Gifted - Die Befreiung - Teil 25

Autor: Aven
veröffentlicht am: 27.08.2012


Ein kleines Wort zum Sonntag ;D, oder Montag, mal sehen.
Ich hoffe, euch gefällt es weiterhin und ich kann euch zum Weiterlesen animieren ;D
LG, Aven


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Es war ihr Informant!
Der Mann, der noch vor einer Viertelstunde frech und fröhlich ihre Lippen berührt hatte, der, der ein hohes Risiko eingegangen war, sich mit ihnen zu treffen. Ein zu hohes, wie sich nun herausstellte.

Ein Geräusch über ihren Köpfen ließ sie zusammenschrecken. Sofort sahen alle drei nach oben, suchten die Häuser, die links und rechts von ihnen aufragten, nach dem Verursacher ab. Ein zweites Geräusch bestätigte sie, es kam vom Dach des linken Backsteinbaus.
„Da ist noch jemand!“ raunte Pareios und zog seine Dessert Eagle. Warum hatte Aurelia das nicht wahrgenommen, all ihre Sinne waren auf Alarm geschaltet gewesen, eine Gefahr hätte sie doch gespürt!? Verwirrt schluckte sie die Bestürzung herunter und versuchte sich zu sammeln.
Alle drei verständigten sie sich mit einem kurzen Blick, dann sprangen sie auseinander. Evrill rannte aus der Gasse heraus, nach rechts die Straße hinunter, in der Hoffnung dem Flüchtenden den Weg abzuschneiden, während Aurelia und Pareios wie die Besengten die Feuertreppe erklommen. Im Rennen verlor Aurelia einen ihrer Pumps, nachdem er mit einem Absatz im Gitter der Treppe stecken geblieben war. Daraufhin kickte sie auch den anderen von sich, was sie ungleich schneller machte. So konnte sie mit Pareios Schritt halten, der ihr im die Sprint die P8, die er für sie aufbewahrt hatte, nach hinten reichte. Sie ergriff sie und entsicherte sie sogleich, hielt sie auf Anschlag vor sich gerichtet.
Oben auf dem Dach angekommen, sahen sie nur noch den Rücken einer flüchtenden Person. Sie war ganz in schwarz gekleidet, soweit sie es auf die Entfernung ausmachen konnte und trug eine Skimaske, die Kopf und Haare verbarg. Der Größe nach war es ein Mann und er war unglaublich schnell, wodurch sie schon wenige wichtige Sekunden verloren hatten, bevor sie ihn überhaupt entdeckt hatten.
Sofort nahmen sie die Verfolgung auf, quer über das Dach, von dort auf ein anderes, immer weiter hinein in die Stadt, hoch über den Köpfen der Nachtschwärmer unten auf den Straßen. Pareios flog neben ihr durch die Dunkelheit, aber mit seinen langen, muskulösen Beinen beschleunigte er noch ein Mal und überholte sie. Als sich der Abstand zwischen ihm und dem Flüchtenden halbiert hatte, begann Pareios linke Hand zu glühen und entsandte eine Salve von Feuerbällen. Die rotzüngelnden Kugel sausten zielgerichtet auf ihr Opfer zu, doch dieses schaffte es gerade noch, einen Haken zu schlagen und ihnen zu entgehen. In diesem Moment witterte Aurelia ihre Chance. Sie sprang ab und feuerte einen einzelnen Schuss ab. Dank ihres Schalldämpfers verriet das Geräusch sie nicht. Die dunkle Gestalt vor ihnen erhob sich eben in die Höhe, war auf dem Weg zum nächsten Flachdach. Aber kaum war er abgesprungen, wurde sein Körper im Flug vom Einschlag der Kugel aus Aurelias Waffe ins Trudeln gebracht. Er schaffte es nicht auf das andere Haus, dann war er aus ihrem Sichtfeld verschwunden, fiel die vier Stockwerke hinunter auf die Straße.
Pareios und Aurelia kamen nur kurz nach ihm am Rand des Daches an und starrten auf eine weitere finstere Seitenstraße hinab. Der Mann landete gerade auf dem Asphalt, mit ihrem feinen Gehör fing sie ein vernehmliches Knacken von Knochen ein, aber der Kerl stand auf und wollte davon humpeln. Aurelia richtete ihre Waffe aus, in dem Moment wurde der Flüchtling von einer weiteren dunklen Gestalt umgerissen.
Evrill! Er hatte sich auf den Mann gestürzt und ihn wieder zu Boden befördert, jetzt saß er rittlings auf ihm und versuchte ihn in einen erbarmungslosen Würgegriff zu nehmen. Aber der Gegner schien über übermenschliche Kräfte zu verfügen. Er bäumte sich wild auf und warf Evrill ab, schon war er auf den Beinen, genauso wie ihr Teamkollege. Mit einer Serie harter Schläge nagelte er den Unbekannten an die nächstgelegene Hauswand. In einem schnellen Handgemenge kämpften die beiden miteinander, Fäuste und Ellenbogen flogen und keiner würde weichen, bis einer besiegt am Boden liegen würde. Die kleine Gasse ließ die Geräusche ihres keuchendenden und stöhnenden Atems und von den auf Fleisch treffenden Schlägen vielfach verstärkt zu Aurelias und Pareios‘ Position auf dem Dach hinauf wehen. Sie versuchte den Angreifer mit der Mündung ihrer Waffe zu fixieren, aber Evrill kam ihr immer wieder in die Schusslinie, aus dieser Entfernung würde sie mit ihrer Handfeuerwaffe sowieso nur durch Zufall treffen! Als sie fluchte war Pareios schon an ihr vorbei gerannt. Er sprang auf die Feuertreppe, die auch hier an der Hauswand befestigt war, und Aurelia folgte ihm dicht auf dem Fuße, als er sich im dritten Stock über das eiserne Geländer hinunter in die Gasse schwang. Unten angekommen rollte Aurelia sich ab, um ihre Knöchel zu schonen. Sie kam wieder auf die Füße und richtete sogleich wieder ihre Waffe auf das Knäuel aus Armen und Beinen. Pareios dagegen landete leichtfüßig, ging dabei tief in die Knie und hatte den Schwung schon in eine Vorwärtsbewegung umgewandelt. Er stürzte auf den Kampf zu, die rechte immer noch um die Waffe geschlossen die Linke zur Faust geballt und erhoben. Durch seine Gabe glühte sie in der dustren Nacht wie weißglühender Stahl.
Aus den Augenwinkeln sah sie etwas silbern aufblitzen, während es von dem unbekannten Angreifer durch die Luft geschwungen wurde. Pareios hatte die beiden noch nicht ganz erreicht, doch auch Evrill hatte es gesehen. Er packt das Handgelenk seines Gegners und rammte von unten sein Knie dagegen. Der Arm brach mit einem entsetzlichen Knirschen und stand nun in einem merkwürdigen Winkel vom Körper ab, während die daran hängende, nutzlos gewordene Hand das Messer fallen ließ.
Es sah so aus als hätte Evrill die Oberhand gewonnen, da schlug der erste beinahe lautlose Schuss neben Aurelias Füßen ein. Mehrere folgten und schon ergoss sich ein wilder Hagel von tödlichen Bleikugeln in die Gasse, in der sie standen.
Scheiße, sie wurden beschossen!
Sie und Pareios stürzten zu Boden, suchten nach den Schützen, konnten aber noch nicht mal mit ihren Elevenderaugen ausmachen, woher die Schüsse kamen. Evrill hatte den Mann losgelassen und sich ebenso zu Boden geworfen. Dieser nutzte sofort die Gelegenheit, um endgültig die Flucht zu ergreifen. Humpelnd rannte er in die andere Richtung, ließ seine Gegner im Kugelregen gefangen zurück.
Als er aus der Gasse verschwunden war, hörten die Schüsse abrupt auf, jetzt war es nur noch still. Sie alle lagen auf dem Rücken auf den Boden, hatten die Waffen erhoben und ließen sie über die Schatten wandern, aber es regte sich nichts mehr.
Wer auch immer da auf sie geschossen hatte und wen immer Evrill da gestellt hatte, sie waren weg!

Pareios kam als erstes elegant wieder auf die Beine. Er fluchte obszön und half Aurelia hoch, die sich das bis zu den Hüften aufgeschlitzte Kleid mit einer Hand zu hielt. Der Stoff hatte bei ihrem Sprung aus dem 3. Stock nachgegeben und war eingerissen - solche Kleidchen waren mit ihrem Job wohl einfach nicht kompatibel.
Auch Evrill reichte er die Hand, um ihm auf zu helfen. „Verdammt, Sonnenschein! Wo hast du denn das gelernt?“ fragte er diesen amüsiert. Evrill betastete sein geschundenes Gesicht und grinste. „Ich wünschte, wir hätten ihn erwischt! Und Himmel, was war das denn? Entweder ist der Partner von dem Kerl ein ganz mieser Schütze, oder aber er war besoffen. Sonst kann ich mir nicht erklären, warum wir hier noch stehen!“ entgegnete er dann aber, wobei er sich schon auf den Weg zur Straße machte. Pareios und Aurelia wandten sich ebenfalls zum Gehen, allerdings plagten Aurelia beißende Zweifel. So schlecht konnte gar keiner zielen, als dass er drei ausgewachsene Menschen auf dem Boden ausgestreckt und regungslos verfehlen würde. Sie waren ein leichtes Ziel gewesen!
„Los Leute! Mal sehen, ob der Blondschopf mir noch irgendwas zu sagen hat!“ drängte Evrill jetzt und beschleunigte sein Tempo.
Geschlossen marschierten sie zurück zu dem Hinterhof beim ‚Caveau de la Huchette‘. Sie legten die Strecke hastig, beinahe im Laufschritt, aber schweigend zurück, alle beschäftigt mit den tausenden von Ungereimtheiten, die sie an diesem Abend wieder ereilt hatten. Eins war sicher, dieser Mord war kein Zufall gewesen! Und die Person, die sie verfolgt hatten, war eindeutig ein Elevender gewesen!
Jemand war ihnen auf den Fersen, aber warum hatte man sie nicht getötet? Und warum hatte ihre Intuition ihr die Gefahr nicht gemeldet? Sie konnte es jetzt überhaupt nicht gebrauchen, dass ihre Gabe schwächelte. Aber wie sollte sie es sich sonst erklären?
Sie bogen um die letzte Ecke und drangen bis tief in den Hof vor. Doch in der Pfütze mit der schwarzglänzenden Oberfläche lag keine Leiche mehr. Bis auf das Blut war nichts übrig, das Evrill hätte berühren können, um einen Einblick in die letzten Gedanken ihres Kontaktmannes zu erhalten. Wie drei schwarze Schatten verharrten sie vor Schock reglos am Rande der geronnen Flüssigkeit und starrten auf den Fleck, an dem vorhin noch der gebrochene Körper des großen Blondschopfs gelegen hatte. Sie erinnerte sich an ihr Gefühl, dass er ein guter Typ gewesen sein musste und ihr Herz füllte sich mit Trauer, da sie mit ihrem Hilfsgesuch wahrscheinlich seinen viel zu frühen Tod ausgelöst hatten. Sie zogen eine Spur der Verwüstung hinter sich her, wie sie da so dem Geheimnis der Steine nachjagten.
Bedauern schnürte ihr die Kehle zu und sie schloss einen Moment reumütig die Augen, schickte ein letztes Gebet für ihn und seine Angehörigen zum Himmel. Auch die anderen beiden wahrten die Stille dieses Augenblicks, teilten die letzte Andacht mit ihr. Dann wandten sie sich um und verließen den Schauplatz dieses grausamen Gemetzels, während sie sich fragen mussten, ob der Feind nicht schon hinter der nächsten Ecke auf sie wartete. Er war sehr nahe gekommen, wo sie sich doch für so schlau gehalten hatten.

Im Auto brachte Aurelia ihre Gedanken aufs Tableau: „Die räumen hinter uns auf! Die wissen, dass wir ganz nah dran sind!“ Wütend starrte sie in die dunkle Nacht hinaus, als könnte sie dort durch Zufall oder bloße Willenskraft das Phantom entdecken, dessen Weg sie heute gekreuzt hatten.
„Aber warum haben sie uns nicht getötet?“ fragte Pareios jetzt grimmig in die Runde, rief ihnen damit in die Köpfe, dass sie dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen waren und das wahrscheinlich einzig und allein, weil der Schütze es nicht drauf angelegt hatte. Sie erschauerte, als ihr auffiel, wie kurz davor sie gewesen war, das Versprechen, das sie Ezekiel gegeben hatte, zu brechen! Wobei ihr Evrill mittlerweile nicht mehr wie einer vorkam, der ihren Schutz benötigte, aber damit hatte sein Vater wohl nicht gerechnet!
„Die Schüsse sollten uns lediglich zurückschlagen, damit der Kerl fliehen konnte!“ vermutete Evrill und sein Ton war jetzt bitter, die Augenbrauen zu einem düsteren Ahnen zusammen gezogen.
„Ich habe außerdem keine Gefahr gespürt, die ganze Zeit nicht!“ trug Aurelia zu der Diskussion bei und heizte sie damit weiter an. „Das heißt, ich glaube nicht, dass die den Auftrag hatten, uns zu töten. Sie wollten ihn und nur ihn! Großer Gott, die kennen jeden unserer Schritte und dann wissen sie mit Sicherheit auch bald von Kopenhagen!“
Es war unverkennbar, dass die ganze Geschichte ihnen immer mehr aus den Händen glitt, es war, als ob jemand die Geschehnisse so lenken würde, dass sie immer nur einen Weg sahen, der sie vorwärts trug, als ob jemand wollte, dass sie genau dieser einen Spur folgten. Unversehens waren sie vom Jäger zum Gejagten geworden!
Aurelia schüttelte sich bei diesem erschreckenden Gedanken, dem wohl auch die anderen anheim gefallen waren, denn sie blickten nun alle mehr als bestürzt drein. Jetzt gab es nur noch zwei Optionen: den Schwanz einkneifen, sich erst Mal verstecken und von vorn anfangen, oder einen Zahn zu legen und versuchen, vor ihren Beobachtern in Kopenhagen zu sein. Diese würden sicher schnell darauf kommen, was genau der Fahrer ihnen erzählt hatte.

Sie entschieden sich einstimmig für Letzteres. Ihre einzige Chance war jetzt die Flucht nach vorn und ihr Gefühl, dieses verheißungsvolle Prickeln, das Aurelia schon beim Betreten dieser Stadt gespürt hatte, sagte ihr, dass dies ihr Weg war, so schrecklich er auch sein mochte. Es gehörte alles dazu, leider auch der Tod dieses mutigen Mannes, der die Rechnung, die sie offen gehabt hatten, mit seinem Tod beglichen hatte. Sie versprach sich, dass sie ihn niemals vergessen würde.
Sie kehrten zur Wohnung zurück, packten überstürzt ihre Sachen und beseitigten alle Spuren, die sie irgendwo hinterlassen hatten. Aurelia entsorgte das zerfetzte Kleid und ersetzte es durch ihre bequeme, sportliche und dunkel gehaltene Alltagskleidung. Sie rüstete sich innerlich und äußerlich, schnallte sich die Holster um Schulter und Knöchel, bestückte sie mit Waffen und Munition. Den Gürtel mit den Messern legte sie sich um die Hüften, dann zog sie ihre Lederjacke über. So ausgestattet fühlte sie sich von Stärke durchströmt, spannte kurz ihre Muskulatur an, ballte die Fäuste. Sie war bereit.
Als sie ihre Tasche nahm und als letzte aus der Wohnung trat, blickte sie zurück. Es sah aus, als wären sie nie da gewesen.

Im Auto Richtung Kopenhagen wechselten sie sich mit dem Fahren ab, damit jeder ein wenig Schlaf bekam. Sie fuhren die ganze Nacht und den halben nächsten Tag hindurch.
Irgendwann in den frühen Morgenstunden entschloss Aurelia sich dazu, Viktor anzurufen. Sie kramte nach ihrem Handy uns streifte dabei Pareios‘ Arm, der neben ihr auf der Rückbank saß und bis eben geschlafen hatte. Er blinzelte kaum, war sofort hellwach, als sie ihn ausversehen berührte. Seine Augen fanden sofort das Handy in ihrer Hand. „Du darfst ihnen auf keinen Fall sagen, wo wir hin fahren.“ war sein einziger Kommentar.
Aurelia nickte, dann wählte sie Viktors Nummer. Er meldete sich nach einer halben Ewigkeit, klang etwas außer Atem. Aurelia stellte das kleine Gerät auf Lautsprecher um, damit die beiden Anderen mithören konnten.
„Alles klar Viktor? Kannst du reden?“ „Moment!“ antwortete er jetzt flüsternd. Sie hörten eine Tür knarren, dann herrschte Stille. „Schieß los!“
„Wir folgen der Spur weiter. Es hat sich was ergeben, aber es sieht nicht gut aus, Mann!“
Viktor brummte düster, dann berichtete er: „Row ist schon den ganzen Tag im Labor und hilft Syrus bei der Sichtung der Daten auf Aidens Stick. Du hattest übrigens recht, sie hatte ihn innerhalb von zwei Minuten um den Finger gewickelt!“ Aurelia dachte an den klugen Mann mit dem schütteren grauen Haar, der sonst am liebsten alleine arbeitete und jetzt von einer allzu geschwätzigen Row unter die Fittiche genommen wurde. Ihre freundliche und liebenswürdige Art würde den Vorstoß gut verdecken, Aurelia war sich sicher. Schon gestern als sich der Plan in ihrem Gehirn geformt hatte, war sie es aus einem unerfindlichen Grund gewesen. „Aiden sitzt in der IT-Zentrale und sucht in unseren Daten nach dem Namen, das denkt zumindest Markus, ist ja auch so, aber er hält gleichzeitig Ausschau auch irgendwelchen Sachen die mit den Steinen zu tun haben könnten. Ich war heute außerdem ein bisschen im Bunker unterwegs, die Ratsmitglieder sind wirklich nicht mehr hier. Ihre Wohnungen sind leer!“
Cassiopaia, Liif, Laelius, Demetrian und Nero waren also abgereist.
„Hat Markus irgendwas dazu gesagt?“ erkundigte sie sich weiter. Viktor schnaubte jetzt verächtlich. „Noch nicht. Er geht mir aus dem Weg, wenn ich alleine mit ihm sprechen will, aber ich krieg ihn schon noch!“
„Sei vorsichtig!“ mahnte sie ihn und hoffte, dass ihre Leute im Bunker nicht in Gefahr geraten würden. Sie hatte geglaubt, dass sie unter all den Zivilisten dort erst mal sicherer waren, als hier draußen. „Und, Viktor? Ihr habt das alles wirklich gut eingefädelt! Tut gut, zu sehen, dass mal etwas funktioniert!“
„Hm! Wir bleiben dran! Ich melde mich, wenn ich mit Row, Aiden und Markus gesprochen habe.“ damit beendete er das Gespräch und Aurelia steckte das Handy zurück in ihre Tasche.

„Lasst uns beten, dass wir rechtzeitig in Kopenhagen sein können!“ murmelte Evrill vorn im Auto und drückte das Gaspedal durch. „Wird Zeit, dass wir endlich Antworten bekommen!“
Auch Aurelia und Pareios waren von Ungeduld erfüllt. Sie bemerkte, wie ihr Sitznachbar unruhig auf dem Polster hin und her rutschte. Die Morgensonne schien jetzt schräg durch die Seitenfenster herein, die Landschaft wurde zunehmend flacher und schon bald konnten sie das Meer sehen. Die Luft war klar, roch leicht salzig und nach Seewasser, als sie die Fenster herunter ließen, um sich einen Moment der schönen Umgebung hinzugeben. Da sie diese Gerüche und die Ostsee jetzt mit den schönen ruhigen Stunden auf Ezekiels Anwesen verband, fühlte sie sich augenblicklich wohl und fragte sich, ob das jetzt für immer so bleiben würde. Das Auto hopperte kurz, als sie auf die Fehmarnsundbrücke fuhren, die die Stadt Großenbrode an der äußersten Spitze der Lübecker Bucht mit der Insel Fehmarn verband. Die Ostsee lag direkt unter ihnen und weit über dem Horizont, der in endlosem Blau und Gold versank, brannte die Sonne wie ein Feuerball am Himmel, obwohl es erst gegen zehn Uhr war. Es würde ein heißer Herbsttag werden, hier in dieser Gegend, die zu den Sonnenreichsten Deutschlands gehörte. Die Schatten der Brückenstreben huschten immer wieder über das Auto, während sie mit hoher Geschwindigkeit die kleine Meerenge überquerten. Aurelia musste sich bald aus ihrer Uniformjacke schälen, da sich der Kombi in der Sonne aufzuheizen begann.
In Puttgarden reihten sie sich in eine lange Wagenschlange ein, die sich bis zum Hafen hinunter zog. Alle Autos warteten auf die Fähre, die alle 90 Minuten vom Fehmarn nach Dänemark aufbrach. Sie hatten Glück, denn es dauerte nicht lange, bis eines der monströsen Schiffe anlegte und die ersten Wagen von den Einweisern auf ihre Plätze dirigiert wurden. Sie erhielten einen Stellplatz weit hinten am Heck.
Evrill wollte die Dreiviertelstunde nutzen, um einen gesicherten Internetzugang herzustellen und die beiden Adressen zu überprüfen, die ihnen ihr Informant hatte zukommen lassen. Aurelia und Pareios stiegen aus und begaben sich auf Erkundungstour. Sie erklommen einige Treppen und erreichten das Oberdeck, auf dem sich auch ein überdachter Speisesaal befand. Sie besorgten sich dort einen Haufen Sandwiches und wanderten dann über Deck. Aurelias Beine waren im Auto schon seit Stunden eingeschlafen und die stickige Wärme, die sich im dunklen Kombi gebildet hatte, während sie auf die Fähre warteten, hatte ihren Kreislauf etwas mitgenommen. So war sie froh um jeden Schritt, mit dem sie sich die Füße vertreten konnte und genoss den strengen Wind, der ihr die Haare ins Gesicht peitschte. Bei diesen Temperaturen war er jedoch nicht eisig, sondern glich einer angenehmen, kühlen Brise. Die Menschen um sie herum waren alle sommerlich gekleidet und verströmten Urlaubsstimmung. Sie gehörten wohl zu denjenigen, die das Glück gehabt hatten, ihre Woche Ferien noch im Frühherbst bekommen zu haben. Alle waren sie ausgelassen, genossen diesen letzten Rest Freiheit, den man ihnen gelassen hatte und ahnten nichts, aber auch gar nichts von dem, was sich im Moment über ihnen allen, Menschen und Elevendern, zusammenbraute.
Evrill tat gut daran, eine Bewegung zu unterstützen, die die Menschen aufweckte. Es war höchste Zeit und einen Wimpernschlag stellte sie sich all die Urlauber in Uniform vor, wie sie für ihre Rechte und ihre Freiheit kämpften. Sie waren wie Wespen im Kampf mit Raubtieren. Eine einzige konnte nicht viel ausrichten, aber ein ganzer Schwarm war tödlich, besonders wenn die Wespen aggressiv waren. Leider standen die Überlebenschancen für die Menschen in diesem Kampf insgesamt eher schlecht und wagten sie Angriffe, bevor sie genügend Mitglieder zählten, würden die Hegedunen sie zerquetschen, wie ebendieses Insekt.
Sie riss sich von Anblick der fröhlichen Menschen los, als ihre masochistische Fantasie, schreckliche, bösartige Gesichter in die Menge projizierte. Sie fühlte sich beobachtet, gejagt. Bei dem Versuch, diese Emotionen abzuschütteln, überquerte sie das Deck aus hölzernen Planken und trat an die Reling. Stumm bewunderte sie die Macht der See, die sich in der Gischt der Wellen und der unendlichen Weite des tiefen dunklen Blaus widerspeigelte. Die Fähre pflügte durch das bewegte Nass und hinterließ schäumende Strudel links und rechts vom Heck. Der Anblick lenkte sie ab und sie fühlte sich klein und unbedeutend, wie sie so auf die Abermillionen Tonnen von Wasser hinunter sah, das sie jetzt noch trug, sie aber schon im nächsten Moment mit eiserner Zunge verschlingen konnte. Mit dem Leben war es genauso, dachte sie. Im einen Augenblick ritt man noch die Welle und im nächsten lag man schon unter ihr begraben und wurde durch geschleudert wie in einer Waschmaschine.
Pareios trat hinter sie und unterbrach ihre Gedanken. Die Hitze an ihrem Rücken zog sogleich ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er legte sie Hände links und rechts von ihr auf die Reling und umschloss sie so mit seinen Armen wie in einem Käfig. Aber sie fühlte sich nicht gefangen, wie sie es früher vielleicht getan hätte, nein, sie fühlte sich aufgehoben!
Es war herrlich, ihn hinter sich zu spüren, in diesem Augenblick, den sie sich in dieser Zeit des Umsturzes genommen hatte, um innezuhalten. Sie lehnte sich an ihn und er legte die Wange auf ihr Haar. Tröstlich drang seine Wärme durch ihr kurzärmliges dunkles Shirt, während ihre Front von den Sonnenstrahlen beschienen wurde. Sie gingen ihr unter die Haut, genauso wie der Mann hinter ihr, erreichten auch den tiefsten Kern und beschienen ihn mit ihrem goldenen Licht. Sie versuchte den Moment und die Gefühle fest zu halten, sich jedes Detail einzuprägen. Sie wusste nicht, wie viele Gelegenheiten sie noch für ein solches Glück hatte. Wie viele Male würde sie noch unter einer solchen Sonne stehen und mit dem Mann, den sie liebte, zusammen sein können? Vielleicht hatte sie nur noch wenig Zeit, das alles was sie sich bisher verweigert hatte, zu genießen, das Leben in vollen Zügen auszuschöpfen. Mit ihrer Vision im Nacken, könnte ihr bisher eher tragisches Dasein schneller vorbei sein, als sie je gedacht hätte. Und obwohl sie sich all die Jahre bestraft hatte, bemerkte sie jetzt, dass tief in ihr vergraben doch der Wunsch überlebt hatte, ein Mal ein anderes Leben führen zu können. Dazu gehörten auch die ganzen verrückten Regungen, die sie in den letzten Tagen verspürt hatte, nicht zu letzt dieser merkwürdige Mutterinstinkt. Sie fühlte sich jetzt anders, neu.

Als hätte Pareios ihre Gedanken geteilt, legte er beide Arme von hinten um sie und drückte sie fester an sich. Sie leistete nicht den kleinsten Widerstand, sondern kuschelte sich an ihn, umhüllte sich mit seinem Duft. Dann fragte sie: „Alles klar bei dir?“
Er nickte an ihrem Ohr. „Ich musste nur eben an deine Vision denken, und… dass ich dich nicht verlieren will. Ich kann nicht! Du musst mir versprechen, dass du vorsichtig bist, egal worum es geht, verstanden?“ Er drückte sie noch fester, als könne er damit verhindern, dass jemals etwas passieren würde, das sie von einander trennen könnte. Sie fühlte sich auf einer tiefen Ebene mit ihm verbunden, da ihn die selbe Ungewissheit plagte, wie sie.
Aber wenn sie an letzte Nacht dachte, graute es ihr vor der Erkenntnis, dass sie vielleicht sowieso zusammen in den Tod gehen würden.
Verdammt noch mal, nein! Ein Ruck ging durch ihren Körper, als sie sich dies innerlich selbst zuschrie. So würde es nicht enden, und wenn sie die Welt aus den Angeln heben musste!
Pareios bemerkte natürlich sofort, wie sie sich in seinen Armen versteift hatte und drehte sie jetzt mit fragendem Blick zu sich herum. „Das versprichst du mir doch, oder Aurelia?“ Seine Stimme war fest, aber es schwang auch aufsteigende Angst darin mit. Sie nickte schließlich. „Glaubst du, ich hab gerade jetzt vor, abzutreten?“ fragte sie und schenkte ihm ein sinnliches Lächeln, mit dem sie hoffte, seine düsteren Gedanken vertreiben zu können.
„Mir fallen tausend Gründe ein, warum das jetzt ein denkbar schlechter Zeitpunkt wäre!“ bestätigte er sie frech grinsend und beugte sich zu ihr hinunter. Sie reckte sich ihm auf Zehenspitzen entgegen, schlang ihm die Arme um den Nacken und empfing seine Lippen mit einem wohligen Seufzen. Ihr Körper erblühte unter seinen Händen, während er ihr die Arme hinunter strich und sie um ihren Rücken schloss. Überall fühlte sie seine Muskulatur und sie ließ los, ließ sich fallen in die unendliche Schönheit des Augenblicks. Sie schloss die Augen und träumte, ließ die Wünsche, die sie wegsperrt hatte, in ihre Seele ein, fühlte, wie sie sich ihrer bemächtigten und ihrem ganzen Dasein eine andere Richtung gaben. Sie ertastete verwundert den Reichtum an Emotionen, der sie beinahe zum Schweben brachte und nur ein Gedanke hielt sie noch am Boden: Träumen war ein gefährlicher Luxus!






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