Beste Freunde auf Lebenszeit ? - Teil 9

Autor: Lololo
veröffentlicht am: 21.07.2012


Ich genoss Tylers Umarmung noch einmal in vollen Zügen bis ich mich dazu entschied, mich nun endgültig – und hoffentlich auch das letzte Mal mit meiner Vergangenheit auseinander setzen zu müssen. „Tyler ich.. ich kann nicht mehr“ flüsterte ich leise und doch laut genug um von Tyler verstanden zu werden. Laut genug um zu verstehen, wie schlecht es mir doch eigentlich ging und leider laut genug in meinen Ohren, um mich wieder einmal zu quälen. Immer noch saß ich wie ein kleines Kind auf seinem Schoß. Wie ein jämmerliches Häufchen Elend. Ich fühlte mich einsam.. Allein gelassen von der Menschheit, im Stich gelassen von geliebten Menschen. Ganz einfach: Ich fühlte mich scheiße! Tyler hob mich sanft hoch und legte mich auf Robins Bett. Er legte die Decke über mich und kuschelte sich gleich mit unter. Ich verabscheute dieses Bett und doch konnte ich diesem Moment nicht entfliehen. Er schaute mir lange in die Augen, so als würde er meine Gedanken lesen. Die Gedanken, die ich in das hinterste Eck in meinem Inneren geschoben hatte. Die Gedanken die mich immer wieder erschaudern ließen. Er las meine Gedanken wie ein offenes Buch. Seite für Seite. Er drang ein in meine Welt, wobei er nicht viel erfahren konnte. Denn meine Welt war zerstört so wie mein Herz und ich. Ich hielt seinem intensiven Blick stand. Sein Blick löste Gefühle in mir aus, die ich lange nicht mehr gespürt hatte. Tyler richtete seinen Blick an die Decke dort verharrte er auch eine Weile. Er wollte mir damit zeigen, dass er mir zu höre und mich nicht anstarre beim reden, denn dies würde mein Handeln deutlich beeinträchtigen. Herr Gott wieso musste dieser Junge so perfekt sein ?

Ich kannte diese Art von Kälte, die mir die Brust zuschnürte und mir schreckliche Angst einflößte. Der Gedanke daran quälte mich und so quälte ich mich mit dem Gedanken daran. Jedes Mal wenn ich daran denke wird mir schlecht – bei jedem einzelnen Gedanken daran, einfach so, wie aus dem nichts tauchen diese Angst einflößenden Gefühle auf. Jedes Mal wenn ich mich mit dem Thema auseinandersetzen möchte, lässt mich eine Gänsehaut erschaudern. Irgendwie wollte ich mich auch quälen vielleicht würde es mir ja helfen können endlich alles zu verarbeiten. Doch immer wieder täuschte ich mich! Nun schaute auch ich zur Decke, nur dass ich weiterhin heulte und ich spürte wieder jede Erinnerung in mir aufkommen. Erinnerungen taten verdammt nochmal weh! Ja ich hatte ein schlechtes Gewissen. Ich hatte versucht für eine kurze Zeit meinen Vater zu ignorieren, ihn zu vergessen. Ich wollte nicht wahrhaben, dass mein über alles geliebter Vater nun ein Engel geworden ist. Gott brauchte wohl wieder neue Engel.. Und doch wusste ich, dass wir alle einst sterben werden, doch ihn hat es viel zu früh aus dem Leben gerissen.

„Ich vermisse ihn“ stotterte ich brüchig. „Ich vermisse alles an ihm“ flüsterte ich und wusch mir die Tränen mit dem Handrücken weg. Tyler brauchte nichts zu antworten, er wusste ganz genau wen ich meinen würde. Diese Tatsache erleichterte es mir erheblich um über meine Gefühle zu sprechen. Gefühle die ich wochenlang unterdrückt hatte. Gefühle die mein Herz zerrissen. „Tyler ich.. ich weiß einfach nicht wo ich anfangen soll aber ich weiß, dass die Zeit gekommen ist darüber zu sprechen.“ flüsterte ich mit einer dünnen Stimme. Meine Tränen fanden ihren Weg mal wieder spielerisch aus meinen Augen. Sie brauchten keine Erlaubnis. Ich hatte meine Augen fest geschlossen und mir auf die Lippe gebissen nur um für eine kurze Zeit einen klaren Gedanken zu fassen, bis ich einen festen Händedruck wahrnahm. Er war da für mich – ganz gleich was ich auch tun würde.
„Er ist viel zu früh von uns gegangen Tyler.. Unser Tag hat ganz normal angefangen. Wir haben morgens in bester Laune zusammen gefrühstückt und alles war in bester Ordnung. Selbst unser letzter Streit schien mir ziemlich lang her gewesen zu sein.
Ich verließ nach dem Frühstück das Haus ohne zu wissen, dass ich meinen Vater das letzte Mal sehen würde und meine Mutter hatte ich seitdem auch lang nicht mehr glücklich gesehen.“ sagte ich und jede Erinnerung tat höllisch weh. Es schmerze unendlich. Wann hatte ich das letzte Mal vor jemandem so sehr geweint?
„In der großen Pause alberten Matt und ich herum und schmiedeten Zukunftspläne. Natürlich war unsere Hochzeitsplanung nur grob geschmiedet und bis dato nur daher gelabert aber irgendwie hat es sich alles normal angefühlt. Nach der großen Pause wurde ich mitten im Unterricht zum Direktor geschickt, der mir erzählte, dass meine Mutter angerufen hatte und ich so schnell wie möglichst ins Krankenhaus kommen soll. Er hat mich für die fehlenden Stunden auch sofort entschuldigt.“ sagte ich und biss mir erneut auf die Lippen um neue Tränen zu unterdrücken. Nur schade, dass mir diese Taktik nicht helfen wollte. Erneut überkam mich eine Trauerwelle und riss mich mit sich. Erneut sackte ich komplett in mich zusammen und heulte was das Zeug hielt. Ich krallte mich an der Bettdecke fest um nicht völlig durchzudrehen. Tyler strich mir die Tränen weg und ließ seine Finger über meinen Arm kreisen – als Beruhigung. „Ich bin bei dir Morena, alles wird wieder gut“ flüsterte er zärtlich. Doch selbst Tyler würde wissen, dass ich noch eine lange und schmerzhafte Zeit vor mir hatte, bis ich alles verkraften konnte. Zitternd kniff ich meine Augen zusammen und fuhr fort. „Im Krankenhaus angekommen fand ich meine Mutter vor seinem Krankenzimmer auf dem Boden liegend nieder. Sie war völlig fertig...“

Die Erinnerung daran überkam mich wie ein Blitz und ließ jeden einzelnen Zentimeter Haut erfrieren. ~ .. Wie eine verrückte rannte ich die Treppen hinauf. Das mit dem Fahrstuhl dauerte mir viel zu lange. Ich spürte, dass es hierbei um Zeit ginge. Nach weiteren Sprunghaften Schritten fand ich meine Mutter zusammengekauert auf dem Flurboden nieder. Sie weinte – weinte so laut, dass sie wohl jeder auf dieser Etage hören musste. Es musste etwas schreckliches passiert sein. Schnell überbrückte ich die Distanz zwischen uns und ließ mich zu Boden fallen, um sie gleich in meine Arme zu nehmen und sie hin und her zu wiegen. Bis dahin wusste ich natürlich noch gar nicht was eigentlich los war. Später standen wir in dem Krankenzimmer und hörten die Worte eines Arztes, die niemand gerne hören würde. „Tut mir wirklich Leid Miss, wir haben wirklich alles versucht um ihn zu retten aber es ist zu spät.“ Immer wieder kreisten seine Worte in meinem Kopf umher. Zu spät zu spät.. \' wirklich alles versucht um ihn zu retten\'.. ~

Der Gedanke ließ mich wieder einmal kräftig erschaudern. „Nach endlosen Stunden in Ungewissheit erlöste uns der Doktor indem er unsere Welt zerstörte. Ist das nicht lustig Tyler? Plötzlich ist alles vorbei.. Einfach so. Plötzlich rauschen an dir in weniger als 10 Sekunden 17 Jahre vorbei. Einfach so, ohne Erlaubnis.“ ich wedelte mit meinen Händen vor meinem Gesicht herum, um die Tränen zu trocknen die meine Augen brennen ließen. Es brannte fürchterlich und juckte. Sicherlich waren sie dick angeschwollen, doch das schien jetzt auch egal zu sein. „Danach wusste ich nichts mehr mit mir anzufangen. Meiner Mutter ging es selber nicht gut und sie versuchte damit klar zu kommen. Das habe ich auch versucht und in Verdrängung habe ich die ultimative Lösung gefunden – die mir natürlich gar nichts brachte. Ich habe Matt verlassen, weil ich es nicht für richtig hielt eine Beziehung zu führen, wenn ich doch trauern sollte was ich auch tat. Ich sollte doch traurig sein, wenigstens für eine Zeit lang das wollte mein Dad doch sicher, oder? In den ersten zwei Wochen ließ ich meinen Gefühlen noch freien Lauf. Tagelang hatte ich mich eingesperrt und Nächtelang durch geweint und alles hat nichts gebracht.
Ich hab gedacht ich wäre stark Tyler. Ich hab gedacht, ich könnte es auch alleine schaffen. Aber richtige Freundinnen hatte ich gar nicht mit denen ich darüber hätte reden können. Ich habe dort keinem so vertraut wie Matt aber selbst in dieser Zeit konnte ich keinem Vertrauen oder an mich heran lassen. Die Einzige die alles wusste war Broke. Broke fand die Idee mit dem Verdrängen abscheulich aber trotzdem habe ich es durchgezogen und einen auf \'Untouchable\' gemacht. Klar ich bin doch die starke Morena. Aber eigentlich bin ich doch noch die kleine Morena die einfach nichts aber auch rein GAR NICHTS dazu gelernt hatte“ sagte ich mit tränen erstickter Stimme und schwieg. Konnte mir das wirklich helfen? Ich hatte ihn wieder vor meinem inneren Auge. „Mein Vater war immer da für mich. Du kanntest ihn doch, er war ein toller Mann. Mein Ehemann soll auch so werden wie er. Er soll seine Familie genauso lieben wie mein Vater uns geliebt hatte. Es gibt keinen Zweifel, dass er Mama und mich liebte. Er stand hinter mir, egal was ich tat. Er spielte mit mir oder mit uns.. Weißt du noch früher, als er immer uns Pferdchen spielen wollte. Nach Jahren begriff ich, dass er dies nicht freiwillig tat aber er wusste, dass wir es so sehr liebten. Damals trug er mich auch oft auf seinen Schultern und dieser Platz war der sicherste den ich mir je hätte vorstellen können. Bei ihm fühlte ich mich sicher, beschützt aber vor allem geliebt. Es gibt viele Eigenschaften aber die Liebe zu einem Vater kann man nicht beschreiben. Er hätte noch so vieles mit uns erleben sollen.. Meinen Abschluss, das College, Mamas Arzterfolge und jetzt ist er nicht mehr hier und ich weiß nicht wie es weiter gehen soll...Ich liebe ihn so sehr, dass es kaum in Worte zu fassen ist. Du denkst sicher, ich hätte nicht den Mut mich meinen Gefühlen zu stellen. Das dachte ich auch aber mit dir ist alles so einfach Tyler. Ich danke dir so sehr.“ sagte ich mit geschlossenen Augen und stellte mir alles Bildlich vor. Wie seine strahlend Blauen Augen auf mir ruhten, seine feinen Gesichtszüge wenn er lächelte, die Art, wie er alles so einfachen aussehen lassen konnte.. Ich war Tyler dankbar, dass er mir zu hörte und mich nicht bat, ihn anzuschauen. Ich konnte eh nichts sehen, denn meine Augen brannten immer noch fürchterlich. Nun war es draußen, alles was sich in mir angestaut hatte. Und jetzt gab es nur noch einen Weg – nämlich gerade aus!

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Endlich hat sie mir einen Einblick in ihre wirkliche Welt gewährt. Ich konnte mir schon von Anfang an denken, dass sie tief in ihr drinnen trauern würde und dass sie litt. Und jetzt hat es sich Bestätigt. Meine arme kleine .. Ich fühlte mich schuldig, obwohl mich keine Schuld traf. Dennoch tat sie mir so leid. Wie sie hier neben mir lag, so hilflos. Sie weinte, sie weinte die ganze Zeit über. Während sie mit ihrer brüchigen Stimme erzählte bekam ich eine richtige Gänsehaut. Ich litt mit ihr und es schien so, als ob ich alles selbst mit erlebt hatte. So etwas hatte ihre Familie nicht verdient, keiner verdient so etwas und doch ist es ein Menschlicher Prozess. Geliebte Menschen müssen gehen, damit andere kommen können. Es ist ein lebenslänglicher Akt: Geliebte Menschen gehen lassen. Du lernst jemanden kennen, magst diese Person oder verliebst dich. Jedoch musst du irgendwann loslassen. Ob du möchtest oder nicht und es wird weh tun. Es wird verdammt nochmal weh tun. Es wird sich anfühlen, als ob dir jemand das Herz heraus gerissen hätte. Natürlich mit voller Kraft, denn es soll ja ordentlich bluten. Du wirst weinen und du wirst trauern. Irgendwann wirst du dich Fragen Wieso? Du wirst eine Trauerzeit durchleben aber irgendwann, werden dir wieder geliebte Menschen auf die Beine helfen. Irgendwann siehst du wieder einen Sinn im Leben und man sollte Dankbar sein, für das Leben das man gerade lebt. Schließlich sollte man jeden Tag so leben, als wäre es dein letzter.
Hier lag ich also – als Freund und Helfer in schweren Zeiten. Ich wollte ihr wieder zeigen wie schön das Leben doch sein kann. Genau jetzt braucht Morena jemanden, der ihr zu hört und sie auch einmal weinen lässt. Einen echten Freund eben, Menschen die sie gern haben..

Minutenlang lagen wir eng aneinander, ich fuhr ihr durch ihre Haare und drehte einige Strähnen um meinen Finger. Sie sagte nichts – das brauchte Morena auch gar nicht. Ihren Kopf hatte sie auf meiner Brust platziert. Immer wieder streichelten meine Finger über ihre Wangen, bis ich ihr Gesicht in meinen Händen hielt und sie lange anschaute. Sie fing an zu lächeln, trotz Glasiger Augen. Ihre Wimpern klebten zusammen, ihre komplette Schminke war nun verlaufen. Ihre Haare sahen schon längst nicht mehr so aus, wie am Anfang und trotzdem sah sie Wahnsinnig schön aus.





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