Zwischen Glamour und Gosse - Teil 9

Autor: zeitvorhang
veröffentlicht am: 25.06.2012


Hier kommt auch schon Teil 9 :)
Viel Spaß beim Lesen!

Greez
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9:

"Vic-Schatz! Schön, dich zu sehen!"
"Ich finde es aber nicht schön, dich hier zu sehen, Janna! Was treibst du hier?!" Er schüttelte sie und schaute sie immernoch fassungslos an. Er konnte es nicht glauben, Janna, seine kleine, wunderbare Jannie, die ihm versprochen hatte, nie Drogen zu nehmen, hier in diesem Kabuff SO zu sehen.
Mittlerweile hatten es die Drogen zugelassen, dass Janna ihre Umgebung wieder etwas besser wahrnahm und sie klarer reden und denken konnte.
"Ob du es glaubst oder nicht", sie versuchte ihre Stimme ernst klingen zu lassen. "Ich bin glücklich hier. Ich habe hier wahre Freunde gefunden, okay? Sie haben das selbe durchgemacht wie ich und verstehen mich!"
Ohne, dass sie es gemerkt hatte, hatte Victor sie nach draußen gezerrt. Erst als sie vor dem Club standen, realisierte sie es, da ihr die kühle Nachtluft entgegenschlug und in ihrer Lunge brannte.
Es war kalt, Janna fror, sie hätte wirklich eine längere Hose oder wenigstens eine Jacke anziehen sollen. Aber woher sollte sie denn wissen, dass Victor genau HEUTE hier antanzte und sie vom Feiern abhielt?! Noch dazu an ihrem Geburtstag!
"Ich bringe dich nach Hause. Wo wohnst du?"
Es dauerte einen Moment, bis seine Worte zu ihr durchdrangen, es fühlte sich so an, als würde Victor aus zehn Metern Entfernung die Worte flüstern.
"Ich weiß es nicht mehr.", brachte sie dann raus. Sie hatte doch tatsächlich vergessen, wo sie wohnte! Wie peinlich war das denn bitte?
Aber sie konnte nichts daran ändern - sie hatte ihre eigene Adresse nirgendwo gespeichert. Wozu auch? Normalerweise wusste sie ja, wo ihr Haus war.
"Was soll das denn jetzt heißen!?", aufgebracht zwang er sie, in sein Auto zu steigen. Obwohl sie sich heftig dagegen wehrte, zeigten die Drogen ihre Wirkung und ließen sie schlaff und kraftlos werden.
"Vic! Ich bin auf einem Trip, klar? Ich bin high, total drauf! Ich weiß gar nichts mehr!", ihre Stimme war schwach, aber ein kleiner Funken Wut war trotzdem rauszuhören.
"Ich bin froh, dass ich deinen Namen noch weiß. Und ich bin so, bis die Wirkung nachlässt."
Resigniert seufzte Victor auf und warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. "Und wie lange dauert das noch?", fragte er genervt.
"Wenn du so ankommst, red ich gar nicht mehr mit dir!", fauchte sie.
Victor atmete einmal tief ein und wieder aus und fuhr sich mit der Hand durch sein dunkelbraunes, fast schwarzes Haar, das wie immer so aussah, als wäre er gerade erst aufgestanden - dabei stylte er es so.
Im Schein der matten Lampe, die im Auto brannte, konnte Janna endlich sein Gesicht genauer erkennen. In den letzten zwei Jahren hatte sich nicht viel an ihm verändert. Er sah reifer aus, nicht mehr so jungenhaft und abenteuerlustig.
Früher hatte er, wenn er sie von irgendwo heimlich abgeholt hatte, immer ein Funkeln in den Augen und ein lockeres Lächeln auf den Lippen gehabt.

--
Es war schon spät, als Victor endlich auftauchte und Janna abholte. Sie hatte fast eine halbe Stunde vor der Halle gewartet, in der sie bis vor ungefähr einer Stunde noch auf dem Laufsteg rumgestöckelt war. Der Abend war grandios gewesen, Janna hatte danach viel Lob gehört, von wegen sie hätte fantastisch ausgesehen und wäre wie ein Engel über den Laufsteg geschwebt.
Janna war glücklich, Modeln machte ihr Spaß und die Leute liebten sie.
Es fühlte sich großartig an.
"Na, heil angekommen?", fragte Vic mit einem Grinsen im Gesicht und den Blick auf ihre Füße gerichtet. Janna trug mörderisch hohe High Heels, ihre Füße taten höllisch weh und sie wusste jetzt schon, dass sie die nächsten Tage nurnoch in Turnschuhen rumlaufen würde. "Mehr oder weniger, ja", lächelte sie und wurde von Victor in die Arme gezogen. Sofort meldeten sich die Schmetterlinge in ihrem Bauch wieder und es schlich ein wohliger Schauer ihren Rücken hinauf. "Du siehst wunderschön aus", hauchte Victor gegen ihre Lippen, ehe er sie zärtlich küsste.
So schön der Moment auch war, sie konnten sich in der Öffentlichkeit nicht so sehen lassen - immerhin stand ihr guter Ruf auf dem Spiel, und den wollte keiner der beiden verlieren.
"Steig ein", lächelte Victor und hielt Janna die Beifahrerür seines Wagens auf.
"Wohin fahren wir?", fragte Janna, als sie feststellte, dass er nicht wie üblich in die Richtung seiner Wohnung vor. "Lass dich überraschen".

Janna beobachtete ihn eine Weile von der Seite. Sie liebte es, ihn zu beobachten. Egal wann.
Ihr fiel mal wieder auf, wie gut Vic heute aussah. Er trug eine lässige, dunkelblaue - teuer aussehende - Jeans und einen grünen Kaputzenpulli. Ihr Lieblingspulli. Seine Haare sahen verwuschelt wie immer aus. Am liebsten wäre sie ihm mit ihren Fingern durchgefahren, aber das ließ sie lieber bleiben, sonst würde er vielleicht noch einen Unfall bauen. Sein Gesichtsausdruck war konzentriert, aber entspannt.
Er hatte so viele verschiedene Gesichter.
Wenn er schlief, sah er aus wie ein Baby. Wenn er sich aufregte, zuckte seine rechte Augenbraue immer in die Höhe. Wenn er überrascht war, blinzelte er mehrere Male hintereinander. Wenn er etwas komisch fand, zog er seine rechte Augenbraue in die Höhe. Und wenn er etwas toll oder lustig fand, lachte er sein wunderschönes Lachen, bei dem seine geraden, weißen Zähne zum Vorschein kamen und Jannas Herz regelrecht zum Schmelzen brachten...
--

Nun glichen seine Gesichtszüge eher einem Stein. Sie wusste nicht, was in seinem Kopf vorging. Seine Augen waren stumpf, er sah müde aus und unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ränder ab, die durch seine helle Haut nur noch mehr hervorgehoben wurden - es sah so aus, als hätte er nächtelang nicht geschlafen.
Insgeheim hoffte Janna, er sähe wegen ihr so mitgenommen aus, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder.
Victor sah ein, dass es keinen Sinn hatte, gegen sie zu reden oder ihr irgendwelche Vorwürfe zu machen. Wenn er Informationen wollte, musste er verständnisvoll sein.
"Okay, tut mir leid. Ähm... wie lange dauert das denn jetzt noch?", fragte er etwas ruhiger. "Ich hab das Zeug vor einer halben Stunde eingeworfen...glaub ich. Es wird also noch ungefähr eine Stunde dauern. Es war stark."
"Wieso kannst du dann normal mit mir reden, wenn du komplett drauf bist, oder wie auch immer man das nennt?"
"Da merkt man mal wieder, dass du überhaupt keine Ahnung hast, Vic! Die Drogen lösen lediglich ein Glücksgefühl aus - nicht mehr und auch nicht weniger. Ich bin bei vollem Bewusstsein, nicht so, wie wenn ich betrunken wäre. Aber mein Leben erscheint mir so eben viel lebenswerter und besser. Bis der Tod an deine Haustür klopft."
"Was?!"
"Nichts, schon okay. Wo fahren wir hin?"
"Zu mir, da du mir ja nicht sagen kannst, wo du wohnst, muss ich eben eine Notlösung finden."

Victors Wohnung war stilvoll, aber etwas unpersönlich eingerichtet. Sie entdeckte nirgends Bilder oder ähnliches, aber so genau konnte Janna das nicht sehen, denn Vic brachte sie gleich in sein Zimmer. Er gab ihr ein T-Shirt von sich, das sie zum Schlafen anziehen sollte und ließ sie mit den Worten "Das Bad ist rechts am Ende des Flurs", alleine zurück.
Alles war unbewusst an ihr vorbeigezogen. Das Gespräch mit Victor, die Autofahrt, sogar die Tatsache, dass Victor - DER Victor! - auf einmal da war.
Es wurde ihr erst jetzt alles bewusst, als sie sich im Zimmer umsah. Janna spürte, wie die Wirkung der Drogen langsam nachließ. Sie waren etwa eine Stunde gefahren.
Selbst das harte Zeug hielt nicht mehr lange in ihrem Körper an, das bereitete ihr Sorgen, jetzt, wo sie langsam wieder klar im Kopf wurde.
Todmüde und völlig erschöpft ließ sich Janna ins Bett fallen und kuschelte sich in die dicke Decke, die viel zu intensiv nach ihm roch. Sie beschloss, keinen weiteren Gedanken mehr an die jetzige Situation zu verschwenden und war keine Minute später auch schon eingeschlafen.

Das Klappern von Geschirr weckte Janna wieder und veranlasste sie dazu, ihre Augen zu öffnen. "Was ist denn los?", fragte sie mit belegter, noch schläfriger Stimme. Victor stellte ein Tablett mit einer Auswahln an Frühstück aufs Bett neben sie.
"Ich wusste nicht so ganz, was du magst, also hab ich einfach mal alles gemacht, was ich kann." - "Vic...", sie sah ihn verwundert an. "Warum verwöhnst du mich so? Bist du nicht sauer auf mich?" Sie fuhr sich müde durch die fettigen Haare. "Natürlich bin ich sauer! Aber du solltest gestärt für meine Standpauke sein!" Verlegen biss Janna von einem Toastbrot ab. "Ähm...willst du vielleicht auch irgendwas?" Victor schüttelte den Kopf. "Nein, ich hab schon gefrühstückt, aber danke." Er stand auf und verließ das Zimmer. "Iss in Ruhe. Ich komme in einer Stunde wieder."
Nachdem er außer Sichtweite war, legte sie das Toast beiseite und stand auf. Sie konnte nichts essen, schon seit Wochen aß sie nichts Anständiges mehr.
Janna suchte das Bad auf, sie brauchte dringend eine Dusche, damit sie wenigstens etwas besser aussah. Vor Victor wollte sie nicht so aussehen. Vor den anderen, ihren Freunden, war es kein Problem, die sahen genauso aus. Bei ihnen war es egal, sie waren wie Janna. Aber Victor war gepflegt, durchtrainiert und perfekt gekleidet.
Und was war sie bitte? Ungepflegt, abgemagert und angezogen wie eine billige Hure.
So wollte sie ihm nicht gegenüber treten.
Janna betrat das Bad und sah sich um. Seit ungefähr einer Woche duschte sie sich zwar wieder, trotzdem hingen ihre Haare strähnig herunter. Die Tatsache, dass ihre Schminke verwischt war und sie wie ein Zombie aussehen ließen, machte ihr Aussehen auch nicht schöner und sie beschloss, erst einmal zu duschen und sich danach um ihr weiteres Aussehen zu kümmern.
Das warme Wasser, das ihren Rücken hinunterfloss, tat gut. Es war erfrischend und machte ihren Kopf frei.
Als sie mit dem Duschen fertig war, trat sie aus der Kabine und trocknete sich ab und zog sich wieder Victors Shirt und eine Jogginghose - die ihm wahrscheinlich zu klein war - an. Danach föhnte sie ihre Haare und suchte verzweifelt nach etwas Schminke, fand aber ihren Erwartungen entsprechend nur Rasierwasser und Männerdeo.
Mit einem Kamm, den sie im hintersten Eck des Schränkchens gefunden hatte, bürstete sie ihre langen, blonden Haare, bis sie mit ihren Fingern ohne hängen zu bleiben, durchfahren konnte.
Nun sah sie wieder einigermaßen okay aus.
Die Tatsache, dass sie dicke Augenringe vom Schlafentzug der letzten Monate hatte und ihre Haut schlaff und blass war, ignorierte sie.
Ja, an all dem waren diese scheiß verdammten Drogen Schuld! Aber was konnte sie dafür?!
Ihr Körper verlangte danach, ihre Seele brauchte es.
Sie war voll und ganz abhängig. Sie war den Drogen wehrlos ausgeliefert, sie konnte nichts dagegen tun.
Wenn sie auf einem ihrer Trips war, dann konnte sie fröhlich sein, lachen und Spaß haben.
War sie nüchtern, überkamen sie Depressionen und Weinkrämpfe.
"Janna?", hörte sie Victor rufen. Schnell verscheuchte sie diese blöden Gedanken und trat aus dem Bad. "Ich bin hier." Janna ging auf ihn zu.
Die weite Schlabberhose ließ zum Glück nicht erahnen, was für streichholzdünne Schenkel sie hatte. Ganz im Gegenteil zu ihren Armen, die nur von zwei halblangen Ärmeln verdeckt wurden.
"Janna, ich hab dir etwas Anständiges zum anziehen besorgt, mit sowas" - er deutete auf ihre Hose und das Shirt - "kannst du nicht rumlaufen. Ich hoffe, du magst Gucci." Er warf ihr eine dunkelblaue Dreiviertelhose, ein schlichtes, weißes Top und einen cremefarbenen Blazer zu. Schon lange hatte sie keine Markenklamotten gesehen, geschweige denn angehabt.
Ohne ein weiteres Wort verschwand sie zum wiederholten Mal im Bad, um sich die ihr gegebenen Klamotten anzuziehen.
Victor lehnte lässig am Türstock zu seinem Schlafzimmer und musterte Janna, als sie wieder aus dem Bad kam. "Besser. Viel besser. Und jetzt mach dich auf deine Standpauke gefasst, Janna."
Er ging ins Schlafzimmer und Janna folgte ihm. Er wies sie an, sich auf das Bett zu setzen und ließ sich neben ihr nieder.





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