Mit dem letzten Atemzug - Teil 17

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 13.09.2012


*Dean*

Da ich in ständiger Angst lebte, eines Tages aus dem Schlaf nicht mehr aufzuwachen, habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht bis zum Morgengrauen vor der Glotze zu hängen und Bier zu trinken. Mich interessierte auch nicht sonderlich, welche Sendung lief, ich war ja eher in meinen eigenen Gedanken versunken.
Die Gefühle, die in letzter Zeit immer mehr Macht über mich ergriffen, kannte ich so gar nicht und eigentlich waren sie total paradox, doch ich konnte sie einfach nicht abschütteln.
In den letzten Wochen fing ich an meinen besten Freund zu hassen. Der Hass hing mit meiner Eifersucht zusammen, die immer wieder an mir nagte, wenn Shane sich abends schick machte und ausging. Er machte auch kein Geheimnis daraus, mit wem er gedachte den Abend zu verbringen und das bohrte sich immer wieder wie ein scharfes Messer in meine Haut.
“Ich gehe mit Elena aus.” - verriet er mir immer. “Aber wenn du was dagegen hast, kann ich auch hier bleiben und dir Gesellschaft leisten.” - schlug er daraufhin ständig vor.
“Ist schon gut. Es macht mir nichts aus.” - pflegte ich zu sagen, obwohl mein Inneres das Gegenteil schrie. Ich wollte nicht, dass er Zeit mit Elena verbrachte und sie über mich hinweg tröstete. Über kurz oder lang kam Elena nicht umher sich in Shane zu verlieben, dessen war ich mir ziemlich sicher.
Eigentlich hasste ich mich selbst dafür, dass ich ein solches Misstrauen Shane gegenüber entwickelt hatte, aber über meine Gefühle war ich nicht mehr Herr.
Vor allem, weil Shane in letzter Zeit auch so viel für mich da war. Er begleitete mich zu den Arztbesuchen, weil ich mittlerweile sehr geschwächt war und selbst nicht mehr Auto fahren konnte. Er hörte mich an und manchmal, wenn ich der Verzweiflung sehr nah war, durfte ich mich an seiner starken Schulter ausweinen. Eigentlich durfte ich Shane nicht hassen und hatte Schuldgefühle deswegen, doch ändern ließ es sich trotzdem nicht.
“Du bist ein Scheißfreund.” - schimpfe ich über mich selbst, als mir wieder die Gedanken kamen. Doch bevor mich meine Eifersucht auffressen konnte, flog die Wohnungstür auf und Shane stolperte rein.
“Hey.” - begrüßte ich ihn.
“Hi.” - er sah richtig zerstreut aus. Das Haar verwuschelt, das Gesicht gerötet und seine Augen huschten nervös in ihren Höhlen hin und her. “Du bist noch auf?” - fragte er und ich vernahm in seiner Stimme einen hohlen Ton.
“Ja, wie war der Film?” - natürlich erzählte Shane mir auch, dass er heute mit Elena ins Kino gehen wollte.
“Gut, gut.” - antwortete er daraufhin und fuhr sich fahrig durch das Haar. Er benahm sich eigenartig und das entging mir nicht. “Was hast du so gemacht?” - er schritt in die Küche und holte sich auch ein Bier, um dann neben mir Platz zu nehmen. Er roch nach Popcorn und nach Schnee.
“Fern gesehen.” - gab ich nur zurück.
“Aha.” - Shane nickte nur und sein Blick war auf den Fernseher gerichtet. Einige Momente saßen wir schweigend nebeneinander und hingen unseren Gedanken nach. “Ich bin echt platt und gehe schlafen.” - verkündete er mir dann und sprang auf. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass Shane sich in meiner Gegenwart nicht wohlfühlte.
“Gute Nacht.” - sagte ich und sah ihn aufmerksam an. In der Türschwelle zu seinem Zimmer blieb er stehen. “Ist was?” - wollte ich wissen, als er sich auch nach wenigen Sekunden nicht bewegte.
“Ja.” - meinte er und drehte sich zu mir um. Sein Gesichtsausdruck gequält und bei diesem Anblick setzte mein Herz einen Schlag aus. “Nein.” - verneinte er einige Momente später. “Ich bin ein Scheiß-Freund.” - mit diesen Worten floh er in sein Zimmer und ließ mich alleine.
Meine Fantasie nahm sofort ihre Arbeit auf. Bilder von Shane und Elena engumschlungen wurden vor meinem geistigen Auge abgespielt und das tat weh. Doch anders konnte ich mir seinen Satz nicht erklären.

In den nächsten Tagen mied es Shane nach Hause zu kommen, zuerst die Uni, dann die Arbeit bei seinen Eltern und wenn er dann zuhause war, verbarrikadierte er sich in seinem Zimmer und redete kaum ein Wort mit mir. Und so bekam ich auch nicht die Gelegenheit mit ihm zu sprechen. Jedoch entging es mir nicht, dass sein Handy des öfteren klingelte, er aber nicht abnahm. Anscheinend war ich nicht der Einzige, der Shane sprechen wollte, er es dennoch zu vermeiden wusste. Und diese Anrufe bestätigten nur meinen Verdacht, dass Shane und Elena was miteinander hatten und Shane jetzt ein schlechtes Gewissen hatte und den Kontakt zu Elena zu unterbinden versuchte. Und mein Verdacht sollte sich in den nächsten Tagen bestätigen.

Ich kam aus der Dusche und sah das rote Lämpchen auf unserem Anrufbeantworten ständig aufleuchten. Shane war unterwegs und ich drückte auf den Abspielknopf. Als die Ansage durchwar, spürte ich einen Druck auf der Brust, der mir die Luft zum Atmen nahm.
“Hi Shane.” - Elenas Stimme hörte sich gehetzt an. “Ich erreiche dich schon seit mehreren Tagen nicht und dabei muss ich dringend mit dir sprechen. Was da passiert ist, na ja, es tut mir leid.” - ich schnappte nach Luft.
“Dean.” - ich hatte gar nicht mitbekommen, wie die Wohnungstür aufging und Shane reinkam. “Ich denke, ich soll dir einiges erklären.” - murmelte er. Wütend wie ich war, entwickelte ich unmenschliche Kräfte. Mit schnellen Schritten schritt ich auf Shane zu und schlug ihm mit meiner neugewonnenen Kraft ins Gesicht.
“Du bist ein verdammter Heuchler.” - schimpfte ich wutentbrannt auf ihn runter. Durch den Schlag ging er zu Boden und seine Nase blutete. “Du hast die Situation ausgenutzt und dich an Elena rangemacht.” - beschuldigte ich ihn und atmete schwer.
“Es ist anders, als du denkst.” - versuchte er mir zu erklären und wusch sich mit dem Handrücken über das Gesicht und verschmierte dabei das Blut über die Wange. “Da war nichts zwischen uns.” - erklärte er mir und rappelte sich wieder hoch.
“Das hat sich gerade ganz anders angehört.” - warf ich ihm vor. Shane hob abwehrend die Hände, während ich auf ihn zuging und wieder ausholte. Doch diesmal wich er meiner Faust aus, was mich nur noch rasender machte.
“Es läuft nichts zwischen Elena und mir.” - verkündete er mir, doch ich glaubte ihm kein Wort. Das Blut rauschte mir in den Ohren und ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ich sah nur sein verhasstes Gesicht vor mir und ich hätte es gerne zu Hackfleisch verarbeitet, doch Shane war recht flink und so gingen meine Schläge immer wieder ins Leere.
“Du Bastard.” - warf ich ihn an den Kopf. “Du hast es nicht abwarten können, bis ich unter der Erde liege.” - Shane versuchte zwischen meinen Angriffen immer wieder was einzuwerfen, doch ich ließ ihn einfach nicht. “Na wie war das, die Frau eines todkranken Typen zu vögeln?” - ich wusste selbst nicht, was ich sagte, mein Gehirn war zu einer grauen Masse zusammengeschmolzen.
“Hör auf.” - mit einer geschickten Bewegung bekam er meinen Arm zu fassen und drehte ihn mir auf den Rücken, dann drückte er mich an die Wand im Flur. Ich biss die Zähne wütend zusammen und versuchte mich zu befreien, doch vergeblich.
Einige Momente vergingen, bis ich mich wieder im Griff hatte und mein Atem sich wieder normalisierte.
“Kann ich dich los lassen, ohne dass du uns die Bude auseinander nimmst?” - wollte Shane wissen, lockerte seinen Griff aber nicht. Ich nickte nur und einen Augenblick schien er darüber nachzudenken. Langsam ließ er meinen Arm los. Grob schob ich ihn von mir und rieb mir das schmerzende Handgelenk. Ich warf ihm einen zornigen Blick zu, doch die Kraft verließ mich langsam. “Jetzt hör mir mal zu.” - sagte Shane dann und wusch sich erneut mit dem Ärmel über das Gesicht. Das Blut topfte nach wie vor aus seiner Nase, was in mir ein Gefühl der Schadenfreude auslöste. “Es läuft nichts zwischen uns.” - wiederholte er und eher ich ihn unterbrechen konnte, fuhr er eilig fort. “Wir waren nur aus und nichts mehr.” - stellte er klar.
“Es hat sich aber nicht nach Nichts angehört.” - meinte ich und warf einen flüchtigen Blick in Richtung des Anrufbeantworters.
“Da gab es eine Situation zwischen uns.” - gab er zu und ich biss die Zähne zusammen. “Wir hätten uns beinahe geküsst.” - ich hätte ihn wieder schlagen können. “Aber wir haben es nicht getan.” - seine Augen verharrten auf mir. Er beobachtete jede meiner Bewegungen.
“Triffst du dich deshalb nicht mehr mit ihr und beantwortest auch ihre Telefonate nicht?” - wollte ich wissen.
“Nicht nur.” - gab er zu und fuhr sich durch das Gesicht. “Raste jetzt nicht aus, Mann.” - bat er mich und das war wirklich eine Bitte. Ich machte mich jetzt auf das Schlimmste gefasst.
Immer vom Schlimmsten ausgehen, dann wird es nicht so hart.
Doch bevor Shane sein Geständnis ablegen konnte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
“Du liebst sie.” - an seiner Reaktion sah ich, dass ich gerade einen Volltreffen gelandet hatte.
“Ja. Scheiße. Ja.” - gab er zu und schlug mit der Faust in die Wand, hinterließ dabei eine Delle. “Ich wollte das nicht. Ehrlich.” - erneut fuhr er sich über das Gesicht. “Es ist dann eben passiert. Sie ist so wundervoll und so …” - er fand keine Wort, um Elena zu beschreiben. “Aber du weißt es ja selbst.” - er lächelte mich müde an.
“Ja, ich weiß.” - konnte ich dazu nur sagen. Ich lehnte mich an die Wand und warf den Kopf in den Nacken.
Ich konnte ihm jetzt nicht mehr böse sein, denn ich wusste selbst, wie Elena war und wie schnell sie Menschen für sich gewinnen konnte, mit ihrer Art.
“Es tut mir leid.” - hörte ich Shane sagen. “Es war nicht meine Absicht, mich in Elena zu verlieben. Ich wollte einfach als Freund für sie da sein und sie unterstützen.” - erklärte er mir. “Ich bin echt ein mieser Freund.”
“Nein, das bist du nicht.” - stritt ich ab. “Es ist alles meine Schuld.” - gab ich zu und sah Shane an, der neben mir stand und sich ebenfalls an die kalte kahle Wand gelehnt hatte. “Ich hätte ihr die Wahrheit sagen sollen, dann wäre alles anders.”
“Du kannst es immer noch.” - Shane sah mich voller Elan an. “Geh zu ihr, sag ihr die Wahrheit, dann habt ihr noch ein paar Tagen, Wochen oder vielleicht auch Monate für euch.” - vor der Seite sah ich ihn an.
“Vielleicht sollte ich es tun.” - ich war mir immer noch nicht sicher, ob diese Entscheidung jetzt die richtige war.
“Nicht vielleicht.” - Shane drückte mir meine Lederjacke in die Hand. “Geh sofort.”
“Und was ist mit dir?” - fragte ich, als ich mir die Jacke überzog.
“Ich werde damit schon fertig.” - log er. “Die Rolle des unglücklich Verliebten zieht bestimmt viele Frauen an.” - er lächelte mich an und ich kam nicht umher, um das Gleiche zu tun. “Sie liebt dich, Dean und du liebst sie. Das ist das Wichtigste.” - brüderlich legte er mir eine Hand auf die Schulter.
“Du bist der beste Freund.” - meinte ich nur und umarmte ihn.
“Geh, bevor ich hier in Tränen ausbreche.” - scherzte er und wusch sich die imaginären Tränen aus den Augen. Ich lächelte wieder.
“Ich bin dann weg.” - verkündete ich und lief durch die Tür raus, dann die Treppe runter und auf die Straße.
Seit einigen Wochen hatte ich die Wohnung nicht mehr verlassen und atmete die frische Luft tief ein. Sie brannte mir in den Lungen, doch das tat gut.
Schnellen Schrittes lief ich durch die Straßen und schon sah ich ihr Wohnhaus. Nur noch die Straße überqueren und da wäre ich schon bei ihr.
Der Schmerz kam unerwartet. Er fing an der rechten Schläfe an und breitete sich rasant am ganzen Kopf aus. Mir wurde es schwarz vor den Augen und ich blieb stehen. Um nicht zu stürzen, umklammerte ich einen Laternenmast. Mein Blick auf die Haustür gerichtet. Noch ein paar Schritte, doch meine Beine fühlten sich schwer wie Blei an.
Ich musste zu ihr. Ein Schritt und ich fiel auf den Bürgersteig. Mein Blick verschleiert.
“Elena.” - flüsterte ich und streckte meinen Arm aus.
Nein, nicht jetzt. Ich musste ihr doch noch sagen, wie sehr ich sie liebte.
Ich versuchte wieder auf die Beine zu kommen, doch mein Vorhaben scheiterte. Mein Gesicht vergrub sich im kalten nassen Schnee.
Kälte …
Wärme …
Dunkelheit …
ELENA … .

Fortsetzung folgt ...





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