Schatten der Vergangenheit - Teil 2

Autor: Tascha
veröffentlicht am: 20.07.2012


Kapitel 2

Nicht das erste Mal stand Rose vor der Eingangstür der städtischen Eishalle. Wie oft war sie hier gewesen? Aufgewühlt von Gefühlen und verwirrt, hatte sie des Öfteren die Eisentür angestarrt. Kein einziges Mal hatte sie gewagt die Tür der Eishalle zu öffnen. Als sie diesmal die Hand nach dem eiskalten Türgriff ausstreckte, erinnerte sie sich, wie ihr vor einem Jahr das Herz geklopft hatte. Sie öffnete die Tür, so wie damals, mit verschwitzten Händen und Schmetterlingen im Bauch. Ihre Beine hatten gezittert, so wie jetzt. Wenn sie sich Dylan heute stellen konnte, hatte sie auch die Kraft, sich dieser Eishalle zu stellen, redete ihr Kopf ihr ein. Mit angehaltener Luft trat Rose in die Eishalle. Es sah immer noch so aus, wie damals, erkannte sie. Links in der Eingangshalle hingen Bilder von Meisterschaften, rechts saß eine ältere Dame um den Eintritt zu kassieren und durch die Glastür, die zur Eisbahn führte, erklang lärmendes Geräusch des Trainings. Ja, das hatte sie vermisst, das alles. Und dennoch, trotz all dem, was sie hier kannte, erschien ihr alles fremd und unwirklich.
Rose bezahlte den Eintritt und lief zu den Umkleiden, in denen sie sich geliehen Schlittschuhe holte. Sie waren aus beigem Leder und alt. Wahrscheinlich sogar ungeschliffen, dachte Rose. Sie blickte auf die Uhr. Noch zehn Minuten würde die Hockeymannschaft im Training sein. Peter freute sich bestimmt, sie zu sehen. Wie oft hatte er sie gebeten, hierher zu kommen? Es waren abermals Bitten, die Rose abgelehnt hatte. Viel zu sehr hatte sie Angst den Schmerz wieder zu fühlen, die ihr die Erinnerungen brachten. Doch nun, da sie da war, und durch die Glastür schritt, fühlte sie eher eine Sehnsucht als den Schmerz der Vergangenheit. Sie wollte aufs Eis. Ob sie es konnte, würde sich herausstellen.
Auf der Eisbahn spielten mehrere uniformierte Teenager mit Hockeyschläger und Helmen. Rose setzte sich auf die Tribüne und während sie ihre Schlittschuhe anzog, sah sie zu, wie ein Spieler einen anderen austrickste um den Puck zu stehlen. Die Nummer Acht trickste geschickt einen weiteren Gegner aus und glitt zwischen den Gegnern zum Tor. Er holte aus und Rose jubelte vor Freude, als er ausholte und traf. Sie erkannte Peter unter dem Helm, der auf einen seiner Freunde sprang, und lachte. „Ihr müsst erst einmal an mich rankommen, ihr Trottel!“, rief er scherzend und ließ sich von mehreren Jungs jagen, bevor der Trainer in die Pfeife pfiff. „Das reicht, Jungs.“, rief er, „Macht euch auf den Weg in die Dusche.“ Das Team fuhr bis zum Ausgang. Rose stand auf und beugte sich über die Abschirmung. Sie rief Peters Namen, ehe er mit den Jungs von der Laufbahn ging. Fast hatte sie über Peters Blick gelacht, als er sie da stehen sah. Er kam näher. „Ich glaube, ich sehe schlecht.“ Belustigt griff er in ihr Gesicht um es abzutasten. „Was machst du hier?“ Rose zog seine Hand von ihrem Gesicht. „Ich dachte, ich könnte ein paar Runden drehen.“ Peter runzelte die Stirn und blickte sie mit seinem typischen, naiven Argwohn an. „Bist du dir sicher?“, wollte er wissen. Für einen Augenblick sagte Rose nichts. Dann nickte sie langsam. Sie musste sich sicher sein.
Mit einer fliesenden Bewegung nahm Peter den Helm ab. Unter dem Helm waren seine blonden Haare verschwitzt und klebten an seiner Stirn. Es sah aus, als könne er Sportwerbung machen, dachte Rose lächelnd. Er streifte sich das schwere Gerüst der Hockeyuniform vom Oberkörper ab und stand nur noch im T-Shirt und Trainingshose da. Mit einem Lächeln öffnete er für sie die Tür. „Darf ich bitten?“, fragte er, und wartete, bis Rose einen Schritt tat. Es fühlte sich ein wenig fremd an, zu gleiten. Ganz anders, als zu gehen und doch weckte es alte Erinnerungen. Sie machte einen weiteren Schritt, diesmal sicherer, als der zuvor. Sie griff nach Peters Hand, als sie fast ausrutschte. „Alles in Ordnung?“, fragte er. Sie nickte zögernd. „Es ist zwar ein wenig zu lang her, aber es ist wie beim Fahrradfahren. Ich kann es einfach nicht verlernen.“, ihre Hand löste sich von seiner und sie lachte glücklich, „Weißt du, dass es sich fabelhaft anfühlt. Es ist als würde man schweben.“ Nach einigen weiteren Schritten wandte Rose sich zu Peter. „Ich habe es vermisst.“ Das alles, dachte sie. Diese Atmosphäre aus Eis und Kälte grub sich unter die Haut und ließ einen selbst zu etwas kühlem, magischem werden. Manchmal fühlte Rose sich, wie eine Eiskönigin, mächtig auf dem Eis und ängstlich in der Sonne zu Eiswasser zu schmelzen.
„Falls du nicht mehr kannst….“, begann Peter.
„Nein.“, unterbrach Rose ihn, „Es ist so schön hier. Allein schon das Gefühl, wieder auf dem Eis zu stehen.“
„Und wie fühlt sich das an?“
Rose drehte einen kleinen Kreis und sah dann wieder zu Peter. „Wie fühlst du dich denn, auf dem Eis?“
„Frei.“, gestand Peter lächelnd und näherte sich dem Zentrum der Eishalle. Er sah zu, wie Rose langsam sicherer wurde und ihr Tempo erhöhte. Mit Peter an ihrer Seite fühlte sie sich sicher und brauchte sich nicht zu fürchten, auch wenn das Vertrauen, ihr Partner würde sie fangen, zerstört war. Wieder neben jemanden zu fahren und Runden zu drehen, war ihr ein wenig fremd. „Peter?“, fragte Rose, „Sag mal kannst du Pirouetten?“
„Hör mal, ich bin ein Hockeyspieler. Was werden die Jungs denken, wenn ich anfange auf dem Eis wie eine Ballerina zu tanzen?“ Er keuchte auf, als Rose ihn mit dem Ellenbogen in die Magengrube stieß. „Was soll das heißen, Peter McKenzie?“
„Nichts für ungut, aber Eiskunstlauf ist Mädchenkram.“
„Mädchenkram!“, rief Rose empört, „Wetten dass du einen Teufel tust, und eine Pirouette schaffst?“
„Die Wette gilt!“, sagte Peter, „Ich wette, ich kann es sogar besser, als du!“
„Du hast wohl vergessen, dass ich seit einem Jahr nicht mehr gefahren bin.“, erklärte Rose.
„Na gut. Wehe einer aus dem Team erfährt, dass ich Mädchenkram gemacht habe“, warnte Peter sie, „Was ist der Einsatz?“
„Wenn du es nicht schaffst die Pirouette zu machen, fährst du mich heim.“, erklärte Rose verschmitzt.
„Aber wenn ich es schaffe, dann gehst du mit mir zum Winterball“, schlug Peter vor. Auch er hatte ein schelmisches Lächeln auf seinen Lippen. Er sah, wie Roses Augen sich weiteten. Damit hatte sie nicht gerechnet. Nicht wirklich. Der Winterball war schon bald. Klar, sie hatte noch keine Begleitung, aber dass Peter sich dafür interessierte. Zum Winterball gingen Paare, und welche, die bald ein Paar würden. „Peter…“
„Hast du Angst, dass ich mit deinem Mädchenkram locker zurecht komme?“, provozierte er Rose. Ihre Augenbrauen zogen sich gereizt zusammen. „Fein!“, rief sie, „Wir treten gegen einander an. Der bessere wird seinen Willen bekommen!“
„Rose, du solltest wirklich nicht…“
„Wir brauchen doch einen Vergleich, Peter.“, sie trat einige Schritte von Peter weg um ihm Platz für die Pirouette zu geben. Peter sah auf die ihm gegebene Fläche. Er wusste gar nicht, wie er anlaufen sollte, mit welchem Fuß er auftreten musste, und wie er abstoßen sollte, um die richtige Drehgeschwindigkeit zu erreichen. Der erste Versuch scheiterte, da Peter sich mit seinen Beinen verhedderte und fast fiel. Doch er verstand die Technik. Beim zweiten Mal stieß er die Schlittschuhspitze ins Eis und stieß sich so gut ab, dass er es schaffte, sich vier Mal um die eigene Achse zu drehen. Er lächelte triumphiert, als er anhielt. „War doch gar nicht so schwer.“, sagte Peter grinsend.
„Wenn ich es schaffe, sich mehr als vier Mal zu drehen, kannst du das mit dem Ball vergessen.“, erwiderte Rose und schob ihn zur Seite.
Rose stellte sich in die richtige Position und warf Peter ein letztes schalkhaftes Grinsen zu. Komm schon Rose, du hast jetzt keine Lust nach Hause zu laufen, dachte sie und versuchte es. Es war das erste mal seit einem Jahr, dass sie die Pirouette versucht hatte und sie beim ersten mal richtig geschafft hatte. Es fühlte sich großartig für Rose an.
„Hast du das gesehen?“, meinte Rose überrascht und fasziniert zugleich. Sie fühlte sich so glücklich, frei. „Ich hab es noch drauf.“ Sie lachte. Es war unglaublich magisch.
„Du Betrügerin, und ich dachte, du wärst seit einem Jahr nicht mehr auf dem Eis gewesen.“, meinte Peter und freute sich für sie. Auch wenn er innerlich enttäuscht über den Ball war.
„Ich habe echt nicht gedacht, dass ich es noch hin bekomme. Wahrscheinlich ist es wirklich so, wie mit dem Fahrradfahren“, erklärte Rose glücklich und fuhr zu Peter rüber „Na noch eine Wette?“, meinte sie zu ihm belustigend.
„Na warte.“, meinte er mit zusammengekniffenen Augen. Als er sah, dass Rose lachend von ihm davon fuhr, jagte er ihr hinterher. „Wenn ich dich erwische, kannst du was erleben, Rose!“
So schnell, wie er war sie nicht. Peter war Sportler, geübter Sportler, während sie leicht aus der Übung war. Er erreichte sie schon nach wenigen Sekunden, griff mit seinen Händen grinsend nach ihrer Hüfte und hob sie hoch. Rose versteifte sich sofort. Sie stemmte ihre Hände gegen Peters trainierte Brust. „Lass mich sofort los!“, rief sie panisch. Zu sehr erinnerte es sie, wie Dylan sie gehoben hatte, wie er sie in die Luft warf, und sie fiel. Peter, der ihre Angst nicht sofort erkannte, hob sie noch höher. Rose Augen waren vom Schreck geweitet. Sie schlug mit ihren geballten Fäusten gegen ihn. „Lass mich runter!“, rief sie noch einmal. Auf Peter wirkte sie plötzlich, wie ein Hase in den Fängen eines Wolfes, um das Überleben kämpfend. Sofort ließ er sie wieder aufs Eis gleiten. Ihre Augen waren feucht und den Kampf gegen ihre Tränen hatte sie verloren. Eine heiße Träne floss über die linke Wange, während sie Peter sprachlos und verschreckt anstarrte.
„Rose, tut mir leid.“, bat Peter sie, „Ich dachte, du machst nur Spaß. Bitte sieh mich nicht so an, als wäre ich ein Monster.“ Er sah sie nicken, die Lippen zu einer einzigen schmalen Linie gepresst.
„Kannst du mich bitte heimfahren?“, erwiderte sie gepresst.
„Okay.“, antwortete Peter ein wenig bedrückt. Er bekam mit, wie bleich sie war, wie leer ihr Blick war, während sie die Schlittschuhe mit ihren zitternden Händen auszog, und in ihre Schuhe schlüpfte. Gott, es tat ihm wirklich leid und er fürchtete, Rose würde gleich zusammenbrechen. Doch er hatte Angst, sie würde ihn abweisen. „Gib mir die Schlittschuhe.“, er griff nach ihrer Tasche und nach den Schlittschuhen. Mit einem entschuldigendem Seitenblick, wollte er wissen ob alles in Ordnung sei. Rose nickte. „Es wird mir schon wieder gut gehen.“, log sie. Doch es würde es nicht, dachte sie traurig. Diese Angst vor dem Fall, vor der Lähmung lag ihr noch immer in ihren verletzten Knochen. Trotzdem verdrehte sie theatralisch die Augen, als Peter ihr die Tür öffnete. „Ich bin nicht krank, Peter.“, erinnerte Rose ihn. „Lass mich wenigstens, nett genug sein, die Tür zu öffnen. Ich bin schuld an der ganzen Sache.“
„Nein, das bist du nicht.“ Es war Dylans Schuld. Alles war seine Schuld und Rose würde nie darüber hinwegkommen, nie verzeihen. Als die Eingangstür abrupt aufging, schreckte Rose zurück. Was sie sah, gefiel ihr ganz und gar nicht und doch stand da jemand, der sie seltsamerweise anzog und abstieß zugleich. Er selbst, das Problem, das Übel, dass sie so sehr hasste. Rose schluckte als er näher kam und auf Peter und sie blickte. Etwas in seinem Gesicht zeigte ihr, dass er wütend war. Er kam so nahe, dass nur noch wenige Zentimeter von Rose entfernt war. Sie hörte, wie Peter ein überraschtes „Hey“ rief.
„Was ist passiert?“, wollte Dylan wissen. Seine Augen huschten sowohl wütend, als auch besorgt über ihr Gesicht, „Du hast geweint. Bist du verletzt? Geht es dir gut?“ Er wollte nach ihren Schultern greifen um sich zu überzeugen, dass es ihr gut ging, doch Rose wich zurück. Peter stellte sich vor sie. „Du hast hier nichts verloren, Anderson.“
„Rose, brauchst du einen Lakaien um mit mir zu reden, oder schaffst du es auch, selbstständig ein Wort herauszubringen?“
Die Worte waren provozierender Natur, nicht nur gegenüber Rose. Auch Peter wurde wütend. Er runzelte die Stirn und trat einen Schritt vor. Trotz dessen, dass Dylan kein Hockeyspieler war, war er ebenso breitschultrig wie Peter und sogar ein wenig größer. Sie sahen sich an, wie zwei fremde Wölfe, die ihr Territorium beschützen wollten. „Benimmt euch nicht wie Kinder.“, hörten die beiden Rose sagen. Rose wurde wütend, da die beiden nicht darauf reagierten. Sie sah förmlich, wie die beiden Blitze auf einander schossen und es würde sie keinesfalls wundern, wenn jetzt am Himmel das nachwirkende Donnern dröhnen würde. Kindsköpfe!
„Komm schon Peter.“, bat Rose und zog an Peters Ärmel, „Du hast mehr Niveau als er, du musst dich nicht prügeln.“ Dylans dunkle Augen blitzten wütend zu ihr herüber. „Du brauchst deinen Hund nicht zurückpfeifen, Rose. Er wird doch selbst wissen, was gut für ihn ist.“
Peter schnaubte gereizt und vermied es zu reden. Seine große Hand packte Rose’ Oberarm und er führte sie zum beinahe leeren Parkplatz, wo der schwarze Jeep einsam darauf wartete, geöffnet zu werden. Rose wurde hinein geschoben. Sie wollte Peter sagen, dass es ihr Leid tat. Alles war gegen sie und nicht gegen Peter selbst gerichtet. Er war nur gegen die Fronten geraten. Doch als sie Peters wütende Miene betrachtete schwieg sie lieber. Peter startete den Motor und fuhr sie direkt vor die Haustür. „Peter.“, sagte sie schließlich, „Wirst du denn ewig schweigen?“
„Nein, nur heute.“, über seine Lippen huschte ein kurzes Lächeln und Rose bemerkte, dass es keineswegs seine Augen erreichte. Er fühlte sich verletzt. Wer mochte es schon innerhalb fünf Minuten als Lakai und Schoßhündchen genannt zu werden? Oder ging es etwa um etwas anderes? Sie konnte ihn nicht fragen.
„Ich bin froh, dass du nicht zugeschlagen hast.“, gestand sie, ehe sie die Autotür öffnete um ins Haus zu gehen.





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