Das Erziehungsheim - Teil 5

Autor: Valenzia
veröffentlicht am: 21.08.2012


Ich freue mich immer über Kritik
:o)
......................


„Wie war das?“, fragte der finstere Kerl und kam auf mich zu. Ich wich nicht zurück, das wäre ein Zeichen von Angst gewesen. Allerdings wurde mir ganz schön mulmig und ich verfluchte im Stillen mein großes Mundwerk. Ich konnte die unheilvolle Aura, die ihn umschwebte, beinahe spüren. Daniela nahm meinen Arm und zerrte ein wenig daran.
„Ach, d- das war gar nichts“, stotterte sie und hob beschwichtigend den Arm, wurde aber wieder ignoriert. Das machte mich schon wieder aggressiv!
„Ich habe dich gefragt, ob du noch nie was von Höflichkeit gehört hast!“, sagte ich und versuchte, meiner Stimme wenigstens etwas Festigkeit zu verleihen. Der Junge stand nun direkt vor mir auf Augenhöhe (hier ein Lob auf meine Körpergröße!) und starrte mich bedrohlich an. „Aber scheinbar“, schob ich noch unnötigerweise hinterher „bist du generell ein wenig schwerhörig.“
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Danielas Kinnlade runterklappte, aber sie besann sich schneller als der Kerl vor mir.
„D- das hat sie nicht so gemeint, Erik! Sie ist neu hier u- und sie hat ja noch gar keine Ahnung von…“
Während sie sprach, zerrte sie mich unermüdlich in ihre Richtung, weg von Erich, dessen zusammengekniffene Augen immer noch auf mir ruhten.
Ich fixierte mich ebenfalls auf das tiefe Blau seiner Iris, versuchte, dieselbe Nervosität bei ihm hervorzurufen wie bei Tante Lisbeth. Jedoch hatte ich hier weniger Erfolg.
Er kam einen Schritt auf uns zu, woraufhin Daniela unmerklich zusammenzuckte und einen noch längeren Wortschwall voller Entschuldigungen von sich gab. Sie erinnerte mich dabei ein wenig an Donald Duck, die Zeichentrickente von Walter Disney, die auch andauernd im Redefluss war.
Während wir der rettenden Flurecke näher kamen, durchbohrte mich Eriks Blick nach wie vor mit einer Intensität, die mir- muss ich zugeben- einen Schauer über den Rücken jagte. Ich fragte mich, warum er nichts sagte. Das hätte mich wahrscheinlich weniger beeindruckt, als dieses Blick- in- Blick- bohren.
Aber im nächsten Moment wurde ich schon davon erlöst, als Daniela und ich um die Ecke auf den nächsten Flur kamen. Ich spürte eine Anspannung von mir abfallen, ließ es mir aber nicht anmerken. Daniela hingegen stieß einen lange aufgestauten Seufzer aus.
„Meine Güte, Claire!“, sagte sie und sah mich ungläubig an, während wir den Flur entlang eilten. „Das war für den ersten Tag etwas viel, meinst du nicht? Gerade mit Erik musstest du dich anlegen!“
„Warum? Ist er so schlimm?“
Sie lachte einmal kurz und trocken. „Erik Schneider gehört zu den besonders harten Fällen hier. Er ist im Gegensatz zu uns keine Waise.“
„Seine Eltern leben noch?“, fragte ich.
„Ja.“
„Und warum in Gottes Namen haben sie ihn hierher geschickt?“
Sie warf mir einen Seitenblick zu. „Na, den Grund kannst du dir doch selber denken.“
Ich dachte an die durchdringenden, ozeanblauen Augen. Ja, der Junge konnte meinem Blick wirklich Konkurrenz machen!
„Er ist so schlimm, dass sie nicht mit ihm fertig werden?“
Daniela schüttelte heftig den Kopf. „Nein, das können die Erzieher hier auch kaum. Ich habe schön des Öfteren gehört, wie sie ihn gefährlich und bösartig nannten. Das erste stimmt sogar, denke ich. Aber dass er bösartig ist, glaube ich nicht!“
Ich schnaubte verächtlich. Daniela ignorierte das, oder sie bekam es gar nicht mit.
„Irgendwie fühle ich mich für ihn verantwortlich. Seit er vor drei Jahren hierher gekommen ist, hat er kein bisschen von seiner Sturheit abgelegt und sich dadurch nicht viele Freunde unter den Lehrern gemacht. Aber ich glaube, er ist einfach nur verbittert, weil ihn seine Eltern hierhergeschickt haben.“
Vor Sturheit konnte ich nur den Hut ziehen. Sturheit ist ein Zeichen von Stärke, und Stärke schätze ich.
Mir war allerdings einer von Danielas Sätzen aufgefallen.
„Du fühlst dich für ihn verantwortlich?“
Die Antwort blieb sie mir schuldig, denn wir betraten gerade den gemeinsamen Speisesaal. Mir fiel nur ein Wort ein: Herrlich!
Die alte Architektur, die mir schon in der Eingangshalle die Sprache verschlagen hatte, entzückte mich hier in dem riesigen Raum umso mehr. Er war mindestens acht Meter hoch und an den Seiten von Säulen gestützt, die von wunderschönen Mustern verziert wurden. Aus den vier Ecken des Saals liefen in dünnen, gelben Strichen Mosaiklinien zusammen, bis sie exakt in der Mitte des steinernen Bodens in einem gelben Mosaikball endeten. Eine Mosaiksonne. Wie wundervoll!
Der Raum war gewissermaßen in zwei Hälften eingeteilt, vermutlich für Mädchen und Jungen. Die vielen, vielen Tische waren alle für je sechs Leute ausgerichtet.
Aber sosehr mich die Schönheit dieses alten Gebäudes berauschte, hielt ich immer noch an dem Satz fest, der mir durch den Kopf ging.
Daniela erzählte gerade in einem weiteren Redeschwall von dem Essen und den Essensgewonheiten. Ich unterbrach sie, indem ich- noch nicht einmal sehr laut- fragte: „Was soll das heißen: Du fühlst dich für Erik verantwortlich?“
Sie verstummte sofort, lief rot an wie eine Tomate, und da schwante mir der Grund schon. Als sie dann auch noch anfing, unartikuliert zu stottern, wurde mir einiges klar.
„Ähm- also, ich…äh…ich meinte damit eigentlich nur, dass-“
„Dass du ihn magst, stimmts?“
Ich hätte nicht gedacht, dass sie noch röter werden konnte. Ach, wie herzallerliebst! Jetzt konnte ich mich nicht nur mit anderen Waisen herumschlagen, sondern auch noch mit verliebten!
Ein bisschen leid tat mir Daniela schon, wie sie so ungekonnt ihre Gefühle in Zaum zu halten versuchte.
„Was findest du denn an dem?“, fragte ich. „Der ist doch offensichtlich nichts für dich. Noch nicht einmal begrüßen tut er dich.“
Daniela fuhr herum, hektische rote Flecken auf den Wangen.
„Ach du kennst ihn ja gar nicht! Das tut er nur, weil er in seinem Innersten sehr verletzt ist. Jemand muss ihm helfen!“
„Na ja, augenscheinlich will er nicht, dass ihm von dir geholfen wird“, sagte ich stirnrunzelnd.
Das erste Mal an diesem Tag warf mir Daniela einen bösen Blick zu.
Ach, habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass ich die überaus seltene Gabe habe, Menschen innerhalb kurzer Zeit zu vergraulen? Tja, ein weiteres Opfer meiner Gehässigkeit!
Sie machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Speisesaal. Manche Menschen konnten aber auch überempfindlich sein!
Ich dachte gar nicht daran, ihr hinterher zu laufen. Das wäre ja noch schöner. Irgendjemand musste ihr doch die Tatsachen erklären, oder nicht? In meinen Augen hatte ich ihr einen Dienst getan. Dieser Erik war doch nicht ganz richtig im Kopf!
Als ihre Schritte im Flur verhallt waren, trat ich ebenfalls hinaus und lief den Gang entlang.
Moment mal… waren wir jetzt von links oder rechts gekommen? Oder doch von vorne? Verdammt, warum war dieses Haus so riesig!
Ich lauschte auf den Flur. Kein Laut, kein Mensch. Waren denn alle in ihren Zimmern?
Es half auch nichts, stehenzubleiben. Also ging ich aufs Geradewohl einen der Gänge entlang, die übrigens alle gleich aussahen.









Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz