Eines Nachts...

Autor: Des Bruders Schwester
veröffentlicht am: 09.07.2012


An einem Samstag feierte ich mit meinen Freunden eine kleine Party anlässlich des achtzehnten Geburtstages meiner Freundin Elis. Nach einem Kinobesuch hatten wir einige Kneipen in unserer Kleinstadt abgeklappert und waren gerade auf dem Weg zum „Bierhaus 74“. Aus irgendeinem Grund blieb ich ca. hundert Meter von unserer Gruppe entfernt stehen. Ich war nicht betrunken, sondern einfach nur erschöpft.
Langsam schritt ich durch die dunkle Straße, während die anderen stehen blieben, um auf mich zu warten. Mein Blick schweifte durch die dunklen Einfahrten und Häuserfronten. Während ich mich umsah, bemerkte ich vier Jugendliche in einer dunklen Einfahrt. Sie rauchten. Jeder von ihnen hielt eine kleine Dose Bier in der Hand. Ich schätzte sie auf siebzehn bis achtzehn Jahre.
Als ich vorbei ging, sahen sie mich neugierig an, als wollten sie in Erwägung ziehen, mich zu überfallen.
„Da bist du ja endlich“, sagte Elisabeth. „Warum warst du so weit hinten?“
„Keine Ahnung“, sagte ich erschöpft.

Wir wollten gerade links um eine Ecke biegen, als uns zwei Mädchen entgegenkamen. Sie sahen sehr gut aus und trugen, im Gegenteil zu anderen Gleichaltrigen, nicht fette Klunker an Händen oder Hälsen. Auch ihre Kleidung war nicht modisch orientiert, sondern schlicht und einfach. Ich ahnte, was passieren würde, wenn sie den gleichen Weg gehen würden, wie wir gerade…

„Ähm, können wir mal kurz stehen bleiben?“, fragte ich schnell. „Ich kann nicht mehr.“

„Was ist denn los, Joey?“, fragte Kai, der auch eingeladen war. „Du bist doch sonst so ’ne Sportskanone.“

Ich antwortete ihm nicht und schaute hinter den Mädchen her. Als sie an der Einfahrt vorbeigingen, wo die vier Jungen standen, kamen drei von ihnen auf sie zu und zerrten sie in die Einfahrt. Die beiden Mädchen wehrten sich mit Händen und Füßen und versuchten, sich zu befreien, was ihnen natürlich nicht gelang. Das machte mich rasend.

„Hey!“, rief ich und lief zu der Gruppe. „HEY! Lasst die Mädchen in Ruhe!“ Ich schrie aus vollem Halse, und wunderte mich, dass niemand in den Häusern wach wurde.
Der Rest unserer Sieben- Mann/Frau- Truppe folgte mir. Ich rief abermals und die Jungen wurden auf mich aufmerksam. Sie hörten auf, die Mädchen zu befummeln und starrten mich verwundert an. Anscheinend kam es nicht oft vor, dass sich jemand ihnen in den Weg stellte. Drei von ihnen kamen auf mich zu, einer hielt die Mädchen in Schach.

„Was willst du, du Penner?“, fragte der Größte von ihnen mich schroff.

Freundlich erwiderte ich: „Lasst die Mädchen bitte in Ruhe.“

„Verpiss dich lieber, solange du noch kannst.“ Er hob bedrohlich die Faust auf Augenhöhe.

Die Mädchen baten um Hilfe. Wie konnte man so eine Bitte abschlagen? Fest wie eine Säule blieb ich stehen und ließ mich nicht von dem Großen beeindrucken. Dann geschah alles sehr schnell. Der Junge holte aus, um mir ins Gesicht zu schlagen. Ich fing seine Faust mit der hohlen Hand ab. Er hatte keine Zeit, sich zu wundern, denn schon trat ich ihm mit voller Wucht in den Bauch.

Vor Schmerzen krümmte er sich nach vorne, was ein Fehler war, denn er bekam mein Knie heftig ins Gesicht geschlagen. Ohnmächtig fiel er zu Boden. Ein kurzes Lächeln huschte über die Gesichter der beiden Mädchen und meine, Freunde, die keine drei Meter entfernt standen, staunten ebenfalls nicht schlecht.

Während ich mich gegen einen anderen Jungen wehrte, schaute ich hilfesuchend zu ihnen.

„Hey! Könnt ihr mir vielleicht mal HELFEN??“, rief ich ihnen zu. Sie taten so, als ob sie mich nicht gehört hätten. Ich bekam einen Schlag ins Gesicht und in den Bauch. Das machte aber nicht viel aus, denn wenn jemand in Gefahr ist, dann überkommt einen eine Kraft, die man so nie haben würde. Zu meinem Glück war jetzt nur noch einer übrig, die Anderen waren entweder ohnmächtig oder geflohen.

Der Letzte zückte ein Messer. Na toll, dachte ich. Ich schaute mich um. Meine „Freunde“ waren verschwunden.
Ich musste mir etwas einfallen lassen.

„Hey, du!“, rief ich dem Jungen zu. „Da hinter dir kommt die Polizei!“
Dabei tat ich so, als wollte ich weglaufen. Scheinbar war der Kerl nicht der Schlaueste, und schaute sich um. Jetzt mussten meine Muskeln auf Hochtouren laufen, denn ich lief so schnell ich konnte und hatte eine enorme Beschleunigung drauf. Ich setzte zum Sprung an und segelte durch die Luft. Gerade als sich der Junge nach mir umdrehen wollte, traf mein Fuß hart seine Schulter. Er fiel weit und knallte schließlich mit dem Hinterkopf auf den Boden. Schnell rappelte er sich auf und floh.

Ich wandte mich an die Mädchen, die im Polizeigriff eines Jungen gefangen waren. Ich sprach beruhigend zu ihm.

„Lass die Mädchen frei. Du kannst doch sowieso nichts mit ihnen anfangen.“

„Oh doch!“, rief er aufgeregt. „Oh doch. Hau jetzt ab. Los!“

Anscheinend stand er unter Drogen, denn er zitterte am ganzen Körper. Oder er hatte einfach nur Angst. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und flossen ihm übers Gesicht. Lange würde er nicht mehr durchhalten. Er war noch sehr jung, wie ich feststellte. Er war ein wenig pummelig und hatte weiche Züge. Tränen bildeten sich in den Auen der Mädchen.

„Lass sie gehen. Bitte! Wenn du es tust wird dir nichts passieren. Ich verspreche es.“

„He. Was ist da unten los?“, Ein junger Mann im Schlafanzug streckte seinen Kopf aus dem Fenster.

„N-n-nichts ist…“ Der Junge wollte zu einer Antwort ansetzten, aber in diesem Zustand würde er nichts Vernünftiges herausbringen.

„Tut uns Leid, wenn wir Sie geweckt haben. Wir werden jetzt leiser sein“, rief ich dem Mann zu.

„Na gut, aber ich will keinen Lärm mehr hören!“
Das Fenster schloss sich.

Ich schaute den Jungen mitleidvoll an. Er sah zu Boden. Es waren nicht die Mädchen, die anfingen, zu weinen, sondern er. Er löste seinen Griff und die Mädchen liefen zu mir und stellten sich hinter mich.

Ich ging zu dem Jungen und legte ihm meine Hand auf die Schulter.
„Geh lieber nach Hause, ok? Und nimm auf keinen Fall mehr Drogen, falls du es tust.“
„Ich-Ich nehme keine Drogen, aber ok“, stotterte er. „Wirst du zur Polizei gehen?“
„Nein. Ich habe dir gesagt, dass dir nichts passieren wird, dann wird es auch so sein.“
„Danke, Mann“, sagte er und lief in die Dunkelheit.

„Ist mit euch alles in Ordnung?“, fragte ich die Mädchen.

„Mein Am tut weh und ich habe fürchterliche Kopfschmerzen“, entgegnete das eine Mädchen weinerlich. Dann fingen beide an, zu schluchzten. Ich nahm sie in den Arm.

„Wo wohnt ihr?“
„In der Bahnhofstraße. Unsere Häuser stehen direkt nebeneinander“, antwortete mir das zweite Mädchen.

„Ok. Kommt, wir gehen.“

Zusammen machten wir uns auf den Weg zu den Häusern der beiden. Als wir ankamen, ging das erste Mädchen sofort wieder rein, ohne sich zu verabschieden, oder sich zu bedanken. Wahrscheinlich stand sie unter Schock. Das zweite Mädchen verabschiedete sich wenigstens und gab mir ihre Telefonnummer.

„Ich danke dir, dass du uns gerettet hast. Das war echt heldenhaft.“

„Für mich war das selbstverständlich, aber andere hätten weggeschaut. Ihr könnt von Glück reden, dass ich zu der Party meiner Kollegin eingeladen war.“

„Ja, das glaube ich auch.“ Schließlich gab sie mir einen Kuss auf die Wange. „Gute Nacht.“

„Gute Nacht“, sagte ich und verschwand in der Dunkelheit, die sogar kleine Ladys unter sich begraben konnte.

Eines war auf jeden Fall sicher. Diesen Jugendlichen, die sich „Freunde“ nannten, würde ich nicht mehr so schnell trauen. Sie haben es so weit gebracht, dass sie nun einen Freund weniger hatten, denn wie könnten acht ausgewachsene Leute gegen fünf gleichaltrige verlieren? Viele sprechen von Zivilcourage, und was sie nicht alles tun würden, wenn jemand in Gefahr wäre.

Aber würde denn ein einziger seine Hände schmutzig machen, um jemand anderem zu helfen? Anscheinend ist in dieser Zeit so etwas nicht möglich, denn täglich werden sehr viele Menschen auf offener Straße überfallen und ausgeraubt. Kann sich denn noch jemand sicher fühlen am helllichten Tage? Würde überhaupt jemand einem Mitmenschen in Not helfen?

Copyrigth by George








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