau an ihm so begeisterte, aber ich hätte ihm stundenlang zuhören können, auch wenn er über Autos, Fußball oder wasweißichwas geredet hätte.
Anfangs hatte ich ja gedacht, der Abend auf dieser Party würde als absoluter Reinfall in meinem Gedächtnis langsam ins Nichts verschwinden, aber stattdessen konnte ich das erste Mal seit Langem die Zeit unter 'den Hörenden' genießen. Dominik und ich redeten über Gott und die Welt und wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich noch ewiglang mit ihm auf der Couch sitzen können. Die Musik dröhnte nach wie vor in meine Ohren, aber sie störte mich nicht weiter. Im Gegenteil, sie gab der Situation die nötige Farbe, um ihn in meinem Hirn einzubrennen.
Während unserem Gespräch stellten wir viele Gemeinsamkeiten fest. Wie ich war er ein großer Fan von Star Wars und hatte alle Filme mindestens fünfmal geschaut. Ich wusste nicht genau, wie lange wir über diverse Filmszenen fachsimpelten, aber es war mir um ehrlich zu sein ziemlich egal - auch wenn wir dabei wie zwei versessene Freaks geklungen haben mussten. Und wie es beim Kennenlernen von zwei sich fremden Personen ist, hüpft man von einem zum anderen Thema. So gelangten wir über Schule, Sport und Freizeit zum Thema Liebe und Beziehungen - und dem ganzen Stress, der eben dazugehört. Für mich bisher ein absolut unwichtiges Thema, da ich nicht viel zu erzählen und somit auch nichts zu verbergen hatte. Dominik schien da aber anderer Meinung, denn wie ich belustigt feststellte, war er nicht mehr so redefreudig wie wenige Minuten zuvor bei Star Wars. "Na, keinerlei freiwillige Auskünfte?", mein breites Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen, denn eigentlich machte er auf mich nicht den Eindruck, als ob er Probleme mit Frauen hätte.
"Wie schön, dass du mich an zu Hause erinnerst!" Anscheinend hatte ich ihn sehr verwirrt angeschaut, denn er fing sofort an zu erklären: "Mein herzallerliebster Bruder hat vor Kurzem geheiratet und lebt seitdem in einer recht wilden aber glücklichen Ehe. Na ja, dies hat zur Folge, dass meine Mutter nach der ersten gewonnenen Schlacht meinem Bruder eine Frau unterzujubeln nun mir im Nacken sitzt."
Achso, daher wehte der Wind! Der kleine Wildfang hatte keine Lust, sich an eine Frau zu binden - im jungen Alter von 17 Jahren vollkommen verständlich -, aber die liebe Mutter sieht das natürlich wieder anders.
Mein vorheriges Grinsen machte sich wieder auf meinen Lippen breit und Dominik schaute mich etwas leidend an.
"Okay, gut. Dann lass mich raten: Deine Mutter hält jedes weibliche Wesen, mit dem du dich aus welchem Grund auch immer triffst oder mit nach Hause bringst für deine aktuelle Freundin. Und dazu kommt, dass du in der Schule nicht mehr alleine bis zur Toilette gehen kannst, ohne befürchten zu müssen, dass dir irgendein teuflisches Wesen einen Liebestrank einflößen könnte."

Auf Dominiks Gesicht breitete sich nun ebenfalls ein Grinsen aus und er nickte leicht lachend. "Ja, so ungefähr kann man das beschreiben. Und wie steht's bei dir um Punkto Beziehungen?"
Die bis vor wenigen Sekunden angehaltene Lockerheit in mir, erstarrte nun und für einen Moment blieb meine Welt stehen. Ich hatte wie gesagt noch nicht viel davon, mit jemandem zusammen zu sein, jemandem zu vertrauen und nah zu sein. Für mich hatte das Wort 'Beziehung' eine vollkommen andere Bedeutung als für Dominik - aber das konnte er ja nicht wissen.
Kurz durchdachte ich mir meine Antwort, ehe ich sie aussprach: "Weißt du... eine Beziehung ist für mich weitaus mehr, als der äußere Schein. Für mich ist eine Beziehung eine tiefe Verbundenheit zweier Menschen, die sich vertrauen und Liebe austauschen."
Dominik sah mich an, wie ein Fisch, der gegen das Aquariumglas geschwommen war - na ja, etwas übertrieben vielleicht, aber ich denke, dass das seine Verwirrtheit verdeutlicht.
"Kennst du das Sprichwort »Freundschaft ist eine Seele in zwei Körpern«? Nur für mich ist es eben Liebe. Und das ist auch der Grund, weshalb ich nicht sonderlich viel vom Ausprobieren halte.", ich wusste, dass meine Worte ziemlich schwammig und schnulzig klangen, aber so war es nun einfach mal. Und Dominik schien es nichts auszumachen, zumindest schien er so, als ob er sich gerade ernsthafte Gedanken über meine Worte machen würde. Ich wusste, wie Jungs zu solchen Sprichwörtern und den ganzen Kram standen, deshalb machte ich mich schon auf eine vernichtende Antwort gefasst a lá "Du hast 'nen Vollschatten" oder so, aber dem war nicht so. Überhaupt nicht.
"Erinnert mich irgendwie an so 'ne Filmvorschau."

Ich stutzte und strich mir, bedacht darauf, ja nicht meine Ohren zu zeigen, ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und erwartete eine Erklärung.
"Der Film spielt im Krieg, ein junger Offizier mit hohem Ansehen zeigt keinerlei Gefühle, bis er auf die junge, bildhübsche Tochter eines Freundes trifft. Und wie es kommen muss, zeigt sie ihm natürlich, was das Wort 'Liebe' bedeutet."
In meinem Hirn machte es 'Klick' und ich fing an zu strahlen. "Du meinst 'Never forget'! Die beiden waren die kompletten Gegensätze zueinander und empfanden trotzdem sowas wie Liebe füreinander!" - "Schon geguckt?", wollte Dominik wissen, woraufhin ich nur mit dem Kopf schüttelte. "Nee, aber von Freunden gehört."
Überraschenderweise bildete sich ein feines Lächeln auf den Lippen meines Gegenübers und mir wurde mal wieder schlagartig bewusst, mit was für einem gutaussehenden Typen ich hier die ganze Zeit locker gequatscht hatte. Peinlich berührt versuchte ich die aufsteigende Röte zu unterdrücken, aber ich bezweifelte, dass ich es mir in diesem Moment gelungen ist.

"Vielleicht sollten wir uns den Film zusammen ansehen, um uns ein Urteil darüber zu bilden."


~~~~~~ Fortsetzung folgt... ;)






Lasst von euch hören! :)





Teil 1 Teil 2


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz