Died Again

Autor: Noa
veröffentlicht am: 10.07.2012


Kapitel 1 – Das Ende


Das Rauschen war schon von weitem zu hören. Derselbe Lufthauch wie jedes Mal. Der Himmel war in ein buntes Farbmuster getunkt aus rot und orange Linien. Die Sonne war nur noch zum Teil zu sehen und versank immer weiter am Rand des Meeres. Es roch nach einer frischen Salzbrise und durch die Luftfeuchtigkeit weichte der Boden auf.
Kayleigh war ein Mädchen aus Irland, bereiste jedoch seit ihre Seele ewiges Leben erhielt, die ganze Welt. Das Problem war nur, das Kayleigh schon mehrmals achtzehn geworden war und niemals älter wurde. Ihr Körper war mehr als achthundert Jahre alt, sie hatte alle Zeitalter durchlebt und kannte die Welt wie kein anderer. An ihre erste Geburt konnte sie sich nicht mehr erinnern, da bei jedem Tod ihr Gedächtnis gelöscht wurde. Nur ein kleiner Augenblick blieb zurück und das wäre dieser Moment. Der einzige Abschnitt aus ihrem Leben, sobald sie die Klippe hinunter gesprungen war, bohrte sich in ihren Kopf ein. Nach jedem achtzehnten Lebensjahr kehrte Kayleigh hierher zurück und sprang die Klippe hinunter. Sich das Leben zu nehmen brauchte sehr viel Mut und Überwindung, aber wenn sie es nicht tat, würde sie für immer zu Staub zerfallen und ihren unendlichen Fluch niemals brechen können, um eines Tages einmal alt zu werden. Das war Kayleighs größter Wunsch. Alt werden und friedlich sterben. Ihre Frage basierte immer nur auf derselben: Wie alt würde ich nun werden, wenn ich wieder auferstehe?
Kayleighs Fluch war widerwärtig, absurd und unvorstellbar schmerzhaft. Alle Freunde die sie gefunden hatte in ihrem Leben mussten früher oder später merken, dass sie nicht mehr existierte. Niemand durfte ihr aus der Vergangenheit begegnen, deswegen all die verschiedenen Reisen in die weitesten Länder. Ihre erlernten Talente, wie Sprache, Allgemeinwissen, Schreiben, Lesen und viele andere Dinge blieben zurück. Mit diesen Fähigkeiten musste sie sich zurückhalten, falls ihr Körper sich in eine Elfjährige verwandeln würde, die das Wissen eines Erwachsenen besaß. Meistens wird sie als Waisenkind aufwachsen, da ihre Eltern längst tot waren. Mit wenig Glück adoptierte jemand solch ein Kind und andernfalls wuchs sie dort auf. Das Zeichen für den Tod machte sich auf ihrem Rücken durch fünf verschiedene Symbole aufmerksam. Jedes Mal entsteht der Kreis des Lebens. Es begann mit einem Blütenkopf einer Rose, anschließend folgte ein Dreieck, das der Kopf umschloss. Das dritte Symbol stellte einen Menschenkörper da, der sich unter der Rose abzeichnete. Die beiden letzten bildeten einen Kreis, der alle drei umfasste und die Ecken des Dreiecks berührte. Wenn das fünfte Symbol sich abzeichnete, hatte Kayleigh einen Tag Zeit sich dem Meer zu opfern, bevor ihr Körper für immer zu Staub zerfiel.
Kayleigh stellte sich an den Rand der Klippe und ihre Augen beobachteten die Wellen, die an die Felsen prallten. Das Wasser sog ihren Körper nach unten, sobald er hinein tauchte. Dadurch ertrank sie und starb. Kayleigh atmete tief ein und aus, sprang nervös auf ihren Füßen herum und beugte sich weiter über den Rand. Der Wind rief ihren Namen, das Meer erwartete sehnsüchtig ihren Sprung und unter ihrer Haut kribbelte es. Achthundert Jahre lang suchte sie in den verschiedensten Büchern nach einer Lösung des Fluches und fand nie eine Antwort. Das Einzige was ihr jemand jedes Mal sagte, war zu beten und zu hoffen, aber das tat Kayleigh schon zu lange. Eine Hexe hatte ihr damals den Fluch aufgetragen, als sie achtzehn Jahre alt wurde. Kayleigh verriet diese Frau bei einem Lord und behauptete die Hexe und den Sohn des Lords im Bett erwischt zu haben. Der Sohn verleugnete dieses Vergehen, beschuldigte die Frau und meinte durch einen Liebeszauber hypnotisiert worden zu sein. Daraufhin befahl der Lord die Hexe zu verbrennen und seinem Sohn wurde vergeben. Kurz bevor die Frau auf dem Scheiterhaufen starb, sang sie ein Lied und sprach gleichzeitig den Fluch aus. Die Worte der sterbenden Frau schwebten noch immer in ihrem Kopf. Zum Schluss lachte die Hexe und meinte, das Kayleigh nie wieder glücklich seien würde.
Genau das passierte auch. Kayleigh wurde immer unglücklicher, verhasste ihr Leben und verfluchte jedes weitere Mal diese Hexe. Keiner glaubte ihre Geschichte, niemand verstand sie, keiner war bereit ihr zu helfen. Bei ihrem ersten Sprung von der Klippe, die jedes Mal in Irland stattfand, brauchte sie beinahe eine ganze Stunde um zu springen. Ihre Mutter fand das alte Hexenbuch der Frau und es stand nichts davon drinnen, wie man den Fluch lösen könnte, sondern nur wie man weiterlebte. In den ganzen achthundert Jahren viel ihr auf, das sich die Zeitspanne zwischen der Wiedergeburt und dem Tod immer mehr verkürzte. Die letzte Innovation, wie Kayleigh es gern nannte, landete sie als sechszehnjähriges Mädchen am Strand. Gleich zwei Jahre später stand sie genau hier, an der Klippe und blickte hinunter auf die schäumenden aufgeschlagenen Wellen. Nach dem tausendsten Tod kam ihr der Sprung einfach vor, wie bei einem Köpper vom drei Meter Brett. Allerdings betrug diese Höhe mindestens zehn. Kayleigh atmete erneut in die Nase ein und durch den Mund aus. Auch wenn sie so oft gesprungen war, war es doch jedes Mal eine weitere Überwindung. Die Sonne verschwand hinter dem Rand des Meeres und die Farben am Himmel verdunkelten sich. Das Wasser wirkte wie ein finsterer Abgrund, indem Kayleigh ein neues Leben erwartete.
„Es ist nur ein kleiner Sprung. Wie immer.“, murmelte sie sich zu und schloss nervös die Augen. Schweißperlen machten sich auf ihrer Stirn breit und rollten an den Schläfen hinunter. Als Kayleigh bereit dazu war dieses kurze Leben zu verlassen erhoben sich ihre Arme und streckten sich neben ihr aus. Den Kopf hob sie nach oben in den Himmel und ihre Augen schlossen sich ein weiteres Mal. Ihr Körper ließ sich langsam fallen und sie spürte wie ihr Kopf nach unten gezogen wurde. Die Meeresbrise rauschte an den Haaren vorbei.
Plötzlich geschah etwas, was noch in keinen achthundert Jahren passierte. Jemand hielt ihre Hand fest. Sie spürte wie die Schwerkraft ihren Körper nach unten zog, aber ihr gab es das Gefühl, das das Meer bereit war ihren Körper erneut einzusaugen. Ihre dunkelgrünen Augen schauten in haselnussbraune, die ihr Besorgnis entgegen brachten. Kayleigh war völlig erschrocken, da er ihren Tod verhindert hatte. Warum machte er das? Was ging ihn das an, das sie von der Klippe springen wollte? Wer war dieser Typ? Seine etwas länglicheren kastanienbraunen Haare wehten im Wind. Sein Pony wurde durch den heftigen Luftzug nach oben gedrückt. An seinem Hals hing eine silberne Kette mit einem Kreuz als Anhänger. Seine Muskeln spannten sich an und drückten sich durch das T-Shirt.
„Tu’s nicht!“, schrie er und nahm die zweite Hand dazu. Mit einer Menge Kraft zog er das zierliche Mädchen nach oben und beide lagen hechelnd auf dem weichen Erdboden. Er verspürte die Schmerzen in den Muskeln durch die übertrieben verwendete Kraft.
Kayleighs Kopf drehte sich zu dem Jungen um, der sie genau im Blickfeld behielt. Fassungslose Blicken kreuzten sich.
„So etwas kannst du nicht machen.“, keuchte er und schloss kurzzeitig die Augen.
„Was weißt du schon?“, sagte sie und hustete.
„Das Selbstmord nichts bringt.“
Kayleigh zog ihre Augenbrauen zusammen. Wenn sie sich zu Staub zerfallen lassen hätte, wäre sie ein ewig wandelnder Geist geworden und ihre Seele wäre für immer auf dieser Erde geblieben. Das wäre noch qualvoller, als jedes Mal zu sterben. Ein ewiges Leben ohne Liebe, Aufmerksamkeit und nur begleitete von der Einsamkeit. Bei diesem grauenhaften Gedanken erhob sich Kayleigh wieder und stellte sich erneut an den Rand der Klippe. Gerade als ihr Körper sich über den Abgrund beugte, zog die gleiche Hand sie zurück. Kayleigh landete hart auf dem Boden. Der Junge drückte sie immer wieder hinunter mit seinem Arm und wartete bis ihr Strampeln aufhörte.
„Du verstehst das nicht!“, schrie Kayleigh und wehrte sich weiterhin.
„Ich werde nicht zulassen, dass du dein Leben wegwirfst.“, konterte er ehrgeizig. Irgendwann hielt er ihren Mund zu und drückte mit seinem Bein ihre zusammen. Erschrocken blickte Kayleigh ihn an.
„Wenn ich dich jetzt loslasse, versprichst du mir, nicht zu versuchen zu springen?“, fragte er ruhig und Kayleigh willigte unentschlossen ein.
„Wirklich?“
Ein erneutes Nicken zeigte sich. Langsam stand der Junge von ihr auf und hielt ihr Handgelenk fest. Der Blickkontakt der beiden riss nie ab.
„Komm bitte mit mir. Ich möchte von dieser Klippe weg.“, bat er sie und zögernd folgte sie ihm. „Warum willst du dich umbringen?“
Kayleigh schwieg.
„Bist wohl nicht sehr gesprächig, oder?“
Ihre verärgerte Mimik verzerrte sich immer mehr. Wenn sie nicht bald sprang, würde aus ihrem Körper Staub werden. Ansonsten landete sie wieder am weißen Strand, wo die Sonne die angenehmste Wärme gab und weit und breit kein Mensch zu sehen war. Noch nicht lange landete ihr Körper immer dort. Erst seit einigen Toden. Es war eigentlich der schönste Moment in ihrem ganzen Leben. Ihre Aufgabe war es einen Schlüssel zu finden, um aus dieser Welt wieder hinaus zu gehen. Bei zu langem Zögern könnte sich das Fenster zur Welt verschließen und Kayleigh verschwände ins Jenseits. Denn in dieser Dimension zählte man die Zeit viel langsamer, als auf der Erde. Eine Minute auf der Erde war ein Jahr in dieser Welt. Bis jemand neues den gleichen Fluch erlangte wie Kayleigh, könnte also eine vorstellbare lange Zeit werden. Wie konnte sie bloß den Jungen davon überzeugen sie gehen zu lassen?
„Bitte, lass mich gehen! Ich möchte doch sterben. Was geht dich das denn an?“
„Du willst es also? Kommst du mit deinem Leben nicht klar?“
Kayleigh senkte ihren Kopf und schaute zum Boden. Sie musste nur die passenden Antworten parat haben. Also Lügen.
„Mein Vater, meine Mutter und meine Schwester sind tot. Ich habe mein Zuhause verloren, kein Geld, keine Arbeit und keine Freunde. Macht es denn einen Sinn dann noch zu leben?“
Der Junge zog beide Augenbrauen zusammen und schaute an ihrer Schulter vorbei. „Ja, tut es.“
„Wieso?“, ärgerte sich Kayleigh und verwirrt blickte er das Mädchen an.
„Du willst also wirklich so dringend sterben?“, fragte er und hob wütend seine Stimme.
„Ja, bitte!“, bettelte Kayleigh. Der Junge schüttelte nur enttäuscht den Kopf und ließ ihr Handgelenk los, das ein wenig schmerzte durch seine enorme Kraft. Mit langsamen, vorsichtigen Schritten, dass er nicht doch wieder zupackte, ging Kayleigh rückwärts zurück und schenkte ihm ein letztes Lächeln.
„Danke, Junge.“, sagte sie und kehrte ihm im Laufen den Rücken zu. Mit einem traurigen Blick schaute er ihr nach. Was tat er da eigentlich? Er musste sie aufhalten! Er konnte doch nicht zusehen, wie das Mädchen sich wirklich selbst tötete. Seine Beine setzten wieder in Bewegung und er rannte den kleinen Hügel hinunter auf die Klippe zu.
„Warte kurz!“, schrie er ihr hinterher und Kayleigh beeilte sich.
Er durfte sie nicht ein drittes Mal aufhalten. Es wäre ein Albtraum ein Geist zu werden. Eine ewig gefangene Seele auf demselben Planeten. Ihr Leben brauchte einen dicken Schlussstrich und viel Ruhe.
Kayleighs Beine erreichten bald den Abgrund, aber der Junge war viel schneller als sie und war ihr nah an den Fersen. Der Rest passierte alles im Sekundentakt. Kayleigh setzte zum Sprung an und hob sich mit einem großen Schritt in die Luft. Der Junge berührte ihren Rücken. Was zum Teufel tat er da? Kayleigh ging davon aus, das er aus Angst am Rand stehen blieb, aber er sprang mit ihr hinunter. In der Luft packte er ihren Arm und zog sie zu sich. Er umschlang ihren Körper, der sich waagerecht zum Boden gedreht hatte. Die kalte Brise zog an ihren Ohren vorbei und ein leises Pfeifen erklang. Seine muskulösen Arme ließen ihren dünnen Körper nicht los. Ihr Kopf drückte sich gegen seine Brust und ein Kribbeln entstand in deren Bäuche. Die Schwerelosigkeit für die paar Sekunden gab beiden das Gefühl zu fliegen.
„Ich lass dich nicht sterben.“, flüsterte er und Kayleigh schaute in seine Augen, die er fest geschlossen hatte, um sich auf den Aufprall bereit zu machen. Gerade in dem Moment kam eine große Welle auf die beiden zu und verschlang ihre Körper in einem Zug. Der Schaum löste sich langsam auf der Oberfläche auf und die Wellen wurden ganz still von einem Moment auf den anderen. Nur winzige, kaum erkennbare Wölbungen entstanden im Wasser, aber keiner der beiden war zu erkennen. Das Meer musste sie verschluckt haben und nun wurden sie in die Traumwelt verfrachtet, wo nur ruhelose Seelen wanderten. Kayleigh erhoffte, das sie ihm nicht seine klauten. Hoffentlich übertrug es nicht ihren Fluch auch auf ihn. Denn solch ein Schicksal wünschte sich Kayleigh nicht einmal ihrem Erzfeind.






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz