Mit dem letzten Atemzug - Teil 20

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 28.09.2012


“Elena”

Ein sich zwischen den Gardinen verirrter Sonnenstrahl kitzelte mich im Gesicht. Ich öffnete ein Auge und wurde von ihm direkt geblendet. Verärgert kniff ich meine Augen wieder zu und drehte mich auf die andere Seite, während ich die Decke über mich zog. Ich robbte etwas weiter in dem großen Bett, bis ich das fand, woran ich mich kuscheln konnte. Ich lächelte, legte meinen Arm um die schmale Taille und drückte meine Wange an den breiten Rücken.
“Guten Morgen.” - grüßte mich daraufhin eine tiefe verschlafene Stimme. Shane drehte sich zu mir und schloss mich sofort in seine Arme. “So will ich jeden Morgen geweckt werden.” - verkündete er und sah mich auffordernd auf.
“Euer Wunsch ist mir Befehl.” - sagte ich daraufhin und schmiegte ich mich an seine Brust. Ich hörte sein Herz darin schlagen und schloss meine Augen, um diesen Augenblick genießen zu können. Heute war ein sehr schwerer Tag für mich, da brauchte ich diese Liebkosungen.
“Weißt du worauf ich jetzt Lust hätte.” - fing Shane an und ich legte meinen Kopf in den Nacken, um ihn anzusehen. Doch er lächelte mich nur spitzbübisch an.
“Auf einen Kaffee?” - neckte ich ihn und er verzog eine Schnute. “Auf eine warme Dusche?” - fuhr ich mit dem Rätselraten fort, obwohl mir schon klar war, worauf er anspielte.
“Nein.” - sagte er dann und zog mich auf sich drauf. Er legte seine Hände auf mein Gesäß und küsste mich leidenschaftlich auf den Mund. Seine Lippen wanderten über mein Gesicht zu meinem Ohr, wo er an meinem Ohrläppchen knabberte, was mir eine angenehme Gänsehaut auf dem ganzen Körper verursachte. “Weiß du jetzt worauf?” - hauchte er mir ins Ohr. Ich antwortete nicht und bedeckte bloß seine Brust und seine Schultern mit Küssen.
“Ich auch.” - hörte ich plötzlich vom Bettende eine piepsige Stimme. Shane ließ den Kopf in den Nacken fallen und schloss die Augen. Dann stöhnte er auf. Ich grinste nur und rollte mich von ihm runter. “Ich möchte auch kusseln.” - meinte die Stimme auffordernd. Ich setzte mich auf und sah in das kleine Gesicht mit zwei großen schwarzen Augen und verwuschelten Haare. Die Lippen zu einer Schnute gezogen, wie sein Vater das auch zu machen pflegte.
“Na komm her.” - sagte ich und breitete mein Arme aus. Die Augen leuchteten auf und er kletterte schnell auf das Bett, um mir darauf hin in die Arme zu fallen. “Guten Morgen, mein Schatz. Hast du gut geschlafen?” - fragte ich ihn, als ich ihn fest drückte und einen Schmatzer auf den Kopf verpasste.
“Guten Morgen, Mama.” - grüßte er zurück. “Ja, habe gut gesslafen.” antwortete er. Das war so ein Ritual zwischen uns beiden.
Shane drehte sich auf die andere Seite und zog sich die Decke über den Kopf.
“Ich glaube, Papa möchte ganz kräftig gekitzelt werden.” - flüsterte ich ihm ins Ohr und ich lächelte mich an. Rasch kletterte er und Shanes Decke und führte das auf, was ich ihm vorgeschlagen hatte.
“Na warte.” - drohte Shane spielerisch, legte unseren kleinen Sohn auf den Rücken und kitzelte ihn. Der kleine Junge winselte vergnüglich und wand sich gegen Shane.
“Nein, aufhören.” - lachte er. “Papa.” - rief er dann und kroch zu meiner Bettseite rüber.
“Ich kriege dich.” - Shane warf die Decke bei Seite. Danny kletterte schnell vom Bett runter und lief davon. “Ich möchte jetzt doch einen Kaffee.” - teilte Shane mir mit und zog sich ein T-Shirt über.
“Gut.” - ich schlug ebenfalls die Decke bei Seite und hüllte mich in meinen Bademantel. “Machst du Danny für das Frühstück fertig?” - fragte ich und Shane nickte.
“Ich kriege dich doch.” - hörte ich dann Shane im Flur sagen und das Kreischen und Tapsen war zu hören, während Danny von ihm in sein Zimmer floh.
Ich lief zum Fenster und schob die Gardinen bei Seite. Für einen Augenblick wurde ich von der grellen Sonne geblendet, doch trotzdem streckte ich ihr mein Gesicht entgegen. Dann öffnete ich das Fenster und atmete die frische und doch kalte Winterluft ein.
Wenn ich an den heutigen Tag dachte, wurde es mir ganz schwer ums Herz. Ein Seufzer entfloh mir und wie auch jedes Jahr an diesem Tag fühlte sich mein Magen ganz flau an und das Atmen fiel mir schwer.

Nachdem Frühstück zogen Danny und Shane sich an. Für heute hatte Shane sich freigenommen und sie wollten Seelife besuchen. Danny war bereits voller Vorfreute und quasselte ununterbrochen von Delfinen und Wasserschildkröten, die er bis jetzt nur aus den Büchern kannte.
“Und Seepferdchen möchte ich noch sehen.” - sagte er und schnappte nach Luft, weil dazu zwischen den Sätzen keine Zeit blieb. “Und noch die Clownfische.” - redete er weiter, während Shane ihm den Mantel zuknöpfe. “Und Haie.”
“Das werden wir alles sehen.” - versprach Shane ihm und setzte ihm eine Mütze auf.
Mit einer Tasse Kaffee schritt ich zu ihnen in den Flur, lehnte mich an den Türrahmen und sah meine beiden Männer an, die sich sehr ähnelten.
“Verabschiede dich von Mama und geh schon mal vor die Tür. Ich komme gleich nach.” - sagte Shane zu Danny und dieser ließ es sich nicht zweimal sagen.
“Bis dann.” - er lief auf mich zu und gab mir einen Kuss, nachdem ich mich zu ihm runtergebeugt hatte. Er öffnete die Haustür und rannte die Treppe runter.
“Geht es dir gut?” - Shane kam auf mich zu. Sein Gesichtsaufdruck war konzentriert und eine gewisse Sorge zeichnete sich in seinen Zügen ab.
“Ja.” - erwiderte ich und lächelte sogar.
“Ich kann auch Dad bitten mit Danny zu Seelife zu fahren.” - schlug er vor.
“Nein. Es ist alles in Ordnung.” - beruhigte ich ihn und legte eine Hand auf seine Brust. “Ich werde es schon schaffen. Mach dir keine Sorgen.” - ich zog mich zu ihm hoch und küsste ihn auf die weichen Lippen. “Ich liebe dich.” - flüsterte ich ihm zu.
“Ich dich auch.” - noch ein letzter Kuss und er verließ das Haus.
Aus dem Küchenfenster beobachtete ich noch, wie Shane Danny auf den Rücksitz setzte, ihn anschnallte und die Tür verriegelte. Dann setzte er sich ans Steuer und fuhr vorsichtig aus der Einfahrt. Schwermütig blieb ich alleine zurück.
Nachdem ich das Frühstücksgeschirr im Spülbecken abgestellt hatte, lief ich zurück ins Schlafzimmer und zog mich an.
Für eine Sekunde hielt ich inne und ließ mich auf das Bett nieder. Mein Herz drohte aus meiner Brust zu platzen und ich schnappte gierig nach Luft.
Nach 7 Jahren meinte man, dass man ruhiger geworden war und das Schlimmste hinter sich hatte, aber dem war es nicht so. Denn es tat noch genauso weh, wie vor 7 Jahren und es fühlte sich genauso an. Tränen tropften aus meinen Augen auf die Decke und ich biss mir in die Unterlippe. Ich fragte mich jedes Jahr, wann es denn endlich der Schmerz vergeht oder wenigstens nachlässt, doch jedes Jahr kam er mit neuer Kraft und er schien auch an Kraft zu gewinnen.
Sieben Jahre war es schon her, dass Dean gegangen war und mich zurückließ. Alleine, von Zweifeln geplagt und von einem Schmerz zerfressen.
In diesen Jahren war so viel passiert und doch im nächsten Augenblick schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Ich war immer noch ich, obwohl ich jetzt erwachsener war. Hatte geheiratet und ein Kind zur Welt gebracht.
Doch es gab auch Sachen, die blieben.
Shane, der mir den Rücken stärkte. Der mich auch ohne Worte verstand. Der es akzeptierte, nicht der einzige Mann in meinem Leben zu sein und meine Liebe mit einem anderen zu teilen.
Schmerz, der besonders am heutigen Tag so stark war, wie vor sieben Jahren im Krankenhaus oder die Wochen danach, in denen ich nur weinen konnte und mir den Tod wünschte.
Ansonsten hatte es sich auch viel geändert.
Nach Deans Tod habe ich das Studium abgebrochen, weil es unser Traum war und ich wollte alles was mit ihm zutun hatte aus meinem Leben verbahnen, weil ich mir davon erhoffte, leichter damit umgehen zu können. Jetzt bereute ich ab und zu, dass ich mich zu diesem Schritt entschlossen hatte.
Wir sind aus New York in ein Vorort gezogen, weg von dem Trubel.
Ich möchte über Leben nicht klagen. Es war ein schönes Leben. Wir hatten ein kleines Haus mit Garten. Shane hatte sein Architekturbüro in New York und verdiente ganz gutes Geld. Ich war im Moment Zuhause mit Danny oder bei Katy in ihrer angesagten Modeboutique.
Doch es fehlte etwas. Manchmal stelle ich mir vor, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn Dean noch hier wäre. Wäre ich jetzt mit ihm verheiratet? Hätten wir Kinder?
Es soll jetzt nicht falschverstanden werden, ich liebe Shane und möchte ihn keine Minute meines Lebens missen, doch Dean war meine große Liebe und ich werde wahrscheinlich nie aufhören können ihn zu lieben.
Nun wusste ich selbst, dass es Shane gegenüber nicht fair war und mich plagten Schuldgefühle, aber meine Gefühle abstellen konnte ich nicht.
Mit meinem Handrücken wusch in meine Tränen weg und erhob mich. Ich öffnete die Tür der Kleiderschrankes und zog den großen Karton raus, der ganz hinter vor sich her staubte. Mit meiner Hand wusch ich den Staub weg und setzte mich auf den Boden. Ich öffnete vorsichtig den Karton und der Duft der Vergangenheit umgab mich. Der Inhalt war eher mager, doch es waren die Dinge, die ich nicht wegwerfen wollte und auch konnte. Deans Iphone, auf das ich bereits mehrer Nachrichten hinterlassen hatte, auch nachdem er tot war, seine Lederjacke und ein Brief mit meinem Namen als Empfänger beschriftet.
Das Handy ließ ich liegen und zog die Jacke raus, die ich an ihm immer so geliebt hatte. Ich drückte mein Gesicht in das Innenfutter und atmete den Duft ein. Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, Dean zu spüren und erneut verschleierten die Tränen meine Sicht. Ich zog mir die Jacke über und nahm den Brief, denn ich dann in die Innentasche stopfte.

Hinter mir schloss ich die Haustür ab und lief zu meinem Wagen, der an der Garagentür stand.
Nach etwa 30 Minuten erreichte ich den Friedhof. An der Friedhofsgärtnerei kaufte ich einen Strauß weißer Rosen und lief dann durch das Gusseisentor.
Als ich an einem weißen Marmorstein mit Deans Namen ankam, brach ich erneut in Tränen aus.
“Hey.” - begrüßte ich ihn mit brüchiger Stimme. Aus der Vase zog ich die bereits verwelkten Rosen raus und stellte die neuen rein. Der Winter in diesem Jahr verspätete sich etwas und so war das Wasser in der Vase noch nicht gefroren.
Für einen Moment hielt ich inne und sah auf den Schriftzug seines Namens. Ich hatte mir erhofft, dass es in diesem Jahr leichter für mich sein würde, doch meine Hoffnung war vergebens.
Mit einem riesigen Kloß in meinem Hals setzte ich mich auf die Bank, die Deans Grab gegenüber. Mit einer zittrigen Hand zog ich den Brief raus.


*Dean*

“Wie du weißt, bin ich in Briefeschreiben nicht so gut. Aber diesen letzten Brief muss ich dir einfach schreiben, damit du mich verstehst und mir vielleicht auch verzeihen kannst, nachdem du diese Zeilen gelesen hast.
Jetzt sitze ich hier über einem fast leeren Blatt und weiß gar nicht, wie und wo ich anfangen soll. Mir kommen die Tränen, wenn ich nur daran denke, alles zu Papier zu bringen, was im Moment in mir vorgeht.

Aber ganz von vorne. Ich habe Shane gebeten, dir diesen Brief zu geben, wenn ich nicht mehr da bin und du mich vergessen hast und jegliche Spur an die gemeinsame Vergangenheit verpufft ist. Du sollst nicht immer in der Vergangenheit schwelgen und ständig dir die Fragen stellen: “Was wäre, wenn …”. Denn wenn diese Frage dich ständig begleitet, wirst du es nie lernen glücklich zu sein. Und ich wünsche dir das doch so sehr.

Ich will, dass du weißt, dass ich nie eine andere Frau geliebt habe. Auch wenn ich wollte, könnte ich es nicht. Denn ich liebte immer nur dich und ich liebe dich auch jetzt. Ich liebte dich schon in der Highschool und es wird nie aufhören, weil du die wundervollste, die liebenswerteste, die traumhafteste Frau bist, die ich in meinem gesamten Leben je treffen durfte. Dafür, dass du so bist, liebe ich dich.

So gerne würde ich bis in die Ewigkeit bei dir sein, dich küssen, dich einfach nur umarmen. Aber das Schicksal hat es für mich entschieden. Und leider bleibt mir das Glück verwährt, gemeinsam mit dir alt zu werden.
Die Ärzte haben einen Gehirntumor bei mir diagnostiziert und mir bleiben nur 3 Monate. Dann … dann bin ich nicht mehr da. Aber ich möchte nicht, dass dein Lebensmut und deine Lebensfreude mit mir sterben. Ich will, dass du glücklich bist und deshalb musste ich dich verlassen. Ich kenne dich zu gut, um zu wissen, dass wenn ich bei dir geblieben wäre, du in ständigen Selbstzweifeln und Schuldgefühlen, für mich nicht genug getan zu haben, leben wirst und das möchte ich nicht verantworten. Du sollst Freude empfinden und dich auf die Zukunft freuen, mit einem Mann, der dich liebt und vielleicht ein paar kleinen hübschen Kindern. Doch dann leider ohne mich.

Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe, doch ich halte es für die beste Lösung für uns beide. Es tut mir auch leid, dass du so sehr leiden musstest und deine Tränen sind wie kleine dennoch schmerzhafte Stiche in mein Herz. Denk immer daran und weine nicht meinetwegen. Es tut mir auch leid, dass ich dich so enttäuscht habe und dass ich in der Zukunft nicht bei dir sein kann. Es tut mir alles einfach leid.
Ich hoffe, du verzeihst mir irgendwann.

Zum Schluss wünsche ich dir noch alles Gluck dieser Welt und denk immer daran, wo ich auch sein mag, denke ich an dich und ich liebe dich, wie am ersten Tag.

DEAN.”


*Elena”

Die letzten Zeilen diesen Briefes konnte ich gar nicht mehr lesen, weil ein Schleier aus Tränen über meinen Augen lag. Schwere Tropfen fielen auf das Papier und durchnässten es.
Diesen Brief hat mir Shane zwei Tage nach Deans Beerdigung überreicht, zusammen mit Deans Jacke und dem Handy, aber erst ein Jahr später wagte ich es, den Briefumschlag zu öffnen und den Inhalt zu lesen. Auch wie jetzt musste ich das Lesen mehrmals unterbrechen, um mich zu sammeln und die Tränen fortzuwischen. Es war genauso schlimm, wie am ersten Tag.
Ich tütete den Brief wieder ein und steckte ihn zurück in eine der Innentaschen. Dann erhob ich mich und trat noch mal an das Grab.
“Wo du auch sein mag, denke ich an dich und ich liebe dich, wie am ersten Tag.” - flüsterte ich und eine Schneeflocke landete auf meinen Wimpern, wie ein kleine Botschaft. Mit einem Lächeln zog ich den Reißverschluss der Jacke zu, versenkte die Arme in den Taschen und schritt davon, in mein jetziges Leben ohne Dean, um in einem Jahr noch mal zurückzukehren, um für einen Augenblick bei ihm zu sein.

Ende


*So Leute, jetzt ist auch diese Geschichte beendet, *schnief*. Ich hoffe, ihr hattet genauso viel Spaß beim Lesen, wie ich beim Schreiben. Geizt nicht mit den Kommentaren und bleibt mir treu. LG eure Raindrop.*






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