White Night

Autor: SUNEstar
veröffentlicht am: 17.06.2012


Kapitel 1

„Sei spätestens um zehn Uhr Zuhause.“, rief Juliette, Rabeas Mutter, von unten. Das junge Mädchen, gerade erst siebzehn geworden, hetzte in ihrem Haus quer durch die Räume. Heute hatte sie lange Schule gehabt und gegen fünf Uhr begann, einige Häuserblocks weiter, ihr Tanzkurs. Seit sechs Jahren vergnügte sie sich an ihrem Hobby. Ihr Vater, Nicolas, arbeitete als Pilot und ließ sich deshalb mehrere Wochen nicht blicken. Rabea fand sich damit ab. Ihr Verhältnis zu ihrem strengen Vater, der es doch nur gut meinte, war noch nie wohlhabend gewesen. Es gab nur heftige Auseinandersetzungen, Tränen und nahezu Wutausbrüche. Juliette hingegen hielt sich aus diesen Angelegenheiten heraus und führte schon seit zwölf Jahren eine Ehe mit ihrem Mann.
Rabea packte ihre letzten Sachen, zog ihre elastische schwarze Leggins über ihre zierlichen Beine und stülpte ein braunes T-Shirt über ihren Oberkörper. Im Spiegel betrachtete sie ihr makelloses Gesicht, die rosigen Wangen, die grünen Augen und ihre hellbraunen, zurückgeflochtenen, langen Haare. In ihrer Tasche stopfte sie ihre kleinen Schläppchen ein, sowie etwas zu trinken und ein Handtuch. Noch fünf Minuten und der Unterricht würde beginnen.
„Kannst du mich nicht fahren?“, jammerte Rabea verzweifelt.
„Tut mir Leid, Schätzchen, Tante Cosima wollte jeden Augen-blick kommen.“
Rabea schnaubte verärgert. Ausgelastet und ermüdet bewegten sich ihre Beine zur Haustür. Im Kopf zählte sie ihre Sachen durch und hoffte, dass alles in ihrer Tasche war. Auf der Straße wandte sich ihr Blick zu den rasenden Autos. Die Straßen waren zugestopft und ein Überqueren war fast unmöglich. Ungeduldig dribbelten ihre Füße auf einer Stelle.
Ein Auto hielt freundlicherweise an und ließ das panische Mädchen überqueren. Es gab eine hervorragende Abkürzung durch eine kleine Gasse zwischen zwei hohen, gemauerten Gebäuden. Es war so eng, das Rabea ihre Schulter einfahren musste, um nicht an der rauen Fläche hängen zu bleiben. Es ersparte ihr fast drei Straßen, dessen Zeit das Dreifache bean-spruchen würde. Am Ende der Straße erblickten ihre Augen schon die Halle in der trainiert wurde. Mit einem erleichterten Lächeln wollte sie ein zweites Mal die Straße überqueren, jedoch stellten einige Männer der Stadt eine Baustelle auf, direkt vor ihrer Gasse.
„Entschuldigung!“, rief jemand ihr zu und Rabeas Aufmerk-samkeit wurde sofort geweckt. Ein gut gebauter muskulöser junger Mann kam auf sie zu gerannt. Seine Haare waren blond und gelockt. Durch die Sonne erleuchteten seine hellblauen Augen. „Sorry, aber du musst hier verschwinden. Wir arbeiten jetzt hier und deswegen ist dieser Ort für Passanten gesperrt.“
Rabea runzelte ihre Stirn.
„Woher soll ich denn wissen, dass ihr hier arbeitet?“, keifte sie.
Der Mann zog seinen Kopf entrüstet zurück.
„Jetzt weiß du es eben!“
Er verschränkte seine Arme vor der Brust, stellte sich in einer lässigen Haltung hin und winkte mit seinem Kopf auf die andere Straßenseite.
„Wenn du dann bitte das Gebiet verlassen würdest.“
Rabea schnaubte verächtlich. „Na dann noch viel Spaß!“
Auf der anderen Straßenseite schaute sie ängstlich auf die Uhr. Zehn Minuten Verspätung. Die anderen machten sich wahrscheinlich sowieso gerade warm. Rabea landete eigentlich schon nach knappen zehn Minuten vor ihrer Halle, doch dank des Bauarbeiters waren es dieses Mal fünfzehn Minuten. Wenn sie später um sieben aus der Halle käme und dann noch mit einer Freundin mitfuhr, wegen der bevorstehenden Mathearbeit, wäre es vermutlich schon fast dunkel, da müssten ihre Arbeiten bis dahin beendet sein. Es sei denn der Arbeiter käme auf die Idee, die Gasse komplett abzuriegeln.
Rabea schüttelte den Kopf und rannte in die Umkleidekabine der Damen. Dort landete ihre Tasche auf einer der Bänke und ihre Weste folgte. In der Halle schüttelte ihre Trainerin den Kopf und Rabea reihte sich zu den anderen, damit sie das Aufwärme-Programm, wobei Musik ihre Übungen begleitete, mitmachen konnte. Celine, Rabeas beste Freundin, zog ihre Augenbrauen zusammen.
„Das ist schon das fünfte Mal in diesem Monat. Was ist bloß los mit dir?“
„Sorry, das ist alles die Schule!“, wisperte Rabea Zähne knir-schend.
„Das hast du letzte Woche auch erwähnt und den Monat davor auch.“
Traurig senkten sich Rabeas Lider. Was sollte sie denn ihrer Meinung nach tun? Schule ging vor und in letzter Zeit war es etwas stressig. In Mathe versagte sie jedes Mal und die Zeug-nisse standen bevor, deshalb musste sie den Nachhilfekurs in der Schule annehmen. Alles lief über ihre beiden Ohren hinaus. Zurzeit war ihr Leben zu einem Chaos geworden.
„Bianca meint schon, dass deine Leistung nachlässt. Das sieht nicht gut für dich aus.“
Rabea nickte, streckte dabei ihren linken Arm nach oben, legte ihre andere Hand an den Oberarm und zog ihn nach rechts, damit er gedehnt werden konnte.
„Sie will später bestimmt mit mir reden.“
„Darauf kannst du dich verlassen.“
Rabea seufzte gekränkt.
Nach zweistündiger harter Arbeit, winkte Trainerin Bianca Ra-bea zu sich. Ihr Herz pochte ängstlich. Noch nie hatte sie in den letzten zwei Jahren an ihrer Schülerin Zweifel gehabt, aber ihre Geduld war am Ende. Kurz nachdem Rabea hierher zog, war alles in bester Ordnung, aber die Schule raubte ihre Freizeit. Alles war zur reinen Routine geworden. Aufstehen, Schule, lernen, Training und schlafen. Wo blieb da die Freude? Auch wenn Celine ab und an etwas mit ihr unternahm, war das nicht genug. Rabea wollte öfters shoppen gehen, ausgehen, das Leben genießen, aber durch ihre ständige Beschäftigung war das kaum möglich. Es war traurig.
Bianca setzte sich auf die Bank, blickte in ihre grüne Augen und begutachtete ihre stetig ändernde Mimik. Mit ihrer Handfläche klopfte sie auf den freien Platz neben sich. Rabea setzte sich.
„Was ist denn los, Kleines? Ich erkenne dich kaum wieder.“, fragte Bianca besorgt.
„Ich verspreche dir, Bianca, ich werde das hinbekommen. Ich werde versuchen früher aus dem Nachhilfekurs zu gehen und dann werde ich auch pünktlich hier sein. Das wird bestimmt besser! Wirklich!“, erklärte Rabea panisch und strich sich nervös eine Strähne hinter ihre Ohren.
Bianca schmunzelte.
„Wovor hast du denn Angst? Es ist ok, wenn du zu spät kommst. Ich möchte nur nicht, dass ein so junges Mädchen wie du, schon unter Stress steht.“
Rabea seufzte erleichtert. Ihr Kopf sank beim Ausatmen langsam auf die Brust und für einen Moment dachte sie schon, Bianca möchte sie nicht mehr in ihrer Gruppe haben. Was für eine Erleichterung.
Sanft legte ihre Trainerin die Hand auf ihre Schulter und lächelte ihr munter zu.
„Mach dir nur keinen Stress.“
Rabea bedankte sich für ihr Verständnis mit einer freund-schaftlichen Umarmung und verschwand in die Umkleiden. Unter den Duschen entspannte sich ihre belastete Schulter und Celine wartete schon ungeduldig draußen. Nachdem ihre Haare geföhnt und neu zu einem Zopf geflochten worden waren, landeten die restlichen Sachen gequetscht in der Tasche und die beiden verschwanden aus der Halle. Nach beinahe fünf Minuten sperrte Celine schon ihre Tür auf und Rabea drehte sich zur immer düster werdenden Straße um.
„Hoffentlich weiß ich nachher einen Weg nach Hause.“
„Wieso?“ fragte ihre Freundin und schmiss die Tasche in den Flur.
„Die Bauarbeiter haben meine Gasse zugeknöpft.“
„Du gehst einfach die Straße rechts hinunter, überquerst den Spielplatz, flogst der Straße nach links und irgendwann triffst du auf eine erneute Gasse, die du durchqueren kannst und den Rest des Weges müsstest du kennen.“
Verwirrt schüttelte Rabea den Kopf und versuchte die Be-schreibung ihrer Freundin zu folgen.
„Wie lange wohnst du noch mal hier?“, scherzte Celine.
Mit einem zarten Faustschlag traf sie ihre Freundin an der Schulter, die dann auflachte.
„Zwei Jahre sind nicht lang, okay?“
Celine schloss die Tür und die beiden setzten sich nach oben ins Zimmer. Eigentlich handelten ihre Gespräche nicht von Mathematik sondern eher von typischen Mädchenunterhal-tungen. Es wurde über andere Mädels gelästert, von gut aus-sehenden Jungs geschwärmt und über alltägliche Dinge geredet.
Kurz vor neun Uhr verließ Rabea Celines Haus und lief nach einer wiederholten Beschreibung die Straße entlang. Nachdem sie den Spielplatz überquert hatte, landete sie in der nächsten Straße. Doch wohin sollte sie noch mal gehen? Rechts? Links?
Rabea entschied sich die hellere Straßenseite zu benutzen um unbekannte Gassen zu meiden. Allerdings hatte ihre jetzige Straße kein Ende. Der Weg war endlos lang. Ihre Augen hielten nach einem Ausweg Ausschau, wodurch sie ihrem Haus etwas näher kommen könnte. Ihre Füße schmerzten ein wenig. Das Training war anstrengend gewesen und das einfühlsame Gespräch mit ihrer Trainerin hatte Rabea ein schlechtes Gewissen verpasst. Ob es nicht anders gehen könnte? Es gäbe noch eine weitere Trainingsstunde, von neunzehn bis um achtzehn Uhr. Jedoch trainierten dort die kleinen Kinder und lernten gerade den Spagat, den Rabea schon seit fünf Jahren perfekt ausüben konnte.
Auch wenn Laternen fast jeden zweiten Meter postiert waren, kribbelte es in ihren Fingerspitzen. Das Gefühl allein zu sein, machte ihr Angst. Warum ging ihre Mutter nicht ans Telefon? Wo war sie denn nun schon wieder? Mit einem genervten Seufzer setzte sich Rabea auf eine Bank und starrte in der Ge-gend umher. Ein kühler Windzug strich ihre Haare und verpasste ihr eine Gänsehaut. Die Häuser und das Gestrüpp am Gehweg nahmen kein Ende. Rabea kannte sich noch nicht so gut aus. Auch wenn sie schon zwei Jahre hier lebte, ging sie immer den ein und selben Weg. Ob in der anderen Richtung ein Durchgang war. Ihre Augen wanderten nach rechts. Weit hinten erkannte man noch Celines Haus. Bei der Uhrzeit und dieser Dunkelheit wäre es klüger gewesen bei Celine zu verweilen, bis sich ihre Mutter am Telefon meldete, um sie abzuholen. Aber nun war es zu spät. Ihre Freundin schlief schon bestimmt, denn ihre Armbanduhr verriet ihr, dass es schon beinahe halb zehn war. Rabea stand seufzend auf und spazierte in die entgegengesetzte Richtung. An Celines Haus betrachtete sie die dunklen Fenster, die am Fuße dreckige Hauswand und den gepflegten Vorgarten mit vielen bunten Blumen. Ob ihre Freundin ihr verzeihen würde, wenn sie erneut klingelte und sagte, sie habe Angst allein nach Hause zugehen? Rabea schüttelte ihren Kopf. Es sind doch bloß nur einige Straßen und ihr Haus würde um die nächste Ecke am Straßenrand stehen. Rabea atmete auf und lief immer weiter die Straße entlang.
Nach einigen Minuten erblickten ihre Augen einen kleinen Durchgang. Die Gasse war eng, wurde aber in der Mitte immer breiter. Nachts war solch ein Gang vollkommen düster und unheimlich. Der schmierige Betonboden war feucht und ver-schmutzt. Die Wände der beiden Gebäude, die den engen Weg bildeten, waren an ihrer Oberfläche rau und kalt. Als Rabea ein Stückchen weiter hineinging pochte ihr Herz schneller. Ihre Hände schwitzten und auf ihrer Stirn bildeten sich einzelne Schweißperlen. Ihr Atem wurde unregelmäßiger und sie musste häufiger schlucken, da ihr Hals austrocknete. Nach wenigen Metern, fand sie sich vor einem Stapel Kisten wieder. Auf der gegenüberliegenden Seite war eine Tür mit einer schwachen Lampe oberhalb des Rahmens. Hinter den Kisten ertönten raue Stimmen von zwei Männern. Rabea wollte nicht an ihnen vorbei gehen sondern versteckte sich stattdessen hinter dem Stapel. Sie hatte Angst, dass einer der Männer, solche Lustmolche oder andere perverse Personen waren, die einen praktisch überfallen, sobald sie einem ins Auge fielen. Nachdem die beiden sich ausgesprochen hatten, würde Rabea einen leisen und unbemerkten Abgang machen. Ihre Knie wurden weich und aus Angst zusammenbrechen zu können, sank ihr Hinterteil vorsichtig auf den Boden. Ohne die reinste Interesse an dem Gespräch zu haben, konnten ihre Ohren jedes einzelne Wort vernehmen.
„Wie viel sagst du?“, fragte der ältere Mann mit der rauen Stimme empört. Nebenbei lachte er kurz auf.
„Sechstausend.“, gab ein etwas jüngerer Kerl Antwort.
„Für zwanzig volle Kisten? Ist das nicht ein wenig übertrieben? Immerhin sind es nur Federn.“
„Du weißte ganz genau wessen Federn es sind und du weißt auch, dass es Einzelstücke sind, darum sind sie auch teuer.“
„Bist du dir sicher, dass man aus ihnen besseren Stoff machen kann? Mein Chef macht mich dafür verantwortlich, wenn die Qualität nicht stimmt.“, zweifelte der alte Mann. Rabea setzte sich ein wenig höher und schaute durch einen Schlitz. Sie er-kannte nur einen Buckel, darüber war nur eine dünne graue Weste gestülpt. Der jüngere Kerl konnte sie dennoch nicht ganz erkennen. Es war nur sein Mund und die Nase zu sehen. Rabea fragte sich über was die beiden so Wichtiges um die Uhrzeit wegen ein paar Federn besprachen. Eintausend Euro? War das Material vielleicht aus Gold? Ihre Ohren lauschten dem Gespräch weiter.
„Du hast jetzt die Wahl. Wenn du deinen Chef glücklich machen willst, sind es die tausend Euro wert.“
Der alte Mann zögerte und nickte dennoch nach wenigen Se-kunden zu.
„Ich hoffe für euch, dass ihr die Wahrheit sagt.“
Der Jüngere grinste erfolgreich und der alte Mann zog aus seiner Weste einen Umschlag. Vermutlich hatte er dort das Geld verstaut. Humpelnd bewegte er sich zur Tür und drehte sich ein letztes Mal um.
„Du wirst es nicht bereuen!“, rief der Jüngere ihm hinterher, der alte Mann rümpfte nur seine Nase und brummte misstrauisch. Als die Tür zufiel, öffnete er den Umschlag und zählte das Geld nach. Tatsächlich waren ganze eintausend Euro in zwei-hunderter Scheinen drinnen. Es war eine Menge Geld. Wofür waren diese Federn denn gut? Rabea schüttelte missverstanden den Kopf. Ob es ein illegales Geschäft war? Der Kerl ging die Gasse entlang und als er beinahe außer Reichweite war, stand Rabea auf, stützte sich an einer der Kisten ab und stieß versehentlich eine Wein Flasche hinunter, die dann auf dem Boden zerbrach. Der Knall war so laut, das die Aufmerksamkeit sofort wieder geweckt worden war. Der Mann zählte eins und eins zusammen, als er Rabea betrachtete, wie sie hinter den Kisten hervor kam und wusste, dass sie das Gespräch belauscht hatte. In ihren Beinen staute sich das Blut, sodass ihre Beine taub wurden. Ihre Augen blickten ängstlich zu dem rasend schnellen Mann, der einen ziemlich wütenden Eindruck machte. Rabea nahm ein letztes Mal ihre Beine in die Hand und sprintete los. Ihre Schritte wurden immer größer, dennoch näherte sich der Mann. Es hatte den Anschein, als ob sie keinen Schritt vorankäme. Das Ende der Gasse war noch zu weit weg. Rabeas Brust schmerzte und brannte, als ob sie gleich explodieren würde. Ihre Muskeln fühlten sich wie ein zugestopftes Kissen an, das jeden Moment aus all seinen Nähten platzte. Ihre Lippen wurde spröde und trocken, durch das schnelle Aus- und Einatmen. Ihre Kehle schmerzte wie Feuer. In ihrem Kopf wollte sie nur aus dieser Gasse hinaus, in der Hoffnung dass der unheimliche Kerl sie nicht mehr verfolgte. Aber noch bevor ihre Haut das Licht erreichte, griff eine starke Hand nach ihren Haaren und zog sie augenblicklich zurück. Die Kraft war so enorm, das ihr kompletter Körper in eine Rücklage kam und als die Hand ihre Haar losließ, kam ihr Kopf auf dem Boden auf. Sie spürte nur einen kurzen Stich an ihrem Schädel und auf einem Schlag war sie bewusstlos. Der jüngere Kerl kratzte sich am Kopf.
„Oh, verdammt!“, fluchte er und wusste nicht, ob er sie liegen lassen sollte. Dennoch hatten ihre Ohren das Gespräch ver-nommen, der Boss würde sauer werden und ein Risiko sollte ich lieber nicht eingehen, dachte er sich. Seufzend warf er das Mädchen um die Schulter, lief einige Gassen und Straßen ent-lang und trat mit prüfenden Rückblicken in eine alte verlassene Werkstatt ein. Dort legte er das Mädchen in einem alten unangenehm riechenden Lagerraum hinein. Hier waren alle Kisten mit den Federn verstaut.
Nach wenigen Minuten wachte Rabea auf und fasste sich quietschend an den Kopf. Er tat furchtbar weh. Ihre Kopfhaut fühlte sich gereizt an und brannte. Aber vor allen Dingen brummte ihr Schädel und die Schmerzen hörten nicht auf. Durch rhythmisches Aus- und Einatmen legte sich der Schmerz. Als sie wieder an Fassung fasste, blickten ihre Augen desorientiert in den Raum. Eine kleine schwache Glühbirne brannte über ihr. Das Bild war ein wenig verschwommen, besserte sich jedoch mit der Zeit. Überall um ihren Körper herum standen Holzkisten. In einer war eine Kerbung und es schaute eine weiße große Feder heraus. Rabea nahm diese in die Hand und musterte den Gegenstand. Die Fasern waren unfassbar weich und die Innenfahne glänzte im Licht. Der Kiel war sehr kräftig und fast nicht zu brechen. Die Spule war dadurch unglaublich scharf am Ende. Eine wirklich außergewöhnliche Feder und allmählich begann Rabea zu verstehen, warum dieses Stück so viel Geld wert war. Hinter ihr befand sich eine Tür und dumpfe Stimmen waren zu erkennen. Nach einigen Minuten kamen Schritte immer näher und Rabea steckte sich die Feder in ihre Jackentasche. Die Tür sprang auf und ein Mann, kurzgeschnittene blonde Haare, stoppeliger Bart und einem mürrischem Ausdruck im Gesicht kam auf Rabea zugelaufen. Rückartig riss er sie hoch und zerrte sie ins nächste Zimmer. Auf einem Stuhl sammelten sich wieder ihre Gedanken und ihre Augen betrachteten ihr Umfeld. Angefangen links am Ende des Tisches saß ein junger Kerl, der die gleiche untere Ge-sichtsform hatte, wie der, der sie bewusstlos schlug. Seine Au-gen waren dunkelbraun und seine haselnussbraunen Haare waren ein wenig keck frisiert. An beiden Seiten seines Kopfes wurden sie rasiert und umso höher man mit dem Augen zur Kopfspitze wanderte, umso länger wurden sie. Vorne formte er die längsten Haare zu einer Welle, die er dann nach hinten frisierte. An seinem rechten Mundwinkel befand sich ein sil-berner Ring. Seine Haut war makellos rein und sein Ausdruck war dennoch nicht so düster, wie Rabea anfangs wahrnahm. Er trug eine schwarze Jeans und ein bordeauxrotes T-Shirt, das eng an seiner Haut lag. Daneben saß ein - vielleicht sogar in ihrem Alter - junger Asiate. Seine Haut war für seine Abstammung ziemlich dunkel und die Haare waren schwarz. Er grinste Rabea freundlich an, als er merkte, dass sie ihn musterte. Er war kein Chinese, denn das Profil seiner Nase war genauso geformt wie die der anderen. Er hatte auch keine allzu strengen Schlitzaugen, sondern ihre Form war eher in die Höhe gezogen, wodurch sie groß wirkten. Er trug ein dunkelbraunes Hemd und eine blaue Jeans. Seine Schuhe waren flach und schwarz. Gegenüber von ihr saß eine wunderschöne charmante Lady. Ihr schwarzes Haare war glatt und lang. Auf ihren Lippen trug sie dunkel violetten Lippenstift, der im Licht einen eleganten Ton abgab. Ihre Augen waren hellblau und funkelten. Durch den schwarzen Lidschatten und die einzelnen perfekten Feinheiten, kamen die Augen noch besser zur Geltung. Ihre schneeweiße Haut schimmerte. Der Kerl, der Rabea in den Raum zerrte, setzte sich hinter das Mädchen und achtete auf die kleinsten Bewegungen.
„Behandelt man so eine Dame?“, sagte die Lady schneidig.
„Cheyenne!“, rief der keck aussehende Kerl und legte gemütlich seine Füße auf den Tisch.
„Füße runter! Sonst knallt’s!“, schrie Cheyenne und schlug mit geballter Faust auf die holzige Fläche.
Der Kerl erschrak, wankte mit seinem Stuhl hin und her, konnte das Gleichgewicht nicht halten und viel zu Boden. Rabea musste sich ein Lachen unterdrücken. Der Asiate zeigte mit ausgetrecktem Finger, auf den am Boden liegenden Kerl und lachte laut los.
„Das hast du verdient, Iven!“
Brummig stand der so scheinheilige coole Typ auf und setzte sich beleidigt auf den Stuhl.
„Danke, das du mich blamierst, Cheyenne.“
„Selbst schuld.“
Nach wenigen Sekunden ertönten laute Schritte und das Holz begann zu Knarren. Die Person musste ziemlich kräftig sein, denn der Boden fing an zu beben. Rabea vernahm leichte Vib-rationen unter ihren Füßen und ihre Augen blickten auf den Grund. Nach wenigen Sekunden standen große Pranken vor ihr und ihr Blick wanderte nach oben zu einem großköpfigen muskulösen Mann. Er hatte eine Glatze auf dem Kopf, über der ein unbekanntes Muster gestochen wurde. An seiner linken Wange war eine dicke Narbe, als ob ein Messer quer über sein Gesicht gestreift wäre. Seine Augen waren stechend blau über seiner Oberlippe war ein schwarzer Schnauzer. Er räusperte sich, zog seine befleckte Jeans nach oben und stopfte sich sein T-Shirt in die Hose. Mit einem düsteren Blick musterte er das ängstliche zitternde Mädchen. Rabea versuchte ihre Hände still zu halten, um keine Angst zu zeigen, aber egal wohin sie sie steckte, das Zittern war deutlich zu erkennen.
„Das ist also das Mädchen, das gelauscht hat, ja?“, fragte der riesige Mann.
„Ja. Carlos, denk dran, sie ist noch jung.“, gab Cheyenne ihm Antwort.
Er schnaubte, schnappte sich einen Stuhl und setzte sich neben Rabea. Er versuchte ihr in die Augen zu schauen, aber ihr Kopf sank auf ihre Brust. Ihre Lider waren zugekniffen und er berührte sie am Arm. Rabea zuckte erschrocken.
„Warum hast du gelauscht? Zu wem gehörst du?“, fragte Carlos noch halbwegs freundlich.
Iven stand vom Stuhl auf und setzte sich auf den Tisch. Rabea wurde von beiden Seiten begutachtet. Ihre Augen wanderten zu Cheyenne, die sie erwartet anschaute. Die einzige vernünftige Person hier im Raum war wie immer eine Frau. Männer waren dafür zu hart und dickköpfig, sie besaßen das Feingefühl nicht. Aus Angst schwieg Rabea.
„Antworte mir!“, schrie Carlos und schlug mit geballter Faust auf den Tisch. Erneut zuckte ihr Körper und eine Gänsehaut überkam sie. Das Zittern wurde stärker und das Herzrasen lau-ter. Carlos biss erzürnt auf die Zähne, wirbelte mit den Augen über ihren Körper und in seinem Kopf schwebte der Gedanke zu härteren Mitteln zu greifen. Rabea war vollkommen einge-schüchtert, das erkannte natürlich niemand in dem Raum. Außer Cheyenne, die das Geschehen genau beobachtete.
Carlos wartete noch einen Moment, blickte Rabea fuchsig an und ballte seine Faust kräftig.
„Na gut, wie du willst.“, murmelte er und stand ruckartig auf. „Iven! Wir bringen sie in unsere besondere Kammer.“
Bevor das Schlimmste eintrat, erhob sich Cheyenne von ihrem Stuhl, blickte beiden durchdringend in die Augen und rief: „Halt!“
Carlos Lider weiteten sich.
„Lasst mich mit dem Mädchen einen Augenblick allein, okay?“, bat sie die Jungs und nur unfreiwillig stimmten sie zu. Im Raum befanden sich nur noch Rabea und Cheyenne. Die Dunkelhaarige ging annähernd um den Tisch herum und setzte sich auf Carlos Stuhl. Ihr beruhigender Blick ruhte auf dem verängstigten Mädchen.
„Wie ist dein Name, Kleine?“, fragte sie.
„Rabea.“
„Du darfst ihnen nicht böse sein. Sie haben selbst Angst. Carlos mag zwar von außen grausam wirken, aber es gibt keinen Grund sich vor ihm zu fürchten. Aber sag, Rabea, wieso hast du gelauscht? Machst du das sonst auch immer?“, fragte Cheyenne und ihre Stimme hatte einen einfühlsamen Effekt.
„Ich wollte das gar nicht. Eigentlich wollte ich doch nur nach Hause. Ich kam von einer Freundin und wohne noch nicht lange hier, deshalb verirrte ich mich und lief durch diese Gasse. Aus Angst von den beiden Jungs angepöbelt zu werden, versteckte ich mich eben hinter den Kisten. Dabei hörte ich den Männern zu.“
Cheyenne massierte sich die Stirn. Sie glaubte dem Mädchen. Warum sollte sie auch Lügen? Ihr Körper war viel zu zart für einen Konkurrent ihrer Organisation. Es musste die Wahrheit sein. Nur wegen eines kleinen Missgeschicks durfte, nach Carlos Meinung, das Mädchen nun für die Organisation arbeiten. Das Risiko, das Informationen in die falschen Ohren gelangen könnten, war zu groß.
Nach wenigen Minuten öffnete Cheyenne die Tür und neugierig flitzten alle Jungs wieder hinein. Cheyenne erklärte die Situation des Mädchens. Carlos blickte erneut dem Mädchen in die Augen. Dieses Mal hielten die beiden strengen Blickkontakt. Der äußerlich harte Mann erkannte in Rabeas Augen leichte Tränen, die durch ihr zittern, wackelten. Er stellte fest, das eine große Angst in ihr herrschte und ihr einziger Wunsch war, hier heraus zu kommen. Aber schon einmal, in seiner Vergangenheit wurde er arglistig hereingelegt. Beinahe wäre seine komplette Organisation den Bach hinunter gelaufen, doch seine engsten Mitglieder konnten das Lenkrad herumdrehen. Falls dies erneut eine Falle seien würde, wäre dann sein Leben endgültig geliefert.
„Auch wenn du die Wahrheit sprechen magst, kann ich dich trotzdem nicht gehen lassen. Das Risiko ist zu groß.“
Rabea schloss enttäuschend die Augen und eine Träne kullerte ihre Wange hinunter. Was wird bloß mit ihr Geschehen? Ob er sie vor die Wahl stellen würde zwischen Leben oder Tod? Rabea wurde bei diesem Gedanken eiskalt.
„Carlos, dieses Mädchen ist unschuldig!“, rief Cheyenne.
„Halte dich da raus! Du weißt genau, was beim letzten Mal passierte, als wir das zuließen. Eine zweite Chance bekommt niemand.“
Seine Augen wurden düsterer, die Mimik spannte sich an und noch bevor Rabea etwas sagen wollte, stach etwas schmerzhaft in ihren Hals. Ihre Augen erkannten nur das Ende einer Spritze und danach fielen ihre Lider zu.






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz