Mit dem letzten Atemzug - Teil 16

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 11.09.2012


*Elena*

Die Tage vergingen und eher ich mich versah, brach der Winter ein. Der Dezember kündigte sich mit einem Schneesturm an, der die grauen und trostlosen Straßen von New York in eine weiße Decke hüllte.
Ich saß am Fenster in meinem Wohnzimmer, in eine Wolldecke gekuschelt und mit einem heißen Kakao in meinen Händen. Die letzten Wochen waren mehr als turbulent für mich gewesen und langsam fädelte ich mich wieder in meinen Alltag ein. Ich besuchte wieder die Uni und ging aus. Wobei das letztere ich schon bald einschränken musste, weil meine Freunde und Bekannte dachte mich ständig an Dean und unserer Trennung erinnern zu müssen, um sich dann als gute Freunde zu erweisen und mich zu trösten. Also blieben mir nach einer gründlichen Auslese nur Katy und Shane. Bei ihnen konnte ich ich sein und musste sie nicht ständig davon überzeugen, dass es mir gut ging. Ich konnte lachen, wenn ich es wollte und auch in Tränen ausbrechen, wenn mich meine Traurigkeit wieder mal übermannte.
In letzter Zeit allerdings fand Katy nicht mehr so viel Zeit fürs Ausgehen, weil ihr Modegeschäft boomte und sie alle Hände voll zutun hatte. Ich war ihr auch nicht böse. Dieses Geschäft war ihr Traum und auch ihre Existenz.
Shane dagegen hatte immer Zeit. Da er bei seinen Eltern nach der Uni arbeitete, konnte er sich seine Zeit so aufteilen, wie er wollte. Er legte sich auch richtig ins Zeug, um bloß keine traurigen Gedanken aufkommen zu lassen und war alle 24 Stunden für mich erreichbar. Dafür war ich ihm unglaublich dankbar.
Sogar jetzt musste ich lachen, als ich an Shane denken musste. Er war ein toller Freund.
Doch auch er konnte mich von meinen traurigen Gedanken nicht abbringen, wenn die Nacht einbrach und ich alleine in meinem Bett lag. Die Ausgelassenheit, die ich an den Tag gelegt hatte, verklang und es blieben nur die Erinnerungen. An Dean, an die Große Liebe, an die Verzweiflung, und wenn ich daran dachte, kamen die Tränen.
Es war nicht so, dass ich Dean nicht mehr liebte. Die Liebe war noch nach wie vor da, aber ich verurteilte ihn. Er hatte mir das Herz gebrochen und vor einigen Wochen hatte er mich angerufen, um mir nur zu sagen, dass er New York verlässt, für immer. Gehässig hatte ich ihm gute Reise gewünscht und als ich aufgelegt hatte, brach ich zusammen. Er war weg und ich wusste nicht mal, wo er war. Ich würde jetzt lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir egal war. Aber mein Leben musste weitergehen, auch ohne ihm.
Ich seufzte traurig und nippte an meinem Kakao, der schon langsam kalt wurde. Bevor mich meine Traurigkeit samt Haut und Knochen verschlingen konnte, klingelte es an meiner Wohnungstür. Etwas überrascht, sah ich auf die Uhr. Es war bereits nach 22:00 Uhr und ich hatte gar keinen Besuch erwartet.
Ich warf die warme Decke bei Seite und schritt zur Tür.
“Hi.” - Katy stand vor mir und weinte.
“Was ist los?” - fragte ich sofort ohne ein Wort der Begrüßung.
“Clover.” - Tränen liefen über ihr Gesicht, die sie mit einem weißen Taschentuch abtupfte. “Wir haben und gestritten.”
“Ach Süße.” - ich legte meine Arme um sie und zog sie an mich. Ihr schmalen Schultern zitterten, als sie sich an meiner Schulter ausweinte. “Komm rein.” - ich führte sie in das Innere meiner Wohnung und setzte sie auf die Couch. “Was ist denn passiert?” - fragte ich und nahm neben ihr Platz. Sie sah mich aus den verweinten Augen an. Aber auch mit einer triefenden Nase und geröteten Augen sah sie so wunderschön aus, musste ich etwas neidisch feststellen.
“Du weißt, dass ich in letzter Zeit so viel arbeite.” - dazu nickte ich bloß. “Sie hat sich halt beschwert, dass ich so wenig Zeit für sie habe.” - erneut erbebte ihr schmaler Körper in einem Weinkrampf.
“Das wird schon wieder.” - versuchte ich sie aufzumuntern. “Sie wird sich schon einkriegen und angekrochen kommen.”
“Ich hoffe, du hast Recht.” - sie schnäuzte sich. “Und wenn nicht, dann reicht es mir mit dem weiblichen Geschlecht.” - meinte sie verärgert. “Dann steige ich auf Männer um.” - verkündete sie und bekräftigte ihre Entscheidung mit einem energischen Kopfnicken.
“Glaube nicht, dass das einfacher ist.” - gab ich ihr zu bedenken. “Aber wenn du umsiedeln möchtest, dann kann ich dir Shane wärmstens ans Herz legen.”
“Na ja, da habe ich keine Chance. Mehr.” - sie sah mich vielsagend an.
“Bei deinem Aussehen.” - wunderte ich mich über den unsicheren Ton in ihrer Stimme.
“Ich denke mal, Shane ist nicht mehr zu haben.” - die Zweideutigkeit in ihrer Stimme war zwar unverkennbar, doch zuordnen konnte ich diese nicht.
“Nein, er ist Single.” - meinte ich dann nur. “Ich bin in letzter Zeit viel mit ihm unterwegs und weiß das ganz genau.” - versicherte ich ihr.
“Das meinte ich ja auch.” - bestätigte sie mich und ich sah sie irritiert an. Im nächsten Augenblick schlug sie mir mit ihrer flachen Hand auf die Stirn. “Ist das Ding da drin überhaupt an?” - erkundigte sie sich, während ich noch immer recht verwirrt und verärgert die schmerzende Stelle an meiner Kopf rieb. “Sag bloß, du hast es nicht mitbekommen?” - fragte sie.
“Was nicht mitbekommen?” - jetzt hatte sie mich neugierig gemacht.
“Na, Shanes Verhalten.” - sie sprach in Rätseln, zumindest kam es mir so vor, für sie dagegen war ihr Gerede nachvollziehbar. “Elena, er ist verliebt in dich.” - klärte sie mich auf und ich machte zuerst große Augen, dann ein nachdenkliches Gesicht und schließlich brach ich im Gelächter aus.
“Das ist doch absurd.” - teilte ich ihr mit.
“Ach findest du? Er verbringt jede freie Minute mit dir.” - zählte sie auf. “Er hatte seit mehreren Wochen kein einziges Date mehr. Keine Bettgeschichten, obwohl er früher ständig damit angegeben hat.” - fragend sah sie mich an.
“Erstens, wir sind Freunde und da verbringt man halt Zeit miteinander. Zweitens weiß du gar nicht, ob er Verabredungen hat oder nicht.” - herausfordernd sah ich sie an.
“Wann soll er sich mit jemandem treffen, wenn ihr ständig zusammen abhängt?” - gab sie zu verstehen. “Außerdem springt er sofort, wenn du nur anrufst.”
Für einen kurzen Augenblick musste ich über ihre Worte nachdenken.
“Ach Quatsch.” - tat ich ihre Vermutungen mit einer wegwerfenden Bewegung ab. “Wir sind nur Freunde.” - stellte ich klar.
“Er ist in dich verliebt, glaub es mir doch.” - versicherte sie mir.

Auch am nächsten Tag musste ich die ganze Zeit darüber nachdenken, was Katy mir gesagt hatte. Shane war in mich verliebt? Ich konnte nicht daran glauben und doch ließ es mich nicht los.
“Blöde Katy.” - schimpfte ich, weil ich so mit diesem abwegigen Gedanken beschäftigt war, dass ich mich auf gar nichts anderes konzentrieren konnte.
Zum fünften Mal nahm ich den Kugelschreiber in die Hand und versuchte mich erneut an der Arbeit, die ich bereits nächste Woche abgeben musste, bis jetzt jedoch lediglich einen kurzen Satz zu Papier bringen konnte, der die Überschrift beinhaltete. Und wieder gab mein Kopf nichts her. “Blöd, blöd, blöd.” - verzweifelt warf ich den Stift auf den Boden und zerknüllte das Blatt Papier, um es in den Abfallkorb zu befördern.
Nachdenklich trommelte ich mit den Fingern auf die Tischplatte ein, mit meinen Gedanken ganz weit weg.
Seitdem Dean mich verlassen hatte, hatte ich keinen anderen Mann auch nur angesehen und bei Shane war es mir scheinbar komplett entgangen, dass er dem männlichen Geschlecht angehörte und eventuell Gefühle für mich entwickeln könnte.
War ich wirklich blind oder war Katy es, die schnellstmöglich dem Optiker einen Besuch abstatten sollte? Aber desto länger ich darüber nachdachte, desto bewusste wurde mir, dass ich es auch nicht mitbekommen hatte, dass Dean in mich verliebt war.
War Shane wirklich in mich verliebt? Wenn es tatsächlich so war, dass musste ich mir überlegen, wie ich damit umgehen sollte. Einerseits schmeichelte es mir, immerhin war Shane ein sehr hübscher Mann und Humor hatte er auch. Er hatte eine tollen Still und seine Eltern waren durchaus liebenswürdig. Andererseits… Zu andererseits fiel mir jetzt aber nichts ein. Es gab nichts negatives an Shane, aber an mir. Ich liebte Dean nach wie vor und ich wollte niemanden verletzten, in dem ich ihm Gefühle vorheuchelte. Besonders Shane nicht.
Durch das Klingeln meines Telefons wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.
“Hallo.” - sagte ich in die Sprechmuschel.
“Hi, Elena.” - Shanes Stimme klang energiegeladen und wie immer fröhlich. “Was machst du?” - wollte er wissen.
“Nichts besonderes. Ich versuche gerade meine Arbeit fertig zu stellen.” - antwortete ich und mein Herz hämmerte wie wild in meiner Brust. Warum auch immer.
“Heute ist im Kino der “Der Pate“-Marathon. Hast du Lust mit mir dorthin zu gehen?” - wollte er wissen. Jedes seiner Worte warf ich jetzt in die Waagschale und versuchte eventuell eine Zweideutigkeit in seinen Sätzen herauszuhören. Doch da war nichts. Wir waren schön öfters zu zweit im Kino, als Freunde.
“Aber klar.” - willigte ich schließlich ein und verfluchte Katy dafür, dass sie mir diesen Floh ins Ohr gesetzt hatte. Da war nichts, außer Freundschaft. “Wann fängt er an?” - wollte ich noch wissen.
“Also in einer Stunde hole ich dich ab.” - meinte Shane.
“Super.” - entgegnete ich nur und verabschiedete mich.
Während ich mich für meine Verabredung mit Shane fertigmachte, fielen mir jedoch ein paar seltsame Dinge auf. Ich brauchte mehr Zeit für die Auswahl meiner Kleider und achtete mehr auf mein Make-up. Wollte ich Shane etwa gefallen?
“Blöde Katy.” - entfloh es mir unfreiwillig und ich wusch mir die ganze Schminke, für die ich jetzt 20 Minuten gebraucht hatte aus dem Gesicht. Ich machte mich hier zu Affen und ganz verrückt.
Schon klingelte es an der Tür und ich musste erschrocken feststellen, dass meine Handflächen ganz schwitzig wurden und mein Herz ganz schnell schlug.

Irgendwie war alles anders und zum x-tem Mal gab ich Katy dafür die Schuld. Hätte sie ihre Vermutung nicht für sich behalten können? Jedes Mal wenn Shane etwas sagte und machte, sah ich zweimal hin. Aber er benahm sich wie immer, nur mein Verhalten war affig, was auch Shane nicht entging.
“Was ist denn los heute mit dir?” - wollte er wissen, als der erste Teil des Films vorbei war und von den Veranstaltern eine fünfzehnminütige Pause eingelegt worden war.
“Mit mir?” - fragte ich und meine Stimme klang unnatürlich hohl. “Nichts, alles bestens.” - ich versuchte es mit einem Lächeln.
“Du bist heute irgendwie anders.” - Shane sah mich vor der Seite an und schob sich eine Hand voll Popcorn in den Mund.
“Wie anders?” - erneut dieser nervige hohe Ton in meiner Stimme.
“Irgendwie beklommen.” - sagte Shane kauend. “Ist was nicht in Ordnung?”
“Alles okay.” - echote ich. “Ich muss nur die ganze Zeit an meine ungeschriebene Arbeit denken.” - log ich und aus Shanes Blick konnte ich nicht herauslesen, ob ihm diese Ausrede ausreichte oder nicht, ebenfalls sagte er nichts mehr dazu.

Gegen 03:00 Uhr morgens war die Vorstellung dann auch vorbei und wir machten uns auf dem Weg nach Hause. Die Kommunikation stockte und ich wusste einfach nicht, worüber ich mit Shane reden soll.
“Der Film war ja Bombe.” - Shanes Stimme holte mich aus meinen Gedanken.
“Ja, das war er.” - gab ich zurück.
“Aber jeder Film, den wir zusammen anschauen ist toll.” - sagte er dann plötzlich und ich fiel aus allen Wolken. “Aber vielleicht liegt es nicht an den Filmen, sondern an der Gesellschaft.” - verstohlen sah ich ihn an. War das jetzt eine Anspielung? “Ich meine, ich bin ein toller Gesellschafter.” - sagte er dann und ich konnte nicht anders, als im Gelächter auszubrechen.
“Vor allem mangelt es dir an Selbstbewusstsein nicht.” - brach ich unter Lachen hervor.
“Das mögen die Frauen ja so an mir.” - fuhr er fort und ich wusch meine Tränen weg.
Katys Hirngespinste hatten mich ganz verunsichert, doch Shane war nur ein guter Freund und mehr nicht. Ich hatte aufgehört zu zählen, zum wievielten Mann ich am heutigen Tag versuchte, mir das einzureden.
“Übrigens.” - sagte ich und ging jetzt rückwärts vor Shane her. “Ich danke dir.”
“Wofür?” - wollte er mit zusammengezogenen Augenbrauen wissen.
“Dafür, dass du die ganze Zeit für mich da warst und bist.” - meinte ich und er lächelte.
“Dafür sind doch Freunde da.”
In nächsten Augenblick rutschte ich auf dem vereisten Bürgersteig aus und nur Shane starke Arme hielten mich davon ab, dem Asphalt einen dicken Schmatzer zu verpassen. Mein Kopf landete auf seiner Brust und ich hörte sein Herz schnell schlagen, noch schneller als mein Herz in meiner Brust flatterte. Eine warme Welle rollte über meinen gesamten Körper und meine Eingeweide zog sich zusammen. Vorsichtig hob ich mein Gesicht und unsere Augen trafen sich. In dem schwachen Licht der Straßenlaterne sahen wir uns an und ich spürte seinen warmen Atem in meinem Gesicht. Mit einer Hand strich Shane mir eine unbändige Haarsträhne aus dem Gesicht und seine Berührung ließ mein Gesicht erglühen. Seine Lippen waren meinen so nah.

Fortsetzung folgt ...





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