Don't know where I'm going, but I'm on my way. - Teil 2

Autor: zeitvorhang
veröffentlicht am: 09.07.2012


http://zeitvorhang1.blogspot.de/ <- Hier findet ihr immer wieder News über die Geschichte! :)
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Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt. (Mark Twain) ~


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Die Tatsache, dass Chris nun eine Freundin hatte, war so ziemlich das Niederschmetterndste was mir hätte passieren können. Meine Traumwelt zersplitterte und mit ihr mein Herz. Obwohl ich die ganze Zeit gewusst hatte, dass es aussichtslos war, konnte ich es nicht fassen. Es fühlte sich an wie ein Fausthieb mitten in den Bauch.
Aber was hatte ich schon erwartet? "Hey, Marie! Ich find dich voll hübsch und total nett, kann ich deine Handynummer haben? Hast du morgen vielleicht Zeit, dann könnten wir zusammen ins Kino gehen..." Ha ha ha, wie naiv ich mal wieder gewesen war. Es war Zeit, endlich in der Realität zu leben.

"Mensch, Marie! Jetzt lass dich davon doch nicht so runterziehen! Chris ist und war schon immer ein Arschloch. Der hat dich doch gar nicht verdient.", Antonia gab wirklich ihr bestes, um mich aufzumuntern. Wir saßen mit samt Schokolade, Fanta und Chips auf ihrem Sofa. Nebenher lief irgendeine Liebesschnulze, doch wir achteten gar nicht auf des Geschehen in dem Film. "Sonst hat dich das doch auch nicht gestört, wenn Chris mit seinen Eroberungen geprahlt hat..." - "Eroberungen! Aber keine Freundin!" - "Himmel, du führst dich gerade auf wie ein kleines Kind, Marie... Chris ist ein Arschloch und oberflächlich dazu!" Ich wusste, dass sie recht hatte.
Auf einmal fand ich den Film furchtbar spannend, denn gerade knallte die blonde Hauptperson wütend ihrem Freund die Tür vor der Nase zu und zwei Sekunden später schob er einen Zettel unter der Tür durch, auf dem »Heirate mich« stand.
Wie furchtbar dramatisch!
Solche Filme waren doch völlig bescheuert, denn es entsprach überhaupt nicht der Wirklichkeit. Welcher Mann auf dieser Welt machte seiner Freundin in solch einem ungünstigen Moment einen Antrag via ZETTEL?! Regisseure hatten anscheinend ebenfalls einen Hang zur Traumwelt...

Abends saß ich vor meinem Klavier in meinem Zimmer und übte das neue Stück, das mir Manuel, mein Klavierlehrer, aufgegeben hatte.
Es fiel mir nicht schwer, mir die Melodie einzuprägen und schon nach einer Stunde konnte ich das Lied fast auswendig.
Mit geschlossenen Augen glitten meine Finger wie automatisch über die weißen, glatten Tasten und erfüllten mein Zimmer mit traurigen, melodischen Klängen.
Klavierspielen befreite mich, ließ mich in eine völlig andere Welt sinken und alles um mich herum vergessen.
Während meine Finger über die Tasten glitten, malte ich vor meinem inneren Augen ein Bild, je nach der Stimmung des Liedes. War es ein fröhliches Lied, waren viele helle Farben wie Gelb, Orange, Rosa und Grün vorhanden, war es ein trauriges Lied, bestand das Bild aus düsteren, kalten Farben, wie Schwarz, Lila, Braun und Grau.
Kaum war der letzte Ton verklungen, öffnete ich die Augen und befand mich wieder im Hier und Jetzt.
Es war frustrierend, aus meiner eigenen Welt wieder auftauchen zu müssen, jedoch war es erleichternd, dass das düstere Bild wieder verschwand.
Seufzend schob ich die Notenblätter zusammen und ließ mich auf mein Bett sinken. Der heutige Tag hatte ziemlich an meinen Nerven gezerrt. Erst die Tatsache, dass Chris eine »saugeile Blondine mit Megatitten und geilem Arsch« klargemacht hatte und dann hatte er auf einmal eine Freundin! In meinem Kopf ergab das keinen Sinn.
Entweder Aufreißer, oder Freundin. Aber beides...?
Und in diesem Moment sah ich ein, in was für ein Arschloch ich mich da eigentlich verliebt hatte.

Von diesem Tag an versuchte ich gegen meine Gefühle zu Chris anzukämpfen. Sobald mein Hirn auch nur ansatzweise in die Nähe der Traumwelt driftete, rüttelte ich mich wach und redete mir ein, dass das niemals so sein würde.
Um diese seelischen Schmerzen besser vertragen zu können, fraß ich meinen Kummer wortwörtlich in mich rein. Manch einer konnte bei Liebeskummer nichts essen oder machte Sport, um abzunehmen, aber ich aß eben - das machte mich glücklich. Na ja, zumindest so glücklich, wie man mit Herzschmerz eben sein konnte. Natürlich verbrachte ich nicht den ganzen Tag 'in' der Chipstüte, ich spielte auch Klavier. Mehr als sonst und vorwiegend traurige Stücke, um meinem Kummer einen Klang zu geben.
Es tat so furchtbar weh, der Person, für die ich was empfand, scheißegal zu sein.

Die Tage bis zu den Sommerferien lebte ich wie in Trance. Ich ging zur Schule, folgte dem Unterrichtsgeschehen mehr oder weniger, ging nach Hause, setzte mich ans Klavier und gab mich meinen traurigen Gefühlen hin.
Manchmal saß ich auch auf dem Balkon, schaute auf die belebte Hauptstraße unseres Dorfes herunter und aß ein Eis nach dem anderen. Die Menschen, die dort unten vorbeiliefen, lachten, scherzten und redeten ausgelassen über irgendwelche Belanglosigkeiten. Aus den geöffneten Autofenstern konnte ich manchmal Liedfetzen hören, irgendwelche Beats und Bässe, auf sowas standen die Leute heutzutage eben.
Ehe ich mich versah, war er da - der letzte Schultag. Mein Zeugnis fiel wie erwartet gut aus, ich hatte nur eine Vier - in Sport. Aber das störte mich nicht weiter. Ich würde in die elfte Klasse kommen und das war alles, was zählte. Antonia hatte es ebenfalls geschafft und 14 weitere auch. Unter ihnen Chris. Leider.
Die Englischex hatte ihm den Arsch gerettet. Es war verdammt mies, als wir sie rausbekommen haben und er in der ganzen Klasse rumgegröhlt hatte, dass sein 5-stündiges Lernen am vorigen Tag sich endlich mal ausgezahlt hatte. Aber das bewies mir nur mehr, dass es die richtige Entscheidung war, endlich von ihm loszukommen. Er hatte schon genug in mir zerstört. Zwar hatte dieser Satz ein verdächtiges Stechen in meinem Herz ausgelöst, aber ich war mittlerweile stark genug, um es zu ignorieren.
Es war also der letzte Schultag.
Großes Rumgeheule auf dem Pausenhof, Küsschen links, Küsschen rechts, »viel Spaß im Urlaub auf den Malediven oder in der Karibik und schreib mir bloß eine Karte!«
Ja, so war das bei allen. Nur bei mir nicht. Ich verabschiedete mich von Antonia, wünschte ihr schöne Ferien und ging nach Hause. Wir würden uns sechs Wochen nicht sehen, da sie mit ihren Eltern eine Englandtour geplant hatte. Demzufolge warteten sechs ewiglange, megalangweilige Wochen auf mich, in denen ich in meinem Zimmer versauern würde. Aber es war mir mittlerweile lieber, als irgendwo hinzufahren, wo mich sowieso nur jeder blöd angaffte. So konnte ich mich wenigstens stundenlang meinem Klavier widmen und in meiner eigenen Welt versinken.
Früher bin ich gerne in den Urlaub gefahren, an den Strand und ans Meer. Italien, Frankreich, Kroatien, Spanien, ... wunderschöne Länder, in denen man wunderbar Urlaub machen konnte. Wie gesagt, früher. Früher, als mein Leben noch 'normal' war.
Aber seit vier Jahren war nichts mehr normal. Meine Eltern hatten sich getrennt und mein Vater war Hals über Kopf nach Amerika gezogen. Seitdem hatte er sich nur an meinem Geburtstag und an Weihnachten per E-Mail gemeldet. Mit einer lächerlichen E-Mail, in der jedes Mal das gleiche stand! Von meinem Vater wusste ich gar nichts. Ich wusste weder, wo genau er in Amerika wohnte, ob er einen guten Job hatte oder mittlerweile schon wieder eine neue Familie hatte. Hier in Nürnberg hatte mein Vater als Chirurg gearbeitet und wir konnten uns ein großes Haus mit Pool leisten, wie in diesen ganzen kitschigen Bilderbüchern. Wir waren die perfekte Familie - anscheinend zu perfekt.
Und da mein Vater vor vier Jahren ausgeflogen war, konnten meine Mutter und ich uns das große Haus und auch keinen Urlaub mehr leisten. Seitdem wohnten wir in einer mittelgroßen Wohnung im dritten Stock an einer Hauptstraße.

"Mama?", rief ich in die Wohnung, als ich die Tür aufgesperrt hatte. "Ich bin wieder da". "Ich bin hier", kam die Antwort aus der Küche. Langsam stellte ich meine Tasche neben meinen Schuhen ab und ging in die Küche, wo meine Mutter am Herd stand. Lächelnd drückte sie mich an sich. Das tat sie immer. »Weil ich froh bin, dich jeden Tag lebendig zu sehen«, hatte sie mal gesagt, als ich sie nach dem Grund gefragt hatte. "Hast du Hunger?", fragte sie lächelnd, als sie meinen Blick auf den Kochtopf bemerkte. "Wie war dein Zeugnis?", fragte sie, als wir zusammen am Küchentisch saßen und ich mir den Teller zum zweiten Mal mit Nudeln und Soße füllte. "Ganz okay", antwortete ich mit vollem Mund. "Willscht du nischs eschen?", fragte ich meine Mutter mit vollem Mund. "Nein", sagte sie leise. "Nein, ich hab keinen Hunger."
Es herrschte Stille, nur das leise klickende Geräusch, das meine Gabel machte, wenn ich wieder Nudeln aufspießte. "Ich muss gleich wieder zu Francesco, ich hab Spätschicht." Francesco war das italienische Gasthaus, bei dem meine Mutter als Kellnerin arbeitete und somit unsere Miete verdiente. "Wann bist du wieder da?", wollte ich wissen und kratzte den letzten Rest Soße aus dem Teller. "Kann ich schlecht sagen, wird auf jeden Fall spät." Ihr Blick wanderte zur Uhr, mittlerweile war es schon halb drei. "Ich mach mich fertig, muss gleich los", meinte sie und drückte mir einen Kuss auf die Haare. "Okay, dann ... bis morgen", murmelte ich und stellte den Teller in die Spülmaschine. "Bis dann, mach keinen Unsinn.", verabschiedete sie sich.
Was für einen Unsinn sollte ich denn anstellen? Klar, manch einer würde bei sturmfreier Bude eine fette Party feiern, aber ... mit wem sollte ich das bitte tun? Mit mir selber? Garantiert nicht, dazu war ich nicht in der passenden Stimmung.
Als meine Mutter schließlich die Haustüre hinter sich zugezogen hatte, ließ ich mich im Wohnzimmer seufzend auf die Couch sinken und schaltete den Fernseher ein. Zuvor hatte ich mir noch die passenden Snacks - Chips und Sauce - für das langweilige Fernsehprogramm besorgt und machte es mir auf dem Sofa bequem. Im Fernsehen lief irgendeine unrealistische Liebesschnulze, die ich mir ansah. Wenigstens war die Hintergrundmusik schön.
Was für ein perfekter Start in die Sommerferien.

Fortsetzung folgt…





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