Ist das Leben wie eine Seifenoper? - Teil 2

Autor: Luna
veröffentlicht am: 16.05.2012


"Es ist allgemein bekannt, dass jeder irgendwann einmal im Leben auf einen Neubeginn hinfiebert. Jeder – und die, die sagen, dass sie es nicht tun, lügen!
Auch ich war froh, als ich endlich meine Heimatstadt Chester im wundervollen Pennsylvania verlassen und nach San Francisco ziehen konnte, um dort vor einem Jahren mit meinem Medizinstudium zu beginnen.
Ich wollte weg aus Chester, weg von meinen Eltern, weg von meinen angeblichen Freunden. Weg aus dieser grauenvollen Kleinstadt.
Vor allem nach dem Ereignis von vor zwei Jahren, hielt ich es nicht mehr aus. Es waren diese grausamen Bilder, die immer wieder in meinem Kopf spukten; die mich innerlich zerfleischten. Und ich wusste, ich würde nicht abschließen können, wenn ich nicht aus Chester wegkommen würde.
Als es passierte, war ich wie gelähmt. Ich konnte mich nicht wehren, ich konnte nicht schreien. Vielleicht hätte ich um Hilfe rufen sollen, doch ich tat es nicht. Ich ließ ihn machen. Und am Ende gab ich mir die Schuld dafür – sagte, dass ich ihn provoziert habe, dass ich ihn eventuell verführt hätte.
Ich fühlte mich schmutzig; fühlte mich wie diese dreckigen Nutten vom Straßenrand. Als ich es meiner besten Freundin erzählte, verstand sie mich nicht, lachte nur und meinte, jetzt hätte ich es endlich hinter mir.
Das war der Zeitpunkt, wo ich beschloss, mich niemandem bezüglich dieser Sache anzuvertrauen. Ich beschloss zu schweigen und mich zurückzuziehen und auf einen Neubeginn zu hoffen."
Emily

„Ja, ich bin wieder in San Francisco angekommen“ Emily du Ravin nickte, und klemmte sich das Handy zwischen Schulter und Kinn, während sie ihrem Labrador Bruno das Essen hinstellte. „Bruno lebt natürlich auch noch“ Sie musste über die Sorgen ihrer Mutter lachen. Immerhin wusste sie, woher sie ihre Macke hatte, sich um alles und jeden Sorgen zu machen.
„Ja, Mum. Ich kann auch die Miete bezahlen. Ich arbeite doch!“ Sie seufzte, streichelte Bruno liebevoll über den Kopf und stand wieder auf. „Ja, ich bin auch vorsichtig und beim Studium strenge ich weiterhin an und bin ganz fleißig. Hör’ auf dir Sorgen zu machen. Als ich noch zu Hause gewohnt habe, warst du nicht schlimm“
Sie lehnte sich mit der Hüfte gegen die Küchenzeile ihrer Zweizimmerwohnung und versuchte geduldig zu bleiben. „Mum, ich bin zwanzig! Ich kriege mein Leben auf die Reihe… Ja, wir telefonieren morgen noch mal… Ich hab dich auch lieb“ Mit einem erleichternden Seufzen legte sie auf und legte ihr Handy zurück auf den Küchentisch.
Während ihre Mutter fast täglich anrief, schien sich ihr Vater so gut wie gar nicht für sie zu interessieren. Ihre Brüder meldeten sich öfters bei ihr, als ihr eigener Vater.
Sie lächelte traurig und nahm sich ein Wassereis aus dem Gefrierfach. Es war mit Abstand der heißeste Sommer, den sie je erlebt hatte. Die schwüle Luft schien förmlich über San Francisco zu stehen – San Francisco, der Stadt der Hippies. Der Gedanke machte die Hitze allerdings auch nicht erträglicher.
Emily setzte sich neben Bruno auf den kühlen Boden ihrer Wohnung im oberste Stockwerk des Hochhauses im Stadtteil Central North. Die Luft hier oben schien beinahe noch schlimmer, als unten vor der Tür.
Mit einem erneuten Seufzen, nahm sie ihren Stundenplan an sich und überflog ihn kurz. Im Vergleich zu letztem Semester hatte sich nicht viel geändert. Hier und da eine Verschiebung ihrer Kurse – mehr nicht.
Wie gerne wäre sie jetzt schon im sechsten Semester und würde mit ihrem praktischen Jahr beginnen, doch sie würde sich wohl noch gedulden müssen.
Sie legte den Stundenplan wieder weg, nahm die Fernbedienung in die Hand und schaltete den Fernseher an, um sich irgendeinen hirnlosen Schrott auf Viva anzuschauen, als es an ihrer Haustür klingelte.
Verwundert schaute Emily auf und träge sprang Bruno auf, kläffte lustlos und trottete zur Tür. Eigentlich erwartete sie gar keinen Besuch mehr – sie genoss die letzten paar Stunden für sich, bevor sie wieder zur Uni gehen müsste.
Wieder klingelte es und Emily rief genervt auf: „Ich komme ja schon“. Sie riss die Tür auf und blickte gereizt zu Ryan, welcher grüßend die Hand hob und sich an Emily vorbeidrängelte und einfach eintrat.
„Tret’ doch ein. Du bist immer willkommen“ murrte Emily und schloss schnell die Wohnungstür, bevor Bruno abhauen konnte.
„Ich hab gehört, dass du wieder in der Stadt bist“ meinte er leise und ließ sich auf die Couch fallen. „Und ich muss doch meine Seelenverwandte besuchen“ Er zwinkerte ihr zu, was für seinen sonst so düsteren Charakter eher untypisch war.
Emily seufzte und ließ sich neben ihn fallen: „Zu Hause war es stressig und nervig – wie immer!“
„Das musst du mir nicht erzählen“ Er zuckte mit den Schultern, stand wieder auf, ging in die Küche und nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank.
Jedem anderen hätte sie dieses Verhalten übel genommen, doch Emily war der beste Freund, den sie in San Francisco hatte. Sie lernten sich in einem Gothic Kunstmuseum kennen und wurden eigentlich nur deshalb aufeinander aufmerksam, weil sie die einzigen Personen waren, die nicht ausschließlich schwarz trugen.
Später stellte sich heraus, dass Ryan der Künstler einiger der ausgestellten Bilder war und sie kamen automatisch ins Gespräch.
Emily merkte schnell, dass auch Ryan eine dunkle Vergangenheit hatte und dass sie auf einer Wellenlänge waren. Sie konnte ihm vertrauen.
Ryan kam zurück und drückte ihr auch ein Bier in die Hand.
„Ich muss morgen wieder zur Uni“ meinte sie abwehrend.
„Es ist nur ein Bier!“
Sie nickte zustimmen und griff zu dem Flaschenöffner. „Ich hasse es, wenn du Recht hast“
Er grinste verschmitzt, stieß seine Bierflasche gegen ihre und nahm einen kräftigen Schluck.
„Hast du jetzt eigentlich den Grundkurs an der AAC? Darfst du Erstsemester unterrichten?“ fragte Emily neugierig nach, nachdem sie die Bierflasche wieder abgesetzt hatte.
Ryan machte eine theatralische Pause und nickte dann. „Dreimal die Woche darf ich die Neuen quälen“
Vor einem halben Jahr hatte er sein eigenes Studium an der AAC abgebrochen, um sich voll und ganz seiner Kunst widmen zu können und bis jetzt schient er es nicht zu bereuen. Obwohl es finanziell nicht nur selten eng bei ihm wurde. Dann war umso häufiger bei Emily und futterte sich bei ihr durch.
„Sei nicht so streng! Du weißt doch auch noch, wie du als Erstsemester war“
„Ich war ein Nerd mit Harry Potter Brille“
„Und jetzt bist du ein Nerd mit Kontaktlinsen“ Sie stellte das Bier auf den Couchtisch, strich Bruno über den Kopf und lehnte sich entspannt zurück und betrachtete amüsiert sein empörtes Gesicht.
„Findest du es schade, dass du nicht mehr studierst? Bereust du es?“ fragte sie schließlich wieder ernst.
„Ich glaube nicht. Es war eine gute Idee. Studieren, College, dieser blöde Campus – das ist nichts für mich“
„Und deswegen willst du jetzt dort unterrichten?“
„Nur dreimal die Woche. Und außerdem ist das etwas anderes!“ Er fuhr sich mit der Hand durch die schwarzen Haare, die ihm in den Augen hingen.
Emily tat es gut, mit ihm zu reden. Sie war seit dem Vorfall von vor zwei Jahren mit keinem Jungen mehr einfach nur befreundet gewesen; seit diesem Tag mied sie Männer.
So gut sie konnte, vermied sie Körperkontakt und andere Annäherungsversuche.
Umso besser war es für sie, dass Ryan einfach nur ein guter Freund war; ohne sexuellen Druck dahinter.
Er bot ihr eine Schulter zum Ausweinen. Er war für sie da, ohne dass sie ihm etwas zurückgeben musste. Und das tat gut.

Der nächste Morgen kam viel zu früh.
Verschlafen und noch mit geschlossen tastete sie nach ihrem Wecker und schleuderte ihn vom Nachttisch, was Bruno mit einem lauten Bellen kommentiert.
Emily stöhnte auf und warf die Beine aus dem Bett, als Bruno erneut auf sich aufmerksam machte. „Ich weiß, du hast Hunger, du fetter, fetter Köter!“ knurrte sie leise und wuschelte Bruno über den Kopf. Dann erhob sie sich und schlurfte langsam in die Küche.
Ryan war länger geblieben, als sie gedacht hatte. Sie hatten noch ein Bier getrunken, sich verquatscht und schließlich noch eine Wiederholungsfolge von How I Met Your Mother geschaut. Und ehe sie sich versah, war es lange nach zwölf.
Jetzt war es gerade mal sechs Uhr und Emily hätte am liebsten noch weitere Stunden geschlafen, doch das neue Semester begann heute und darauf hatte sie sich immerhin den ganzen Sommer über in Chester gefreut.
Sie stellte Bruno eine Schüssel mit Hundefutter hin und drückte auf den Knopf der Kaffeemaschine. Ohne Kaffee würde sie heute nichts auf die Reihe bekommen.
Während die Kaffeemaschine vor sich hinblubberte, nahm sie erneut den Stundenplan in die Hand. Erste Stunde Biochemie.
Angewidert verzog Emily das Gesicht. Sie hasste Biochemie. Gegen Biologie hatte sie nichts. Sie liebte die Biologie. Aber sie hasste Chemie. Immerhin war ihr letzter Kurs Anatomie – sie mochte die praktische Arbeit lieber, als die trockenen, theoretischen Vorlesungen.
Sie goss den fertigen Kaffee in eine Tasse, die sie bei einem Ausflug mit Ryan im San Francisco Museum of Modern Art gekauft hatte.
Die Milch im Kühlschrank war sauer.
„Scheiß erster Tag“ fluchte sie leise und beschloss den Kaffee einfach schwarz hinunterzuwürgen, während sie hektisch - noch mit der Tasse in der Hand - ihre braune Tasche suchte.
Kaffee schwappte über und bevor sie es aufwischen konnte, schlabberte Bruno ihn vom Boden auf.
„Danke, Bruns“ meinte sie sarkastisch, stopfte Stundenplan, ein paar Stifte, einen Block und die neuste Ausgabe der Grazia in ihre Tasche. Sie warf einen Blick auf ihr Handy: 6:30 Uhr. Wenn sie Glück hatte, dann würde sie nicht zu spät kommen.
Wahllos zerrte sie ein blaugeblümtes Kleid aus dem Kleiderschrank und schlüpfte in schwarze Ballerinas.
Im Bad warf sie einen schnellen Blick in den Spiegel, putzte sich die Zähne und kämmte sich nachlässig ihre unbändigen rotbraunen Locken mit den Fingern, bevor sie ein wenig Make-Up auflegte und stürmisch das Haus verließ.
Neues Semester, altes Glück. Keine neuen Kommilitonen, keine neuen Kurse, keine neuen Professoren. Nichts würde sich verändern – so war es doch, oder?






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