The Life Shot - Teil 7

Autor: Yaksi
veröffentlicht am: 15.05.2012


Sooo, hier kommt die erleuchtende Erlösung ;D
& noch ein mal vielen lieben Dank für die Kommis! :-*
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|Sechs|
- Tatsache

„Das ist eure Überraschung?“, frage ich verblüfft.
Vor uns befindet sich eine Art Ruine, welche wohl einst ein Haus dargestellt haben muss. Die Wände sind aus grauem Stein, welche an einigen Stellen schon grün gefärbt sind.
Insgesamt gibt es nur noch drei Wände, welche das eingestürzte Dach des Hauses irgendwann mal getragen haben müssen. So haben wir einen guten Einblick in das Innere der Ruine, da die vierte Wand nicht mehr vorhanden ist.
Leona schnalzt verächtlich mit der Zunge und deutet auf das sich vor uns befindende Mauerwerk.
„Schau mal rein“, meint sie, leicht verärgert.
Ich beiße mir auf die Unterlippe und werfe Amy einen scheuen Seitenblick zu. Sie nickt aufmunternd.
Ich seufze und wage es, mich der kleinen Ruine vorsichtig zu nähern. Die Sonne strahlt durch die Fenster, welche keine Gläser besitzen und lässt die Schatten der Bäume auf das eingestürzte Haus fallen, wodurch es irgendwie … märchenhaft aussieht.
Steine liegen auf dem dreckigen Boden, welche von Blättern und Erde übersät ist. Es sieht auf eine gewisse Art und Weise wirklich beeindruckend aus. Doch das Faszinierendste an der Hausruine ist die schmale Treppe im Zentrum des Inneren, welche scheinbar in einen düsteren Keller führt.
Verwundert drehe ich mich zu der Vierer-Clique um.
„Eine Treppe?“, frage ich irritiert.
Kyle nickt und stellt sich neben mich. „Unten befindet sich ein erstaunlich großer Raum, den wir immer als Treffpunkt verwenden“, erklärt er. „Dort können wir ungestört sein“
Ich hebe überrascht die Augenbrauen. „Ihr traut euch da runter zu gehen?“
Er zuckt mit den Schultern. „Es ist ungefährlich“
Argwöhnisch betrachte ich Kyle.
Er hat ein markantes Gesicht, welches ihm Ernsthaftigkeit und Seriosität verleiht und mir schon bei der ersten Begegnung aufgefallen ist. Die hellbraunen Haare, die er kurz trägt, geben seinen ozeanblauen Augen einen gewissen Touch.
Ich schlucke und wende mich schnell wieder der Treppe zu. „Warum zeigt ihr mir das?“
Leona, welche einmal um die Stufenleiter rum geht, hebt arrogant eine Augenbraue. „Du gehörst zu uns“, meint sie. „Kapierst du das nicht?“
Amy legt ihrer Freundin sanft eine Hand auf den Oberarm und schenkt mir ein entschuldigendes Lächeln. „Du bist eine Freundin von uns. Und Freunde teilen sich nun mal einen Ort, wo sie sich treffen können“
Noah hat sich gegen einen Steinbrocken der Ruine gelehnt und verdreht die Augen. „Wie lange habt ihr noch vor, es hinauszuzögern?“
Fragend schaue ich ihn an. „Was meinst du?“
„Lasst uns runter gehen“, sagt Amy hastig und wechselt somit das Thema.
Ich runzele die Stirn, ein seltsames Gefühl beschleicht mich.
Die Blondine und der Lockenschopf gehen eilig die Treppe hinunter. Noah folgt ihnen mit einer gehobenen Augenbraue, jedoch unbeeindruckt.
Ich frage mich, warum er auf einmal so mürrisch ist. Als ich mit ihm vor zwei Tagen losgefahren bin, hat er mir die ganze Zeit beteuert, dass ich keine Angst zu brauchen habe. Er war freundlich gewesen.
Doch heute scheint ihn das Thema zu nerven, er wirkt gereizt und desinteressiert.
„Na komm“, meint Kyle und reißt mich somit aus meinen Grübeleien. Er legt eine Hand an meinen Rücken und schiebt mich so sanft vorwärts.
Ich presse die Lippen zusammen und werfe einen prüfenden Blick nach unten, wo ich nun flackerndes Licht erkennen kann. Scheinbar haben Amy und Leona Kerzen angezündet, um die Dunkelheit zu vertreiben.
Am unteren Fußende steht Noah, der abwartend zu mir nach oben schaut, seine Hände in den Hosentaschen versteckt.
Ich hole tief Luft und gehe die Treppe nach unten. Kyle hinter mir.
Es gibt kein Geländer, wodurch das Hinabgehen irgendwie schwieriger wird.
„Deine Schnürsenkel sind offen“, bemerkt Noah träge.
Überrascht schaue ich nach unten zu meinen Schuhen. Er hat Recht.
Genau in dem Moment, als ich feststelle, dass er die Wahrheit gesagt hat, trete ich auf mein Schnürband und verliere mein Gleichgewicht. Überrumpelt von dem plötzlichen Balanceverlust, reiße ich die Augen auf. Ich vergesse, dass es kein Treppengeländer gibt, und rudere mit meinen Armen durch die Luft.
Plötzlich packen mich zwei unterschiedliche Hände gleichzeitig, eine am linken Oberarm, die andere am rechten Unterarm.
Der gewaltige Stromstoß lässt mich zischend die Luft einatmen.
Eine Welle der Hitze durchzuckt meinen Körper, gefolgt von einem eisigen Lufthauch. So schnell, wie dieses Empfinden auftauchte, verschwindet es auch wieder.
Mit einem Bein stehe ich auf der beinahe letzten Stufe, das andere hängt in der Luft. Doch ich falle nicht.
Kyle hält mich am Unterarm fest, seine Augenbrauen sind konzentriert zusammengezogen. Noah hat meinen linken Oberarm umklammert, in seinem Blick kann ich Verblüffung und Skepsis erkennen.
„Du kannst sie loslassen, ich halte sie fest“, meint Kyle in einem für mich ungewohnten mürrischen Tonfall.
Noah’s ernste Miene wird herablassend. „Lass du sie doch los“, meint er herausfordernd.
Ich seufze und versuche mich aus irgendeinem der Griffe zu befreien - vergeblich.
„Kyle“, höre ich die bittende Stimme von Amy. „Geh‘ auf das dumme Spiel nicht ein“
Keine Sekunde später werde ich von dem Braunschopf losgelassen und spüre stattdessen zwei stützende Hände an meiner Hüfte, die mich vorsichtig auf den Boden absetzen.
Mein Herz rast, dennoch ringe ich mich zu einem dankbaren Lächeln und schaue Noah an. Plötzlich taucht eine Erinnerung vor meinem Auge auf, die nicht mir gehört.
Es ist Noah’s Memoire.

~~
„Du hast sie angegriffen!“, rufe ich aufgebracht.
„Und wenn schon“, murmelt mein Zwillingsbruder, abgelenkt von seiner Xbox und dem Fernseher, wo er eines seiner Video-Games spielt.
Seine Hände bewegen sich hastig über den Controller, drücken die Knöpfe, während gleichzeitig explosionsartige Geräusche ertönen.
„Nik“, zische ich nachdrücklich. „Du hättest sie beinahe umgebracht“
Mein Bruder verdreht die Augen und drückt bei dem Spiel auf Pause.
Ungerührt schaut er mich an.
„Glaubst du ernsthaft, dass ich sie getötet hätte?“, fragt er.
Ich schüttele den Kopf. „Bei dir kann man nie wissen“
Er lacht verächtlich. „Und das aus dem Munde meines Bruders!“
„Nik“, versuche ich es erneut, „was wolltest du von ihr?“
Mein Bruder hebt eine Augenbraue. „Was kümmert dich das überhaupt? Hast du etwa Angst, dass ich deiner kleinen Freundin zu nahe komme?“
Ein wissendes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.
Doch ich wehre ab. „Du hast ihr die Kehle zugedrückt! Da ist es doch nur verständlich, dass ich mir Sorgen mache!“
„Nun übertreib mal nicht. Woher weißt du überhaupt davon?“
Ich zögere. „Sie hat es mir erzählt“
„So?“, Nik hebt eine Augenbraue. „Ihr seid also schon so dicke, dass ihr euch gegenseitig vertraut?“
Interessiert richtet sich mein Bruder auf.
„Was habt ihr denn heute Abend so Schönes gemacht? Eine kleine Fahrt durch die Stadt, damit du ihr die ganzen Geschäfte zeigen kannst? Und anschließend ein schönes Dinner im Restaurant?“
Ich knirsche mit den Zähnen. Soll er doch denken, was er will.
Mein Bruder muss nicht wissen, dass ich Sidney mit dem Auto abgeholt habe, um mich mit den anderen zu treffen - auch wenn alles irgendwie aus dem Ruder gelaufen ist.
„Komm schon, Noah. So ein Typ bist du nicht! Nachbarsmädchen verführen, um anschließend ein Date mit ihnen zu haben“, fährt Nik unbeirrt fort.
Er scheint Spaß daran zu haben.
Ich setze ein süffisantes Lächeln auf. „Eifersüchtig, Bruderherz?“
Im ersten Moment entgleisen ihm kurz die Gesichtszüge, wie ich mit Genugtuung feststelle.
Doch dann fasst er sich wieder und lächelt diabolisch.
„Sehr clever, Noah“, meint er.
Ich bemerke, dass wir vom Thema abgekommen sind und führe wieder darauf zurück. „Also, warum hast du Sidney attackiert, um scheinbar irgendeinen Test mit ihr durchzuführen?“
Ich lasse lieber den Teil weg, indem er ihr beinahe mein Geheimnis verraten hätte. Das wäre zu auffällig.
„Das hat sie gesagt?“, fragt er gespielt entrüstet.
Meine Geduld neigt sich allmählich dem Ende zu. „Nik, sag mir, warum du das getan hast“
Mein Bruder erhebt sich vom Sofa und kommt auf mich zu. „Sagen wir, es war eine spontane Idee. Ich war zufällig im Wald, sie war zufällig im Wald. Die eigentliche Frage ist doch: Warum war sie dort?“
Ich runzele die Stirn.
„Du kennst mich, ich gehe gerne nachts aus dem Haus, um mir die Füße zu vertreten. Aber sie? Was hatte sie dort gewollt?“
Ich presse die Lippen zusammen.
Dann lächele ich ihn leicht überheblich an.
„Keine schlechte Frage. Aber dann würde ich auch gerne wissen, wieso du ausgerechnet in dieser Nacht in diesem Wald spazieren gegangen bist. Nur ein Zufall?“, ich hebe eine Augenbraue.
Mein Bruder imitiert mein Lächeln. „Du beschützt sie. Interessant“
„Und du blockst ab. Ebenfalls interessant“
Jetzt lacht Nik auf. „Seit wann bist du so neugierig, Noah?“, fragt er und legt den Kopf schief.
„Seit wann bist du so abwehrend, Nik?“
Es ist ein Spiel, welches wir hier beide treiben. Wer gibt es als erstes nach? Wer tretet zuerst den Rückzug ein?
Wir beide schauen uns mit einem herausfordernden Blitzen in den Augen an.
Dieses Spiel ist noch nicht zu Ende.

~~
Die Erinnerung verschwindet aus meinem Kopf, ich komme schlagartig wieder in die Realität zurück.
Der ganze Akt hat nicht mehr als ein paar Sekunden gedauert, Kyle ist gerade mal auf der letzten Stufe angekommen und Amy hat in der Zeit ihre Hand nach ihm ausgestreckt.
Es ist alles wie in Zeitlupe abgelaufen.
Ich schaudere.
Noch immer hat Noah seine Hände um meine Hüften gelegt, seine Miene ist ernst. „Schon wieder…“, murmelt er.
Ich weiß sofort, was er meint. „Bloß bist diesmal du derjenige gewesen, dessen Erinnerung aufgetaucht ist“, erwidere ich leise.
Er nickt und lässt mich los.
Ich atme tief durch und drehe mich zu Amy und Leona um.
Erst da wird mir die Präsenz des Raumes deutlich.
Einzelne Kerzen wurden auf verstaubten Schränken angezündet und lassen Schatten auf die kahlen Wände fallen. Es ist kalt hier unten.
In einer Ecke des Raumes kann ich verschiedene, kleine Bäumchen erkennen, die in Töpfen eingepflanzt wurden. Daneben steht ein großes Becken mit Wasser, welches noch erstaunlich sauber aussieht.
Auf der anderen Seite des Raumes haben die vier Jugendlichen eine kleine Sitzecke erstellt in dessen Mitte sich ein niedriger Couchtisch befindet. Sechs komplett unterschiedliche Stühle stehen in einem kleinen Halbkreis, daneben ein winziger Nachttisch, auf dem sich viele Skizzen befinden.
Ich runzele die Stirn.
„Was macht ihr denn hier unten, wenn ihr euch trefft?“, frage ich.
Für mich sieht es nach keinem gemütlichen Ort aus, wo man Spaß haben kann. Eher, wie eine kleine Gruppensitzung, um wichtige Dinge zu besprechen.
„Wir reden über bestimmte…Angelegenheiten“, fängt Amy vorsichtig an.
Ich drehe mich zu ihr um. „Was denn für Angelegenheiten?“
Sie beißt sich auf die Unterlippe und schaut die anderen hilfesuchend an.
Auf einmal hat sich eine angespannte Stimmung zwischen uns gelegt.
„Wir müssen dir etwas sagen, Sidney“, wagt Kyle es, weiterzusprechen. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und weiche ein kleines Stück von der Clique zurück.
„Du bist anders. Wir alle sind es“
Dieser Satz lässt meinen Herzschlag für einen kurzen Moment aussetzen.
Ich kneife misstrauisch die Augen zusammen.
„Wie meinst du das?“, frage ich und kann nicht verhindern, dass meine Stimme ein klein wenig zittert.
Leona schaut mich trocken an. „Kennst du die vier Elemente?“
Ich hebe die Schultern. „Ja, natürlich. Ich bin doch nicht doof“, meine ich unwirsch.
Der Lockenschopf hebt eine Augenbraue. „So benimmst du dich aber“
„Leona…“, ertönt Amys warnende Stimme.
„Okay“, beginnt die Schwarzhaarige. „Wie lauten die vier Elemente?“
Ich schüttele den Kopf. „Was soll das hier werden? Eine Quizshow?“, frage ich, leicht aufgebracht.
Leona bleibt hartnäckig. „Wie heißen sie?“, wiederholt sie nachdrücklich.
„Feuer, Wasser, Erde, Luft?“, erwidere ich, mehr fragend.
Sie nickt. „Es gibt auch noch ein fünftes Element“
Ich runzele die Stirn.
„Geist“, antwortet Noah und schaut mich eindringlich an.
Mein Atem geht schneller. Erkenntnis macht sich langsam in mir breit.
Amy wendet sich wieder mir zu. „Wenn du mit Noah zusammen bist, könnt ihr einen Wald anbrennen lassen. Mit Leona kannst du die Erde zum Beben bringen. Findest du das nicht merkwürdig?“, fragt sie.
Ich schweige. Geschockt von ihren Worten.
„Es gibt einen Elementkreis“, fährt sie fort. „Fünf Elemente machen ihn vollzählig. Bisher sind wir nur vier gewesen“
„Du vollendest ihn“, erklärt Kyle.
„Unmöglich“, murmele ich.
Der Braunschopf schaut mich besorgt an. „Sidney“, beginnt er. „Schon seit Generationen wird dieses Erbe in deiner Familie weitergegeben“
„Wenn sich der Elementkreis schließt, haben wir eine unglaubliche Macht“, behauptet Leona. „Bisher konnte ich nur ein paar Wurzeln erheben lassen“
„Wasser in kleinen Wellen versetzen“, fügt Amy hinzu.
„Einen leichten Windstoß erzeugen“, meint Kyle.
„Kerzen anzünden“
Ich schaue die vier kopfschüttelnd an. „Ihr lügt!“, erwidere, fest entschlossen diesem Unsinn nicht zu glauben.
„Was weißt du über deine Mutter?“, hakt Amy weiter nach.
Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Nicht viel“
„Du musst die Magie von ihr geerbt haben“, erklärt die Blondine und schaut mich ernst an.
„Nein!“, beharre ich. „Das hat nichts damit zu tun! Hört endlich auf, solch einen Blödsinn zu reden!“
Wutentbrannt stürme ich an den vier Jungendlichen vorbei, hechte die Treppe hoch und verschwinde aus der Hausruine. Hastig laufe ich durch den Wald, will so schnell wie möglich die Verrückten hinter mir lassen.
Wie können sie nur so etwas behaupten?
Das ist komplett surreal, einfach nicht möglich!
Verärgert wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich soll magische Fähigkeiten besitzen? - Absolut lächerlich!
Warum sagen sie so etwas? Wollen sie mich verjagen? Erschrecken?
Dann hätten sie das doch auf eine andere Art und Weise machen können!
Fassungslos schüttele ich den Kopf.
Erst als ich wieder bei dem Auto ankomme, bleibe ich keuchend stehen und versuche das Gesagte zu verdauen.
Wo bist du da nur wieder reingeritten?, frage ich mich schwermütig und seufze.
„Sidney!“
Mit rollenden Augen drehe ich mich zu Noah um. Er kommt gerade aus dem Wald gejoggt, seine Miene ist ernst.
Ich hebe eine Augenbraue. Meine Wut lässt immer wieder unerwünschten Sarkasmus bei mir auftauchen.
„Was willst du? Mir vielleicht noch erzählen, dass es den Weihnachtsmann und die Zahnfee gibt?“
Noah schüttelt den Kopf. „Sidney, du musst uns glauben!“, meint er, beinahe flehend.
Verzweifelt hebe ich die Hände. „Wie?“, frage ich. „Das ist kompletter Unsinn! Ihr solltet euch mal selbst zuhören!“
Er bleibt vor mir stehen und schaut mich eindringlich an. In seinen braunen Augen kann ich so etwas wie Verständnis, aber auch Ungeduld und Anspannung erkennen.
Er seufzt. „Ich weiß, dass es absurd klingt…“
„Mehr als absurd“, falle ich ihm ins Wort.
„…aber findest du nicht, dass es auch ein wenig der Tatsache entspricht?“
Ich runzele fragend die Stirn.
„Du träumst genau das, was Leona im selben Moment erlebt hat. Du teilst deine Energie mit ihr, wodurch sie unbeschreibliche Kraft erlangt. Als du mich das erste Mal berührt hast, ist eine Decke in Flammen aufgegangen, weil ich zu diesem Zeitpunkt wütend auf meinen Bruder war. Vorgestern Abend, wo du dich an die Begegnung mit Nik erinnert hast, konnte ich sie sehen. Unsere gemeinsame Energie hat Bäume in Brand versetzt!“, atemlos schaut Noah mich an. „Und vorhin hattest du mein Gespräch mit Nik vor Augen!“
Ich presse meine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
Mein Bauchgefühl und mein Verstand streiten sich.
Einerseits klingt alles aus seinem Mund so logisch. Es würde Sinn ergeben. Doch andererseits passt es nicht zu meiner Denkweise, zum realen Leben. Es ist übernatürlich! Einfach nicht möglich!
„Sidney…“, ertönt wieder Noah’s flehende Stimme.
Warum ist er auf einmal so freundlich zu mir? So besorgt?
Noch vor ein paar Minuten war er die Launenhaftigkeit in Person gewesen, und jetzt?
Ich verstehe die Welt nicht mehr.
„Moment mal…“, ich runzele die Stirn. „Woher weißt du das mit Leona? Dass ich das geträumt habe?“
Niemand weiß davon.
Bisher habe ich nur eine Person damit vertraut gemacht, die mir versprochen hat, diese Seltsamkeit niemanden zu verraten. Und das war–
„Amy. Sie hat es uns erzählt“, erklärt Noah schulterzuckend.
„Sie hat es euch erzählt?!“, wiederhole ich aufgebracht.
Mit großen Augen starre ich ihn an.
Wie konnte sie nur! Ich habe der Blondine vertraut!
Tränen der Enttäuschung verschwimmen meine Sicht. Wütend wische ich sie weg.
„Alles in Ordnung?“, fragt Noah, sichtlich verwirrt.
Ich schlucke meinen Zorn und die Frustration hinunter. Ich will mich nicht wie ein jammerndes Kleinkind aufführen und ein großes Theater daraus machen, weshalb ich seine Frage einfach ignoriere.
„Ist Amy immer so…hinterlistig?“, frage ich nüchtern und starre an ihm vorbei.
Noah runzelt die Stirn.
„Es war ein Geheimnis“, erkläre ich schließlich ruhig. Innerlich koche ich vor Wut, doch ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen.
Der Blondschopf seufzt. „Sie musste es uns erzählen“, meint er und klingt wenig entzückt.
„Wieso?“, frage ich und kneife die Augen zusammen.
„Wir waren uns nicht alle sicher, ob du wirklich das fünfte Element bist“, erwidert er. „Amy hat uns mit ihren Argumenten überzeugt“
Ich schnaube verächtlich. „Wenn ihr mir sagen wollt, dass ich verrückt bin, dann hättet ihr das auch auf eine andere Art tun können. Es muss doch wirklich lästig für euch gewesen sein, sich erst mal solch eine Geschichte auszudenken“, fauche ich.
Noah verdreht die Augen. „Sidney. Wir lügen nicht“
Ich schüttele den Kopf. „Ihr könnt nicht von mir erwarten, dass ich euch das abkaufe!“
Er beißt sich auf die Unterlippe. Dann ist er auf einmal mit ein paar schnellen Schritten bei mir und packt mich an den Schultern.
Erschrocken versuche ich zurückzuweichen.
„Schau mich an, Sidney“
Nur widerwillig hebe ich den Blick. Er ist mir so nah, dass ich seinen herben Duft einatmen kann. In seinen Augen kann ich eine wilde Entschlossenheit erkennen.
„Wenn ich mich aus Reflex oder beharrlich an etwas erinnere, dann kannst du es auch sehen“, sagt er.
Keine Sekunde später taucht wieder eine Retrospektive vor meinem Auge auf. Es ist eine Szene in der Hausruine. Noah und die anderen drei Jugendlichen haben sich getroffen. Amys Gesicht ist ernst; in einer ausführlichen Erklärung fasst sie die Dinge zusammen. Es geht um mich.
Sie erzählt von meinem Traum, wobei ich Reue in ihrem Blick erkennen kann. Eine kleine Diskussion entsteht, bis schließlich jeder derselben Meinung ist: Sidney Lawson ist das fünfte Element.
Die Erinnerung verschwindet und ich befinde mich wieder in der Gegenwart.
Bedeutungsvoll schaut Noah mich an.
Ich presse die Lippen zusammen und senke den Blick.
Schon allein die Tatsache, dass ich mit anderen Leuten Erinnerungen teilen kann, ist unheimlich. Und wundersam.
Ich hole tief Luft und bin über mich selbst erstaunt, als ich die nächsten beiden Sätze ausspreche: „Vermutlich hast du Recht. Ich sollte nicht vor der Wahrheit davon laufen, sondern sie akzeptieren“
Noah schaut mich mitfühlend an. „Es ist hart, ich weiß. Solch eine Eröffnung kann ganz schön heftig sein“
„Wird es schwierig sein?“, frage ich.
„Was?“
„Sich an die Umstände zu gewöhnen?“
Der Blondschopf zuckt mit den Schultern. „Ich kann für nichts garantieren“
Ich seufze.
Sehr ermutigend.







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