Calvin Moon- Die Legende von Hope

Autor: Caprice
veröffentlicht am: 14.08.2012


„Mum, wie oft noch? Ich werde schon nichts anstellen, kaputt machen oder anbrennen.“ Calvin Moon wusste ganz genau, was in seiner Mutter vorging. „Habe ich das jemals? „Er umspielte ein freches Grinsen und versprach, dass er sich gleich melden würde, sobald er bei Josef angekommen sei. Bevor er durch die Absperrung am Flughafen ging küsste er seine Eltern.

„Haben wir wirklich das richtige getan?“ Sarah´s Stirn lag in unwohlen Falten. Sie blieben noch einen Moment, bevor sie zurück zum Parkhaus gingen. „Er wird bald 18 Jahre alt Floh...“ Floh. So nannte John Moon seine Frau immer wenn sie sich in Gedanken verlor und den Weg zurück nicht finden konnte. Meistens drehten sich ihre Gedanken dann um Calvin. Ihren Atoptivsohn, den sie gerade für sechs Wochen nach Kanada verbannt hatten, damit er seinen leiblichen Großvater kennen lernt. „...Du wusstest, dass dieser Tag kommen wird. Es wird schon gut und gehen. Wir werden weiterhin alles für ihn geben.“ Ziellos wanderten ihre Blicke.
„Du hast ja recht John. Ich mache mir einfach zu viele sorgen, tut mir leid.“ Sarah stöhnte und starrte auf Bodenfließen unter ihren Füßen. „Ich mir auch Floh. Ich mir auch“, flüsterte er und legte seine Hand um ihre Tailie. Als wolle er sie zusammenhalten. Verhindern, dass sie auseinander bricht.
„Es ist das beste wenn er es von Josef erfährt.“ Sagte John am Auto angekommen und schlug die Fahrertür des alten Chargers hinter sich zu. Sarah nickte ausdruckslos und sie fuhren. Nachhause.
Nach zwei Stunden und 35 Minuten landete Calvin´s Maschine, planmäßig, in Dallas. Von dort musste er den Anschlussflug nach Vancouver nehmen, wo er nach weiteren zwei Stunden und sichtlich geschafft- ohne Verspätungen, landete. Er zog sein Gepäck vom Gepäckband und schleppte es bis zur Bushaltestelle nach draußen. Mit dem Bus ging es rauf nach Hope. Die Kleinstadt liegt in der kanadischen Provinz British Columbia. Ihre Einwohnerzahl beläuft sich auf schlappe 4000 Tausend und auch sonst, war Hope eher verhalten. So scheint es zumindestens. Josef Stone lebte seit mehreren Jahren am Rande der kleinen, kunstvollen Stadt. Seit fünf Jahren alleine. Seine Frau Sam Stone, Calvin´s richtige Großmutter, starb im alter von 56 Jahren an Herzversagen. Das war alles, was Calvin über die Familie Stone wusste. Er hatte keine Fragen gestellt und zur Beerdigung von Sam waren damals nur seine Eltern geflogen. Er war noch nicht soweit und je näher der Bus seinem Ziel entgegen fuhr, desto weniger war er sich sicher, ob er es heute überhaupt schon war.
In Hope angekommen schaute Calvin zuerst aus dem Fenster, bevor er anschließend skeptisch ausstieg. Die Bushaltestelle war menschenleer. Der schlaksige Busfahrer war schon ausgestiegen und hiefte gerade sein Gepäck aus dem Buskofferraum.
„Dankeschön, Sir.“ Calvin wünschte dem hilfsbereiten Mann noch einen schönen Tag und stellte sich unter die Überdachung.
Als der Bus immer kleiner und dann vollkommen in der Ferne verschwand, machte er sich allmählich sorgen. Hatte Josef ihn vergessen? Er wippte ungeduldig mit den Füßen. Schön war es hier nicht gerade. Es regnete stark und die Temperatur betrug höchstens 18 Grad. An den Unterschied musste Calvin sich erst gewöhnen. Kein Wunder. In Santa Fe waren es zu dieser Jahreszeit bereits heiße 31 Grad. Zumindstens war die Bushaltestelle überdacht, dachte er. Ein Großteil seiner Sachen blieb also trocken.
Nach 20 Minuten der ungewissheit und des wartens, hielt endlich ein Auto an der Haltestelle. Calvin erkannte, dass es ein Ford pick-up war. In Rostrot. Der Mann hinter dem Steuer wank ihn, mit einer schnellen Handbewegung, zu sich. Calvin tat, wie verlangt, zog sich die Kapuze über den Kopf und stolperte zum Auto in den Regen. Der Mann kurbelte das Fenster einen Spalt herunter und bat ihn- ohne jede Begrüßung, seine Taschen hinten im Kofferraum zu verstauen. Calvin folgte den Anweisungen des fremden Mannes und stieg im Anschluss vom Regen in die Traufe. Endlich ein Zeichen einer Begrüßung, dachte er, als der Mann ihm seine Hand entgegen streckte.
„Hallo Junge, du musst Calvin sein. Habe schon viel von dir gehörte“, lachte er und schüttelte ihm freundlich die Hand.
„Ja, stimmt und Sie sind Josef!?“ Seine Stimme klang verunsichert.
„Wie er leibt und lebt, aber du kannst mich Joe nennen. Das tun hier alle. Tut mir übrigens leid, dass du warten musstest. Mein Auto macht nicht immer, dass was es soll“. Er seufzte.
„Schon inordnung“ Calvin sah, wie Josef erleichtert lächelte.
Im selben Augenblick atmete auch er erleichtert auf. Sein erster Eindruck von Joe, war unerwartet- positiv. Er schien ganz ok zu sein. Ein freundlicher, alter Mann. Selbst seine ungewohnte, rauchige Stimme machte einen sympathischen Eindruck.
„Wie war die Reise? Du musst hundemüde sein!?“
„Ein bisschen.“ Gab Calvin zu und unterdrückte ein Gähnen.
„Falls du hunger hast, ich hab noch Auflauf im Ofen. Selbstgemacht.“ Nett von ihm, aber Calvin war zu nervös. Er würde wahrscheinlich keinen Bissen runterbekommen und lehnte deshalb dankend ab.
„Später vielleicht,“ warf er noch hinterher und bereute es gleich wieder. Er wollte nicht direkt am ersten Tag einen schlechten Eindruck vermitteln. Josef schien wirklich sehr nett zu sein.
Die Autofahrt dauerte keine 10 Minuten. Sie fuhren durch ein großes, geschnörkeltes Eisentor. Die Zufahrt führte zu einem kleinen Haus auf einem gigantischen Grundstück. Sogar mit ein Wald lag dahinter. Calvin staunte nicht schlecht. Als sie ausstiegen regnete es stärker, als zuvor an der Hauptstraße. Doch das nahm Calvin nur neben bei war, als er aus dem Auto kletterte. Sowie er es verlassen hatte fühlte er sich merkwürdig. Es fühlte sich an, als sei er angekommen. Zuhause. Als sei er gerade Zuhause angekommen. Dieses Gefühl verwirrte ihn so sehr, dass er ins taumeln geriet. Was dann folgte konnte er nicht kontrollieren. Schübe. Bilder oder Erinnungsfetzen. Er konnte sie nicht zuordnen. Sie jagten durch seinen Kopf. Joe bekam von all dem nichts mit. Er malte ein zufriedenes Lächeln mit seinen Lippen, die sehr voll und sehr dunkel waren. Als er die Haustür aufschloß, wäre Calvin fast auf dem Absatz der Treppe umgeknickt.
„So, da sind wir! Schau dich ruhig um. Dein Zimmer ist oben.“ Er deutete mit dem Finger auf die Holztreppe, die in die Obere Etage führte.“ Die zweite Tür rechts ist deine. Ich bin gleich zurück.“
Endlich, dachte Calvin. Endlich konnte er ungestört das Bilderrätsel in seinem Kopf entwirren. Dass das Zulassen eine derartige Reaktion hervorrufen würde ahnte er nicht. Es warf ihn regelrecht zu Boden. Rücklings. Im Sekundentakt schoßen ihm glühende Bilder, wie helle Lichtblitze durch den Kopf. Es fühlte sich an, als wären es die eines Fremden. Nicht aber seine eigenen. Weil er sich nicht erinnerte. Nicht erinnern konnte. An die Menschen. Vielleicht waren es Menschen von früher. Vor seiner Erinnerung. Er sah eine Frau mit Kind. Einen Mann der einen Pokal in die Luft hielt. Dann eine Frau, die in einer Ecke saß und weinte. Einen dunkelhäutigen Mann, mittleren Alters, der ein lachendes Kind auf seinen Schultern durch den Schnee trug. Einen anderen Mann mit einer seltsamen Maske auf dem Kopf. Er stand neben diesem Ding. Eine schwarze tigerähnliche Kreatur.Sie schienen Freunde zu sein. Er streichelte das Tier liebevoll und Calvin konnte das laute Schnurren in seinen Ohren hören, als wäre es ganz nah.
„BITTE! AUFHÖREN! HÖRT AUF!“ Flette er den ständig aufblitzenden Bildern entgegen. Doch die Informationen flossen unaufhaltsam in sein Inneres. Überschwämmten es. Ertränkten ihn. Er hörte sie schreien. Menschen. Vertraute und fremde Stimmen, die seinen Namen riefen. Er wollte kanalisieren. Das nicht mehr ertragen. Nach einer Ewigkeit verblasten die Stimmen. Sein Kopf brannte nicht mehr. Seine Blut kochte nicht mehr. Der Sturm hörte auf zu toben und eine friedliche Leere breitete sich aus.
„Calvin!? Was machst du denn auf dem Boden?... Junge?“
Joe hörte sich an, als wäre er unendlich weit weg. Calvin registrierte, wie jemand an ihm rüttelte. Dann wie jemand ihn vom Boden aufhob und auf einen weichen, warmen Untergrund legte. Hier wollte er einfach nur liegen. Sich ausruhen. Den Schlaf zulassen, der ihn dazu zwang seine Augen fest geschlossen zu halten.
Joe kümmerte sich derwei, beinahe routiniert, um Calvin´s Gepäck. Die Oliv farbene Jacke hing er an die Gaderobe in dem viel zu kleinen Abstellraum neben der Haustür. Seine abgetragenen, blauen Sportschuhe, die er ihm auszog, nachdem er ihn mit einer Wolldecke zugedeckt hatte, fanden auf der Fußmatte im Flur ihren Platz. Und schließlich die beiden Reisetaschen, die er selbstverständlich ins obere Stockwerk trug und im Gästezimmer abstellte. Das in einem fröhlichen Sonnengelb gestrichen war.
Calvin schlief, während der ganzen Zeit. Er lag auf der Wohnzimmercouch. Sie war das einzige Möbelstück, dass nicht mit dem Rest der Einrichtung harmonierte. Hin und wieder beobachtete Josef ihn. Die Bewegungen seines Brustkorbs, die gleichmäßige Atmung, das friedliche, jugendliche Gesicht. Sein Ausdruck, während er ihn ansah, wirkte glücklich. Als hätte er sich diesen Moment schon sehr lange herbeigesehnt.
Später am Abend zündete Joe ein Feuer im Kamin. Auf dem Kaminsims standen zwei Bilderrahmen mit Foto´s aus längst vergangener Zeit darin. Auf einem der Bilder konnte man eine Frau und einen Mann erkennen. Sie hielten händchen und strahlten in die Kamera. Strahlten wie ein Paar nur zu strahlen vermag. Beide jung, beide bildschön. Der Mann hatte, wie Calvin, sehr blaue Augen und Lachfalten. Er sah Josef fast ein wenig ähnlich. Wäre er älter gewesen hätte man sie glatt miteinander verwechselt. Die Frau, dunkles, langes, zu einem Zopf geflochtenes Haar, dass ihr wie ein Schleier bis zur Rückenmitte reichte. Sie trug ein nahtloses, rosé farbenes Kleid und eine passende Handtasche dazu. Ihr begleiter einen Anzug in nachtfarben mit blütenweißer Krawatte. Es gab sicher etwas zu feiern.
Auf dem Foto daneben war nur eine Person zu erkennen. Eine Frau die in einem Korbstuhl saß. Den Blick in den Himmel gerichtet. Die Augen geschlossen. Ihr Haar war leicht ergraut und ihre Haut zeichnete hier und da tiefe Linien. Sie waren es, die enthüllten, dass sie schon etwas älter gewesen sein musste. Was nicht bedeutete, dass nicht schön war. Denn das war Sie. Wunderschön.
Calvin wachte erst am nächsten Morgen wieder auf. Er registrierte schnell, was passiert war und lief knallrot an, als die Erinnerungen an gestern sein inneres Auge fluteten.
Als er aufstand, schlich er leise durch den Flur, die Treppe hoch und in das Zimmer, das Josef ihm als seines gedeutet hatte. Auf dem Weg dorthin hörte er, wie Joe in der Küche telefonierte.
Gut, es hatte ein Badezimmer und seine Sachen waren auch alle hier, dachte er erleichtert und zog die Tür vorsichtig hinter sich zu. Dann kramte er schnell ein Paar frische Klamotten aus einer der vollgestopften Taschen und ein Handtuch aus der anderen. Nachdem er geduscht und angezogen war fühlte er sich sofort besser. Zwar saß ihm das Ereignis von gestern, die Ungewissheit und die Angst, dass es erneut passieren könnte immer noch in den Knochen. Doch das war gerade nichts im Vergleich zu dem Gedanken, vor Josef treten zu müssen. Er seufzte während er sich mühsam richtung Küche schob.






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