Mit dem letzten Atemzug - Teil 10

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 22.08.2012


*Dean*

Bei einem kühlen Bier in unserem Wohnzimmer redeten Shane und ich die ganze Nacht. Endlich war jemand da, dem ich meine Sorgen und meine Angst anvertrauen konnte.
Ohne mich zu unterbrechen hörte Shane mich an.
“Das ist krass.” - meinte er als ich zum Ende kam und schnaubte nur.
Ich nahm einen Schluck aus meiner Flasche und nickte.
“Aber ich verstehe immer noch nicht, warum du Elena anlügen musstest.” - sagte er und sah mich fragend an.
“Das ist so besser für sie. Sie ist nicht stark genug um diesen Weg mit mir zu gehen und meinen Tod schlussendlich zu verkraften.” - erklärte ich. “Sie wird daran zerbrechen und wird sich an die Vergangenheit klammern. Ich werde sterben, doch sie soll weiterleben, glücklich sein und nicht mit mir zugrunde gehen. Das kann ich ihr nicht antun.” - fuhr ich fort und kratzte das Etikett von der Flasche ab.
“Das ist doch verrückt.” - Shane schien meine Theorie nicht zu teilen. “Elena könnte dir Kraft geben für die Zeit, die …” - mitten im Satz brach er ab und sah schuldig an. “Du weißt schon.” - wagte er es nicht, seinen Satz zu beenden. Das konnte ich ihm auch nicht verübeln, ich selbst mied es ebenfalls darüber zu sprechen oder zu denken. Obwohl mich diese Gedanken jede Nacht angriffen, wie eine Schwarm hungriger Assgeier.
“Es ist besser so.” - versuchte ich, doch ich wusste in diesem Moment nicht, ob ich ihn von meinem Beschluss überzeugen wollte, oder mich selbst.
Mein, mir so richtig vorkommender Plan, wies jedoch einige Makel auf. Zum ersten wollte ich bei Elena sein und das nicht zu können, bereitete mir körperliche und seelische Schmerzen. Zum zweiten musste ich sie noch davon überzeugen, dass ich tatsächlich für sie keine Gefühle hatte und einer anderen verfiel. Das letztere wird nicht so einfach sein, denn ich wollte nur eine und zwar Elena.
“Wie sieht es denn mit einer Chemotherapie oder mit anderen Behandlungsmethoden aus?” - holte mich Shanes Stimme aus meinen düsteren Gedanken raus. Konfus sah ich ihn an. “Ich meine, in unserer Zeit kann man doch gegen jede Krankheit etwas ausrichten.” - erklärte er und zuckte mit den Schultern.
“Die Chemotherapie ist bei diesem Grad des Tumors so gut wie nutzlos und würde das Ganze nur einige Tage oder Wochen hinauszögern und eine Operation bring auch nicht viel, da der Tumor bereits gestreut hat.” - erklärte ich ihm.
“Scheiße.” - fluchte er. “Aber man muss da was machen können?” - Shane schien sich mit meinem baldigen Ableben nicht abgefunden zu haben.
“Da gib es nichts.” - schüttelte ich bloß mit dem Kopf. “Ich bekomme einige Schmerzmittel gegen Schmerzen und das ist alles.” - sagte ich dazu. Shane rieb sich mit einer Hand über das Gesicht.
“Das ist doch scheiße!” - schimpfte er und sprang auf. “Ich verstehe das nicht.” - sagte er dann und trat gegen den Couchtisch. Seine Machtlosigkeit machte mich ganz traurig, denn ich wusste ganz genau wie er sich fühlte. Das gleiche Gefühl hatte ich im Krankenhaus, als Dr. Morrey mir die Hiobsbotschaft übermittelt hatte. Ein Gefühl aus Wut, Verzweiflung schlussendlich Trauer.
“Drei Monate?” - fragte er mich und ich nickte. “Also ich wäre bereit.” - meinte er dann und sah mich herausfordernd an.
“Wofür?” - fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
“Na, alles zu machen, worauf du Lust hast.” - sagte er und ich musste unfreiwillig lächeln. “Willst du vielleicht nach Europa oder Australien. Wir könnten auch eine Weltreise machen oder …” - meinte er und hob seinen Zeigefinger in die Höhe. Verwirrt schaute ich an die Decke.
“Die Decke streichen?” - fragte ich, als von ihm nichts kam.
“Nein, zum Mond fliegen.” - sagte er dann. “Aber wenn du die Decke streichen möchtest, bin ich auch dabei.” - fügte er dann hinzu, voller Tatendrang.
“Eine Mondreise können wir uns nicht leisten und die Decke möchte ich nicht streichen.” - meinte ich dann und musste über meinen besten Freund lächeln. “Eigentlich will ich einfach nur in mein Bett.” - sagte ich dann und erhob mich. Ein Gähnen übermannte mich und ich streckte meine eingeschlafenen Glieder. Mir war überhaupt nicht bewusst, wie müde mich die ganze Sache gemacht hatte. “Gute Nacht.” - sagte ich zu Shane.
“Aber morgen machen wir was?” - fragte er mich, als ich an ihn vorbeiging.
“Vielleicht.” - antwortete ich nur unentschlossen. `Wenn ich morgen noch lebe` - dachte ich, sprach es aber nicht aus.
“Überleg nicht so lange.” - rief er mir noch hinterher, als ich in meinem Zimmer verschwand.

In meinem Zimmer angekommen, musste ich noch immer über Shanes absurde Idee, zum Mond fliegen, lächeln.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und legte meine Arme verschränkt unter meinen Kopf. Für einen Moment hatte mich Shanes irrwitziger Einfall meine Sorgen vergessen lassen, doch hier im Dunkeln meines Zimmers überrolle sich mich mit all ihrer Wucht.
Ich würde bald sterben. Langsam musste ich diesen Gedanken zulassen und lernen damit zu leben oder wenigstens diesen akzeptieren. Ein trauriger Seufzer entfloh mir und ich drehte mich auf die Seite.
Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Immerhin musste ich jeden Tag damit rechnen zu sterben. Wie soll ich mit dieser Erkenntnis überhaupt jeden Morgen aufstehen?
Dr. Morrey hatte mich auch darauf eingestellt, dass ich womöglich mit starken Schmerzen, Gedächtnislücken und auch Muskelschwund zu rechnen hatte. Bei diesem Gedanken an seine Worte überlegte ich kurz, ob ich mir nicht lieber sofort die Kugel geben sollte. Doch von eine Suizid, der eventuell mißlingen könnte, hatte ich noch mehr Angst, als von dem was mich in den nächsten Monaten erwartete. Vielleicht würde ich eines Tages nicht mehr aufwachen und dann wäre alles vorbei.
Dr. Morrey riet mir zu einer Operation und einer darauf folgenden Chemotherapie, doch nachdem er mich über die Nachteile aufgeklärt und mir eine sehr geringe bis keine Heilungschance eingeräumt hatte, lehnte ich es ab. Noch mehr Schmerzen und zerstörte Hoffnungen konnte ich nicht ertragen.
In den nächsten Tagen würde ich einfach versuchen, damit klarzukommen.
`Drei Monate.` - dachte ich. In drei Monaten war Dezember und mein Geburtstag, den ich groß feiern wollte. Man wird ja nur einmal im Leben 25.
`Vielleicht wird mein Geburtstag auch gleichzeitig zu meinem Todestag.` - sagte eine kleine Stimme in meinem Kopf.
`Für Galgenhumor war jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.` - antwortete ich und fing an zu weinen.


*Elena*

Es waren bereits zwei Wochen seit dem Tag vergangen, an dem ich vor Deans Wohnungstür ihm angefleht hatte, mit mir zu sprechen. Immer noch hoffte ich inständig, dass er sich melden würde und so wurde das Handy zu meinem ständigen Begleiter. Ständig lud ich das Akku auf und starrte jede Sekunde auf das Display, Doch Dean meldete sich nicht.
Die ganze Sache war einfach zu viel für mich.
Mit zittriger Hand strich ich mein strähniges Haar zurück und wusch mir die Tränen weg. Wieder keine Nachricht oder Anruf von ihm. Ich ließ das Handy auf mein Bett fallen und starrte es an. Ich flehte es an, endlich einen Ton von sich zu geben, doch es geschah nichts.
Seit Tagen habe ich nicht mehr gegessen, mich geduscht oder die Wohnung verlassen. Katy stand mehrmals am Tag an meiner Tür und bat mich, einen Lebenszeichen von mir zu geben, doch dafür war ich nicht bereit. Ich wollte alleine sein mit meiner Hoffnung.
War es denn zu viel verlangt? Ich wollte nur eine Erklärung, ein letztes klärendes Gespräch. War das so unmöglich? War es Dean so unangenehm, dass er mir nicht mal unter die Augen treten konnte? Mit einer Aussprache konnte ich es endlich abschließen und vielleicht weitermachen. Aber konnte ich ohne Dean weitermachen?
Seit Jahren war er die einzige Person in meinem Leben, die mir Halt gab und der ich vertraute. Jetzt war es vorbei und ich war schrecklich allein, wie damals als ich 6 Jahre alt war und meine Eltern tot waren. Keiner war da um mich aufzufangen. Keiner war bereits mich bei sich aufzunehmen und mir einer Schulter zum Ausweinen zu geben. Jetzt gab es diese Leute. Katy, die sich schreckliche Sorgen machte und mich ständig anrief und an meine Tür klopfte. Shane, der auch versuchte mich zu erreichen und bereits mehrere Nachrichten auf meinem Anrufbeantworter und auf meiner Mailbox hinterlassen hatte. Ein Paar Leute von der Uni fragten an, warum ich zu keiner Vorlesung mehr erscheine. Ihnen allen war es nicht egal, wie es mir ging. Nur Dean interessierte es nicht. Ihm war es egal, wie es mir ging und wie ich mich fühlte, sonst hätte er sich gemeldet.
“Du mieses Arschloch!” - schrie ich mein Handy an. “Verrecken sollst du!” - brüllte ich weiter das unschuldige Gerät an. “Ich hasse dich! Ich hasse dich, DEAN FOSTER!!!” - kreischte ich und war das Handy gegen die Wand. Kraftlos saß ich jetzt auf meinem Bett und atmete schwer. Mein Leben musste weiter gehen auch ohne dieses rücksichtlose Arschloch, der meinem Flehen keine Beachtung schenkte und mich links liegen ließ, weil er sich eine Neue angeschafft hatte. Soll er doch? Was er kann, kann ich schon lange.
Mit neuer Kraft sprang ich aus dem Bett und ging ausgiebig duschen. Danach fühlte ich mich schon besser. Ich putzte mich noch die Zähne und zog mir saubere Kleider an. Nach einer ausgiebigen Mahlzeit aus Eierkuchen, Omelette und bebratenem Speck nahm ich mein Telefon in der Hand und überlegte kurz, wem ich anrufen sollte. Doch nachdem ich einen Blick auf die Uhr geworfen hatte, legte ich das Telefon auf den Couchtisch. Es war halb zwölf in der Nacht und heute war Dienstag. Also beschloss ich meine Pläne auf Morgen zu verschieben und beschloss ins Bett zu gehen, da ich auch seit zwei Wochen nicht mehr richtig geschlafen hatte.
Doch Morpheus ließ mich im Stich. Geschlagene Stunde drehte und wendete ich mich in den Federn und fand keine Ruhe. Seufzend drehte ich mich auf den Rücken und zog die Decke bis zum Kinn hoch. Das wird wohl nichts. Schnell warf ich die Decke bei Seite und stampfte ins Bad. Irgendwo im Schrank hatte ich da noch Schlaftabletten.
Mit der Packung und einem Glas Wasser lief ich zurück in meine Schlafzimmer. Erstmal machte ich es mir im Bett gemütlich und schüttelte dann die Packung.
“Scheiße.” - schimpfte ich leise vor mich hin, als mehrere Tabletten auf einmal aus der Packung fielen und sich in meiner Bettdecke verloren. “Egal.” - sagte ich dann nur gleichgültig und nahm eine der noch verbliebenen Pillen in den Mund und trank ein Glas Wasser. Dann legte ich mich zurück in die Kissen und wartete auf Morpheus` Kuss. Nach wenigen Minuten versank ich im Reich der Träume.

Fortsetzung folgt ...





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