das leben ist wie eine gurke. nur anders. - Teil 2

Autor: himbäre.
veröffentlicht am: 25.05.2012


Ich hörte, wie ihr Kopf dumpf auf dem Boden aufkam, doch es interessierte mich nicht. Ich war komplett überfordert mit der Situation und mir schwirrte der Kopf. Das war einfach zu viel für einen 17-jährigen Abiturienten wie mich. Ich setzte mich erst einmal auf die kalten, grauen, mit Unkraut und Moos überzogenen Betonplatten unseres Schulhofs. Es war ein schöner Herbsttag im September. Die Sonne schien und die Blätter an den Bäumen verfärbten sich langsam. Einige segelten schon zu Boden und ließen das Blätterkleid der Bäume immer lichter werden. Das schöne Wetter musste man ausnutzen, bevor der Winter kam, dachte ich und fand es im selben Moment lächerlich, dass ich so sentimental wurde. Bloß von ein paar Sonnenstrahlen im Herbst. Dafür, dass unsere hässliche Schule nah an der Stadtmitte lag, war es hier relativ ruhig, was ich in diesem Moment auch genoss. Meine friedliche Ruhe wurde gestört, als Carol und Tom zu mir eilten und sich auf den bewusstlosen Körper neben mir stürzten. Tom versuchte Elaine anzusprechen und sie aufzuwecken, indem er ihre Wange tätschelte. Doch die blau-grünen Augen, auf die ich während meiner „Rettungsaktion“ einen Blick erhascht hatte, blieben geschlossen. Ihr feines und doch markantes Gesicht wurde von braunen, kinnlangen und glatten Haaren umrahmt. Elaines feingliedriger Körper wirkte auf den kalten Beton irgendwie fehl am Platz. Ich riss mich von ihrem Anblick los, es war eh reine Zeitverschwendung. Wo war ich mit meinem Kopf, dass mir solche Gedanken in den Sinn kamen? Was kümmerte mich dieses Mädchen? Es gab genug davon. „Leute, ich muss wieder in den Unterricht. Ich denke, ihr kommt auch ganz gut ohne mich klar, oder?“ „Willst du dein Bild wieder ankleben?“ Tom hielt mir mein Foto hin. „Nein, schon gut. Behalt es.“ Nachdem Elaine das Bild abgeknutscht hatte, wollte ich es nicht zurück haben. Ich würde einfach im Sekretariat um einen neuen Abzug bitten. Der Weg in den Unterrichtsraum führte mich durch lange Flure mit langweiligen, geschlossenen Türen, hinter denen man Stimmen vernehmen konnte. Vor der Tür angekommen, fasste ich den Entschluss, das, was eben passiert war, einfach so schnell wie möglich wieder zu vergessen und es als außergewöhnlichen Zwischenfall abzustempeln. Ich klopfte. „Herein.“, kam es von drinnen. Ich öffnete die Tür und 28 Augenpaare starrten mich an. „Alles cool, Leute. Ich bin’s nur.“, grüßte ich und alle Augen ließen wieder von mir ab. „Ach, Louis, setz dich. Frau Sendey hat mich informiert.“ Herr Garben wies mit der Hand in die Richtung, in der mein Platz war. Gut, dass er informiert war, dann musste ich ihm wenigstens nichts erklären. Ich durchquerte den Raum, der von einer Fensterreihe an der einen Seite erhellt wurde und setzte mich auf meinen Platz. Sam, eigentlich Samuel. Er war mein bester Kumpel, wir kannten uns seit wir denken konnten, waren 10 Jahre in die gleiche Klasse gegangen und spielten gemeinsam Handball. Er war das, was man als Frauenschwarm bezeichnen würde: blonde Haare, blaue Augen, Zahnpastalächeln und charmant. Ich war froh ihn als besten Freund zu haben, denn mit ihm konnte man echt über alles reden. Er nahm das Leben nicht allzu ernst, war aber dennoch bodenständig. Sam war eben noch mit mir im Vorraum gewesen und hatte beim Suchen geholfen. Nun boxte er mir seitlich in die Schulter: „Wie sieht’s aus, Alter? Haste dein Bild gefunden?“ „Ja, aber… Ach, das ist kompliziert, erklär ich dir später.“
Als es zum Schulschluss klingelte, erhob ich mich langsam, packte gemächlich meine Sachen zusammen und verließ als Letzter den Raum. Sam wartete draußen auf mich. „Also, jetzt erzähl schon. Was war heute Morgen los?“ Ich war mir echt nicht sicher, ob ich es Sam anvertrauen konnte. Einerseits war er mein bester Freund, doch ich erinnerte mich an Toms Worte. ‚Du behältst das, was ich die jetzt erzähle erstmals für dich‘ Also entschied ich mich, Sam vorerst nichts zu erzählen. Er würde davon erfahren, wenn es, wie Tom gesagt hatte, bald in der Zeitung stehen würde. Ich überlegte mir schnell eine Ausrede: „Ach, das Bild hab ich gefunden, aber es war ganz dreckig und zerknittert. Also hab ich’s weggeschmissen, weil in dem Zustand konnte ich das auf gar keinen Fall wieder aufhängen.“ „Und was meintest du dann eben mit ‚Das ist kompliziert‘?“, hakte Sam nach. Mist, was sagte ich ihn jetzt? „Ähm… es ist kompliziert… an ein neues Bild zu kommen!“ Und das war sogar wahr. „Ich werde im Sekretariat nach einem fragen, aber das wird wahrscheinlich wieder ewig dauern.“, erklärte ich augenrollend. „Ja, wahrscheinlich.“, stimmte mir Sam – glücklicherweise – zu. Gut, dass er mir das abnahm. Da war ich echt froh. Normalerweise konnte ich ihm nichts vormachen, dafür kannte er mich viel zu gut. Aber so musste ich ihm nicht alles erklären. Gut. Wir ließen uns schweigend mit der Schülermasse auf den Schulhof treiben. Elaine, Tom & Carol waren nicht mehr da. Ich ging zu der Stelle, wo sie gelegen hatte. Komischerweise konnte ich den Zwischenfall heute Morgen nicht einfach vergessen, es ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Sam folgte mir. An dem Platz angekommen, sah ich etwas aufblitzen. Ich hockte mich hin und erkannte, dass es ein Armband war. Da fiel mir ein, dass Elaine es getragen hatte. Als sie sich an mich geklammert hatte, hatte ich es im Nacken gespürt. Ich hob es auf und betrachtete es. Es war silbern und kleine Anhänger baumelten munter daran. Sam guckte mich fragend an. „Was willst du damit? Das ist ein Armband. Für Mädchen.“ „Ich werde es zum Hausmeister bringen. Vielleicht hat es jemand verloren.“ „Seit wann interessiert dich, ob jemand etwas verloren hat oder nicht? Oder ob er oder sie es zurück bekommt?“ Oh oh. Sam war misstrauisch geworden. Jetzt musste ich echt aufpassen, was ich sagte und tat. Außerdem hatte ich ein echt schlechtes Gefühl bei der Sache. Meinen besten Freund zu belügen war schon ganz schön mies und dann auch noch zweimal hintereinander. Aber ich schob die Zweifel beiseite. Seufzend ließ ich das Armband in meine Hosentasche wandern und wusste selbst nicht warum, aber ich tat es einfach. Vielleicht würde ich es Elaine wieder geben. Vielleicht.
Sam und ich gingen noch ein Stück gemeinsam, doch dann trennten sich unsere Wege. Ich konnte mein Zuhause schon sehen, als ich merkte, wie hungrig ich war. Ich hatte seit heute Morgen nichts mehr gegessen. Der Carport war leer, das hieß, meine Mutter war noch bei der Arbeit. Wunderte mich nicht wirklich, es war eigentlich immer so, außer donnerstags, wo sie nur bis mittags arbeiten musste. Doch sonst kam sie immer erst gegen 4 Uhr nach Hause. Ich schloss die Haustür auf, ging die Treppe hoch und schmiss meine Tasche in die Ecke. Dann legte ich mich erschöpft aufs Bett. Wie gut könnte ich jetzt eine Runde schlafen. Doch dann erinnerte mich mein grummelnder Magen wieder an ein wichtigeres Bedürfnis: Nahrungsaufnahme. Also ging ich die Treppe wieder runter, in unsere grün gestrichene Küche mit dem hohen Tisch und den Barhockern drum herum. Die Küchenzeile selbst war weiß und mir gefiel der Raum, unter anderem, weil ich ihn mit gestaltet hatte, nachdem meine Eltern sich getrennt hatten und ich mit meiner Mutter in diese Doppelhaushälfte gezogen war. Ich ging zum Kühlschrank, an dem ein ebenfalls grüner Zettel hing. ‚Ein Rest Lasagne ist noch im Kühlschrank. Komme heute erst um 6. Kuss, Mama.‘ Lasagne mochte ich gerne und es war gut, dass ich mir so nicht selbst etwas machen musste. Ich nahm mir etwas, wärmte es in der Mikrowelle auf und schenkte mir noch ein Glas Wasser ein. Das alles transportierte ich dann ins Wohnzimmer, um neben dem Essen ein wenig fern zu sehen.






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