Verboten! <3 - Teil 31

Autor: Lucy-Josephin
veröffentlicht am: 14.01.2014


Hallo liebe Leute :) Ich bin zurück! Naja, eig nicht wirklich. Ich wollte diese Geschichte beerdigen, aber nicht ohne sie aufzuhübschen. Sie ist überarbeitet (also die ganzen letzten 30 Teile, etwa 40.700 Wörter) und es wurde ein kleiner Teil hinzugefügt (wirklich nur ganz ganz wenig). Wer meine Geschichte schon mal gelesen hat, kann ab dem Strich weitermachen. Wenn ich zuviel Rückmeldung bekomme, kann ich mich eventuell aufraffen, die Geschichte wenigstens zu beenden. Vielleicht möchtet ihr euch aber auch euer eigenes Ende machen. Viel Spaß und Freude :)
Lucy



Es war sein erster Tag an der Schule. Und Gott, war er aufgeregt! Aber das durfte niemand sehen oder bemerken. Er nahm seine Tasche und stieg aus seinem Auto. Die Schule war relativ klein, aus rotem Backstein gebaut und überall mit Graffiti besprüht. Er zog seine Jacke enger um sich, denn der Wind peitschte ihm entgegen. Es war Herbst, zwar erst früher Herbst, aber das Wetter sagte etwas anderes. Er ging durch die kleine Eingangstür und sah sich um. Drei Gänge führten von dem großen Raum ab, den er betrat, sie führten jeweils zu den Klassenräumen. Eine Tür beherbergte, dem Schild zu urteilen, das Sekretariat und die Schulleitung. Er lief darauf zu und ging hinein. Eine weißhaarige, alte Dame lächelte ihn an, als er sie begrüßte und sich vorstellte. Sie wusste sofort, was er wollte: "Raum 023, junger Mann. Dort werden sie erwartet." Er lächelte nur dankbar und machte sich auf den Weg. Da die Schule sehr klein war, fand er den richtigen Raum bald und griff nach der Klinke.

"Wow!" hörte ich meine beste Freundin sagen. "Zieh dir diesen heißen Typen mal rein!" Ich schaute nicht von meiner Zeichnung auf, erwiderte aber: "Ach, Angel. Willst du mich immer noch verkuppeln?" "Nein, man. Ehrlich, da kommt der heißeste Typ der Schule und du schaust nicht einmal hin! Kein Wunder, dass es nie was wird..." seufzte Angel, oder eigentlich Angelika. Sie wollte mich eine ganze Weile schon unter die Haube bringen, doch bis jetzt konnte ich mich immer noch aus der Affäre ziehen. Angel hatte im Moment was mit Fabian, aber es war nicht offiziell so, also würde es kein Problem für mich sein, auch dieses Mal davon zu kommen. "Oh." stöhnte sie leise, "Das ist kein neuer Schüler." Jetzt war ich doch neugierig. "Was denn dann?" fragte ich und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. In diesem Augenblick kam Herr Bauer herein und sofort wurde es still und selbst die Schrecken aller Lehrer saßen auf ihren Stühlen. "Guten Morgen." sagte er und wir erwiderten seinen Gruß chorisch. Als wir uns wieder setzten, sah ich den jungen Mann, den Angel gemeint hatte. Gutaussehend, wie ich sagen würde. Schwarze Haare, die ihm in die Stirn fielen, dunkle Augen, ein Gesicht, dessen Züge weich waren. Doch ich interessierte mich nicht wirklich für ihn, denn seit ich mich in Rick, den größten Arsch meiner Schule, verliebt hatte, war ich strikt gegen eine neue Beziehung. Zwar hatte ich den Macho schon abgeschrieben, als er mich betrog, aber ich wollte nicht noch einmal die schmerzliche Erfahrung machen, so enttäuscht zu werden. Ich wandte mich wieder meiner Zeichnung zu, die verwischten Bleistiftstriche sahen nur schemenhaft aus wie die Landschaft, die sie darstellen sollte. Seufzend nahm ich meinen Radiergummi in die Hand und machte den missglückten Baum weg.

Er wollte gerade die Klinke herunterdrücken, als eine große Hand sich auf seine Schulter legte. Der junge Mann drehte sich um und sah in die Augen des Lehrers. "Ah, Sie sind der angekündigte Besuch." Er nickte und ging hinter dem Lehrer in die Klasse. Überall standen Schüler herum, alle etwa 16 Jahre, ein paar älter oder jünger. Sofort wurde es still und sie setzten sich hin, als der Lehrer aus sich aufmerksam machte. Wie hatte er das nur geschafft?! Das musste er unbedingt in Erfahrung bringen... Er wurde aus seinen Gedanken gerissen. "Wir werden für die nächsten zwei Monate Besuch haben, von diesem Herrn hier. Stellen Sie sich kurz vor?" Es war eine rhetorische Frage. "Mein Name ist Victor Davids. Ich studiere Mathe und Sport und mache jetzt bei euch mein Referendariat." Während er das sagte, wanderte sein Blick durch die Klasse. Ihm fiel ein Mädchen auf, mit kurzen braunen Haaren, die ihr in die Stirn fielen. Vic konnte ihr Gesicht nicht sehen, bis sie auf einmal ihren Kopf hob und ihn anschaute. Sie hatte wunderschöne Augen, die wie Sternensplitter funkelten. Ihr Gesicht war zart und erinnerte ihn an Porzellan. Wie gebannt starrten sie sich an, bis sie sich wieder ihrem Blatt zuwandte. Er schnappte sich einen Stuhl und schob ihn zu einem freien Platz, wo er nur seinen Block und einen Stift herausholte und sich dem Unterricht zuwandte. Vic bemerkte das Mädchen neben ihm erst, als sie ihn an der Schulter berührte. Es war ihm unangenehm, also drehte er sich sofort und sah in zwei grell geschminkte blaue Augen, die ihn schmachtend ansahen. Sie fragte, ob sie einen Spitzer haben könnte. Er reichte ihr einen wortlos, damit sie Ruhe geben würde, aber sie bedankte sich mit einem Lächeln, das wohl aufreizend sein sollte, und einem tiefen Einblick in ihr weit ausgeschnittenes T-Shirt. Victor beachtete es nicht, ihn ekelte es fast an, wie verkommen das Mädchen war. Als er sich wieder dem Lehrer zuwandte, streifte sein Blick einen Augenblick das hübsche Mädchen. Sie sah vollkommen aus, so versunken, mit einem frechen Grinsen auf dem Gesicht. Er unterdrückte seinen Drang zu lächeln und verbot sich für die Zukunft solche Gedanken.

Diese Stimme, dachte ich, tief aber weich. Klang irgendwie sexy. Ich biss mir auf die Lippe. Keine Schwärmereien von Jungen, die man nicht kennt! Ich zeichnete mühsam weiter, bis ich meinem Drang aufzuschauen nachgab. Victor Davids sah mich direkt an, aber ohne diesen Lehrer-Blick. Er hatte eine wirklich unglaublich süße Art, da vorn zu stehen und zu erklären… Bitte! Gedanken, stellt diese Träumerei ab!! Zack, zack! Was war heute mit mir los? Wir sahen uns an und ich bekam eine Gänsehaut. Dieser Augenblick kam mir vor wie eine Ewigkeit, aber das stimmte nicht. Ich riss mich von seinem Anblick los und zeichnete weiter. Als ich das nächste Mal heimlich zu Herrn Davids schaute, bemerkte ich, dass er sich neben Barbara, alias Barbie gesetzt hatte. Ich musste grinsen. Barbie würde ihn sofort anmachen! Und sie konnte sehr aufdringlich sein. Ich stupste Angel an, die mich erst verwirrt ansah, dann aber ihren Kopf in die von mir gedeutete Richtung drehte. „Hmpf.“ hörte ich und wir mussten uns das Lachen verkneifen, denn die Situation war schon fast legendär. Barbie fragte Herr Davids etwas, doch er gab ihr nur kalt und wortlos, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, seinen Spitzer. Obwohl sie ihm ihren großen Busen förmlich unter die Nase hielt und dieser nach Beachtung schrie! Wir konnten uns für einen kurzen Moment nicht mehr zügeln, als wir dann ihre Mine sahen. Unsere Blicke sagten „Fail, Barbie, Fail!“ und sie verschickte gedanklich ein paar Morddrohungen. Der wütende Blick von Herrn Bauer holte uns wieder auf den Boden. Die Mundwinkel angestrengt nach unten gezogen, wandte ich mich wieder meinem Bild zu und versetzte der kunstvollen Landschaft ein Strichmännchen. Wie erfrischend einfach! Als die Stunde endete, schwang ich meinen Rucksack auf den Rücken und wollte gerade verschwinden, als mich Angel daran hinderte: „Warte, Sky! Ich… komm gleich…“ presste sie hervor, während sie den Versuch unternahm, ihre Sachen wieder in ihre viel zu kleine Tasche zu stopfen. Sky, so nannte sie mich, eigentlich heiße ich Skyla. Angel und Sky. Wie süß. Ich wartete und nach einer halben Ewigkeit sausten wir aus dem Klassenzimmer, um zum Chemie-Unterricht zu kommen. „Na, da hat die Barbie nicht mit gerechnet!“ lachte sie und nun grinste ich auch breit. Doch auf einmal machte es „Pläng!“ und Angels Tasche zerplatze. Einfach so! Naja, okay, sie ein wenig zu voll, wie gesagt. Aber „Pläng!“, lag alles auf dem Boden. Ich prustete los. Angel versuchte zwar beleidigt zu klingen, aber es endete eher in lautem Gelächter. „So was passiert auch nur uns!“ sagten wir synchron, als wir uns beruhigt hatten, und sofort lachten wir wieder. Kichernd und seufzend sammelten wir ihre Sachen ein, die im ganzen Gang verteilt waren.

Wie automatisch lenkten ihn seine Beine zu den Mädchen, die auf dem Boden krochen und ihre Sachen aufsammelten. Er bückte sich nun auch und hob einen Kajal auf. Warum Mädchen solche Sachen mit in die Schule schleppten, war ihm ein Rätsel. Er steuerte ein Mäppchen an, nahm es gerade, als sich eine Hand auf seine legte. Überrascht schaute er hoch.

Ich wollte geistesabwesend Angels Mäppchen aufheben, als ich meine Hand nicht auf das Mäppchen legte, sondern auf die eines anderen. Sofort zuckte meine Hand zurück. Mein Blick glitt an dem muskulösen Arm hinauf und ich schaute in sein Gesicht. Steve. Ausgerechnet Steve! Ich verfluchte mich für mein Ungeschick und murmelte ein „Danke“, als mir das Mäppchen gab. „Kein Problem.“ sagte er und grinste mich an. Zum Glück kam Angel mir zur Hilfe und nahm ihm den Kajal aus der Hand. „Danke.“ sagte sie etwas kühl und beugte sich wieder über ihre Sachen. Gerade da kam noch jemand, auf dessen Begegnung ich nicht wirklich aus war. Victor Davids.

Er kam unwillkürlich auf die zwei Freundinnen zu. Als er fast bei ihnen war, sah das umwerfende Mädchen ihn kühl an und verzog den Mund leicht. „Kann ich euch irgendwie helfen?“ fragte Vic, doch das Mädchen und der Junge sahen nicht sehr begeistert aus. Nur ihre Freundin, eine quirlige Mischung aus einem Wirbelwind und Hippie, nickte und meinte: „Ja! Haben Sie vielleicht eine Tasche für mich?“ „Einen Moment, ich frage mal im Seki nach. Ich meine im Sekretariat…“ Victor hatte die Schule noch in den Knochen, aber der Wirbelwind-Hippie grinste nur. „Schon klar!“ Vic ging los, um die Tasche zu besorgen, obwohl er eigentlich keine Ahnung hatte, wo er genau fragen sollte.

Angel warf mir einen Blick, der so viel wie „Er ist doch süß!“ bedeutete. Ich seufzte und beachtete Steve nicht, der neben mir stand und auf etwas zu warten schien. Als er meine Abweisung endlich verstanden hatte, zischte er langsam ab. Irgendwie tat er mir leid. Jeder wusste, dass er auf mich steht, nur er verstand es nicht, dass ich nichts von ihm wollte! Manchmal war Steve ja ganz putzig, aber so langsam ging er mir auf den Keks. Wie er auf einmal neben mir auftaucht… Gruselig. Meine Gedanken schweiften zu einem anderen Thema. Wie wollte Herr Davids die Tasche organisieren? Er war neu und hatte wirklich keine Ahnung… Aber Angel war anderer Meinung. Ohne das ich etwas gesagt hatte, meinte sie plötzlich: „Victor bekommt bestimmt eine… ich würde mich wundern, wenn die Sekretärinnen so immun gegen seinen Charme wären wie du!“ Sie kicherte, als ich sie giftig ansah. „Wie nennst du Herrn Davids eigentlich?!“ „So wie er heißt! Er ist schließlich höchstens 3 Jahre älter als wir…“ Ich schüttelte den Kopf. „Was heißt hier nein?! Sieht er etwa aus wie 40?“ „Das habe ich gar nicht gemeint.“ verteidigte ich mich, doch ich konnte nicht ergänzen, dass ich es respektlos fand, denn er kam schon wieder zurück.

Die Mädchen sahen ihn an und ein wenig komisch fühlte er sich schon. Was war los mit ihm? Er wurde doch schon öfters angestarrt! Vic warf ihnen die Tasche zu. „Danke.“ sagte die Eine und machte sich daran, ihre Sachen einzupacken. „Könnt ihr mir zeigen, wo der Raum 089 ist?“ entwischte ihm. Warum hatte er das gefragt?! Er biss sich auf die Lippe. Als das eine Mädchen sagte: „Sky? Gehst du? Ich kann mein Zeug auch alleine einpacken.“ Sky, dachte Vic, passt zu der Schönheit. Was dachte er denn da? Verflucht! Ihm entging nicht, dass Sky die sinnlichen Lippen aufeinanderpresste und ihre Freundin mit einem Blick tötete. Konnte sie ihn nicht leiden? Oder warum… Stopp! Was machte er sich Gedanken darüber, ob sie ihn mochte?! Vic verscheuchte die Gedanken, indem er leicht den Kopf schüttelte. Er folgte ihr und als er bemerkte, wie sein Blick an ihr entlang glitt, sah er hastig weg. Dennoch war ihm ihre schlanke Figur aufgefallen, die weder zu dünn, noch zu kräftig gebaut war, ihr Gang leicht wie eine Feder zu sein schien und ihr zarter Hals verlockend zu sehen war. Wieder musste er sich diese Gedanken verbieten. Er war sicher nicht ihr Typ, sie konnte bestimmt alle haben die sie wollte. Warum also ihn? Seine Gedanken kreisten stätig um Sky, und als sie anhielt, kam ihm das viel zu schnell vor. Sky sah ihm nicht in die Augen, als sie in eine Ecke deutete: „Da drüben.“ „Danke.“ erwiderte er gedankenverloren und nun sah sie auf. Ihre Augen! „Kein Problem.“ sagte sie kühl. Er blinzelte. Die Worte kamen ihm vor wie eine kalte Dusche. Sie verschwand und zurück blieb nur ein angenehmer Duft.

Ich tötete Angel mit meinem Blick. „Haha!“ lachte ihr Blick auf mich zurück. Angel, das wirst du noch bereuen. Um ihm nicht in die Augen schauen zu müssen, ging ich voran. Der Raum 089 war im 6er Jahrgang. „Jahrgang“ war eigentlich die falsche Bezeichnung, es gab nämlich nur zwei Klassen. Mein Puls rauschte laut in meinen Ohren. Ich spürte seine Blicke förmlich im Nacken. Was gab es denn da zu glotzen?! Das ganze hatte Angel zu verdanken. Sie und ihr Verkupplungs-Drang! Als wir da waren, war mir ein Schauer über den Rücken gelaufen, als Victor, ich meine Herr Davids, neben mir stand. Ein hastiger Blick zur Seite bestätigte mir, dass er noch besser aussah, als ich dachte. Er war durchtrainiert und benutzte das beste Deo, was ich je gerochen hatte. Man! Was dachte ich hier eigentlich?! Unmöglich! Ich sah auf und blickte direkt seine Augen. Sie waren nicht nur dunkelbraun, sondern hatten auch noch ein kleines Stückchen Grün um die Iris. War das überhaupt die Iris? Oder… Auf alle Fälle das schwarze im Auge. Ich war noch nie besonders gut in Bio… Ich schmolz fast, als er mit seiner dunklen Stimme sagte: „Danke“. Ich riss mich zusammen und meinte: „Kein Problem.“ Einen Moment war alles still, dann hielt ich es nicht mehr aus und ging. Angel!! Ich töte dich! Jetzt wäre ich fast am Chemie-Raum vorbei gelaufen, aber Angel hielt meinen Arm fest. „Komm rein!“ Ich gehorchte, aber als wir an unseren Plätzen saßen, giftete ich gleich los: „Was sollte das? Musstest du mir das antun?“ Sie grinste wie ein Honigkuchenpferd und nickte: „Schon wie du ihn anguckst… Du findest ihn süß. Und ich wette, so wie er dir hinterhergeschaut hat, er dich auch!“ „Wirklich?“ fragte ich ungläubig und verriet mich damit. Angel lachte auf, was um Glück im Geschwätz meiner Klassenkameraden unterging. „Man, Angel! Ich kenne ihn doch kaum! Du kannst mir doch nicht erzählen, dass es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gibt?“ Sie schüttelte den Kopf, „Aber Liebe auf den zweiten Blick schon. Außerdem brauchst du mal eine Ablenkung. Dieser Arsch von Rick hat dich in diesem Thema kaputt gemacht. Du bist zu nichts mehr zu gebrauchen und blockst einfach alle Annäherungsversuche ab!“ Ich schaute sie beleidigt an, was sie zum Kichern brachte. Ich sehe dann immer aus wie ein schmollendes Kleinkind, das kein Eis bekommen hat, und nun die Unterlippe vorschiebt. Lange konnte ich ihr nicht böse sein, besonders weil ich wusste, dass sie es nur gut meint hatte und doch der beste Mensch ist, den ich mir wünschen konnte. Mein Mund verzog sich zu einem Grinsen. „Du bist doof!“ lachte ich, als sie vielversprechend die Augenbrauen nach oben zucken ließ. Die Schule flog nur so an uns vorbei, nur die Pausen waren ein wenig anstrengend, was aber hauptsächlich an Steve lag, der uns mal wieder verfolgte. So konnte ich wenigstens dem Thema Herr Davids ausweichen. Denn so taktlos war Angel nicht, Steve gleich von meiner heimlichen Schwärmerei, wie sie es nannte, zu informieren. „Du musst ihm das mal klipp und klar sagen, dass du nichts von ihm willst!“ „Aber ich…“ „Nichts aber! Er verdrängt es einfach, deine abweisende Art ihm gegenüber. Außerdem ziehst du es nicht konsequent durch, du machst ihm immer wieder Hoffnung!“ Ich schaute wohl verwirrt aus der Wäsche, denn sie erklärte mir, dass er zu viel Wert auf unsere gelegentlichen Gespräche legte. „Aber wenn wir doch den gleichen Schulweg-“ Angel sah mich streng an. Ich verstummte, aber nicht wegen ihr, sondern weil hinter ihr, Steve stand. Ich zog sie ein wenig weiter weg. „Das dich das nicht nervt…“ „Klar nervt es mich!“ „Dann sag es ihm!“, schnaubte Angel energisch. Ich konnte das nicht. Er war nämlich eigentlich ganz okay. Aber es war Steve. Ich seufzte. Ich wusste nun, was ich zu tun hatte.

Victor Davids ging den Flur entlang. Er suchte mal wieder den richtigen Raum, wobei er verzweifelte. Er seufzte, seine Gedanken waren wieder bei ihr. Verdammte Scheiße! Es würde so oder so nicht funktionieren. Schülerin und Lehrer! Oder zumindest ein halber Lehrer. Plötzlich stieß er mit jemandem zusammen. Mit einem "Plumps" fiel dieser jemand zu Boden. Verwirrt schaute er auf und hoffte insgeheim, dass es sie war. Es war auch eine sie, aber leider nicht diese. Es war die aufgetakelte Schlampe, ihm fiel kein anders Wort ein, was sie besser beschrieb. Er entschuldigte sich halbherzig, half ihr hoch und drehte sich um. Doch er kam nicht weit. "Das war aber nicht sehr freundlich von Ihnen." sagte sie mit ihrer hochnäsigen Stimme und er drehte genervt den Kopf. "Was ist?" schnauzte er sie ein wenig zu ärgerlich an, aber sie schien es nicht zu stören. "Ich war gerade nicht ganz bei der Sache." erklärte er nun etwas milder. "Hat man gesehen." meinte sie und fuhr leise fort: "Vielleicht sind Sie bei etwas anderem >ganz bei der Sache<?" Sie lächelte Vic vielversprechend an und ihm wurde übel. Meinte sie es so, wie er das am liebsten nicht interpretieren würde? "Nein, und such dir gefälligst jemand anderen, dem du auf die Nerven gehst." Sichtlich verblüfft und beleidigt, hatte sie sich dennoch unter Kontrolle und meinte: "Überlegen Sie sich es nochmal, Herr Davids. Ich bin übrigens Barbara." Mit diesen Worten verschwand Barbara. Er konnte bloß noch ihre blonden, langen Haare erkennen. Erleichtert sah er sich um und zu seiner Überraschung stand Sky in einer Ecke und unterhielt sich aufgeregt mit ihrer Freundin. Victor steuerte auf die Beiden zu. Erst als Sky ihren Blick hob, sah sie ihn und auf der Stelle versteinerte sich ihre Mine. "Äh," stammelte er aus dem Konzept gebracht, "Ich bräuchte mal eure Hilfe. Ich kenn mich hier immer noch nicht aus und-" Skys Freundin unterbrach ihn. "Und du willst wissen, wo der Raum xy ist, stimmt's?" Sie rollte mit den Augen, Sky murmelte: "Angel! Du hast ihn geduzt!" Angel, er bezweifelte, dass das ihr richtiger Name war, wurde nicht verlegen, sondern sie sagte nur "Ups." und grinste frech. Sky lächelte verlegen und entschuldigend zugleich und sprach zum zweiten Mal mit ihm. "Nehmen Sie sie nicht so ernst." Skys helle Stimme klang wie kleine Glöckchen. Sie gefiel ihm immer mehr... Vic hatte keine Lust, jetzt etwas gegen diese Gedanken zu unternehmen, er sah sie zu gerne lächeln. "Ich zeige Ihnen den Raum." "054" Sky nickte, "Den Flur entlang auf der rechten Seite." Victor lächelte dankbar und konnte sich nicht verkneifen zu sagen: " Angel und Sky. Passt doch!" "Eigentlich Angelika und Skyla." Wie erwachsen und vernünftig sie sein konnte und besonders wie nett. Nicht so abweisend. "Skyla ist ja noch besser.", schmunzelte er und ging zügig davon. Obwohl er keine Probleme damit gehabt hätte, den lieben langen Tag zu reden.

Ich sah ihm hinterher. Angel kicherte. "Was ist?!" fauchte ich. "Ihr habt mich gar nicht mehr wahrgenommen und..." Kicher, kicher... "euch nur angehimmelt." "Ich lach mich tot." die Ironie sollte sogar Angel mitbekommen haben. "Aber warum bist du eigentlich heute so glücklich?" Puh, Themenwechsel erfolgreich eingeleitet. "Gönnst du mir das nicht?", fragte Angel etwas zickig. "Klar, aber nicht, wenn du was nimmst. Taschen ausleeren!" Ich grinste, Angel drohte mir mit dem Finger. "Nein! Es gibt eine ganz einfache Erklärung: Fabian hat mich gefragt, ob ich mit ihm zusammen sein will!!!" Sie tickte wohl bei dem Gedanken aus. Ich musste auch nicht nachfragen, was sie geantwortet hat, denn ich hab nicht umsonst 2 Wochen Liebeskummer-Stress ausgehalten. Ich mochte Fabian nicht so übermäßig gerne, er schaute den anderen Mädchen zu oft hinterher, aber wenn Angel mit ihm glücklich ist?! Die Schule war so schnell vorbei, was hauptsächlich daran lag, dass wir kichernd und Ohne-Punkt-und-Komma-labernd ganze 6 Verwarnungen in 3 Stunden bekamen. Wir entgingen gerade so einem Eltern- Brief. Zum Glück fiel Französisch aus, sodass wir gleich nach Hause konnten. Ich schwang mich auf mein Fahrrad, das mit höchstens 20 anderen auf seine Besitzer wartete, sagte Angel auf Wiedersehen und radelte los. Angel würde 5 Minuten auf den Bus warten, um dann 15 Minuten in ein abgelegenes Dorf mit schlechten Straßen zu gurken. Das hinderte uns an täglichen Besuchen der besten Freundin. Aber was soll's. Die Landschaft, öde und grau, sauste an mir vorbei und ich war froh, dass Steve noch Schule hatte. Ich musste Angel versprechen, mit ihm zu reden, sobald wir uns alleine trafen. In diesem Falle der Schulweg. Als ich zu Hause war, warf ich mich erschöpft auf das Bett und machte mir meine Kopfhörer rein. Musik an und yeah! Rock war für mich einfach um Längen besser als Pop. Da hörte sich alles gleich an... Ich war aber ziemlich allein mit meiner Meinung. Ich zuckte innerlich mit den Schultern. Erst einmal Blind Melon, Harmful Belly. Ich liebte dieses Lied. Ich sang lauthals mit. Hmhmhm... I'm begging you, just give me a chance... stick with me, we'll see the rest... Pling! Pling? Ich riss meine Augen auf. Das Pling stammte von einer SMS. Ich drehte die Musik leiser, obwohl keiner im Haus und unsere Nachbarin halb taub war. Leider hatte sie ihr Wohnzimmer neben meinem Zimmer, sodass ich durch die Wand immer den Fernseher hörte. Solange es nicht gerade das Musikanten Stadl war oder Rosamunde Pilcher. Ich sah auf mein Handy: "Hi. Wollen wir Freitag ins Hell? Angel" "Klar." schrieb ich zurück. Wir würden morgen so oder so nochmal drüber reden. Nachdem ich meine HAs gemacht hatte, schlief ich in meinem Bett ein.
Ich schlug die Augen auf. Etwas hatte mich geweckt. Okay, ich hörte ganz deutlich, dass es Helene Fischer war. Die übelste Sorte. Ich beschloss, da es 6 Uhr war, runter in die Küche zu gehen und mir ein Sandwich zu machen. Mein Magen knurrte schon gefährlich laut.
Meine Eltern kamen nach einer Stunde nach Haus. "Hey, Schatz. Wie war's?" fragte mich meine Mutter, während sie ihre Jacke über dem Stuhl hängte. Mein Vater gab mir einen Kuss auf die Stirn und verschwand wieder im Flur. Unser Haus war relativ klein, für eine Familie mit zwei Kindern. Trotzdem hatte ich und mein kleiner Bruder Timothy, oder einfach Tim, ein eigenes Zimmer. Daddys Stimme schallte zu uns herüber. "Wo ist denn Tim?" "Im Fußballtraining." "Stimmt. Ich hab im Moment so viel um die Ohren, dass ich mir so etwas nicht merken kann." Oh, ja. Das stimmte allerdings. Meine Mutter, mit der ich mich nicht so gut verstehe, arbeitet als Lehrerin, mein Vater als Programmierer. Ich hielt nicht sehr viel von ihren Berufen. Ich verschwand in meinem Zimmer, und ich muss sagen, dass ich ein wenig sehr ordentlich bin. Es macht mir irgendwie Spaß, den Sachen eine Ordnung zu geben oder sie einfach umzuräumen. Nach ein paar Handgriffen übermannte mich die Faulheit wieder und ich machte Facebook auf. Sofort suchte ich nach Angel im Chat, doch sie war nicht online. Enttäuscht wurde ich aber nicht von Jenn. Meine Halb-Cousine war mindestens genauso durchgedreht wie ich und einmal im Monat besuchten wir uns. Leider wohnte sie in Frankfurt, also waren Besuche oft nicht möglich. Ich hatte keine Lust, mit ihr zu chatten, also schaltete ich den Computer wieder auf und holte meinen heiß geliebten Faber-Castell Kasten mit vielen Aquarellstiften, Kreiden und Kohlestiften aus dem Schrank. Dann begann ich zu zeichnen.

Victor Davids fand den Raum und die restlichen Stunden folgte er dem Lehrer. Er machte sich wie ein braver Schuljunge Notizen über die Unterrichtsweise und Haltung gegenüber den Schülern. Doch wenn es ihm zu langweilig wurde, schweiften seine Gedanken ab... Scheiße. Er machte es sich nicht gerade einfacher! Endlich klingelte und er packte seinen Rucksack. Nach einem 5 Minuten Gespräch mit seinem zuständigen Lehrer, hatte er seine Hausaufgaben geklärt und konnte gehen. Zügig lief er zu seinem Auto, einem roten Mini von seinen Eltern zum 18. Geburtstag, und ließ sich auf den Sitz fallen. Er bugsierte seine Tasche nach hinten, steckte den Schlüssel ins Schloss und fuhr los.
In seiner eignen, kleinen Wohnung angekommen, auf die er sehr stolz war, setzte Vic sich an den schmalen Holztisch, belegte sich einen Toast und biss genüssliche hinein, während er an seinen ersten Tag im Referendariat dachte. Und an Sky, mit ihrem zauberhaften Lächeln. Umso mehr machte ihm der Umstand sorgen, dass er diese Klasse bei der baldigen Projektwoche in einem Selbstversorger-Heim begleiten sollte. Er holte seinen Rucksack hervor und begann, seine Aufgaben zu machen.

"Riiiiinnnng! Riiiiinnnng! Riiiiinnnng!" Ich besaß das Bedürfnis, den Wecker an die Wand zu schmeißen. Ich quälte mich auf dem Bett, schnappte mir ein blaues, enges T-Shirt und eine karierte Hose und verschwand damit im Bad. Als ich dann meine Haare gekämmt und mich angezogen hatte, ging ich in die Küche, wo ich mir eine Müsli-Schüssel füllte und verdrückte. Irgendwann kam dann auch mein Bruder und wir schwiegen uns an. Ich nahm meine Tasche, zog eine Jacke und Schuhe an und verließ das Haus mit einem: "Bis später!".
In der Schule begrüßte ich Angel mit einem französischen Küsschen inklusive einer Umarmung. Da wir keiner Clique angehörten, wir waren einfach zu seltsam, ersparten wir uns das volle Umarmungs-Küsschen-Begrüßungs-Programm und setzten uns. Natürlich hatten wir noch mehr Freunde, aber die waren uns zu langweilig. Diana kam auf uns zu und sagte: "Hi, wie geht's?" Zur Erklärung: Wir hatten immer nur Mathematik mit ihr... Diana war eigentlich sehr nett, im Gegensatz zu Sina, die einem schon nach zwei Minuten auf den Keks ging. "Gut. Wir wollen heute Abend ins Hell. Kommst du mit?" "Klar, gerne!" "Wir treffen uns..." Angel sah mich fragend an, ich zuckte mit den Schultern: "Um 20 Uhr dort?!" "Okay." lächelte sie und ging zu ihrem Platz, denn Herr Bauer kam herein. Das hieß wiederum, dass- Da war er schon: Herr Davids. Sein etwas verschlafenes Gesicht ließ mich dahin schmelzen und seltsamerweise versuchte ich erst gar nicht, mich dagegen zu wehren. Dennoch wandte ich meinem Blick ab und holte meine Zeichnungen hervor, nur um sie hastig wieder zurück in die Tasche zu stopfen. Ich hatte Victor Davids gezeichnet. Gestern Abend war ich so abwesend... Und schwub! machten sich meine Finger mithilfe meiner verdrängten Gedanken selbstständig. Angel hatte zum Glück nichts bemerkt, sonst wäre ich jetzt Opfer ihrer Vermutungen und Spekulationen. Als ich den Kopf hob, sah ich in ihr fragendes Gesicht, denn höchstwahrscheinlich war ich rot geworden. Ich wimmelte sie ab und Angel gab auf. Wir hatten SV, also stolzierten Barbie und Rick an die Tafel und leiteten den weiteren Verlauf. Rick stand lässig da und flirtete mit den Augen mit Nora, die in geschmeichelt anhimmelte. Wie konnte ich mich nur in so ein Arschloch verlieben? Obwohl ich es wusste, wollte ich es nicht wahr haben. Barbie lächelte hin und wieder zu Herr Davids, der stets kalt zurück sah. Plötzlich drehte er den Kopf in meine Richtung und fast wäre mein Herz stehen geblieben. Er war wie eine Droge. Schnell sah ich weg. Diese Gedanken ließen mir keine Ruhe!
Der restliche Tag kam mir vor wie eine Qual, was hauptsächlich an der Mathearbeit lag. Ich war richtig schlecht in Mathe, Angel leider auch. "Sky, vielleicht bekommst du ja Nachhilfe von IHM." neckte sie mich, sodass ich sie in die Seite knuffte. Sie grinste frech und ich musste zugeben, dass das keine schlechte Idee war. Als es dann endlich klingelte, stürmten fast alle Schüler freudig ins Wochenende. Nur meine Mine sah etwas unglücklich aus, wie mir Angel sagte. "Du bist unglücklich, weil du deinen Traummann nicht sehen kannst." mutmaßte sie, ich schaute ertappt zu Boden. "Ach, komm schon! Wir schleppen heute Abend haufenweise gutaussehende Typen ab und mindestens die Hälfte davon haben wir dir zu verdanken!" plapperte sie drauf los. Ich musste schmunzeln bei dem Gedanken, dass sie ja eigentlich mit Fabian hin wollte. "Was ist mit Fabian?" "Der kommt später, und solange habe ich freie Hand, wenn du mich nicht verpetzt." Ich schüttelte den Kopf. "Dann ist's ja gut. Bis nachher!" Ich winkte, dann fuhr ich los. Den ganzen Tag hatte ich Victor, Verzeihung, Herr Davids nicht gesehen. Und das machte mich schon fertig.
Zu Hause setzte ich mich an den Schreibtisch, machte Hausaufgaben und beschloss, Victor zu vergessen. Ich würde einen netten Jungen kennenlernen und den Abend mit ihm verbringen. "Skyla, kommst du Schatz? Es gibt Essen!" hörte ich meine Mutter. Seufzend verließ ich mein Zimmer.
Um 18 Uhr kam Angel vorbei, sie hatte mich überredet, dass sie mich stylen dürfe. Wiederstrebend stimmte ich zu, denn sie war die Einzige, die etwas mit meinen kurzen Haaren anstellen konnte. Im Moment wühlte sie in meinem Kleiderschrank, zog einen kurzen, eng anliegenden korallfarbenen Rock hervor, dessen leichter Stoff bei jeder Bewegung flatterte. Ich hatte ihn noch nie an, irgendwie fand ich nicht die richtig Gelegenheit. Aber Angel schon. Bald lagen auf meinem Bett der Rock, ein cremefarbenes Top und daneben schwarze Schuhe mit einem kleinen Absatz. Irgendwo stöberte sie ein Stück Stoff auf in der gleichen Farbe wie der Rock, dass sie mir in die Haare band. Nach einer Stunde stand ich vor dem Spiegel und konnte nicht glauben, was Angel mit mir gemacht hatte. Ich sah eine junge Dame, die auf alle Fälle nicht wie 16 aussah, eher wie 3 Jahre älter. Meine Größe und die Klamotten waren nur ein Teil dieser Verwandlung. Hauptsächlich bestand sie aus der wenigen Schminke, die gut eingesetzt wurde. Angel hatte einfach ein Händchen dafür! Meine Augen waren dunkel geschminkt, meine Lippen mit einem knalligen, jedoch nicht aufdringlichen Rot betont. Zum ersten Mal seit Langem gefiel mir, was ich sah. Das Top zeigte meine schlanke Gestalt, der Rock hätte meiner Meinung nach ein bisschen länger sein können, aber Angel meinte, es wäre super. Alles in Allem war ich glücklich, sodass ich sie dankbar umarmte und wir uns ihrem Outfit zuwandten. Nach einer Stunde hatte auch sie sich entschieden, und zwar für ein dunkelblaues Kleid, das ihre rötlichen Haare zur Geltung brachte. Sie schminkte sich dezent, aber mit der gleichen Wirkung wie bei mir und trug hohe, ebenfalls schwarze Schuhe. Neben ihr sah ich wie ein hässliches Entlein aus, aber wer gönnt denn der besten Freundin das nicht? "Sky, du siehst viel besser aus!" sagte sie und ich glaubte, mich verhört zu haben. "Ehrlich!" "Selber schuld." grinste ich. Sie seufzte theatralisch, sodass wir beide in lautes Gekicher ausbrachen. Wir stellten entsetzt fest, dass wir zu spät kommen würden, wenn wie nicht sofort losgingen. Ich schnappte mir mein Handy, den Lippenstift, den Schlüssel und stopfte es hastig in eine schwarze Ledertasche, die ich mir umhängte. Bevor ich die Tür zuschlug, packte ich meine Jacke. Zu meiner Überraschung hatte Angel ihren großen Bruder angerufen, dass er uns fährt. Joshua ist wie Angel nicht ganz ohne, oder anders: einer der heißesten Jungs, die ich kenne. Er grinste uns aus dem Fester an. "Kommt ihr, meine Schönheiten?" Wir setzten uns und er fuhr zum Hell. Es lag abseits der Straße in einem alten Hof. Nichts deutete darauf hin, dass es dort eine Disco geben könnte, die so angesagt ist. "Süßes Outfit, Sky." sagte Joshua und sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. Wie ich diesen Blick liebte! Angel reagierte sofort: "Joshua!" "Jaja, Schwesterherz. Ich weiß: Sky ist tabu." Ich musste lachen. >Sky ist tabu<, typisch Angel. "Du hast einfach zu hübsche Freundinnen. Ich darf noch nicht einmal eine vernaschen!" sagte er gespielt beleidigt. Ein bisschen schoss mir das Blut schon in den Kopf. Was fand Joshua denn schon an mir? "Joshua, es ist meine beste Freundin. Und keine würde was mit dir anfangen!" "Sky schon, oder?" Ich spielte mit: "Klar, Josh!" Ich machte ihm schöne Augen, dann gab ich ihm einen Kuss auf die Wange und kicherte. Angel sah mich komisch an und zog mich weg. Joshua fuhr weg und ich warf ihm zu Abschied eine Kusshand zu. Er grinste schelmisch und griff nach dem imaginären Kuss. Auf dem Weg über den vollen Parkplatz schwieg sie. "Was ist?" fragte ich. Sie schwieg weiter. "Angel?!" ich wurde etwas wütend, "Was ist los?" Sie blieb stehen, sah mich an und lächelte. "Nichts. Nur..." sie zögerte, "Mach das nicht noch einmal. Ja?" Zwar war ich verwirrt, aber ich nickte. Angel meinte den Kuss, dachte ich. Was passte ihr an dem Kuss nicht? Es war ja nur ein Scherz. Laute Musik schallte uns entgegen und wir gingen durch das mit roten Flammen bemalte Tor. Drinnen war es stickig und warm, die typischen Eigenschaften dieser Disco. Am Tresen setzten wir uns gemütlich, soweit das im Minirock ging, hin und bestellten uns eine Cola. Ich konnte nicht einfach was mit viel Alkohol auf leeren Magen hinunterkippen. Plötzlich machte es "Pling" Ich hatte eine Nachricht von Diana bekommen: "Hi, kann leider doch nicht kommen. Meine Mutter hat mir Ausgeh-Verbot wegen der schlechten Note in Deutsch gegeben. :( Diana" Ich seufzte, zeigte Angel die Nachricht und packte mein Handy wieder ein. Nach einer Weile kam der Barkeeper mit zwei Cola-Flaschen in der Hand zurück. Was wäre, wenn Victor Davids hier auftauchen würde? Käme er mit einer Begleitung und wie würde er mein Outfit finden? Wir sahen in die Menge und Angel verzog den Mund. Als ich sah, wen sie erspähte, fiel es mir schwer zu schlucken.
Rick saß mit Barbie auf dem Schoß und ein paar Freunden in der Chill-Ecke. Die Chill-Ecke war eine Ecke des Saals, die mit gemütlichen Sofas bestückt war und wurde oft von Pokerspielern genutzt. Vor lauter hinstarren, hatte ich nicht bemerkt, wie ein gutaussehender junger Mann sich neben mir auf dem Barhocker niederließ und etwas bestellte. Erst als ich mich umdrehte und der Barkeeper einen Cocktail vor mich hinstellte wurde mir bewusst, dass es kein Zufall war. Ich drehte meinen Kopf und auf seinem Gesicht erschien ein breites Lächeln. "Ich bin Paul. Und hat die Schönheit auch einen Namen?" Verstohlen sah ich mich um. Meinte dieser Typ etwa mich?! "Äh..." ich war perplex, "Welche Schönheit?". Er grinste: "Die, die mir gegenüber sitzt." "Oh." meinte ich schlicht, "Ich heiße Sky." "Hübscher Name." Hübscher Kerl, dachte ich, sagte aber nichts. Er erinnerte mich an Herrn Davids... Nicht jetzt! Es ging nicht, und ich hatte doch eh eine sehr hübsche Ablenkung neben mir. Wir unterhielten uns und irgendwann tanzten wir. Ich war eine Tanzniete, aber ich warnte Paul. Er winkte ab. Lachend zeigte er mir in paar Moves, die ich nach einer halben Ewigkeit auch schaffte. Trotzdem sah es nicht annähernd so gut aus wie bei ihm. "Ich machte Hip-Hop." erklärte er achselzuckend. "Das ist ja unfair!" schrie ich ihm fast ins Ohr, da die Musik alles andere übertönte. Nach weiteren Cocktails war ich ganz schön zu und wir setzten uns. Angel hatte natürlich brav auf Fabian gewartet, und sah ein paar Mal zu uns herüber. "Wer ist denn sie?" säuselte Paul in mein Ohr. "Hey, dass kitzelt! Das ist Angel, meine Freundin." Wir gingen zu ihr und ich stellte sie einander vor. In dem Moment kam Fabian hinter Angel zum Vorschein und gab ihr einen Kuss. Angels Augen leuchteten und sie erwiderte den Kuss. "Hi, Engel." "Hi." und schon waren sie in der Masse verschwunden. "Da hat eine ihr Glück ja gefunden." stellte Paul fest und sah mich an. "Du aber nicht, stimmt's?" Ich lächelte matt, "Du kannst Gedanken lesen... Es ist kompliziert." Mehr wollte ich nicht dazu sagen. "Schon klar." Paul war ein Segen! Jeder andere wäre abgezischt oder hätte mehr wissen wollen. "Bei dir auch?" Mein Blick schweifte durch die Masse. Er nickte, dann meinte er: "Ich muss mal für kleine Jungs." Kurze Pause. "Ja! Jungen müssen auch mal!" Ich lachte und er verschwand in Richtung Toiletten. Ich stand so da und spürte den Bass um mich herum, sah die Tänzer und die Pärchen in den Ecken. Der Alkohol setzte mir zu und ich wusste, morgen würde es nicht einfach werden. Ich sah auf die Uhr: 23:27Uhr. Plötzlich spürte ich eine Hand auf der Schulter, sodass ich mich halb in der Erwartung Paul zu sehen umdrehte. Es war nicht Paul, sondern Rick. "Hi, Süße." sagte er und strich sich eine Strähne auf dem Gesicht. Er weiß einfach, wie er mich rumkriegt. Aber dieses Mal nicht, mein Lieber! "Hi." sagte ich eisig und wandte mich meinem Handy zu. "Gehen wir tanzen?" Träumte ich? "Nein." antwortete ich unterkühlt ohne aufzuschauen. "Ich - will mit dir reden." Jetzt schlug mein Bauchgefühl die Alarmglocke, doch der Kopf, so eigensinnig und vor Allem neugierig, setzte sich durch. "Draußen?" Ich nickte.
Als wir uns durch die kleinen Lücken geschmuggelt hatten und hinter dem Gebäude standen, waren wir allein. "Ich..." Erwartungsvoll sah ich in seine stahlblauen Augen, die ich teils geliebt, teils gehasst hatte. "Es tut mir leid." Aha. Deshalb das ganze sensible Zeugs? Nein... "Ich liebe dich immer noch!" Jetzt war er so nah bei mir, dass ich die Luft anhielt. Tja, Chance verspielt!, dachte ich. "Ich dich aber nicht mehr." und es klang so klirrend kalt, dass selbst Rick es verstanden haben müsste. "Bitte, Sky." Dieser Hundeblick! "Ich liebe dich doch!" Nun war es kein Betteln mehr, es war eine Forderung. Seltsamerweise stand ich nun mit dem Rücken zur Wand. "Ich gehe jetzt." sagte ich, doch er stieß mich zurück, die Wut in seinen Augen machte mir Angst. "Nein." knurrte er gefährlich leise. "Lass mich gehen!" Meine Stimme war entschlossen, aber Rick war stärker. Ich nahm meinen Mut zusammen und verpasste ihm eine, doch im gleichen Moment wusste ich, dass das keine gute Idee war. Er hielt sich ungläubig die Wange und starrte mich an. "Das wirst du mir büßen!" Er packte meine Arme und drückte mich an die von der Sonne gewärmte Hauswand. Langsam machte er mir wirklich Angst... Sein Gesicht kam auf mich zu und wir berührten uns fast, ich konnte seine Fahne riechen. "Ein letzter Kuss, Süße.", dann lagen seine Lippen auf meinen. Angeekelt und entsetzt zappelte ich, aber er presste seinen Körper gegen meinen. Sein Kuss wurde fordernder, er steckte mir seine Zunge in den Hals und ich zitterte vor Angst und Kälte. Plötzlich ging die Tür auf und jemand stützte sich auf Rick. Keuchend starrte ich auf die sich prügelnden Jungen, konnte jedoch nicht sagen, um wen es sich handelte, denn ich übergab mich. Wieder ging die Tür auf und zu meiner Erleichterung war es Angel, dicht gefolgt von Fabian. "Was ist los?" stürzte sie zu mir und nahm mich in den Arm. Ich schluchzte los, zitterte und schniefte laut. "Ist gut, Skyla. Ist gut." Langsam beruhigte ich mich und wandte mich den Jungen zu. Fabian hielt Rick und... Paul in Schach. Rick lächelte überheblich, Paul durchbohrte ihn mit Blicken. "Was ist hier passiert?" fragte Fabian. "Dieser Penner hat Sky belästigt!" sagte Paul mit einer dunklen, wütenden Stimme, die bemüht ruhig klang. Rick sagte grinsend: "Ich hatte nur ein wenig Spaß mit meiner Sky." Angel sah zwischen mir und Rick hin und her. Paul drehte sich weg und ging auf mich zu. "Alles okay?" Ich nickte erschöpft, dann knickten meine Beine weg und ich versank in Schwarz.
Als ich meine Augen öffnete, lag ich in meinem Zimmer. Angels sorgenvolles Gesicht erschien neben mir und sie sagte etwas leise zu einer Person. "Angel?" flüsterte ich. "Sky!" sagte sie erleichtert. Es kam mir vor, als hätte sie geglaubt, ich würde nie mehr aufwachen. Nun kam die Person hervor, die ich nicht gesehen hatte, aber trotzdem wusste, dass sie da war. "Sky? Was macht dein Magen?" Paul hockte sich neben das Bett. "Geht so..." Ich wollte mich aufrappeln, doch die beiden drückten mich wieder nach unten. "Bleib liegen, du hast dir gestern die Seele aus dem Leib gekotzt!" Echt? Peinlich... Paul fragte ernst: "Was ist gestern Abend passiert, als du mit deinem Ex draußen warst?" Ich sah ihn mit großen Augen an und schluckte schwer. Dann begann ich zu erzählen, obwohl mir die Worte schwer über die Zunge kamen und ich ein paar Mal würgte. Die Abscheu mir und Rick gegenüber war grenzenlos. Rick war so ekelhaft. Angel hielt meine Hand krampfhaft fest, dass ich sie irgendwann darauf aufmerksam machen musste, weil meine Hand sonst abgestorben wäre. Paul regte sich schrecklich auf und wollte Rick höchstpersönlich den Kopf abreißen, Angel saß da wie erstarrt und ich wusste, dass das kein gutes Zeichen war. "Hey Leute, ich wäre euch dankbar, wenn ihr eure Wut nicht an ihm auslasst. Das ganze wäre weitaus unangenehmer, wenn ihr es tätet." Ich verschwieg, dass er mir noch etwas zugeflüstert hatte, vor dem Kuss. Und das würde ich nicht so schnell vergessen. "Ich lasse dich nicht mehr alleine!" sagte Angel entschlossen, Paul nickte. "Ich kann euch auch überall abholen und hinbringen!" Ich lächelte dankbar. "Wirklich, ihr macht euch viel zu viele Gedanken. Ich bin kein Kind mehr!" "Halte dich einfach von ihm fern." Ich nickte. "Wie viel Uhr haben wir?" fragte ich. "5Uhr morgens. Deine Eltern haben uns erlaubt, hier zu schlafen." "Oh, das wäre aber nicht nötig gewesen. Danke. Aber..." meine Augen wurden groß, "Was habt ihr ihnen erzählt?" Paul meinte ernst: "Die Wahrheit, Sky. Aber nur die Hälfte..." Die Beiden grinsten, weil mir fast das Herz stehen geblieben wäre. "Wir haben gesagt, dass es dir nicht so gut ging und du dich übergeben hast." Ich nickte wieder. "Danke, dass ihr sie geschont habt und so." Angel und Paul seufzten. "Kein Problem." Er ließ sich auf mein Sitzkissen fallen und schloss die Augen, während ich und Angel redeten. Irgendwann fing er an zu schnarchen und wir verkniffen uns einen kleinen Lachanfall. "Er saß die ganze Nacht wach hier. Er hat sich Vorwürfe gemacht, dich allein gelassen zu haben, obwohl er hätte wissen müssen, dass Rick-" "Woher kannte er Rick?" unterbrach ich sie. "Gar nicht, aber er meinte zu ihm, dass du seine Freundin wärst. Er sah Paul nämlich mit dir, auf dem Weg zum Klo hat er ihn angesprochen." "Erzähl mir alles." verlangte ich und lauschte. Während Angel es mir erzählte, lag Paul schlafend in der Ecke und träumte von irgendwas Ungemütlichem, ständig drehte er sich hin und her.

Paul träumte wirklich. Er träumte von der gestrigen Nacht. Er ging zum Klo, quetschte sich durch die Menge und warf einen Blick zu Sky, die einsam dort stand und ihren Blick umherstreifen ließ. Sie war hübsch und nett und so erfrischend, dass es ihm fast Leid tat, sie unglücklich zu sehen. Plötzlich wurde er hart angerempelt. "Hey, Kumpel. Ich gebe dir einen Rat: Lass deine dreckigen Finger von ihr, sie ist mir." Diese gefährliche Stimme gehörte einem düster aussehenden Schönling, der in Skys Richtung nickte. "Schon klar." wimmelte Paul ihn ab und verschwand auf der Toilette. Idiot, hatte er gedacht und mehr nicht. Jetzt ärgerte er sich darüber. Als er wieder unter Leuten war, konnte er sie nirgends sehen. Er suchte den ganzen verfluchten Club ab, bis er ihre Freundin fand, die ihn darauf aufmerksam machte, doch einfach den Barkeeper zu fragen. Fast hätte er sich gegen die Stirn geschlagen, aber er stattdessen fragte er dort nach ihr. Ein relativ junger Kerl in seinem Alter hatte die zwei schließlich gesehen. Paul hechtete mit einem unguten Gefühl wie ein Besessener in Richtung Hintereingang und Angel folgte ihm. Er stieß die Tür auf und erstarrte für einen Moment. Sky stand an die Hauswand gedrängt da, ihre Augenlieder flatterten panisch und über ihr der Typ, jetzt wusste er, dass es ihr Ex Rick war, der sie festhielt und küsste. Sie zappelte, doch Ricks muskulöse Gestalt hielt sie gefangen. Mit einer großen Wut stürmte er auf ihn zu und prallte gegen ihn. Sie donnerten auf den gepflasterten Boden und sofort schlug Paul auf den Typen ein. Als er Skys Wimmern hörte, blieb ihm fast das Herz stehen. Dieser verdammte Dreckskerl! Das hatte er bezahlen müssen. Als sie ein Kerl auseinander drängte, keuchte er, Blut tropfte auf den schwarzen Stein und seine Hände fühlten sich taub an. Der Typ, der Sky belästigt hatte, hatte ebenfalls einstecken müssen, was ihm Genugtuung verschaffte. Auch aus seiner Nase tropfte Blut, und ebenso seine Lippe und ein paar Beulen zierten seinen Kopf. Das Beste war jedoch das kleine Veilchen, das morgen so dick und blau wie eine Pflaume sein würde. Er sah zu Sky, die ziemlich wackelig in Angels Armen dastand. "Alles okay?" hörte er sich sonst sagen. Sie nickte, dann knickten plötzlich ihre schlanken Beine unter ihr weg und Angel konnte sie gerade noch halten. Paul stürzte auf sie zu und hielt Sky, während Angel weinend Skys Namen rief. Als er hinter sich schaute, sah er, dass Rick verschwunden war. Der andere Kerl stand bei Angel und beruhigte sie. Sie trugen Sky in sein Auto und Angel sagte ihm ihre Adresse. Er fuhr so schnell es ging, warf Sky einen besorgten Blick zu. Sie lag auf der Rückbank und sah aus wie ein toter Engel.
Paul wachte auf. Als er die Augen aufschlug, wusste er nicht, wo er sich befand, aber dann kehrte seine Erinnerung zurück. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er, dass die Mädchen verschwunden waren. Er rappelte sich auf und öffnete die Tür. Grelles Tageslicht fiel ihm ins Gesicht, sodass er kräftig blinzeln musste. Er holte ein Taschentuch hervor und tupfte vorsichtig seine Nase sauber, dann steckte er es wieder ein und ging den Geräuschen hinterher. Er kam durch einen hellen, freundlichen Flur und gelangte in die Küche, die zum Wohnzimmer hin offen war. Mädchen Gekicher drang an sein Ohr und tatsächlich saßen Angel und Sky Seite an Seite vor dem Fernseher und mampften Toast. Paul musterte Sky prüfend. Sie hatte sich erholt, doch ein kleiner Schatten um ihre Züge war geblieben. Sie drehte den Kopf und lächelte ihn direkt an. Er grinste und ging auf sie zu. Jetzt, ohne den gestrigen Glamour, sah sie aus wie eine lebendige Sonne. Angel leuchtete genauso und unwillkürlich fühlte er sich bei den Beiden wohl. "Na, Schlafmütze!" sagte Angel frech, "Gut geschlafen? Wir hoffen, du hast heute Mittag nichts vor, denn..." Angel verstummte, Sky deutete auf die Uhr. Er schüttelte den Kopf, er hatte weder was vor, noch konnte er glauben, dass es 14Uhr war. "Komm doch zu uns!" bot Sky ihm an und er setzte sich neben sie. Prompt hielt sie ihm ein Toast vor die Nase und sagte: "Mund auf, mein Lieber!" Paul tat wie ihm geheißen und nun fielen Sky die blauen Flecken und das Blut auf. Sie strich mit ihrer zarten Hand darüber, was nicht unangenehm war, und verzog das Gesicht. "Tut mir Leid." Paul schüttelte Kopf: "Muss es nicht." Zusammen schauten sie so ziemlich alles von Doctor House bis Avatar und zurück. "Meine Eltern sind arbeiten und mein Bruder übernachtet bei einem Freund." erklärte Sky zwischen zwei Bissen. Sie lagen bis etwa 6 Uhr auf der Couch und chillten, doch dann klingelte sein Handy. Es war Helene, seine Ferienbekanntschaft, der er seine Nummer gegeben hatte und es nun bereute. Sie ließ einfach nicht nach! Genervt klickte er sie weg, machte sich aber dennoch fertig. "Muss jetzt los." murmelte er und holte seine Jacke und Schuhe. Als er an der Tür war, stand Sky hinter ihm. "Danke. Für alles!" sagte sie und küsste ihn ohne Vorwarnung leicht auf den Mund. Dann sah sie zu Boden und sie verabschiedeten sich, sodass er lächeln musste. Ihm gefiel der Kuss.

Wir saßen unten auf der Couch, als plötzlich Paul in der Tür stand. Ich bemerkte seine Verletzungen von der Prügelei und es tat mir Leid, dass ich ihn da reingezogen hatte. Ihm schien es jedoch nichts ausgemacht zu haben. Wir sahen zusammen fern und ich genoss seine Wärme neben mir, es war so...vertraut! Als er gehen wollte, schickte Angel mich hinter ihm her: "Bedank dich ordentlich!" Ich ging also zu ihm und als ich da so stand und er mich mit seinen hellbraunen Augen freundlich ansah, wurde mir warm ums Herz und ich beugte mich aus einem Reflex vor und gab ihm einen Kuss. Sekunden später war es mir peinlich und der Boden wurde interessant. Dann verabschiedeten wir uns und die Tür fiel ins Schloss. Als ich zurück zu Angel kam, sah sie mich erwartungsvoll an. Ich zuckte mit den Schultern und sie lachte. "Paul ist doch süß! Ich finde, dass er besser für dich wäre." Ich verstand nicht, worauf sie hinaus wollte, aber dann... Angel meinte, besser als Victor Davids! Ich verdrängte den Gedanken, die beiden miteinander zu vergleichen, schließlich hatte Victor, ich meine Herr Davids, keine Chance. Ich kannte ihn ja kaum! Naja, für Paul galt eigentlich das Gleiche. Den Rest des Tages verbrachten wir mit Xbox zocken, reden und fernsehen. Hauptsächlich aber mit schlafen, also praktisch den Schlaf nachholen. Um 20 Uhr machte Angel sich auf den Weg nach Hause. Etwas später trudelten meine Eltern und mein Bruder ein. Sie fragten, wie es mir ginge und ich tat die Vermutung, dass ich zu viel getrunken hatte, mit einem Kopfschütteln ab: "Mom, ich hatte was falsches gegessen." Ich bekam ein schlechtes Gewissen, heute so viele Leute angelogen zu haben... Aber es ließ sich nicht vermeiden.
Am Sonntag saß ich den ganzen Tag allein in meinem Zimmer vor dem Computer und futterte Kekse. Zwischen durch warf einen Blick auf die Englischvokabeln und räumte meine Klamotten aus dem Weg. Ansonsten war es der langweiligste Tag, den ich mir hätte wünschen können. Also viel Zeit zum Nachdenken. Ich kam zu dem Schluss, dass Victor, Herr Davids, einzigartig, doch unerreichbar war. Paul hingegen der netteste Typ, den ich kannte. Was wusste ich schon über Victor Davids? Nichts als seinen Namen und was er studiert. Er würde so unerreichbar wie ein fliegender Vogel sein, ich blieb eine Schülerin. Dann kamen die Gedanken an den Freitagabend wieder hoch und mein Magen krampfte sich zusammen. Rick war und blieb ein Arsch! Wie konnte ich nur so dumm sein, mit ihm nach draußen zu gehen?! Ich wusste doch, dass er auf solche Spielchen stand! Und ob ich wollte oder nicht, ich war ihm in die Falle getappt.
Es war Montag. Ich lag seit 6Uhr wach und hoffte, dass Rick mich in Frieden lassen würde. In der Nacht hatten mich Alpträume heimgesucht, indem er... Ich öffnete die Augen. Nicht daran denken! Ich machte mich fertig, aß nur wenig und nahm meinen Rucksack. Als ich an dem Spiegel im Flur vorbei kam, sah ich ein erschöpftes Mädchen mit dunklen Ringen um ihre glanzlosen Augen. Ich seufzte und verließ das Haus.
Bei der Schule angekommen, ging ich sofort zum Klassenraum und setzte mich auf meinen Platz. Ich vermied es, den Blick zu heben. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter, ich wirbelte herum und starrte in zwei blaue Augen. Angel. "Du siehst schrecklich aus!" "Danke. Und auch guten Morgen." bedankte ich mich ironisch und wechselte das Thema. "Hast du für den Englischtest gelernt?" "Nö." sagte sie unbekümmert und ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen. Typisch Angel, sie hielt die Schule für Zeitverschwendung und trotzdem schrieb sie gute Noten. Unfair. Der Test war schrecklich, was aber an den leichten Kopfschmerzen lag, die mich heimsuchten. In den Pausen ging ich Rick aus dem Weg. Herr Davids tauchte nicht auf, obwohl ich den ganzen Vormittag die Augen offen hielt. Angel wich nicht von meiner Seite, lediglich als Fabian zu uns geschlendert kam, hatte sie nur noch Augen für ihn. Ich konnte ihr es nicht verübeln. Als ich jedoch auf die Toilette ging, trat er mit in den Weg. "Na, Süße." Ich schluckte schwer und wollte mich an ihm vorbei zwängen, doch er schloss seine Hand um meinen Arm. "Komm mal mit, wir haben was zu besprechen." Rick zog mich in eine Nische, die etwas abseits lag. "Was willst du, Rick?" fragte ich, bemüht um eine ruhige Stimme. "Eine zweite Chance." antwortete er schlicht. Eine zweite Chance? Er hat nur mit mir gespielt, als wir zusammen waren, warum sollte ich ihm eine Chance geben? Rick sah die Frage in meinen Augen und seine Gesichtszüge veränderten sich leicht, aus dem netten Lächeln wurde ein gemeines Grinsen. "Sonst wird es dir schlecht gehen. Und deinem Bruder und Angel!" Seine Augen blitzten irre und er küsste mich, sodass ich mich Sekunden später angewidert abwandte und gehen wollte, doch er hielt mich fest. "Sky?" fragte eine Stimme plötzlich. Ich riss die Augen auf und drehte erleichtert den Kopf. Dort stand Victor, sah uns fragend an und in der Hand hatte er seine Tasche. Rick tötete ihn mit seinen Blicken, doch Victor, ich meine Herr Davids, störte es nicht. Ich drängte mich an Rick vorbei, der mich jetzt gehen lassen musste und senkte den Kopf. Rick verschwand wenig später und jetzt sagte Herr Davids: "Gab es da gerade irgendein Problem?" Ich schüttelte den Kopf, doch er glaubte mir nicht. Die ganze Sache war mir so peinlich! Sanft hob er mein Kinn, sodass ich ihm in die Augen sah, die mich nicht mehr losließen. Die Berührung war wie ein Stromschlag, meine Haut prickelte. "Wirklich?" fragte er leise und eindringlich und Besorgnis sprach aus seinem Blick. Die Luft knisterte vor Anspannung, doch ich konnte ihm die Wahrheit nicht sagen, Rick war nicht der Typ, der leere Versprechen machte. "Ja... Ich muss jetzt zum Unterricht." Mit diesen Worten verschwand ich in Richtung Klassenraum.

Vic war gerade auf dem Weg in das Sekretariat, um dort ein paar Papiere zu holen, als er Sky mit einem anderen Jungen sah. Es versetzte ihm einen Stich, sie so zu sehen. Der gutaussehende Typ, der offenbar ihr Freund war, küsste sie, doch ihre Reaktion machte ihn stutzig. Sky wandte den Kopf ab... "Gibt es ein Problem?" Hier stimmte etwas nicht. Aber was? Sky sah Vic nun erleichtert an und schlüpfte unter dem Arm des Jungen hindurch. Dieser zog langsam ab und bedachte Sky mit einem komischen Blick. Sie schüttelte den Kopf. Er wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte, dass etwas vorgefallen war. Sky hatte den Kopf gesenkt, sodass er seinen ganzen Mut zusammen nahm und ihren Kopf anhob. Er schluckte schwer, als er ihre eingefallenen Wangen und die glanzlosen Augen sah. Was war passiert?! Eine Wärme breitete sich in seinem ganzen Körper aus, ausgehend von seiner rechten Hand, doch er zog sie nicht zurück. "Wirklich?" fragte er, aber im gleichen Moment verfluchte er sich. Wie wirkte das wohl auf Skyla? Sie sah ihn bestimmt als einen dummen, aufdringlichen Vollidioten, der sie nicht in Ruhe mit ihrem Freund knutschen ließ. Fest erklang ihre Stimme: "Ja." Was verheimlichte sie ihm? Aber zum Teufel, was ging ihn das an?! Victor rätselte so gedankenverloren, dass er ihren letzten Satz nicht hörte, dann verschwand sie jedoch schon in Richtung Klassenraum. Er drehte sich nach ihr um, und sah ihr hinterher.

Nach der Schule war ich so froh, dass Rick nicht mehr auftauchte. Ich fuhr völlig ahnungslos nach Hause, doch dann hörte ich jemanden. "Sky!" Panisch eh ich mich um und mein Körper entspannte sich. Ich seufzte und hielt an. "Steve." sagte ich und holte tief Luft, "Lässt du mich bitte in Ruhe? Ich wäre dir dafür sehr dankbar. Ich weiß, dass du auf mich stehst, aber... Ich liebe dich nicht." Er schluckte, sah mich mit großen Augen an und schwieg. Ich hatte ihn, wurde mir klar, total überrumpelt! Ein bisschen feinfühliger hätte ich sein müssen, aber im Moment war mir mein Liebesleben viel zu viel. Ich wandte die Augen von ihm ab, ich konnte seine Enttäuschung nicht länger ertragen. Trotzdem rang er sich ein gequältes Lächeln ab. "Das wusste ich eigentlich schon." Die Feststellung war klar und ohne Selbstmitleid. "Es tut mir leid." sagte ich, doch er erwiderte schlicht: "Es muss dir nicht leidtun. Du kannst nichts dafür." "Danke. Bis Morgen, Steve." Ich schwang mich auf mein Fahrrad und fuhr schnell los. Die Blicke in meinem Nacken spürte ich zu Hause immer noch. Diese Stunden rauschten nur so an mir vorbei, jedes Zeitgefühl verschwand.
Als ich Dienstag vor der Schule stand, machte ich mir Gedanken über Steve. Wie sollte ich mich ihm gegenüber nun verhalten? Plötzlich legte sich eine Hand um meine Hüfte, und sofort wusste ich, wer da hinter mir stand. "Hallo, Süße!" Es gab nur einen, der mich Süße nannte. "Komm, gib mir einen Kuss, wie früher." flüsterte Rick mir ins Ohr. "Nein." sagte ich entschlossen, doch er drehte mich an der Schulter um und presste seine Lippen auf meine. Ich machte einen Schritt nach hinten und sah ihn abfällig an. Zum Glück kam im diesen Moment Angel angerauscht. Sie hatte den Kuss gesehen und sah mich fragend an, wobei sie mich in die Klasse zog. "Was war das denn?" "Wir sind wieder zusammen." sagte ich tonlos. Angel konnte es nicht fassen: "Wie bitte?! Nach der Aktion im Hell??" "Wir haben uns ausgesprochen." Sie war so entsetzt, dass sie vor dem Klassenraum stehen blieb und mich fast ängstlich fragte, was er mit mir gemacht habe. "Nichts!" Ich sah ihr in die Augen, doch Ungläubigkeit spiegelte sich dort wieder. "Sag es mir!" schrie sie auf. Sie hatte mich nie angeschrien! "NICHTS!!" brüllte ich zurück und stampfte in die fast leere Klasse. Die wenigen Schülern starrten uns an und das war mir gerade total egal. Ich durfte, nein, ich KONNTE ihr nicht die Wahrheit erzählen! Warum verstand sie es nicht? Aber...- ich wusste warum... Ich hätte genauso reagiert.
Wir sprachen kein Wort mehr miteinander, obwohl sie wusste, dass sie mich damit nicht zum Reden brachte. Angel war enttäuscht und das zeigte sie mir mit ihrer vollen Verachtung. Im Gegensatz zu mir konnte sie sehr nachtragend sein, aber eben nicht so schnell sauer. Sie ignorierte mich, und wenn nicht, dann bedachte sie mich mit einem Blick, den ich nicht einordnen konnte. Etwas Enttäuschung, gemischt mit viel Verachtung und noch etwas anderem. In den Pausen war ich nun allein. Angel war bei Fabian, Diana bei ihrer Clique, Steve ging mir seit meiner Abfuhr aus dem Weg und Vic... Verdammt! Er hatte nichts in meinem Leben zu suchen, zumindest als jemand, der für mich da sein sollte!! Ich war allein, ganz allein. Umso mehr Angst hatte ich, obwohl ich mir das nicht eingestehen wollte. Angst vor Rick und dass er mir etwas antun könnte. Ich stand da, die Hände in den Taschen vergraben und dachte darüber nach. "Hey Süße!" Ich zuckte zusammen, als ich diese Stimme hörte. "Süße, komm doch mal her!" Ich wusste, dass Rick und seine Freunde an einer besprühten Wand lehnten, Zigaretten rauchten und nun zu mir sahen. Langsam drehte ich mich um und ging auf sie zu, während ich sie beobachtete. Ricks ungenierter Blick schweifte an mir entlang, als ich nah genug war, streckte er die Arme aus und bevor ich mich in Sicherheit bringen konnte, zog er mich zu sich. Ich senkte den Kopf nach einem tonlosen "Hi" in die Runde. Die meisten seiner Kumpel hatte ich heute noch nicht gesehen, sie waren nicht in der 10., sondern in der 11. "Hast du nicht was vergessen?!" tadelte er mich, und tippte sich an den Mund. Ich gab ihm schnell einen Kuss, der mehr auf der Wange landete. Er roch fürchterlich nach kaltem Zigarettenrauch. "Da hast du dir ja was hübsches geangelt." meinte der eine und Rick grinste: "Stimmt." Ich fühlte mich scheußlich. Einfach benutzt, wie einen Gegenstand, den man kaufen kann. Und so stand ich bei ihm und ließ es geschehen. Ich war nicht mehr ich selbst, ich war taub und stumm. Bis plötzlich Rick mich unangemessen anfasste. Mit einem Mal schlug ich seine Hand von meinem Hintern und tötete ihn mit einem Blick. Ich wusste es nicht, aber ich war wütend. Und zwar SEHR wütend. Rick hatte meine Beziehung zu Angel kaputt gemacht! Der besten Freundin, die ich jemals hatte und die mich verstand und unterstützte. Dieser Kerl hatte nicht das Recht, mich so zu behandeln! Ich dachte mich so in Rage, dass ich Rick vor seinen Freunden eine klatschte. Ich drehte mich um und verließ den gedemütigten Rick und seine Freunde, die mir mit einem merkwürdigen Blick hinterher sahen. Oh wie erleichternd so ein grandioser Abgang war! Als ich um die nächste Ecke verschwand, schrumpfte meine Wut und zurück blieb nur der Zweifel... Ich lehnte mich steif an die Wand und hoffte inständig, dass er Angel, Tim oder mir nichts antun würde. Aber ich wusste, dass ich fällig war. Schließlich hatte ich ihn vor seinen ach so coolen Freunden zur Schnecke gemacht, sodass morgen die ganze Schule informiert wäre. Rick wäre dann Gesprächsthema Nummer 1 und sein Ruf würde bröckeln. Also wird er jetzt alles daran setzen, es ungeschehen zu machen und mich zu demütigen. Möglichst vor der ganzen Schule... Scheiße!!! Ich bin geliefert!! Anstatt in die Klasse zu gehen, schwänzte ich das erste Mal in meinem Leben den Unterricht und rannte zu meinem Fahrrad.
Zu Hause war niemand. Alles war still und dunkel. Den ganzen Schulweg hatte ich fieberhaft über meine Chancen davonzukommen nachgedacht, sodass ich fast von einem Auto überfahren worden wäre. Ich schmiss meinen Rucksack in mein Zimmer und setzte mich seufzend in Jacke und Schuhen auf mein Bett. Als ich schließlich eine Weile einfach nur vor mich her gestarrt hatte, beschloss ich, mal wieder schwimmen zu gehen. Seit einer Ewigkeit hatte ich nicht mehr am Training teilgenommen, was wohl an meiner Faulheit lag. Ans Essen dachte ich nicht, zumal mir nach dem Kuss speiübel wurde. Ich zog meine Schwimm-Tasche aus dem Schrank und schrieb für meine Eltern und Tim eine Nachricht.
Bin schwimmen. Komme um 17 Uhr wieder. Sky
Dann zog ich die Tür hinter mir zu. Ich ging zu der Bushaltestelle und wartete 5 Minuten auf den Bus, der mich zu der kleinen aber feinen Halle der Stadt brachte. Als ich bezahlte und mich in die Kabine zwängte, legte sich meine Unruhe und endlich waren meine Gedanken verschwunden. Ich zog meinen Badeanzug an, schloss meine Kleidung ein und trippelte zur Dusche. Eine ältere Dame war ebenfalls dort und ich lächelte sie an, obwohl mir nicht danach war. Schließlich trat ich tropfend in die Halle und sah mich um. Der Großteil des Schwimmbads war leer, sodass ich mich direkt am Wasser niederließ und meine Schwimmbrille aus der Tasche holte. Ich trat an den Startblock und breitete mich auf die Kälte vor, die meinen Körper gleich erfassen würde. Ich holte tief Luft und sprang.
Als ich erschöpft von dem anstrengendem Training wieder zu meiner Tasche ging, um etwas zu trinken, sah ich mein Handy aufleuchten. Das hieß, dass ich die Nachricht, E-Mail oder einen Anruf bekommen hatte. Ich entsperrte mein Handy, nachdem ich meine Hände abgetrocknet hatte, und sofort blinkte es mir entgegen: Drei Anrufe in Abwesenheit. Ich erkannte an der Nummer meine Mutter. Aber ich hatte auch noch einen Anruf von einem Unbekannten bekommen. Warum!? Ich rief meine Mom an, und schon nach zwei "Tuuuts" ging sie ran. "Skyla?" "Ja." antwortete ich ihr, "Warum hat du angerufen?" "Ähh, mein Schatz," Sie zögerte, doch das machte e nicht besser. Eher im Gegenteil, ein riesiges ungutes Gefühl überrollte mich und mein Brustkorb zog sich zusammen. "Angel ist verschwunden." Ich sog scharf die Luft ein. Wegen mir!, war mein erster Gedanke. "Was ist passiert?" fragte ich leise, nicht nur vor Kälte zitternd. "Sie war mit ihrem Freund verabredet, aber sie ist nicht aufgetaucht." Meine Mutter wollte mich schonen, irgendetwas war da noch. Aber was? "Ich will ALLES wissen." forderte ich und schnappte mir die Tasche, während ich schon zur Dusche ging. "Nein, das wird dir nicht guttun!" versuchte sie mich aufzuhalten, jedoch ohne Erfolg. "Holst du mich oder fahr ich Bus?" fragte ich. "Nein, ich hole dich! Du wirst sicher nicht allein draußen rumrennen!! Und du bleibst einmal im Haus!" Ihre Stimme klang beinahe panisch. "Klar!" sagte ich sarkastisch und fast überschlug sich meine Stimme: "Ich bleibe seelenruhig zu Hause, während meine beste Freundin verschwunden ist. Bis gleich" Ich war wütend, wieder und dieses Mal hoffte ich, keinen allzu großen Fehler zu machen. In Rekordgeschwindigkeit wusch ich mich und zog mich an. Die Anrufe meiner Mutter ignorierte ich stur und als ich mich auf den Weg machte, hatte sie es aufgegeben. Angel. Meine Gedanken waren bei Angel. Wie es ihr jetzt ging? Was war passiert? WO war sie? Doch das, was mir am meisten zu schaffen machte, war, dass ich dafür verantwortlich war! Ohne Unterlass machte ich mir Vorwürfe... Ich zwang mich dazu, einen klaren Kopf zu bewahren und mich auf die Straße zu konzentrieren. Ein Hupen brachte ich zurück in die Wirklichkeit. "Ey, Mädel, pass doch auf!" rief ein fetter Kerl in einem BMW, weil ich abwesend über die Straße lief. Idiot! Plötzlich hupte es wieder und als ich aufsah, war es kein weiterer verärgerter Autofahrer, sondern... okay, vielleicht doch verärgert, meine Mutter! "Fräulein!" keifte sie laut, dass sich Passanten zu ihr umdrehten. "KOMM SOFORT HER!" Bevor sie noch mehr sagen konnte, saß ich im Auto und hoffte, dass sie sich schnell beruhigte. Aber davon träumte ich, denn welche Eltern beruhigen sich schon schnell?! "Was fällt dir ein, dich allein auf den Heimweg zu machen und nicht an dein Handy zu gehen?! Schließlich ist es dafür da! Ich habe mir Sorgen gemacht!" ratterte sie runter ohne Luft zu holen. "Mom!" ich war nicht weniger leise, "Reg dich ab! Ich werd nicht automatisch auch verschwinden, weil Angel weg ist!" Glatte Lüge. Sie hatte inzwischen das Gaspedal durchgedrückt und fuhr wie die Wilde nach Hause. Die Fahrt über schwiegen wir und als wir auf unserem Hof standen, bieten wir einen Moment sitzen. "Was ist passiert?" Stille. Unerträgliche Stille. Ich hörte meine Mutter schlucken, doch dann meinte sie leise: "Man hat ihre Sachen im Wald neben der Schule gefunden." Okay, das ist ja nicht so schlimm... "Unter anderem auch ihre Klamotten." Was??? SCHEIßE!! Taub saß ich da und ein ganzer Berg Schuldgefühle drückte meine Schultern nieder. Die Luft war stickig und das Auto zu klein. Ich riss die Tür auf und sprang heraus. Kies knirschte unter meinen Schuhen. Rick. Er würde es nicht wagen. Wenn ich ihn in die Finger bekomme, ist er tot! Mein Atem ging schwer und meine Muskeln schmerzen. Er würde sich wünschen, nie geboren zu sein. Oh ja. Das würde er. Eine Hand legte sich um meine Schultern und zog mich zur Tür. Diese schwang wie von selbst auf und ich wankte in mein Zimmer. Dann brachen die Tränen aus mir heraus und ich schmiss mich völlig fertig aufs Bett. Ich heulte und heulte und wollte nie wieder etwas anderes tun. Angel!! Es tut mir ja so unendlich leid!! Wie kann ich das je wieder gut machen? "Wrrrrrb. Wrrrrrb." spürte ich das Vibrieren in meiner Hosentasche. Ich holte tief Luft und ein Schauer durchzog mich, aber dann ging ich ran. "Hi, Fabian." "Hi, Angel." Fabian klang genauso schrecklich wie ich. Vielleicht war mit ihm ein wenig zu übereilt... Er war nicht so ein Idiot, wie ich ihn immer gerne nannte. "Angel..." "Ich weiß." unterbrach ich ihn. "Gibt es was Neues?" "Nein." seine Stimme zitterte und ich stieß abgehaltene Luft aus. Nichts. "Wie lang ist sie schon weg?" fragte ich und wartete. "Seit etwa 4 Stunden." Ich warf einen Blick auf Uhr... Also seit 14 Uhr. So lange schon! Fabian schwieg. Ich ergriff wieder das Wort: "Sagst du mir Bescheid, wenn es was Neues gibt?" "Ja." "Okay, ich hoffe wir finden sie bald." "Das hoffe ich auch." krächzte er. Ich legte auf und wollte mein Handy gerade wegstecken, als sich eine SMS mit einem "Pling!" ankündigte. Ich öffnete sie und musste schlucken.
Hast du jetzt etwas gelernt, Süße? Dass man anderen nicht wehtut?!
Dieser Scheißkerl! Ich bring ihn um!! Wenn er Angel was tut! Ich rief sofort unter der angezeigten Nummer an. "Rick." "Ach, Hallo Rick." Die Wut hörte man deutlich, und ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle. "Hi, Süße. Wie schön, dass du anrufst. Hast du heute Zeit?" "Nein!" fauchte ich, "Wo ist Angel?" Rick lachte trocken und erweiterte eisig: "Angel?! Woher soll ich das wissen?" Ein Knurren entwich meiner Kehle. "Och, Süße, nimm dir das nicht so zu Herzen!" "Lass sie gehen... Ich bereue mein Verhalten! Ich werde so etwas nie wieder machen." flehte und bettelte ich, denn anders würde ich ihn nicht überzeugen. Hauptsache, Angel passiert nichts. "So ist es brav." sagte er mit einem Grinsen in Gesicht. Ich unterdrückte den Drang, ihn anzuschreien und mein Handy an die Wand zu pfeffern. "Bis dann, Süße..." Ich wollte noch etwas sagen, doch "Tuuut. Tuuut." hatte er schon aufgelegt. Übelkeit und die Gewissheit machte sich breit, dass ich schuld war. Angel hätte ja auch... Nein. Allein der Gedanke, dass Rick es war, konnte logisch sein. Nie hatte ich daran gezweifelt. Und jetzt wusste ich es. Aber was brachte mir das? Zur Polizei gehen und zu riskieren, dass er etwas Schreckliches tut, unter Druck?! Sicher nicht! Außerdem kann man nicht schon nach 4 Stunden eine Vermisstenanzeige aufgeben! Doch Rick war so unberechenbar wie... Klopf, Klopf. Ich drehte den Kopf, als sie Tür auf ging und mein Vater meinte: "Schatz, es gibt Essen. Kommst du? Du hast doch noch nichts gegessen." Er hatte Recht, mein Bauch hatte schon einige eindeutige Zeichen gegeben. Es erschien mir so unmöglich jetzt etwas zu essen, es kam mir vor wie Verrat. Trotzdem stand ich langsam auf und begab mich in die Küche. Meine Familie saß schon am Tisch und Nudeln dampften munter auf ihren Tellern. Tim sah mich mit großen Augen und meine Mutter vermied es, das Thema anzusprechen. Ich setzte mich und nachdem wir uns guten Appetit wünschten, stocherte ich lustlos herum. Gedankenverloren starrte ich den Parmesan an, der in Zeitlupe schmolz und die Tomaten-Soße, die zwischen den Spagetti verschwand. Wie Angel- STOPP. Tief durchatmen. Es gibt einen Rick, der ein Herz hat. Er ist kein Monster, obwohl ich mir nichts anderes mehr vorstellen konnte. "Warum isst du nichts?" fragte meine Mutter und ich sah weiterhin schweigend von den Nudeln auf. Sie senkte den Blick und hatte wohl endlich verstanden, dass ich nicht reden wollte. Ich murmelte so etwas wie "Geht mir nicht so toll..." und ging wieder in mein Zimmer. Zum Glück machten sie kein Drama wie normalerweise. In legte mich auf das Bett und schloss die Augen.
Leere.
Schwarze Leere.
Nichts.
Plötzlich kam mir ein Gedanke, der wie ein lahmer Hoffnungsschimmer glitzerte. Angels Handy. Ich rief sie an und wie erwartet passierte nichts. Kein Anrufbeantworter und noch weniger die Stimme von Angel. Ich gab auf und Tränen liefen mir übers Gesicht, tropften auf die Matratze und das Kissen. So weinte ich mich in den Schlaf, der mir Träume brachte.

Nebel, ich sehe nur Nebel. Nicht einmal meine Hand. Und dann erkenne ich doch Gestalten. Zwei sogar. Eine liegt regungslos auf dem Boden und die andere steht über ihr. Mit etwas in der Hand. Ich renne auf die Beiden zu, doch es ist eher ein schleichen. Ich komme kaum voran. Dann lichtet sich der Nebel plötzlich und ich sehe, dass dieser Gegenstand ein Messer ist. An dem eine dunkle Flüssigkeit herunter tropft. Ich sehe auf dieses Bild, das sich mir darbietet. Dann dreht der Mörder den Kopf und ich sehe diese Augen.
Ich schrie. Schrie und schrie. Als ich meine Augen ängstlich aufriss, wusste nicht mehr, was mich so erschreckte. Mein Vater hockte neben mir und streichelte sanft mein Haar. "Ist schon gut, Skyla, ist gut. Wir werden sie finden." flüsterte er und mal wieder hatte in das Gefühl, er könne Gedanken lesen. Irgendwann und irgendwie schaffte er es, mich zu beruhigen und schließlich schlief ich wieder ein. Dieses Mal traumlos.
...Riiiiinnnng. Riiiiinnnng. Riiiiinnnng. Pause. Nichts mehr. Wer hatte den Wecker ausgeschaltet? Ich öffnete ein Lied und lugte hindurch. Mein Vater verließ gerade das Zimmer. Als er bemerkte, dass ich wach war, lächelte er sorgenvoll. "Du musst heute nicht in die Schule." Dankbar zwang ich ein gequältes Lächeln auf meine Lippen. Wie Gänsehaut überkam mich, wenn ich daran dachte, wieso... Wäre ich nicht gestern weggelaufen, sondern hätte mich mit Rick ganz normal unterhalten und das geklärt, wäre Angel nicht weg. Nun steigerte sich die Gänsehaut zu einem Zittern. Hätte ich ihr alles erklärt, könnte man alles andere vermeiden. Sie musste nun für mein Verhalten grausam büßen. Ich wollte weinen, aber keine Träne wollte mehr kommen. Alle hatte ich aufgebraucht. Ich lag in meinem Bett, hatte rot geschwollene Augen und bewegte nicht einen Finger, um Angel zu retten. Ich sah auf die Uhr. Noch genügend Zeit jemanden anzurufen. "Süße!" hörte ich seine verhasste Stimme. "Lass Angel frei." sagte ich, noch bevor er reagieren konnte, "Ich mache was du verlangst." Ein kurzes Schweigen erfüllte die Leitung, dann sagte er: "Alles?" Ich dachte nach. Es war klar, was er wollte. Aber Angel war mir wichtiger als alles andere. ALLES. "Alles." beantwortete ich die Frage und schluckte. "Du kommst jetzt zum Wald neben der Schule. Allein. Sonst ist der Deal Geschichte." "Alles klar." Hauptsache Angel war wieder da... Ich setzte mich auf und beschoss, mich fertig zu machen. Schließlich hatte ich eine Verabredung.
Ich duschte mich, ließ die warmen Wasserstrahlen auf meinen Nacken prasseln und bereitete mich innerlich vor. Hoffentlich macht Rick kein großes Drama und lässt Angel und mich schnell gehen, dachte ich. Währenddessen shampoonierte ich meine Haare ein und wusch es aus. Dann stieg ich aus der Dusche und trocknete mich ab, föhnte meine kurzen Haare unordentlich, sodass sie in alle Richtungen abstanden. Ich seufzte und kämmte sie nach unten, was auch nicht besser war. In meinem Zimmer zog ich eine Hose und ein Top hervor und schnappte mir meine Chucks, die schon ziemlich ramponiert waren. Ich schob mir beim Verlassen der Wohnung einen Toast zwischen die Zähne und klaubte mein Handy vom Nachtschränkchen. Zu meinem Glück war niemand dort, der mich fragen könnte, wo ich hin wollte. Die Jacke hängte ich mir über die Schulter und holte mein Fahrrad. Als ich gerade auf dem Weg war, sah ich ein bekanntes Gesicht. Fabian. Was macht er hier? Verblüfft hielt ich an und wurde sofort angequatscht. "Warum bist du nicht in der Schule, Sky?" Ich stockte. Das sagt der Richtige! "Das gleiche könnte ich dich fragen." "Ich konnte nicht schlafen. Ich mache mir solche Sorgen um Angel!" Er klang müde und ernsthaft fertig mit den Nerven. "Da bist du nicht der Einzige." murmelte ich. "Weißt du, wo sie sein könnte? Hat sie dir irgendetwas gesagt??" Ich schluckte schwer, dann brach es aus mir heraus: "Ich bin an Allem schuld!!" Hatte ich das wirklich gesagt? Warum? Hatte ich so große Angst? Fabian sah mich mit einem Stirnrunzeln an und glaubte mir nicht. "Wie solltest du bitte an ihrem Verschwinden beteiligt sein?" "Ich, ich, also... Rick hat... Und ich..." schluchzte ich plötzlich los und rang nach Luft. Er legte seinen Arm um meine Schulter und beruhigte mich ein bisschen. Jetzt musste ich ihm alles erzählen!
Als ich geendet hatte, sah Fabian mich mit großen Augen an und ballte die Fäuste. "Wenn ich den in die Finger kriege!" Er überlegte. "Ich komme mit dir." sagte er dann ruhig, was mich ein wenig nervös machte. "Aber..." wollte ich protestieren, doch er winkte ab. „Dieses Arschloch wird was-weiß-ich mit dir vorhaben, hat meine Freundin entführt und hat es ganz sicher nicht verdient, davon zu kommen." Ehrlich gesagt wollte ich genau das. Obwohl ich damit vielleicht Angel in Gefahr brachte... Aber wenn Rick seinen Teil des Deals nicht erfüllte? Ich nickte zögernd. "Ich fahre vor und treffe ihn. Du wirst uns verfolgen, bis wir wissen, wo Angel ist. Dann hau ich ab." wies ich ihn an. "Klar." Ich schwang mich wieder auf mein Fahrrad und fuhr so schnell wie möglich zum Wald. Nach ein paar Häuser-Blocks erkannte ich das Wäldchen, es ragte so hoch und dicht auf wie jeden Tag. Heute erschien er mir aber um einiges größer und düsterer, als normalerweise. Ich kettete mein Fahrrad an und ging geradewegs den schmalen Pfad entlang, den unzählige Spaziergänger geebnet hatten. Nach etwa 5 Minuten war die Straße schon nicht mehr zu sehen und ich war allein. Die großen Bäume umsäumten den Weg und auf matschigem Moos wuchsen wilde Pflanzen. Ungewöhnlich schön für einen grünen Fleck in einer Stadt. Und ungewöhnlich ruhig. Doch ich hörte ein Knacksen zu meiner Rechten und sofort schoss mein Kopf herum. Keine zwei Meter entfernt stand Rick, sah mir in die Augen und grinste. "Hallo Süße." erklang seine Stimme laut in dem verlassenen Wald. Ich schaute mich um und nirgends konnte ich Angel erkennen. "Wo ist sie?" Ein noch breiteres Grinsen erschien und er stieß sich von dem Baum ab, an dem er lehnte. "Erst das Vergnügen, dann die Arbeit." sagte er und kam weiter auf mich zu. "Wie man es nimmt." erwiderte ich und reckte trotzig das Kinn. Jetzt stand Rick so nah, dass ich seinen heißen Atem auf der Haut spürte. "Stimmt." Er sah auf mich herab und musterte meine Lippen, bevor er ihre Konturen nachzog. "Ich mochte schon immer deine Lippen..." murmelte er, senkte den Kopf zu mir und küsste mich. Abscheu überkam mich und ich wollte ihn wegschubsen, doch was würde er mit Angel anstellen? Ich unterdrückte diesen Drang und versuchte krampfhaft, den Kuss zu erwidern. Seine Hände lagen auf meiner Hüfte und er zog mich enger an sich. Jede Berührung ließ mich zusammenzucken. Rick hatte mich inzwischen zu einem Baum manövriert und zwischen sich und dem Stamm eingekeilt. Er küsste meinen Hals und seine Hände wanderten weiter nach oben. Es war so ekelhaft! Ich schob sie wieder nach unten, doch es gelang mir nicht. Er machte weiter, hielt jedoch einen Moment inne. "Sie ist am Ententeich." flüsterte er in mein Ohr und wandte sich wieder meiner Oberweite zu. "Was?! Am ENTENTEICH?!?!" rief ich und hoffte inständig, dass Fabian in der Nähe war und Angel bald finden würde. Sofort hielt Rick mir den Mund zu und sah sich um. "Halt die Klappe." zischte er. Ich nickte panisch, da mir die Luft ausgegangen war und er meine Nase auch bedeckte. Er nahm seine Hand weg und ich atmete keuchend ein. Der Ententeich war ein kleiner See im Wald, abseits vom Weg. Viele kannten den Ort und trafen sich dort, um zu rauchen, kiffen oder feiern. Also hätte Fabian Angel problemlos holen können. Mein Kopf war gesenkt, sodass Rick mein Kinn anhob und mich nachdenklich betrachtete. "Dieser Herr Davids steht auf dich." Ich riss die Augen auf und fragte erstaunt: "Echt?" Rick lächelte falsch, "Aber er vögelt lieber mit Barbie." Ich sog scharf die Luft ein und stellte mir die Beiden vor. Es pochte unangenehm in meinen Schläfen und die Vorstellung zerrte an meiner Seele. Vielleicht hatte er Recht? Vielleicht war Barbie schon soweit mit Vic, ich meine Herr Davids. Schmerzhaft zog es in der Magengegend und ließ mich wissen, wie sehr mir das missfiel. Dabei hatte ich mir fest vorgenommen, mich nicht in ihn zu verlieben! In Paul verliebt zu sein, wäre um einiges Vernünftiger gewesen... Vernünftig! Ha! Das ich nicht lache. Liebe ist nicht vernünftig. "Wir können es ja. genauso machen..." Dieser Satz holte mich schlagartig zurück in die Gegenwart. Was wollte er bitte? Doch nicht hier! Mein Gott, dachte ich und drückte mich gegen den Stamm. Mein Puls war rasend und ich betete, dass Fabian bald hier war. Insgeheim wusste ich aber, dass er sich um seine Freundin kümmern würde. Arsch, war mein erster Gedanke, aber ich nahm ihm es nicht so übel, wie ich glaubte. Ricks kalte Hand schob sich gnadenlos unter mein Top und wieder zuckte ich zusammen. "Bitte nicht, Rick." bettelte ich und biss mir auf die Lippe, um zu verhindern, dass ich gleich losheulen würde. Ich schaffte es zwar, jedoch schmeckte ich Sekunden später Blut. HILFE!, kreischte mein Inneres und es formte sich der Wunsch, Rick in die Weichteile zu treten und dann davon zu rennen. Irgendwann, etwa in den Moment als er an meiner Hose herumfummelte, war dieser Drang so überwältigend, dass ich es einfach tat. Ich schrie laut auf und ließ mein Knie schwungvoll in seine Eier sausen. Dann schlug ich ihn mit geballter Faust so fest wie ich konnte auf die Nase, sodass Blut heraus tropfte. Er krümmte sich schmerzverzerrt auf dem mit alten Blättern übersäten Boden und stöhnte leise. Einen Augenblick starrte ich auf das, was ich getan hatte, dann drehte ich mich um und rannte. So schnell und so panisch wie noch nie. Zu meinem Pech lief ich geradewegs in den Wald hinein und nicht aus ihm heraus zu meinem Fahrrad und somit nach Hause. Aber zum Denken war ich nicht fähig. Hab ich ihm die Nase gebrochen? Wird er mich verfolgen? Merkwürdigerweise dachte ich an ein Buch, das ich vor einem Jahr gelesen hatte. Ein Mädchen verlief sich im Wald und musste 9 Tage allein dort leben. Sie lief verzweifelt durch den Nationalpark und wurde dabei fast verrückt... Wahnvorstellungen überfielen sie und die Einsamkeit machte sie kaputt. Aber dieser Wald war kein Nationalpark und ich kein kleines Mädchen, das allein war. Ich... hatte ein Handy!!! Meine Güte! Das ich das vergessen hatte, grenzte schon an Dummheit. Ich blieb stehen, sah mich um und zog es heraus. Rick war mir offensichtlich nicht gefolgt, doch auch sonst war keine Menschenseele in Sicht. Wo war ich? Ich warf einen Blick auf mein Handy und meine Hoffnungen schwanden wieder. Kein Empfang. FUCK!! SCHEIßE! Verdammt! Ich joggte weiter, starrte gebannt auf mein Telefon, aber es zeigte immer noch "Kein Empfang" an. Scheiße, dachte ich und es war nicht der letzte Fluch. Selbst einen Weg konnte ich inzwischen nicht mehr ausmachen. Panik weitete meine Augen und mein Atem ging stoßweise. Ich blieb stehen. Ich war aus dieser Richtung gekommen oder doch aus einer anderen? Ich wusste es nicht mehr. Ich horchte. Leise Schreie und das Brummen von Autos drangen an mein Ohr. Irgendwo aus Süden. Das glaubte ich zumindest. Ich ging leise den Geräuschen nach und sie wurden lauter. Ich hatte mich beruhigt und dachte nach. Die Geräusche mussten von der Schule kommen, die fast direkt an die Hauptstraße grenzte. Ich seufzte. Bald war ich in Sicherheit, mehr oder weniger. Mit meinen letzten Kräften quälte ich mich durch den Wald, wobei mir die Spinnenweben in den Haaren hängen blieben und sich rote Striemen auf meinem Körper bildeten, die von tief hängenden Ästen stammten. Erleichtert erkannte ich die Schule mit ihrem leuchtenden Backstein. Als ich endlich vor ihr stand, dachte ich nach. Es war 10 Uhr in ich konnte nicht einfach hereinspazieren. Das einzig sinnige: nach Hause. Hier hatte ich wieder Empfang, also rief ich Angel an. "Angelika." meldete sie sich mit einer erschöpften und kratzigen Stimme. "Oh, Angel!" rief ich und ein gigantischer Stein fiel mir vom Herzen. "Wie geht es dir?" fragten wir gleichzeitig und kicherten erbärmlich. Sie ergriff das Wort als Erste: "Ich kann mich an nichts mehr erinnern! Rick ja, aber wo ich war und was er mit mir gemacht hat, weiß ich nicht. Jetzt hab ich zum Glück etwas am Leib. Fabian hat mich gefunden." "Zum Glück." "Ja! Bis auf ein paar Kopfschmerzen geht es mir gut." Ich fragte zögernd: "Hat er...?" Ich stockte. "Wie gesagt, ich kann mich an nichts mehr erinnern, doch ich sehe oder fühle nichts, was das bestätigen könnte. Mach dir um mich keine Sorgen." Angel war schon ein zäher Brocken, nicht sehr leicht unterzukriegen. "Was ist mit dir, Angel?" "Ich weiß nicht. Ich hatte mit Rick einen Deal, bin dann aber weggerannt. Ich hab einfach gehofft, dass Fabian dich schon gefunden hat!" Ein kurzes Schweigen erfolgte. "Du hast doch nicht...?" "Nein!!" wehrte ich ab. "Dann ist ja gut." "Wo seid ihr?" Ich ging nicht weiter auf das Thema ein. "Ich bin bei Fabi. Kommst du?" "Ja. Ich hab Angst, Angel, dass er mich erwischt." "Warte, ich ruf Paul an, er holt dich. Beweg dich keinen Zentimeter von der Stelle!" befahl sie und legte auf. Paul? Warum Paul? Und woher hatte sie seine Nummer? Da musste ich sie ja mal zur Rede stellen. Ich sah mich um. Kein Rick in Sicht. Zum Glück. Ich ging zur Bushaltestelle und setzte mich. Meine Klamotten waren zerrissen und dreckig, meine Haare standen ab. Ich klopfte sie ab und benetzte mit der Zunge meine Lippen und mein Hals kratzte trocken.
"Hey, Skyla." sagte eine unglaubliche Stimme und ich drehte den Kopf. Paul konnte es nicht sein, er war bestimmt nicht so schnell. Der, der da lässig neben mir stand und sein hinreißendes Lächeln lächelte, war nicht Paul. Es war Vic. Er musterte mich und es war mir sichtlich unangenehm. Hastig drehte ich den Kopf wieder weg. Wer lässt sich gerne unter solchen Umständen von seinem Schwarm begutachten? Sofort verschwand sein Lächeln, was ich nur verständlich fand. "Was ist passiert?!" fragte er ein wenig geschockt. "Ich... Ähh..." Das war peinlich. Und wie! Ich konnte ihm ja nicht sagen, dass ich gerade vor einem Psycho flüchtete, der Mal mein Freund war. Außerdem... Außerdem ging ihn das gar nichts an. Also hielt ich den Mund. "Ehrlich, Skyla, ich bin immer für dich da." Meine Augen wanderten zu den seinen. Hatte er das eben wirklich gesagt? Mein Herz machte einen Hüpfer und ich brauchte eine Weile, bis ich es beruhigt hatte. Das brachte mich nämlich ganz aus dem Konzept. Für mich da? ER? IMMER?? Trotzdem hatte das wahrscheinlich wenig zu sagen. Ich meine, das ist schließlich seine Pflicht in diesem Beruf und ich bräuchte mir gar nicht erst etwas darauf einzubilden. Ich schluckte schwer und holte tief Luft. Seine dunklen Augen waren wie ein schwarzes Loch, sie zogen mich in ihren Bann und verschluckten mich. Irgendwie lockten sie die Worte aus mir heraus. "Mein Ex Rick hat meine Freundin Angel entführt, um mich zu... Um..." Mehr schaffte ich nicht. Ich wollte etwas sagen, doch kein Ton kam über meine Lippen. Ich heulte unvermittelt los, und das vor Herr Davids! Es war mir so peinlich, dass ich mich abwandte.

Vic war fertig, Schule aus, hieß es für ihn. Er ging gerade zu seinem Auto, als er sie an der Bushaltestelle sah. Warum war sie nicht im Unterricht? Er ging zu hin und sprach sie an. Sky erkannte ihn und wirkte erschrocken. Tja, was hatte er erwartet? Als er jedoch ihr geschundenes Gesicht sah, blieb ihm ein Kloß im Hals stecken. "Was ist passiert?!" Warum zum Teufel sah sie so aus!? Sein kleiner Engel... Also bitte! Du Lehrer, sie Schüler! Kapiert?, motzte er sich selbst an. Seine Gedanken spielten verrückt und zu alledem flutschte ihm nach ihrem Gestotter noch etwas heraus, dass er eigentlich nur denken wollte: "Ehrlich, Skyla, ich bin immer für dich da." Sie sah ihn komisch an und setzte nach einer Pause noch einmal an. "Mein Ex Rick hat meine Freundin Angel entführt, um mich zu... Um..." Ihre Stimme versagte und dann fing sie an zu weinen. Tränen kullerten ihr die zarten Wangen hinunter, blieben an ihren sinnlichen Lippen hängen und tropften auf ihre dreckige Jacke. Ihr Ex hatte Angel entführt um sie... Um sie zu etwas zwingen? Oder verstand er da etwas falsch? Wie krank. Victor wurde langsam wütend. Sie hatte es nicht verdient, schlecht behandelt zu werden und genau das war offensichtlich der Fall! Skyla wandte sich ab und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Vic konnte es nicht ertragen, sie so zu sehen. So zerbrechlich. Er nahm sie vorsichtig in den Arm, sodass sie sich an seine Schulter lehnen konnte. Erst war sie verunsichert, doch dann merkte er, wie sie sich an seine Brust schmiegte. Ein kleines Grinsen zauberte sich auf seine Lippen und ein Prickeln durchfuhr seinen Körper. Wie ein zerbrechliches Porzellanfigürchen saß sie neben ihm und weinte. Es tat ihm so leid. Rick, ihr Ex, wer auch immer das war, er würde dafür büßen! Plötzlich wurde ihm klar, was er dachte. Und warum er so etwas dachte. Verdammt! Nie im Leben würde er Sky verdienen und nie im Leben würde es funktionieren... Stell es ab, befahl er sich und saß dennoch mit ihr dort und genoss ihre Gegenwart. Er senkte den Kopf und ihm stieg der Duft ihrer Haare in die Nase. Erdbeershampoo und Wald. Er schmunzelte wieder. Wie sehr er sich nach diesem Moment gesehnt hatte!

Herr Davids saß neben mir und hielt mich im Arm. Mein Herz raste und pochte so laut, dass ich dachte, er hört es. Meine Haut prickelte angenehm an den Stellen, an den er mich berührte. Als er seinen Kopf zu meinem beugte, hielt ich kurz die Luft an. Vic strahlte so eine Wärme aus, dass ich mich sofort geborgen fühlte. Falsch. Das war falsch! Ich durfte mich nicht zu ihm hingezogen fühlen. Und trotzdem... STOPP! Ich entzog mich ihm und sah ihn dabei nicht an. Ich hätte nicht seinen Augen standgehalten, denn sie ließen mich alles vergessen. "Willst du reden?" fragte er vorsichtig, nicht wie ein Lehrer es getan hätte. Ich schüttelte als Antwort nur den Kopf und starrte auf die Straße. Doch anstatt zu gehen, blieb Victor Davids sitzen. Ich musste schlucken, seine Gegenwart war komisch, einfach fehl am Platz. Mein ganzer Körper kribbelte und ich wünschte mir heimlich seine Wärme zurück. Ein Ruf lenkte mich von dieser verspannten Stimmung ab: "Sky!!" Paul kam angerannt, in der einen Hand einen Schlüssel, in der anderen sein Handy. "Sky, ich hab dich gesucht! Komm mit, ich bring dich zu Angel." Sein Gesicht zuckte kurz, als er Vic, Herr Davids, sah. Er taxierte ihn schnell, während er meine Hand nahm und mich hoch zog. "Wiedersehen Skyla." sagte Herr Davids und stand auf. Er schlenderte zu den Parkplätzen und verschwand zwischen den Autos. Das meiste bekam ich aber nicht mehr mit, denn Paul zog mich zu seinem alten Fiat, der am Bürgersteig parkte. Er machte schwungvoll die Tür auf und ließ mich einsteigen. Dann ging er um das Auto herum und stieg ebenfalls ein. Eine Pause entstand. "Wer war das eben?" fragte er plötzlich und sah mich durch den Rückspiegel an. "Das war ein Referendar an meiner Schule." erwiderte ich knapp und hoffte, dass man mir nichts anmerkte. Paul hob eine Augenbraue und seufzte: "Dann wirst du bestimmt von der Schulleitung hören..." Ich schüttelte ein wenig zu schnell den Kopf. "Warum nicht?" "Weiß nicht, ist so 'n Gefühl." meinte ich und zuckte mit den Schultern. Er ließ den Motor an und fuhr mit einem Holpern auf die Straße. "Wo wohnt Fabian?" fragte er. Zügig erklärte ich ihm den Weg und blickte auf den bedrohlichen Wald, vor dem mein einsames Fahrrad stand. Die Fahrt über schwiegen wir und ich lehnte meinen Kopf an die Fensterscheibe. Zum Glück fragte Paul nicht nach, was passiert war. Höchstwahrscheinlich wurde er sein Versprechen wahr machen und Rick den Hals umdrehen. Als wir gerade vor der kleinen Villa von Fabians Eltern hielten, wandte ich mich nochmal zu Paul. "Wie hast du mich gefunden?" "Angel meinte du wärst im Wald, dort hätte ich auch gesucht, aber das Problem löste sich von alleine, als ich dich an der Bushaltestelle gesehen hab. Ansonsten hätte ich Angel gebeten, dich anzurufen. Schließlich hab ich deine Nummer noch nicht!" Er grinste und ich auch. "Na, dann sollten wir das mal nachholen!" Ich gab sie ihm durch und er las sie vor, sodass sich keine Fehler einschleichen konnten. Ich verabschiedete und bedankte mich, ehe ich auf Fabians Klingel drückte. Ein leises Schellen ertönte, dann riss jemand die Tür auf. Sofort wurde ich von einer Verrückten umarmt, die mich sogleich in das Haus zog. Angel schrie mir fast ins Ohr, dass sie sich Sorgen gemacht hatte, was mich dazu brachte, den Kopf zu schütteln. "ICH hab mir Sorgen gemacht, weil DU wirklich lange weg warst." Angel winkte ab: "Jaja. Ich weiß..."
Nach einer Stunde saßen wir immer noch im Wohnzimmer auf Fabi's gemütlicher Couch, tranken Kakao und unterhielten uns. Der Hausherr hatte sich schon aus dem Staub gemacht und saß in seinem Zimmer. Wir erzählten uns unsere Erlebnisse, doch Etwas interessierte mich besonders: "Woher hattest du Pauls Nummer?" Sie lachte und grinste mich frech an. Ihr schien das Ganze nicht so viel auszumachen, wie mir oder Fabian. "Als du geschlafen hast, wollte er deine Nummer, aber ich hab sie ihm nicht gesagt. Aber er hat mir seine gegeben, falls ich es mir anders überlege." "Aha." meinte ich skeptisch. "Na, willst du die Nummer?" fragte sie mich neckend. "Naja, kann ja nicht schaden, oder?" Sie reichte mir ihr Handy mit einem Zwinkern und ich tippte mir sie ab. Das Handy wanderte wieder zu ihr zurück und verschwand in Angels grauer Jogginghose, die eigentlich Fabian gehörte.
"Jetzt denk nichts falsches!" sagte ich und stupste die lachende Angel an. "Man, Angel!" Sie hörte überhaupt nicht mehr auf zu lachen, sondern fiel fast vom Sofa. "Angel!" rief ich sie zur Vernunft, jedoch ohne Erfolg. Jetzt fing ich an meine Freundin zu kitzeln, was natürlich das Gegenteil bewirkte. "Stooooop, Sky!" schrie sie wie am Spieß, schlug meine Hände weg und plumpste mit einem Ächzen auf die Couch. Ich sah sie mit zusammen gekniffen Augen an und erstarrte. "Was macht ihr denn?" fragte eine Stimme, die von der Tür herrührte. Mein Kopf drehte sich ruckartig in diese Richtung und erleichtert stellte ich fest, dass es Fabian war. Wen hatte ich erwartet?! Er schlenderte zu seiner lieben Angel, die erwartungsvoll auf die Rettung wartete und küsste sie. Ich fühlte mich plötzlich ziemlich fehl am Platz und zwängte mich an den beiden vorbei. "Sky!" Angel löste sich mit geschwollenen Lippen von ihrem Gegenüber. Ich blieb stehen und wollte wissen, was los war, doch Angel meinte bittend: "Fabiiiiii... Kannst du Sky nach Hause fahren?" Als er sie mit missmutiger Mine anblickte, ergänzte sie: "Wegen IHM." Seufzend nickte er, gab ihr einen Kuss und verschwand mit mir im Flur. "Bis morgen, Sky!" rief Angel und schon fiel die Tür ins Schloss. Fabian klimperte mit dem Autoschlüssel, den er aus seiner Jackentasche zog, und steuerte auf einen schwarzen Audi zu. Wir stiegen ein und statt sofort los zu fahren, erstarrte er, den Blick geradeaus gerichtet. "Skyla, du solltest ihn anzeigen." Einen kleinen Moment lang überlegte ich, was dieser Satz bedeutete. Anzeigen? Zur Polizei gehen? Ich könnte nicht wie eine kleine Petze dorthin gehen und ihn anzeigen... Schließlich hab ich ihn mal geliebt! "Skyla! Er hat Angel wegen DIR entführt und irgendwas mit ihr gemacht! Du hast Angel in Gefahr gebracht." Das saß. Ich musste schlucken und rang nach Luft. Es stimmte, ICH war schuld! Oder ich war der Auslöser... Fabian musste nicht lange auf meine Antwort warten: "Okay." Denn wie lange wollte Rick dieses perverse Spiel noch treiben? Würde es immer so glücklich ausgehen? Dieses Spiel war eine Gefahr, für andere und besonders für mich. Fabian startete den Motor und fuhr los. Ich wohnte nur zwei Blocks weiter, in einem weiß gestrichenen, kleinen Haus mit Balkon. Ich stieg dort aus und Fabian raste zurück. Ein wenig panisch öffnete ich die Tür und schlug sie hinter mir zu. Das Zweite was tat, war, die Balkontür zu kontrollieren. Sie war verschlossen. Ich begab mich in mein Zimmer und schloss ab. Ich würde es nicht über mich bringen, das Ganze meinen Eltern zu erklären, schließlich konnte ich nicht einfach zur Polizei. Oder doch? Ich hatte keine Ahnung wie das Ganze von statten laufen sollte... Ich rappelte mich auf und schaffte es sogar, mich ins Bad zu schleppen. Dort ließ ich mir die Wanne volllaufen und ich kippte die halbe Flasche Badezusatz hinterher. Die Klamotten schmiss ich achtlos auf den gefliesten Boden und stieg in das dampfende Wasser. Die Wärme tat gut, nach diesem kalten "Spaziergang" im Wald. Mein Körper entspannte sich und ich sog den Duft von Lavendel ein, der im Zimmer umher waberte. Die zarte Schaumkrone unvermittelt von meiner Hand durchbrochen, als ich nach dem Schwamm und der Seife griff. Ich schrubbte meine Haut so fest, dass sie rot und fleckig wurde. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich schmutzig war. Schmutzig von Rick. Ich wollte nicht an ihn denken. Ich zwang mich, den Schwamm beiseite zu legen und so lag ich regungslos und beobachtete das Licht, dass vom Wasser an die Decke geworfen wurde. In meinem Kopf herrschte Leere und so begleiteten die Lichtspiele mich in das Reich der Träume.
Etwas Nasses in meiner Nase brachte mich um den benötigten Schlaf. Ich schlug die Augen auf und stellte fest, dass ich noch immer in der Badewanne lag. Das Wasser war inzwischen kalt und ich fror leicht. Ich schniefte das Wasser aus der Nase und schnappte nach frischer Luft. Dann nahm ich mir ein Handtuch, wickelte mich darin ein und stieg langsam, ein Schwindelgefühl unterdrückend, auf den weichen Teppich. Ich sah in den teils beschlagenen Spiegel. Ich erkannte nicht viel, aber was ich sah, war kränklich blass und zarte Striemen zierten die Haut des müden Mädchens vor mir. Ohne auch nur einen weiteren Blick auf meine Hände wusste ich, dass sie schrumpelig waren, genau wie meine Füße. Ich trocknete mich ab und ließ das Wasser ab, ehe ich mich wieder in mein Zimmer verkroch. Bei einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es fast 14 Uhr war. Tim würde bald zu Hause sein und meine Mutter müsste eigentlich schon Essen machen. Ich zog mir frische Sachen an und räumte das Bad auf. Mir ging es schon besser, also beschloss ich, ein paar Hausaufgaben zu erledigen. Für morgen. Die Entschuldigung für heute würde ich von meinem Vater bekommen, doch die für die paar Stunden am Dienstag bestimmt nicht. Sollte ich meinen Eltern alles erklären? Oder sollte ich vielleicht eine fälschen? - Was für Gedanken! So etwas erschien mir vorher unmöglich... Plötzlich stand meine Mutter in der Tür. "Schatz, was machst du schon hier?" Ich drehte nicht meinen Kopf, als ich antwortete: "Ich war heute nicht in der Schule, Papa hat's erlaubt. Wegen Angel." Eine Pause entstand. "Aber sie ist vor zwei Stunden aufgetaucht. Ich hab mit ihr schon telefoniert." Meine Mutter seufzte erleichtert auf, mit den Worten: "Zum Glück! Ist mit ihr alles okay?" Ich nickte und sah sie an. "Dann ist ja gut." Sie verschwand wieder und ließ mich allein. Ich musste ihr das sagen, wenn ich Rick anzeigen wollte... Sehr schwer. Sie würde wahrscheinlich in Panik verfallen, mich nie wieder rauslassen und Rick höchstpersönlich umbringen. "Ring, Ring, Ring." Das typische Sony Ericsson Klingeln riss mich aus meinen Träumen. Ich ging dran und meldete mich: "Sky." "Hallo, Sky. Ich bins, Paul." kam die Antwort prompt von der anderen Leitung aus. "Hi. Warum rufst du an?" Als er antwortete, klang seine Stimme besorgt und vorwurfsvoll: "Ich hab mir Sorgen gemacht, weil du nicht an dein Handy gegangen bist!" "Jaja, aber ich hab in der Badewanne gepennt..." gab ich zu. Ungläubig lachte Paul. "Beim Baden?" "Ja." sagte ich, presste die Lippen belustigt aufeinander und grinste. "Ist ja auch egal..." lenkte er das Thema auf den Grund seines Telefonates, "Ich wollte dir sagen, dass du dieses Schwein Rick anzeigen solltest!" Einen kurzen Moment lang erstarrte ich. Warum wollte mir das jeder heute verklickern?! "Sky?" "Ja?" "Du musst das machen!" Ich nickte, was er natürlich nicht sah. "Okay." murmelte ich und ergänzte: "Muss jetzt Essen gehen, meine Mutter ruft schon." Hastig beendete ich das Gespräch und blieb sitzen. Meine Mutter hatte mich nicht gerufen, ich wollte schlichtweg mit niemanden darüber reden. Ein wenig unfreundlich war das natürlich schon, aber es kümmerte mich nicht.

Er hatte schon so oft angerufen und sie hing einfach nicht dran! Endlich nahm sie ab und er war froh ihre Stimme zu hören. Sky war abweisend und kühl. Nach ein paar Minuten weihte er sie in seinen Vorschlag ein. Paul hatte sich vorher schon den Kopf über diesen Psycho Rick zerbrochen, und war zu dem Schluss gekommen, dass es zu gefährlich ist, ihn frei umher laufen zu lassen. Es kam ihm vor, als würde Sky mit sich kämpfen, als wüsste sie nicht genau, ob sie ihn anzeigen wollte. Aber sie musste! "Du musst das machen!" sagte er eindringlich, worauf sie zustimmte. Paul ließ sich erleichtert in den Bürostuhl seines Chefs sinken, als Sky plötzlich das Telefonat abbrach. Einfach so. Okay, ihre Mutter hatte zum Essen gerufen, aber man hätte sich ja noch verabschieden können. Er lauschte dem "Tuut." "Tuut." "Tuut." und sah sein Handy verwirrt an. Sie wollte nicht mit ihm reden. Warum auch? Sie kannten sich erst seit ein paar Tagen...

Ich sollte wirklich mit meinen Eltern reden! Wie würde es meine Mutter aufnehmen? Und mein Vater? Ganz langsam und wie in Trance setzte ich einen Fuß vor den anderen. "Mama..." flüsterte ich im dunklen Flur und schlich zur Küche, was sie natürlich nicht hörte. „Mama?“ sagte ich nun laut und sah mich um. Meine Mutter stand vor dem Herd und rührte in einer Pfanne, aus der ein Geruch aufstieg, der mir das Wasser im Mund zusammen laufen ließ. "Was denn, Schatz?" wollte sie mit einem Blick auf mich wissen. Ich wusste, dass ich es ihr jetzt sagen sollte, aber ich brachte es beim besten Willen nicht über mich. "Gut, dass Angel wieder da ist. Hast du mit ihr telefoniert? Will Angel diesen Typen anzeigen? Der ist ja eine Gefahr für sie und andere. Wer weiß wie weit er gehen wird!" Warum fing sie mit diesem Thema an? Warum fragen heute alle das Gleiche? Und woher und was wusste meine Mom von dem Entführer? "Ich weiß es nicht." Meine Mutter rührte wieder in den Töpfen und ich holte Teller und Besteck. "Sollte sie aber!" Ich wimmelte sie ab, damit sie nicht auf dumme Gedanken kam: "Ich sag's ihr ja." Wir setzten uns stillschweigend und ich aß. Meine Mutter wartete noch geduldig auf ihren Sohn, der gleich nach Hause kommen sollte. Mein Vater würde erst am Abend wieder im Haus sein, weil er auf der Arbeit immer viel zu tun hatte. Ich ging meinen Gedanken nach. Vielleicht könnte ja Angel Rick einfach anzeigen und ich könnte mich einfach da mitreinhängen, wenn man das machen kann... Ich musste unbedingt mehr darüber in Erfahrung bringen! Ich könnte einfach mal googlen. Genau! Das würde ich jetzt machen! Ich stopfte wortkarg und lustlos das Essen in mich hinein und verschwand in meinem Zimmer. Mom quittierte das mit einem säuerlichen Gemurmel. Ich schnappte mir mein Handy und surfte im Internet. Bei Wikipedia, ich fand diese Seite trotz Kritik vertrauenswürdig, sprang mir ein Satz ins Auge: "Die Staatsanwaltschaft entscheidet nach Abschluss der Ermittlungen, ob gegen den Beschuldigten Anklage erhoben wird oder das Verfahren eingestellt wird." Das hieß in Klartext, dass wir, Mangels Beweise, Rick nicht festhalten konnten. Davon mal abgesehen, was sollten die Bullen schon machen? Jugendknast wäre unwahrscheinlich, eher Bewährung oder so. Man, warum musste ich mich mit so einem Mist rumärgern?!
Ich kam den ganzen Tag nicht aus meinem Zimmer und meine Eltern machten sich Sorgen. Tim schien es nicht aufzufallen, aber ich nahm es ihm nicht übel. Ein Quälgeist weniger... Somit ging ich schlafen, ohne auch nur einen einzigen, wirklich wichtigen Satz mit ihnen gewechselt zu haben. Ein Gedanke, der sogar mein Zusammentreffen mit Victor Davids in den Hintergrund rücken ließ, kreiste in meinem Kopf: Morgen würde ich Rick begegnen.
"Schaaaaatz." So weckte man mich am nächsten Tag. Ich musste nämlich feststellen, dass ich verschlafen hatte. Ich sprang aus meinen warmen Bett und machte aus dem Zombie mir gegenüber einen Menschen: meine Augen waren unnatürlich dunkel unterlaufen, was an dem wenigen Schlaf liegen musste. Ich lag sehr lange wach und als ich endlich eingeschlafen war, träumte ich nicht gerade gut von Rick. Wie real Träume doch sein können! Mein Vater kritzelte eine Unterschrift unter die selbstverfasste Entschuldigung und dann verließ ich mit einem unguten Gefühl das sichere Haus.
Die Schule sah ich schon von weitem, doch ich zwang mich dazu, mich nicht andauernd nach ihm umzusehen. Stattdessen blieb ich bei Angel und Fabian und betete, dass ich heute verschont werden würde. Zu meiner größten Erleichterung setzte mich Fabian davon in Kenntnis, dass er noch überhaupt nicht aufgetaucht war. In der Klasse, fünf Minuten nach Unterrichtsbeginn, erklärte die Kunstlehrerin ihn für krank und Angel heimlich für krank im anderen Sinne. Eigentlich freute ich mich immer auf Kunst, doch dieses Mal kritzelte ich lustlos ein paar Männchen, die so schrecklich aussahen, dass die Lehrerin fragte, ob es mir gut ginge. Ich versicherte ihr, dass alles bestens sei und sie war so dumm und glaubte es mir. Auf den Unterricht konzentrierte ich mich kaum oder überhaupt nicht, selbst als ER durch die Tür trat. Herr Davids. Er sah umwerfend aus, was natürlich nicht nur mir auffiel. Mindestens die halbe Klasse, also alle Mädchen, plus Barbie starrten ihn an. Angel sah brav weg, aber mein Blick glitt fast genauso ungeniert über seinen Körper, wie die der anderen. Ein schlichtes, aber wirkungsvolles T-Shirt ließ einen Waschbrettbauch erahnen und die Jeans betonte einen ziemlich knackigen Hintern. Hüstel, hüstel, kam es von Angel und ich sah wieder weg. Sie stupste mich sofort an. "Ich verstehe dich nur zu gut!" grinste sie und ich musste unwillkürlich mitgrinsen, weil sie keine Ahnung hatte. Sie hatte Fabian und er gehörte ihr, ganz anders bei mir und Victor, ich meine Herr Davids. Bitte was?! Was dachte ich da gerade? Ich hatte mich doch nicht verliebt! Ein bisschen alberne Schwärmerei, mehr nicht. Sofort schob sich die Erinnerung an der Bushaltestelle vor mein inneres Auge. Das machte mir Hoffnungen, obwohl es mir die eigentlich nicht machen sollte. Trotzdem war ich ein Mensch, der in solchen Sachen immer optimistisch, oder einfach nur naiv, war. Öfter trafen sich in dieser Mathestunde unsere Blicke, denen ich hastig auswich.

Er hatte schon damit gerechnet, sie nicht in der Schule zu sehen, aber Sky war da. Er musste sich anstrengen, sie nicht die ganze Zeit über anzustarren, doch leider klappte es nicht so, wie er es sich gewünscht hatte. Sie sah so blass und müde aus, dass sein Beschützerinstinkt wach wurde. Der Lehrer machte zum Glück keine großen Anstalten Victors Hilfe zu verlangen, sonst würde er nur an ihren Lippen kleben. Ein wenig unwohl war ihm, als er bemerkte, wie sich 'Barbie' sich um ihn bemühte. Sie war ziemlich aufdringlich und die Parfumwolke, die sie mit sich trug, verursachte pochende Kopfschmerzen. Er rückte ein bisschen unhöflich von ihr weg und ein lächelndes Gesicht sah ihn an. Nicht Skyla, aber Angel, die nicht freundlich, sondern schadenfroh grinste. Er beachtete es nicht. Skyla schwirrte in seinem Kopf, sie hatte etwas zu verbergen. Aber was? Es musste sie ziemlich fertig machen, so wie sie aussah. Es erinnerte ihn an die Situation bei der Bushaltestelle... Irgendwann, es kam Victor vor wie eine Ewigkeit, klingelte es und er flüchtete vor Barbie. Er hielt Ausschau nach Sky, dich sie war schon verschwunden.

Als es zur Pause klingelte, verschwand ich mit Angel, um bloß nicht dem Referendar zu begegnen, der sicher noch einige Fragen hatte. Ich ging ihm erfolgreich aus dem Weg, leider suchte ich in der Menge auch Ricks Gesicht. "Man, Sky! Er ist nicht hier und selbst wenn, ich und Fabian sind da." Angel klang genervt und ich konnte es ihr nicht verübeln. Sie hatte das alles sehr gut überstanden, im Gegensatz zu mir. Die Pause machte mich wirklich nervös, in der Klasse war ich wenigstens sicher, aber jetzt? Als endlich, ich konnte nicht sagen, was wir überhaupt durchgenommen hatten, Schulschluss war, kam meine beste Freundin nochmal mit zu den Fahrrädern. Ich war bloß froh, heute keine unangenehmen Fragen gestellt zu bekommen. "Danke." sagte ich und sah Angel in die Augen. "Ach Schätzchen... Komm gut nach Hause!" seufzte sie. Wir verabschiedeten uns und ich schwang mich auf mein Fahrrad. Ich war aufmerksam, jede Kleinigkeit fiel mir auf und doch wurde oh das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Die Straßen wurden leerer und verzweigter, die Gassen dunkler. Pure Einbildung, sagte ich mir und machte mir Mut. Plötzlich sprang etwas Dunkles aus einer Seitengasse genau vor mein Fahrrad und ich bremste erschrocken, aus einem Reflex, ab. Ein Fehler.
"Na, Süße?" sagte eine wohlbekannte und verhasste Stimme. In Panik wollte ich mit meinem Rad wegfahren, doch er packte den Lenker. Ich fiel mehr vom Sattel, als das ich abstieg. Leider brauchte ich einen Moment zu lang um aufzustehen, denn zwei Arme zerrten mich in die Gasse neben mir. Das Fahrrad folgte, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte wie. Er drückte mich gegen eine schmutzige Hauswand und zog die Kapuze ab, die sein Gesicht verdeckte. Ich wusste, wer mir da gegenüber stand, und trotzdem lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, als ich in zwei kalte blaue Augen sah. "Was willst du, Rick?" fragte ich zitternd. Rick lachte auf: "Ich wollte wissen, was aus unserem Deal geworden ist." Ich schluckte. Unser Deal. "Geplatzt." sagte ich, "Ich mache nicht alles." Seine Augen durchbohrten mich wütend und er zischelte: "Was du nicht sagst. Ich werde mir nehmen, was mir zusteht!" Ich zitterte vor Angst, es war Rick und Rick bekam das, was er wollte. Er beugte sich über mich und presste seine Lippen auf meine. Ich unterdrückte den Würgereiz und war damit beschäftigt, seine groben Hände wegzuschieben, weil sie unverblümt unter mein T-Shirt krochen. "Lass das!" Ich stieß ihn weg und wich mit klopfendem Herzen vor dem bedrohlichen Schatten zurück. "Komm schon!" grinste er, packte in einer schnellen Bewegung meine Haare und zog mich zu sich. Bei dem stechenden Schmerz verzog ich das Gedicht, hielt aber dagegen. Plötzlich vernahm ich ein Schnappen und spürte etwas Kaltes an meiner Kehle. Jetzt hielt ich wie gelähmt still, die Angst machte mich unbrauchbar starr. "Du machst, was ich sage, verstanden?" Ich antwortete schrill "Ja." Rick zog mich zu sich und legte eine Hand auf meine Hüfte, während die andere immer noch das Messer umklammerte. Die Klinge strich an meiner Wange entlang, über den Hals, bis zum Dekolleté. Das Blut rauschte im meinen Ohren, doch ich ließ alles geschehen. Ich schloss angewidert die Augen und dachte an etwas anderes. Eine Blumenwiese im leuchtenden Sonnenschein.
"Lass sie los!" brüllte eine wütende Stimme, die ich erst einmal nicht erkannte. Aber dann öffnete ich die Augen und große Erleichterung durchströmte mich. Mir war es egal, wer mich hier herausholte, Hauptsache es tat jemand! "Rick, leg das Messer weg und lass Skyla gehen!" Da war sie, die Lehrerstimme. Ich starrte fassungslos auf die Person, die langsam auf uns zukam.

Er sah Skyla in der Seitengasse verschwinden. Und bestimmt nicht freiwillig. Ein Junge aus ihrer Klasse, hieß er nicht... Rick?, hatte sie hinein gezerrt. Ein schlechtes Gefühl machte sich in ihm breit und er beschloss, sein Auto einfach stehen zu lassen und nachzusehen, was da los war. Fast ein bisschen zu schnell ging er zu der Gasse, sah hinein und sein Magen zog sich zusammen. Sky wurde von Rick bedroht, ein Messer an ihrem schönen Hals. "Rick, leg das Messer weg und lass Skyla gehen!" kam aus seinem Mund, und es klang fremd, weil es so ruhig war. Er musste Sky helfen, sie unbedingt von diesem kranken Schwein wegbringen. Er ging entschlossen auf sie zu, musterte aufmerksam jede einzelne Bewegung und es entging ihm nicht, dass Skyla heftig atmete, ihre Augen in Panik auf ihn gerichtet.

Vic! Ähm, ich meine Victor. Nein, Herr Davids. Erleichterung durchströmte mich, obwohl es immer noch alles andere als gut für mich aussah. "Stopp!" befahl Rick und hielt mir das Messer an die Kehle. Augenblicklich stoppte Herr Davids in seiner Bewegung, machte aber keine Anstalten, zu gehen. Ich dankte ihm das in Gedanken tausend Mal und betete, dass Rick mich laufen ließ. Ich traute ihm zwar keinen Mord zu, aber ganz sicher etwas Krankenhaus-reifes. "Du gehst keinen Schritt weiter, sonst wird's dir leid tun!" brüllte Rick wütend und drückte die Klinge einen Moment zu fest. Ich spürte, wie etwas Warmes meinen Hals hinunter tropfte und sah, dass Victor mit verzerrtem Gesicht Rick tausend Tode sterben ließ. Was natürlich abwegig und unprofessionell für einen angehenden Lehrer war, für mein Herz aber durchaus wohltuend. "Ist gut, ist gut." presste er hervor und machte einen Schritt nach hinten. Rick zog mich hoch, sah sein Gegenüber gehässig an und küsste mich grob.

Victor wollte unter keinen Umständen Sky gefährden, nicht seinen Engel. Also blieb er da, wo er war. Weggehen kam nicht infrage. Dieser Rick grinste ihn wissend an und zog Sky zu sich. Dann küsste er sie. Vic starrte die beiden an. Nicht, dass sie es wollte, und trotzdem verursachte dieser Anblick bei ihm einen Schauer aus Nadelstichen in seinen Herzen. Ein Knurren entwich seiner Kehle und er war unglaublich schnell bei Rick und schubste ihn von seiner Sky fort. Sie gehört dir nicht, tadelte ihn eine Stimme in seinem Kopf. Er ignorierte sie und die kochende Wut auf Rick sprudelte nur so aus ihm heraus.

Ich hörte ein tiefes Knurren, dann wurde Rick beiseite geschubst. Es war mir ein Rätsel, wie Herr Davids so schnell zu uns gekommen war, aber froh war ich trotzdem. Victor stellte sich vor mich und funkelte Rick wütend an. "Ist alles okay, Skyla?" fragte er besorgt. "Ja." krächzte ich heiser und strafte meiner Antwort Lügen. Er warf einen undefinierbaren Blick über die Schulter. "Du musst die Blutung stillen, am besten mit einem Stück Stoff." riet er mir mit seiner sexy Lehrerstimme, drehte dabei den Kopf wieder zu dem messerschwingenden Rick. Er versperrte uns den einzigen Ausweg. Meine Gedanken rasten, als er plötzlich einen Schritt auf uns zu machte und mit der Klinge auf Herrn Davids zielte. Dieser reagierte ziemlich schnell: Er packte Ricks Arm und drehte ihn. Schmerzverzerrt unterdrückte er jeglichen Laut und rammte dafür seine Faust in den Magen von Victor, ich meine Herr Dav...- ach egal. Zu meinem Entsetzen krümmte Victor sich, ließ aber nicht los. Ich wusste auf einmal genau, was ich zu tun hatte. Das Gedankenchaos hatte sich gelichtet und ließ mich überlegen. Hilfe! Ich musste Hilfe holen! Ich rannte los, zu meinem Schulranzen, wühlte darin herum. Panisch warf ich einen Blick zu den zwei, die sich gerade erbarmungslos zusammenschlugen.

Wütend und, er musste es sich eingestehen, eifersüchtig, genoss er es, diesem Penner die hässliche Fresse zu polieren. Er hatte es verdient, dieser Drecksack! Seiner Sky tat man nichts! Jegliche Schläge steckte er ein, ohne auch nur darüber nachzudenken, was sie anrichteten.

Ich erfasste sofort, dass Victors Lippe blutete und ein tiefer Schnitt seine Wange zierte. Rick hatte auch etwas abbekommen, eine blutende Nase und ein blaues Auge. Wie vor ein paar Tagen, schoss mir durch den Kopf. Meine Finger hatten endlich das Handy gefunden und ich wählte die nächstbeste Nummer, die mir in den Sinn kam. "Ja, Angelika hier?" hörte ich die Stimme meiner Freundin. "Angel!" rief ich erleichtert, "Wir haben ein Problem." "Was ist los?" fragte sie erschrocken. "Rick hat ein Messer und prügelt sich gerade mit Victor." Ungläubigkeit spiegelte sich wieder: "DER Victor?" "Ja." antwortete ich knapp, wie konnte sie den daran jetzt denken?, "Hol Hilfe, wir sind in der..." Ein kurzer Blick an einem verwitterten Schild bestätigte mir die Vermutung. "In der Schillerstraße." beendete ich den Satz. "Oh Gott, Sky, pass auf dich auf!" schrie sie mir fast ins Ohr und legte auf. Meine Finger flogen wieder auf den Tasten umher, doch die Nummer der Polizei war weg. Ich konnte mich einfach nicht erinnern. Sooft gesehen und gehört, eingeschärft bekommen, aber jetzt? Zum Glück hatte ich Angel angerufen. Fieberhaft überlegte ich und sah zu den jungen Männern herüber, die inzwischen ziemlich blutverschmiert und verbittert kämpften. Victor warf mir einen flehenden Blick zu und brüllte: "Lauf weg, Sky! Ich komm schon zurecht!" Rick nutzte das aus und schlug ihn mitten ins Gesicht, sodass er zusammenbrach. Meine Beine bewegten sich keinen Millimeter von der Stelle. Ich hatte Angst, sehr große Angst, aber nicht um mich, sondern um jemand anderen. "Victor!" schrie ich und lief auf ihn zu, alle Bedenken über Bord werfend. Ich fiel auf die Knie und besah mir seine, nun gebrochene, Nase. Rick packte mich an den Schultern und zerrte mich zu sich. "Lass mich los!" kreischte ich und trat ihm zum zweiten Mal in meinem Leben in die Weichteile. Ich kann nur sagen, dass es mir nicht Leid tat, als er vor Schmerz brüllend auf dem Boden lag. Das Messer lag jetzt auf dem Boden und ich packte es. Inzwischen war Victor aufgestanden und nahm mir das Messer wieder aus der Hand. Ein Kribbeln durchfuhr mich, als sich unsere Hände berührten und ich sah ihm kurz in die wundervollen Augen. Er drückte mich bestimmend zu meinem Fahrrad und wies mich an, so schnell wie möglich nach Hause oder zu Freunden zu fahren. Ich wollte ihn nicht allein lassen. "Die Polizei kommt doch schon." sagte ich mit bebender Stimme und krallte mich an Victor. Tatsächlich hörte man schon die durchdringende Sirene. Victor zuckte leicht zusammen, als ich seine Hand nahm und starrte mich an. Ich sah gar nicht ein, warum ich loslassen sollte! Ich sah mich nach Rick um, er stand wankend auf und taumelte auf uns zu. Schützend stellte sich Victor vor mich und fokussierte seinen Gegenüber. Jetzt war schon ein Streifenwagen da, ein Polizist sprang heraus, Victor zerrte mich zu dem Uniformierten und sein Kollege schnappte sich Rick. Unter lautem Geschrei steckten sie ihn in den Wagen und auch wir mussten mit, nachdem man uns notdürftig verarztete. Auf dem Weg zur Polizeiwache sprach ich kein Wort, sondern sah nur geradeaus. Herr Davids Hand umschloss immer noch die meine und unglaubliche Wärme breitete sich von dort aus. Ich traute mich nicht, ihm in die Augen zu sehen, aber sein Deo roch ich sehr wohl. Dieses wunderbare Deo...

Er hielt sich das Taschentuch unter die Nase, die stark blutete. Er schielte ziemlich oft zu Sky herüber, wie sie da saß. Wie ein verschrecktes Reh, das die Aufgabe hatte, den ahnungslosen Köder zu spielen. Ängstlich und stolz. Ihre Haare waren standen in alle Richtungen ab und der Schnitt war mit einem Pflaster versorgt worden, nachdem man feststellte, dass er nicht tief war. Ihr verlockendes Dekolleté schimmerte vom Blut rötlich und ein wenig ungeniert schaute er hin. Er würde sie gerne in den Arm nehmen, aber die einzige Verbindung die er zulassen durfte, war das Händehalten, sonst wäre er womöglich über sie hergefallen. Das käme nicht sonderlich gut an. Seine Gedanken kreisten um Sky und es machte ihn unglaublich wütend, als er an den Kuss, den Rick ihr gegeben hatte, dachte. Wenn er sie einmal, nur ein einziges Mal, küssen dürfte! Ihre zarten Lippen berühren... Er verbannte diesen Gedanken wieder und verfluchte seine Schwäche. Doch Vic konnte nicht dagegen ankämpfen, er wollte sie nie wieder loslassen. Nicht nach dem heutigen Tag.

Wir hielten vor der Wache und ich ließ Victors Hand los. Es war, als würde man mich von einer Steckdose abstecken, die Spannung zwischen uns ließ spürbar nach und meine Gedanken normalisierten sich. Immer noch nicht traute ich mich, Herrn Davids anzusehen. Ich schloss die Autotür, hob den Kopf nur für einen Moment und sah unfreiwillig in die grün gesprenkelten Augen von ihm. Etwas verwirrt schaute ich weg und folgte dem Polizisten, um bloß nicht in Versuchung zu geraten, seine fesselnden Augen anzustarren. Man führte uns in ein Büro, wo sich ein adretter Beamter als Herr Vogt vorstellte und uns vernahm. Herr Davids und ich saßen auf zwei unbequemen Plastikstühlen und erzählten, was passiert war. Kein Detail ließen wir aus, bis auf den Vorfall im Wald den Tag zuvor. Mir war es peinlich und ich schämte mich dafür vor Herr Davids, sonst hätte ich es womöglich gesagt. Natürlich mussten wir auch persönliche Daten angeben, und ich erfuhr, dass Victor Davids 22 Jahre alt war. "Am besten wäre es, wenn Sie Ihre Wunden im Krankenhaus noch einmal untersuchen lassen." meinte Herr Vogt schließlich und entließ uns dann. Langsam stiegen wir die Treppe hinunter und gingen hinaus. Wir traten gerade aus dem Eingang, als uns aufging, dass wir keinen fahrbaren Untersatz hatten. "Ich ruf ein Taxi, soll ich dich einfach bei dir rauslassen, bevor ich nach Hause gehe?" fragte er unvermittelt und ich erwiderte schüchtern: "Nein, ich fahre mit meinem Fahrrad." Die Polizisten hatten mir mein Zeug, also das Fahrrad und den Rucksack, zurückgegeben. Victor sah mich skeptisch an: "Ich begleite dich zum Krankenhaus..." Ich wollte gerade etwas entgegnen, als er mir unvermittelt einen Finger auf den Mund legte. Meine Lippen bebten und mein Herz klopfte bis zum Hals, als unsere Gesichter sich näherten. Ich spürte seinen heißen Atem auf meiner Haut und versank in seinen Augen.

Vic sah sie an, sein Porzellanpüppchen. Sie war... überrascht, verwirrt, überrumpelt? Er konnte ihren Blick nicht deuten, als er ihre sinnlichen Lippen betrachtete. Ganz vorsichtig beugte er sich zu ihr, wie in Trance. Kein einziger Gedanke drang zu seinem Bewusstsein durch, er wollte sie einfach nur küssen. Plötzlich entwand Sky sich seinem Griff und er blinzelte. Sie war energisch zwei Schritte nach hinten gegangen und starrte ihn ausdruckslos an. Über sich selbst erschrocken war er unfähig etwas zu tun. Warum wollte er sie küssen? Er war nicht befugt, etwas dergleichen zu tun. Es war verboten- und hatte seinen Reiz. Er war so dumm, dem nachzugeben! Ein wenig Händchenhalten hatte ihn den Kopf verdreht... Verdammt, fluchte er innerlich, verdammt, verdammt! Sky hatte sich ihrem Rad zugewandt und wollte sich darauf schwingen, als er sie am Arm packte. "Erst ins Krankenhaus!" tadelte er sie mit Lehrerstimme und bereute es augenblicklich. Er wirkte wahrscheinlich wie ein idiotischer Spanner... Sofort ließ er sie los, jedoch ohne Sky durch zu lassen. "Ich kann machen, was ich will." sagte sie zickig. Nach einer Weile stieg sie trotzdem seufzend vom Rad, einer Sinneswandlung folgend. Schweigend liefen sie nebeneinander her und um die unangenehme Stimmung aufzulockern, fragte er: "Warum warst du denn gestern nicht da?" Vic schien das Falsche angesprochen zu haben, denn Sky zuckte unwillkürlich zusammen. Sie schüttelte unmerklich den Kopf und blieb stumm. Okay, dachte er sich, wenn sie nicht darüber reden will... Kein einziger Laut kam über ihre Lippen, bis sie vor dem Krankenhaus zum Stehen kamen. Dort schloss Sky ihr Rad ab, wobei sie sich hinunter beugte und Vic ihren wohlgeformten Hintern sehen konnte. Schnell wandte er den Blick ab. Spanner!, schimpfte er sich und verdrängte dabei, wie gern er das bei Skyla war. Sie ging ins Gebäude, er folgte ihr wortlos.

Ich erstarrte. Wollte er mich... küssen? Er, Vic, ich meine Herr Davids? Schöne Lippen hatte er, und dieses Deo! Mein einziger Gedanke war: Küss mich endlich! Und als er so vor mir stand, wurde mir plötzlich bewusst, was wir hier taten. Vor der Polizei. Irritiert machte ich eine Rückzieher und vergrößerte den Abstand zwischen uns. Es kostete mich Anstrengung und Willenskraft, mich loszureißen. Doch in demselben Moment, in dem ich von ihm gelöst war, ärgerte in mich über mein Verhalten. Es wäre ein einfacher Kuss gewesen, mehr nicht. Ein kleiner Kuss. Nur einer... Ich wünschte mir seine Berührungen zurück, die mich in Flammen stehen ließen. Ich glaubte zu erkennen, wie Herr Davids mich verwirrt ansah, aber sein Gesichtsausdruck wechselte schlagartig ins Erschrockene um. Bestimmt wegen meinem Verhalten, warum musste ich auch so dumm sein?! Warum hatte ich es nicht einfach zugelassen? Ich wollte einfach nur noch weg, weg von dieser schrecklichen Situation. Als Vic mich aufhielt, sagte ich ziemlich zickig: "Ich kann machen, was ich will." Er war kein Lehrer, nicht jetzt und nicht hier. Trotzdem hatte er Recht, schließlich sollte sich jemand diese Wunde ansehen... Meine Mutter wird sowieso von den Vorkommnissen unterrichtet und in heller Panik ausbrechen. "Warum warst du denn gestern nicht da?" fragte Herr Davids plötzlich. Ich schluckte und wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Es geht ihn auch nichts an! Ich beschloss, das Thema totzuschweigen, was mir gelang. Doch die ganze Zeit wünschte ich mir, dass Victor nochmal versuchen würde, mich zu küssen. Ich wollte ihn berühren und ihn nie wieder loslassen. Es fühlte sich zu gut an, aber ich wusste, dass es zu spät war. Ich hatte es versaut!

Eine grimmige Krankenschwester untersuchte mich und desinfizierte meine Schnittwunde. Ich bekam ein großes, elastisches und vor Allem unbequemes Pflaster an den Hals geklebt und durfte wieder gehen. Draußen wartete ich auf Herrn Davids, der immer noch drinnen war. Ich überlegte schon zu gehen, als sich eine Tür öffnete und er mit einem weißen Etwas auf der gebrochenen Nase zurückkam. Er grinste schief, als ich genervt an meinem Pflaster zerrte, was ihm ein jugendliches Aussehen verlieh. Wir schlenderten nach draußen, wo uns die warme Sonne entgegen schien. "Warum hast du nichts gesagt?" fragte Vic leise. Was meinte er? Hatte er sich das mit dem Vorfall in der Schule zusammengereimt? Bestimmt. Ich zögerte, aber dann antwortete ich ihm, schließlich war ich ihm das schuldig. "Ich... Ich hatte Angst um meinen Bruder und Angel. Er hätte ihnen etwas angetan." kam beschämt aus meinem Mund. Herr Davids blieb abrupt stehen, Erkenntnis machte sich auf seinem schönen Gesicht breit: "Angel... Sie war weg, weil...?" Ich nickte, schielte dabei zu meinem Fahrrad. Nur ein paar Meter, dann könnte ich hier weg! Plötzlich packte mich jemand an der Schulter und drehte mich herum: "Sky! Du warst in Gefahr! Ich hätte dir geholfen." Hatte er mich gerade Sky genannt? Ich nahm sein Deo wahr, seine warme Haut an meinem nackten Arm, von dem ein Stromschlag nach dem anderen ausging, und seine unglaublichen Augen. Vic war jetzt so nach, dass ich verwirrt erstarrte und ihn einfach nur ansah. Ich hatte die Chance, meinen Fehler wieder rückgängig zu machen, jedenfalls den einen Teil. Ich erkannte, wie seine Blicke sich auf meine Lippen konzentrierte, doch er bewegte sich nicht. Mein Herz pochte laut und kurz überkam mich eine Welle von Mut, die ich dazu brachte, den Abstand bis auf ein paar Zentimeter zu verringern. Wir wandten uns keine Sekunde voneinander ab, dann kam er mir zögernd entgegen. Ich konnte es ihm seit meiner letzten Reaktion nicht verübeln. Ein letzter Blick in seine Augen verriet mir, dass das Verlangen nicht nur mit plagte. Unsere Lippen berührten sich sanft und eine Hitzewelle erfasste meinen Körper. Vic hielt mit einer Hand meinen Hinterkopf und küsste mich leidenschaftlich, was ich nur erwidern konnte. Seine andere Hand wanderte von meiner Schulter zu meiner Hüfte und Victor drückte mich leicht zu der weißen Wand des Krankenhauses. Ich hatte schon längst die Umgebung verdrängt, fühlte nur Vic und wie seine Lippen meinen Mund liebkosten. Jetzt bat auch seine Zunge um Einlass und ich verwehrte es ihm nicht. Unsere Zungen spielten zärtlich miteinander und mein Herz machte Freudensprünge, die mich glauben ließen, ich mache gerade einen Fallschirmsprung ohne Fallschirm. Schwerelos fliegen und nie wieder auf die Erde zurückkehren, so fühlte ich mich. Doch das stimmte nicht. Victor löste sich von mir und sah mich schweigend an. Ich, völlig aufgelöst, verwirrt und zerzaust und er, lässig, sexy und wie immer einwandfreie Haare... Oh, Mann, zu was hast du mich bloß hingerissen! Aber ich bereute es nicht im Geringsten.

Er musste grinsen, als er Sky so sah. Sie zubbelte unruhig an ihrem Pflaster und schien genervt. Doch als sie sich in Gang setzten, wurde ihm wieder bewusst, was für eine peinliche Situation gerade herrschte. Diesen Rick hätte er am liebsten umgebracht! Warum hatte sie ihm, Vic, nichts gesagt, als er sie fragte, ob es Probleme gäbe. Er hatte sie doch schließlich gesehen, Rick und Sky! "Warum hast du nichts gesagt?" nuschelte er in Gedanken und bemerkte gar nicht, dass Sky ihn antworten wollte. "Ich... Ich hatte Angst um meinen Bruder und Angel. Er hätte ihnen etwas angetan." stammelte sie und versuchte sich mit Gesten zu rechtfertigen. Süß, schoss Vic durch den Kopf. Dann dachte er erst an die Bedeutung ihrer Worte nach. Also war Angelika deshalb verschwunden? Und Sky auch? Was für ein krankes Schwein! Wenn er den noch Mal in die Finger bekommen würde. "Angel... Sie war weg, weil...?" fragte er, und wie erwartet nickte sie, etwas abwesend. Da ging seine Fürsorge mit ihm durch, Victor schüttelte sie ungeachtet des Prickelns, das dadurch entstand: "Sky! Du warst in Gefahr! Ich hätte dir geholfen." Gott, was hatte er gerade gesagt? Er hatte sie Sky genannt! Fuck! Skyla sah ihn merkwürdig an, ihr war es bestimmt auch aufgefallen. Sie wandte sich nicht ab und so hielten ihre Augen ihn gefangen. Seine Hände schickten einen Schauer über seinen Körper, doch er war unfähig, sich zu bewegen. Er wollte sie küssen, aber er traute sich nicht. Anscheinend wollte sie nicht, wenn er ihre letzte Reaktion bedachte... Trotzdem, ihre wundervoll sinnlichen Lippen und diese bitterschokoladen-braunen Augen! Seine Blicken klebten förmlich an ihrem Mund. Die Eisstatue, die er immer gegenüber jüngeren gewesen war, schmolz bei ihr, bei seiner Sky. Er zögerte, würde sie es zulassen? Zweifel nagten, schließlich konnte sie ihn anzeigen... Keinen Augenblick löste er sich von ihr, dann kam sie bis auf ein paar Millimeter an ihn heran. Erwartungsvoll fixierte sie Vic und er konnte nicht mehr warten. Egal, dachte er sich, er würde das Risiko eingehen. Für einen Kuss. Seine Lippen trafen auf ihre und überraschenderweise tat Skyla nichts, um ihn stoppen. Seine Hände wanderten über ihren wohlgeformten Körper, was ihn schier verrückt machte, und er küsste Sky leidenschaftlich, um dann etwas mehr zu wagen. Seine Zunge spielte gekonnt mit ihrer und sein Körper verlangte nach ihr. Immer mehr. Vic dirigierte Sky zur Wand und ließ sie nicht mehr gehen. Nach einer wunderschönen Ewigkeit löste er sich von ihr, nicht ohne schon süchtig nach ihren Berührungen zu sein. Scheiße, wenn sie jemand gesehen hatte? Oder sie es sich nach dem gedehnten Kuss anders überlegt hatte? Leichtsinnig, beschimpfte er sich und so besiegte sein Kopf sein Herz, das nach mehr schrie. Sky sah heiß aus, aufgelöst und wunderhübsch. Sie standen stumm da und erst als Sky sich fluchtartig umdrehte und zu ihrem Fahrrad lief, erwachte Vic aus seiner Starre. Denn mit ihr verschwand auch dieser verfluchte Nebel, der seinen Verstand enthüllte. Dumm war Victor Davids, einfach dumm. Wie ein kleiner pubertierender Junge verhielt er sich!

Ich flüchtete, dachte nur: einfach weg! Und bloß nicht umdrehen! Wie konnte das nur passieren? Was hatte ich mir dabei nur gedacht? Nichts, eben! Er fast-Lehrer, ich Schüler!
FAST-Lehrer. Nur FAST.
Was hatte ich da gedacht? Ich würde Vic, ich meine Herrn Davids nie wieder in die Augen sehen können. Zu peinlich. Obwohl, er hätte ja nicht so mitgespielt, wenn er nicht... Wenn er nicht... was? Seinen Spaß haben wollte?! Ich wünschte, mein Leben wäre einfach. Schule, Freund, shoppen mit bester Freundin. Ohne Probleme! Der Gedanke allein war schon langweilig. Nicht das shoppen, aber keine Probleme. Die machen doch das Leben aus!?
Vor lauter Gedanken-Macherei wäre ich beinahe an unserem Haus vorbeigefahren. Das etwas demolierte Rad schob ich in die Garage und sofort tauchte das Bild von Rick wieder auf. Der würde mich nicht mehr so schnell belästigen, da war ich mir sogar sicher. Mehr Zeugen und Beweise gab es nicht! Ich schloss auf und sofort hüpfte meine Mutter vor mich und quetschte mich aus. Ich hatte dazu kein bisschen Lust, also entschlüpfte ich ihren Fängen und flüchtete in mein Zimmer. Natürlich sehr ich den Schlüssel herum, sodass meine Mutter sauer und besorgt gegen die Tür hämmerte. Nach einer Weile gab sie Ruhe und ich setzte mich an meinen Schreibtisch. Ich zeichnete wirr im Kopf alles auf und stellte fest, dass es unsere Kussszene war. Er war auch glücklich, aber nicht genauso schön, wie im realen Leben. Ich legte das Blatt zur Seite und zog lustlos meine HAs hervor, die ich nach ein paar Minuten wieder in eine Ecke pfefferte. Erschöpft und müde, obwohl nicht ich mich mit Rick geprügelt hatte, fiel ich ins Bett. Mein Hirn schaltete sich wegen Überbelastung aus und ich schlief ein.
Als ich aufwachte, lag ich ungemütlich. Ich sah mich um und stellte fest, dass ich aus dem Bett gefallen war und nun auf dem kalten Boden lag. Ich rappelte mich schlaftrunken auf, verhedderte mich beim Aufstehen und stieß mit dem Schienbein gegen das Bettgestell. "AU!" schrie ich und plumpste wie ein Stein auf das Bett. Ich kringelte mich vor Schmerzen und an Nachtruhe war nicht mehr zu denken. Nachdem der Schmerz abgeklungen war, humpelte ich vorsichtig los. Niemand war wach und in der Küche wurde mir auch offenbart warum: 02:46 Uhr. Super, eigentlich brauchte ich noch Schlaf, aber daran war nicht zu denken. Meine Finger ertasteten den Lichtschalter und mit einem "Knips" leuchtete die Küche hell auf. Im ersten Moment halb blind, rannte ich gegen den Tisch und war froh, nicht noch mehr blaue Flecken davonzutragen. Ich hörte meine tapsigen Schritte auf den Fliesen, während ich mir mein Abendessen-Frühstück zubereitete. Ich nannte es kurzentschlossen "Nachtmahl". Es bestand aus Toast mit Honig und Tee, zusammen mit Sauergurken und Salat... War ich schwanger oder was war das für eine Mischung? Also von unbefleckter Empfängnis hatte ich nur einmal gehört. Ich aß, räumte auf und schrieb in mein Monatsbuch. Das Monatsbuch war meine abgewandelte Version eines Tagebuches, weil ich praktisch immer nur einmal im Monat reinschrieb. "Hi," schrieb ich in krakeliger, hastiger Schrift, "Ich hab was eher nicht so kluges getan. Ich weiß nicht, wie ich die nächsten Tage überleben soll. Ach, da fällt mir ein, dass wir ja ins Selbstversorgerheim fahren! Ich bin gerettet! Puh, bin wieder müde (wir haben 2Uhr irgendwas)... Erklär später alles! :) Sky" Ich klappte es zu und mir grauste es bei der Vorstellung, das Ganze mal aufzuschreiben. Es war der Beweis, dass das wirklich passierte. Ich stolperte in mein Bett und schlief auf der Stelle ein.
"Riiiiinnnng! Riiiiinnnng! Riiiiin-" Ahhh. Muss das sein! Scheiß Wecker... Ich hatte das Gefühl, keine 5 Minuten gepennt zu haben und die riesigen Augenringe bewiesen meine gewagte Vermutung. Ich huschte ins Bad, machte mich fertig und überschminkte ungeschickt die Augenringe. Ich war so unglaublich talentfrei, was das anging. Eigentlich ziemlich ungewöhnlich für eine künstlerisch Begabte, die gut zeichnete. Als ich einigermaßen zufrieden war, ging ich in die Küche, in der mein Bruder saß und irgendetwas von einer Arbeit faselte, in der er eine 2 geschrieben hatte. Timothy meinte, dass er ja so schlecht wäre. Warte, bis du Mal in der Oberstufe bist!, dachte ich, Ich finde es in der 10 schon schlimm genug. Wortlos schnappte ich mir einen Apfel stopfte ihn in meine Tasche. Dann zog ich meine Jacke an und rauschte aus der Tür. Ich musste mich wirklich beeilen, wenn ich nicht zu spät zum Unterricht kommen wollte.
Ich kam zu spät. So musste ich kläglich in der Kälte stehen und warten, bis mir jemand die Sporthalle öffnete. Bei uns stand sie nämlich einzeln vom Schulgebäude und hatte einen Gang, der erst zur Haupthalle führte. Die Tür ließ sich nur von innen öffnen. Es war also sehr unwahrscheinlich, dass jemand mich sehen und hinein lassen würde. Zitternd stand ich da, trat von einmal Bein auf das andere und musste erschrocken feststellen, dass in Sport Herr Davids dabei war! Ich betete, dass das nicht der Wahrheit entsprach, trotzdem ging mir durch den Kopf, welche Fächer heute noch anstanden... Oh, Nein. Bitte nicht! Lieber Gott, nicht Mathe und SV!, dachte ich. Mathe war klar, und SV auch, weil er meinen Klassenlehrer als Mentor hatte. Ich würde nicht drum herum kommen! Ich war so in Gedanken über mein Verhalten vertieft, dass ich fast Nora übersehen hätte, die gerade in der Toilette verschwand. Ich klopfte wie wild an die Glastür und sie blickte auf. Nora war zwar eine Tussi, aber eigentlich ganz nett, ich verstand mich gut mit ihr. Ich bezweifelte, dass sie Rick noch einmal an sich heran ließ. Sie öffnete mir die Tür und ich bedankte mich im Laufen. In der Umkleide war schon niemand mehr und ich zog mir meine kurze türkise Sporthose, mein weißes T-Shirt und die weißen Sportschuhe an, und hastete in die Halle. Meine Klassenkameraden saßen im Kreis und ich wollte schon erleichtert ausatmen, als ich IHN entdeckte. Warum muss der Typ heute da sein?! Die gesamte Klasse schaute zu mir und ich beeilte mich, zu ihnen zu kommen. Frau Siebert sah mich ärgerlich an, ich entschuldigte mich schnell und setzte mich neben Angel. Die Lehrerin hatte schon etwas gesagt und fuhr jetzt fort: "Helena, Barbara, Nick und Markus werden euch bei Fragen helfen und die Regeln erklären." Barbie lächelte falsch und ich bereitete mich auf eine anstrengende Stunde vor, denn sie war bei so etwas unerträglich besserwisserisch. Keinen einzigen Blick schenkte ich Victor Davids, der neben Frau Siebert saß und mich zeitweilig anstarrte. Als ich es jedoch wagte, bereute ich es sofort. Sein muskulöser Körper steckte in einem überaus vorteilhaften Outfit. Schwarze, kurze Hose, ein ebenfalls lässigen schwarzes T-Shirt und schwarze Adidas Schuhe, die drei rote Streifen hatten. "Eeehey." flüsterte Angel und stupste mich an. Augenblicklich drehte ich mich zu ihr und sah in ihr amüsiert grinsendes Gesicht. Böse erwiderte ich den Stupser und wandte mich der Siebert zu, die uns gerade in Arbeitsgruppen einteilte. Wie sich herausstellte, hatte ich heute wirklich kein Glück: Angel war bei Nick, einem riesigen Typen, in der Gruppe, ich bei Barbie. Sie lächelte fies und kommandierte uns, besonders mich, herum. Sie hatte es offenbar darauf angelegt, mich bloßzustellen. Ich war so beschäftigt mit dieser Schlampe, dass ich nicht bemerkte wie Vic, ich meine Herr Davids, uns beobachtete.

Skyla war schön. Sehr sogar. Leider beachtete sie ihn heute nicht. Was war los? Okay, er hatte sie geküsst, und er war alt, aber warum tat diese Ignoranz ihrerseits so weh?! Victor ergatterte dann doch einen Blick und bemerkte, wie er über seinen Körper glitt. Gefiel ihr das, was sie sah? Er wusste nur zu gut, wie andere Frauen darauf reagierten. Vic hatte es schon zur Genüge bei Barbie gesehen, trotzdem wollte er nur die Aufmerksamkeit dieses einen Mädchens. Sky. Ihre Figur war schön, sie zeigte nicht zu viel Haut und wenn, dann war es diese wundervolle Porzellanhaut. Hell und fast rein. Die Schüler hatten inzwischen alles aufgebaut und die Gruppen fanden sich zusammen. "So stärken die Schüler den Teamgeist und lernen voneinander." erklärte Tabea Siebert ihm ihre Vorgehensweise.

Barbie quälte mich durch die Stunde: "Nein, das machst du falsch!" "Nein, das musst du so machen!" "Skyla, hol den Ball!" Blablabla. Es verunglückte mir wieder ein Aufschlag und ich wiederholte ihn. Plötzlich legten sich zwei braungebrannte Arme um mich und umfassten meine Hände. Ich sog den Duft von Deo ein. Gutes Deo. Ich wusste, wer da gerade meine Hände sanft in die seinen nahm und mir zeigte, wie es richtig funktionierte. Ein heiß-kalter Schauer jagte mir über den Rücken und seine Nähe war mir allzu bewusst. Ich traf den Ball einwandfrei und er flog in hohem Bogen auf die verblüffte und gleichzeitig wütende Barbie zu. Sie starrte etwas hinter mir an und ich drehte mich mit einem Lächeln auf dem Gesicht um. Victor stand vor mir, grinste mich frech an und entblößte strahlend weiße Zähne. So ein Zahnpasta-Lächeln! "Danke." sagte ich, um eine feste Stimme bemüht. Diese Lippen, diese Augen... Ich wollte ihn küssen. Jetzt und hier. Aber das wäre wohl ein wenig ungünstig, vor der ganzen Klasse plus Lehrerin! Ich zwang mich, den Blick von seinem hübschen, aber männlichen Gesicht abzuwenden. Es war mir nicht mehr peinlich, und so konnte ich der Situation nicht aus eigenem Willen entfliehen. Es wirkte bestimmt komisch, wie wir so nah beieinander standen und uns anstarrten. "Herr Davids!" ertönte Barbies schrille Stimme, "Das war ein super Aufschlag!" Vic sah mich an und verdrehte die Augen. Ich prustete los und verkniff mir einen ausgewachsenen Lachanfall. Wir lösten uns voneinander und Herr Davids entgegnete Barbie: "Ich konnte nicht länger so einer falschen Technik zusehen." Empört hob ich eine Braue. Vic zwinkerte mir im Vorbeigehen schelmisch zu und ich verstand. Barbie reagierte arrogant wie immer: "Stimmt, Skyla ist wirklich keine Ball-Sportlerin." Ich besaß das Bedürfnis ihr geschminktes Maul zu stopfen, trotzdem unterdrückte ich diesen Drang. Es gäbe nichts als Ärger.

Victor konnte nicht widerstehen, er musste ihr einfach näher sein. Sky zuckte etwas zusammen, als er ihre Hände umfasste. Der Duft ihrer Haare stieg ihm in die nicht mehr gepflasterte Nase und riss sich zusammen. Keine Küsse! Nicht einen einzigen! Als Sky sich lächelnd zu ihm umdrehte, hätte er seinen Vorsatz fast vergessen. Diese Sternensplitter-Augen brachten ihn um den Verstand. "Danke." sagte sie, ernüchternd kühl. Er konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden, ihr Lächeln war zu schön, als dass es ihm gelten könnte. "Herr Davids!" rief plötzlich eine unangenehme Stimme, "Das war ein super Aufschlag!" Er sah Sky an, ihr hübsches Gesicht und eilte genervt mit den Augen. Sky kicherte leise und er musste über ihr süßes Lachen grinsen. Vic meinte zu Barbie: "Ich konnte nicht länger so einer falschen Technik zusehen." Als er zu Sky sah, erkannte er, wie sie ihn beleidigt anstarrte. Vic zwinkerte ihr zu und ließ sie wissen, dass es nur ein Spaß war. Barbara schien ihn jedoch ernst zu nehmen: "Stimmt, Skyla ist wirklich keine Ball-Sportlerin." Er verzog sich und beobachtete die Schüler, wobei sein Blick immer an einer bestimmten Person hängenblieb. Er glaubte nicht, dass sie so schlecht in Ballsportarten war. Barbie war einfach nur eine kleine Schlampe. Solche gab es auch in seiner Schulzeit, sie verfolgten ihn praktisch. Die Siebert nervte Vic mit ihren Lehrmethoden und er freute sich schon auf Mathe. Nicht nur wegen dem Lehrer und den Unterricht.

Victor verschwand und so elendig wie Sport anfing, endete es auch. Ich zog mich um, während ich Barbies Ausführungen zu ihrer letzten Eroberung lauschte. Sie wurde unangenehm genau, sodass ich fluchtartig die Umkleide verließ. Bitte nicht zu viele Details! Angel stürmte gleich nach mir heraus und machte würgende Geräusche, nachdem sie anzüglich bei offenem Mund mit der Zunge spielte. Ich kapierte, was sie andeutete und riss die Augen ungläubig auf. Hatte Barbie bei ihren Ausführungen nicht davon gefaselt, sich mit mehreren Jungs getroffen zu haben?! Okay, ich war Spätzünder bei sexuellen Dingen, und trotzdem... „Gang-Bang“ mit 16 hatte doch keiner nötig.

In der Pause schmissen wir unsere Taschen vor den Klassenraum und setzten uns erschöpft daneben. Angel hielt ein Kühl-Pack auf ihre Wange und mampfte schmerzverzerrt ein Brot. Nick hatte ihr den Ball ein wenig zu fest und genau zurückgespielt. Jetzt hatte sie einen blauen Fleck. Fabian war schon dagewesen und drohte Nick Prügel an, was Angel lachend zur Kenntnis nahm. Nach viel Geknutsche waren wir wieder allein und sie sah mich einfach an. "Was ist?" fragte ich so irritiert und leise, aber ernst meinte sie: "Was läuft da zwischen dir und-" "Nichts!" erwiderte ich laut, um sie nicht den Namen aussprechen zu lassen. Es war klar, wen sie meinte. "Natürlich! Was ist passiert, nachdem er dich -ach so heldenhaft- aus Ricks Klauen befreite?" grinste sie und ich sah auf den Boden. Leise, fast scheu, erzählte ich ihr alles, wurde aber bei dem Kuss unterbrochen: "ER hat dich GEKÜSST?" Angels Augen waren groß. "Sei ruhig! Muss es unbedingt jeder wissen?!" Angel verzog den Mund und schmollte vor sich hin. Der Lehrer spazierte zum Raum, ließ uns herein und im Gewusel konnte ich nicht erkennen, ob Vic, ich meine Herr Davids, auch da war. Ich betete, dass dies nicht der Fall war und als ich auf meinem Platz saß, musste ich mich kurz fragen, ob es einen Gott gab. Da stand er natürlich, lässig neben Herr Bauer, in der Hand ein Stapel Arbeitsblätter. "Wow, da hast du dir ja einen geangelt." bemerkte Angel und bezahlte dafür mit einem Stoß in die Rippen. Wir holten unsere Hausaufgaben heraus und ich begutachtete sie. Irgendetwas war daran komisch... Ich drehte das Blatt um- und erstarrte. Auf meinen Mathehausaufgaben war fein säuberlich und äußerst realistisch zwei Menschen zu sehen, die sich küssten! Und diese Menschen hatten auch Gesichter, die jeder hätte erkennen können. Ich zog hektisch einen Radiergummi hervor und versuchte verzweifelt, die Zeichnung weg zu machen. Leider klappte es nicht so gut, man konnte die Linien noch erkennen... Mist. Scheiße! NEIN. Ich war im Eimer und würde mich lächerlich machen. Vielleicht nicht zwangsläufig, aber ziemlich wahrscheinlich. Ich gab auf, als das Blatt an manchen Stellen so dünn war, dass es fast zerriss. Leider konnte man die küssenden Personen immer noch erkennen. Keine Einzelheiten, aber wenn Angel, Barbie oder Herr DAVIDS es sehen würden, wäre alles klar... Angel hatte es schon bemerkt. Sie ließ sich aus Höflichkeit nichts anmerken, doch ich sah, wie ihre Mundwinkel amüsiert zuckten. Mit hochrotem Gesicht packte ich die Hausaufgaben ein und starrte stur zu Herr Bauer, der mit dem Unterricht fortfuhr. Angel stieß mich an. Ich sah zu ihr, und dann in die Richtung ihres Blickes. Vic stand vor uns und hielt mir ein Arbeitsblatt vor die Nase. Stumm nahm ich es entgegen und brachte ein patziges "Danke." heraus. War ich sauer? Warum sollte ich sauer sein? Meine Gedanken schweiften ab, während ich versuchte, die Aufgaben zu lösen. So ziemlich unmöglich mit meinem Wissen. Ratlos saß ich vor dem Blatt und sah höchstwahrscheinlich verwirrt aus. Wenn ich jedoch gewusst hätte, was dann passierte, hätte ich gelernt oder versucht, wenigstens so auszusehen, als hätte ich Ahnung. "Skyla, zeig uns doch mal an der Tafel, wie man die Aufgabe 3 löst." "Scheiße", das war mein erster Gedanke. Ganz langsam stand ich auf, setzte mich aber sofort wieder und sagte wahrheitsgemäß: "Ich habe keine Ahnung, wie ich sie lösen könnte, Herr Bauer. Etwas angesäuert verzog er das Gesicht zu einer Grimasse: "Du solltest wirklich besser werden. Eine fünf in Mathe lässt sich nur schwer ausgleichen!" Nun war ich diejenige, die das Gesicht verzog. "Angelika hilft mir doch immer!" rechtfertigte ich mich für was auch immer. Herr Bauer schüttelte verständnislos den Kopf. "Ihr quatscht bestimmt nur." Er hielt einen Moment inne, "Ich möchte, dass du von Herr Davids Nachhilfe bekommst." Mein Herz setzte aus. Ich riss die Augen auf, starrte abwechselnd zu Herr Bauer und Herr Davids. Letzterer sah auch nicht glücklich aus, sondern nickte gezwungener Maßen. Er war auf das Wohlwollen seines Mentors angewiesen, wir saßen in der Falle. "Sie können ja die Termine selber machen." Gequält nickten wir und ich wandte mich den Aufgaben zu. Ich hatte eine Woche Zeit, um mich auf die Nachhilfe vorzubereiten. Die ganze Stunde über versteckte ich mich hinter meinen Büchern und Aufgaben, nur um ihm nicht in die Augen zu sehen.

Vic beobachtete sie. Dass Skyla nicht begeistert von dieser Idee war, schmerzte und die Tatsache, dass er seine Gefühle nicht in den Griff bekam, machte ihn nervös. Was würde wohl passieren, wenn sie allein in ihrem Zimmer säßen? Konnte er ihren Augen widerstehen, ihrer Stimme, ihrem Körper, einfach nur ihrer Anwesenheit? Gedanklich schüttelte er den Kopf. Nein, er wusste wirklich nicht, wie er das schaffen würde... Er dachte an ihre Lippen auf den seinen und das Gefühl, das ihn dabei durchströmt hatte.

Ich versuchte mich auf den Unterricht zu konzentrieren, was mir kläglich misslang. Die Gedanken blieben an dem Dilemma hängen, dass sich mir bot. Ich brauchte wirklich Nachhilfe und konnte es mir nicht leisten, Herrn Bauer auf die Füße zu treten. Das wäre wirklich ungünstig, wegen der Fahrt, versteht sich. Andererseits würde es für mich schwer werden, dem Mr. Sexy Lebensretter nicht anzustarren, wenn er dann neben mir steht. Mit seinem Deo... Und diesen Augen... Und- ach egal. Ich könnte noch viele Sachen aufzählen. Ich hatte eine Woche. Eine! Eine einzige Woche, um dieses Problem in den Griff zu bekommen. Viel zu wenig, musste ich feststellen. Zu meinem Glück fragte mich Herr Bauer nicht nach den Hausaufgaben... Das war's aber auch schon mit dem Glück von heute.
In der SV-Stunde eröffnete uns Herr Bauer nämlich, wie die Fahrt zum Selbstversorgerheim ablaufen sollte: "Wir treffen uns um 7Uhr an-" Er wurde von lautem Gemaule unterbrochen, fuhr aber noch lauter fort: "Um 7Uhr an der Schule. Bitte keine ganzen Kleiderschränke mitnehmen!" Er warf einen Blick zu Barbie, die es nicht bemerkte, weil sie viel zu beschäftigt mit dem Lackieren ihrer Fingernägel war. "Barbara?! Hast du das mitbekommen?" Sie sah auf und lächelte falsch: "Ja. Keine zu großen Koffer." Letztes Jahr brachte sie so ein Monster-Teil mit, dass selbst Herr Bauer kaum anheben konnte. Der Lehrer laberte noch eine ganze Weile, doch ich schaltete einfach ab. Lass ihn doch reden, dachte ich. Plötzlich konnte ich aus den Augenwinkeln Barbie sehen, wie sie freudig zu Victor, ich meine Herr Davids, sah und anzüglich grinste. "... seid nett." hörte ich noch, dann war die Stunde herum und ich packte hastig meine Sachen. "Was hat Herr Bauer gesagt?" fragte ich durch den Trubel Angel, die schon fast weg war. "Herr Davids kommt mit auf die Fahrt!" rief sie mir mit einem Augenzwinkern zu und war im nächsten Moment aus der Tür. Sie ließ mich, verwirrt, geschockt und verzweifelt wie ich war, stehen. Ich schluckte. Mein Gott. Ich bin geliefert.

Victor ging nach der Stunde auf Sky zu, entschlossen, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Er würde ja auch mit auf die Fahrt kommen. Das hatte er schon ganz verdrängt... Jetzt büßte er umso mehr dafür. Skyla war abwesend, als er sie ansprach, sodass er sie antippen musste, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Ruckartig drehte sie sich um und sah ihm in die Augen. "Ja, Herr Davids?" "Ich wollte fragen, wann du Zeit hast. Wegen der Nachhilfe..." Sie schwieg, sah ihm immer noch in die Augen, er konnte nicht sagen, was sie dachte. "Hm. Also Freitags ist für mich okay." "Das geht bei mir nicht so gut. Was ist mit Mittwoch?" Sie nickte zögernd. "Dann bis Montag früh." meinte Vic verlegen und drehte sich um. Langsam ging er aus der Schule, darauf bedacht, nicht Barbara zu treffen, die ihm mal wieder ein zu eindeutiges Angebot gemacht hatte. Er schmiss seine Tasche geistesabwesend nach hinten und stieg in seinen geliebten roten Mini.

Wie konnte Angel mich so kaltblütig stehen lassen? So allein? So am Rande der Verzweiflung? Okay, dachte ich mir, du übertreibst heute auch wieder! Aber sie hatte es so locker flockig daher gesagt, als wäre es das Wetter von gestern... Ich spürte auf einmal, wie jemand mich an der Schulter berührte. Erschrocken drehte ich mich um und stellte fest, dass Vic vor mir stand. Schön wie immer. Sexy wie immer. Mein Puls raste und ich war um Fassung bemüht. Wie stellte er das an? Welcher Hexenmeister war er, dass er das schaffte? Ich konnte ihn nur bewegungslos anstarren. Wie ein dummes Huhn stehst du vor ihm und fängst an zu sabbern, die Augen fallen dir auch gleich aus, dachte ich bitter. Ich war einfach eingeschüchtert... "Ja, Herr Davids?" fragte ich und blinzelte zwei Mal. Ah, diese unglaublichen Augen! Er wollte die Tage für die Nachhilfe wissen. Ich überlegte und starrte ihn weiterhin an. Freitag wäre sehr gut, aber er konnte nicht. Schließlich einigten wir uns auf Mittwoch. Das beschränkte meine Versuche, der Nachhilfe aus dem Weg zu gehen, immens ein. Ich wollte nämlich so viel lernen, dass ich keine Nachhilfe mehr brauchen würde. Das hätte ich dann nur noch Herrn Bauer zeigen müssen und fertig! Aber nichts da! Scheiße, wie konnte man so ein gemeines Leben haben?! Er verschwand und ich schloss die Tür hinter mir. Missmutig stampfte ich durch die leeren Gänge und grübelte über meine gefährlich schwankenden Gefühle...
Zu Hause beförderte ich mich ins Bett und fing an zu lesen. Mir war es egal, dem Text auch und meinen Gedanken erst recht. Ich hatte nach einer Stunde 150 Seiten gelesen und keine Ahnung, worum es ging. Ich drehte das Buch genervt um und stellte fest, dass es "Carpe Diem" hieß und um ein durch und durch planendes Mädchen ging. Hm, also ich hätte gerne ein geplantes Leben und kein chaotisches, dachte ich mir, verwarf diesen dummen Gedanken aber wieder. Ich dachte an den Titel und übersetzte still: "Lebe den Tag" Das sollte ich tun! Ich raffte mich auf und sah mich um. Überall lagen Kleider und Schulsachen herum und das Gesamtbild war eher, nein, eindeutig Chaos. Die Musik durfte bei mir nie fehlen, also drehte ich auf volle Lautstärke und tanzte wild zu "Ordinary Life" von Finger Eleven. Ich bemerkte dabei, dass es die einzig gute Platte ist... Auf alle Fälle war mein Zimmer nach einer Stunde tiptop aufgeräumt und ich hüpfte glücklich, ich sage nur Stimmungsschwankungen, zu meiner Mom, die in der Küche stand und sich über ein komisches Rezept beugte. "Was gibt's zum Essen?" wollte ich summend wissen. "Nichts! Wenn das so weitergeht!" Oho! Da hatte jemand aber schlechte Laune! Ich besah mir die paar Pfannen, die verkohlt in der Spüle standen. Meiner Mutter ist wohl das Essen misslungen... Ich wandte mich dem neuen Rezept zu und hob skeptisch eine Augenbraue. Hackfleisch-Muffins? Mit Gemüse? Und Reis? "Viel Glück!" wünschte ich meiner Mom, die leise grummelte. Ich stand schon halb in einem Zimmer, als ein "Halt!" mich zurückrief. "Fräulein, du packst heute deine Sachen für Montag! Wir werden über's Wochenende bei Oma sein." Bitte nicht. Nicht zu Oma. Also, ich mag sie schon, aber was sollen wir bitte bei einer taubstummen 86-Jährigen? Sie brauchte Pflege, das verstand ich. Schmerzhaft wurde mir klar, dass ich damit die Party von Fabian verpassen würde. Mist!
Wieder in meinem Reich riss ich die Schranktüren auf und kramte meine gesamten Klamotten heraus. Das Zimmer war so schnell unordentlich wie aufgeräumt. Typisch. Bei jedem, wirklich jedem Kleidungsstück überlegte ich heimlich, ob es Vic, ich meine Herr Davids, gefallen würde, verfluchte diesen Gedanken und schmiss es ärgerlich in den Koffer. Die unnützesten Dinge fanden dort irgendwann keinen Platz mehr. Ich setzte mich wütend auf den Koffer, der nicht zugehen wollte und schrie auf, als er nach diesem körperlichen Einsatz immer noch nicht zuging. In diesem überaus tragischen Zustand rief ich Angel an, die lachend zusagte, zu kommen, um mich zu retten. Als sie die Tür aufmachte und mich lachend begutachtete, war ich nahe eines Nervenzusammenbruchs oder Herzstillstandes. Angel öffnete den Koffer und schüttete ihn aus. Bei diesem Anblick kippte ich rittlings auf das Bett und schloss die Augen. Die ganze Arbeit umsonst! "Wozu brauchst du denn bitte drei Sommerkleider?" fragte sie, in der Hand eben diese. "Äh, ich brauche sie... für die... unerwartete Hitzewelle." "Im Herbst?!" wollte Angel, ihr Gelächter unterdrückend, wissen. "Äh, also. Ja." Kopfschüttelnd warf sie die Kleider gekonnt auf mein Bett und ging so die restlichen Dinge durch. Entschlossen sortierte sie einen Bademantel, eine Winterjacke, einen Sommerhut, eine CD, meine halbe Taschensammlung und ein halbes Dutzend Cremes, Schmink-Döschen und Parfums aus. Ich wusste nicht, warum ich das alles einpacken wollte. Lediglich bei meinem Zeichenzeug wurden wir uns nicht einig. "Du hast keine Zeit dafür." argumentierte Angel, aber ich bearbeitete sie solange, bis sie es bewilligte. Wirklich, ohne Zeichnen würde ich das nicht überleben! Letztendlich war das Problem gelöst. Kichernd schmiss Angel mir noch meine Rüschen-BHs und Tangas auf den Stapel und meinte: "Für alle Fälle." mit großen Augen sah ich sie an. "Ach, die hatte ich ganz vergessen..." Sie holte aus ihrer Tasche vier kleine Päckchen hervor. Ich wollte nicht wissen, was es war... Angel wäre soooo fällig! Vorsichtig beäugte ich die Päckchen. Angel trat weise ein paar Schritte zurück, in der Hand die Türklinke. "Oha! ANGEL! Du blöde Kuh!" kreischte ich los und stürmte auf die Übeltäterin zu. Laut lachend rannte sie aus unserem Haus und schnappte vor Lachen nach Luft. Nach ein paar Metern gab ich auf und rang erschöpft nach Luft. Angel war schnell, ich ziemlich langsam. Angel meinte süffisant: "Viel Spaß damit!" und ging lässig davon. Ich stand nun ohne Schuhe oder Jacke auf der Straße und wurde von den Fußgängern dumm angeglotzt. Provokant riss ich die Augen auf und glotzte zurück. Die meisten Leute sahen sofort weg und tuschelten. Darüber musste ich unwillkürlich lachen und wirkte wahrscheinlich wie eine Geisteskranke. Wieder im Haus räumte ich den Koffer ein und packte sogar die Kondome von Angel ein. Ich wollte sie für diese Gemeinheit so richtig schocken. Mein Plan war nicht ausgereift, aber im günstigsten Fall könnte ich sogar Barbie eins auswischen...
Es gab Essen und ich probierte skeptisch den neuesten Versuch meiner Mutter. Ich muss sagen, dass das sogar geschmeckt hat. Zu MOMS Freude wollte Tim und Dad Nachschlag. Der Tag von ihr war gerettet, Tim würde heute ein Fußballspiel haben und mein Daddy hatte sein Projekt endlich abgeschlossen. Sie waren bester Stimmung, was sich schnell auf mich übertrug. Ich verbrachte den Nachmittag und den Abend mit meiner Familie, die sich köstlich über dieses Verhalten amüsierte. Wenn man nichts mit ihnen unternahm, waren sie sauer. Wenn man etwas mit ihnen machte, fragten sie, ob man krank sei. Sehr nett. Timothy's Team gewann und wir feierten den verdienten Sieg. Tim war zwar nicht direkt beteiligt am Sieg, aber er trug als Torwart eine große Verantwortung. Ich war ziemlich stolz auf ihn, weil ich eine Heidenangst vor fliegenden Bällen hatte. Jeglicher Art, selbst vor Schaumstoffbällen. Am Abend, mein kleiner Bruder war schon im Bett, meinten meine Eltern: "Hast du schon deine Sachen für Oma eingepackt?" Ich schlug die Hand vor die Stirn. "Scheiße! Das hab ich ganz vergessen!" "Dann mach das jetzt noch schnell." verlangte Mom. "Muss ich mit? Bitte, ich hab nur diese zwei Tage, dann bin ich eine Woche weg!" rief ich. Sie schüttelten die Köpfe und erwiderten: "Du weißt nicht, wie lange Maria noch leben wird. Sie hat sich immer so rührend um dich geküm..." Blablabla. Diese Moralpredigten! Ich hörte weg und als sie geendet hatten, meinte ich scheinheilig: "Aber ich muss doch noch ein Plakat für die Schule gestalten und Hausaufgaben machen!" "Wirklich?" "Ja! Englisch einen Aufsatz, Deutsch eine Interpretation und Mathe" - ich sterbe bei der Nachhilfe- "Aufgaben zum Lernen für den Test in zwo Wochen." Meine Eltern, beeindruckt von der Aufzählung und meinem ach so aufopferungsvollen Einsatz für meine schulischen Pflichten, nickten bedächtig. Mit der Masche ließ sich bei ihnen fast alles durchsetzen, solange man es nicht übertrieb. "Also gut. Aber mach keinen Mist, die zwei Tage!" Ich hob meine Hand und schwor. "Ich werde Rafaela Bescheid geben." sagte meine Mom, doch ich hielt sie auf: "Kann ich nicht zu Angel?! Bitte!" Meine Eltern warfen sich einige Blicke zu und stimmten dann meinem grandiosen Plan zu. Rafaela war unser Babysitter, zumindest bis Tim und ich alt genug waren... Auf die hatte ich nun wirklich keine Lust. Ich führte den alternativen Gedanken weiter aus: "Ich werde die zwei Tage bei Angel verbringen, wir machen unsere Aufgaben und ihre Eltern passen auf mich auf." Meine Erziehungsberechtigten wollten schon zu einer Rede ansetzten, als ich noch hinzufügte: "Ich werde mich benehmen, mich bedanken und mithelfen." Dass ich "ich gehe nicht aus" oder "gehe nicht spät ins Bett" nicht erwähnte, übersahen die Beiden. Zu meinem Glück... "Ich ruf dann mal Angel an!" Und schon war ich aus der Tür. Als ich aus Hör- und Sehweite war, summte ich und tanzte einen kleinen Freudentanz. "Party-Wochenende, ich komme!" war der Text, und innerlich erdachte ich mir mein Outfit. Wie wäre es mit dem kurzen roten Kleid, das ich mir vor einem halben Jahr bei P&C gekauft hatte? Oder vielleicht doch ein Rock mit Leggins und Top? Oder... Ja. So ging das eine kleine Weile weiter, bis ich Angels Stimme nach ein paar "Tuuut. Tuuut. Tuuut."s vernahm. "Hi Sky!" begrüßte sie mich vorsichtig. Ich hatte im Angesicht des möglicherweise ausfallenden Oma-Besuches ihre Gemeinheit ganz vergessen und auch verziehen -oder fast. Schließlich stand noch die Rache aus! Ich instruierte sie über meinen Plan, dem sie begeistert zustimmte. Das mit ihren Eltern war kein Problem, sie waren fast nie da und wenn doch, dann nahmen sie alles locker. Also hieß es: Let's Party! Mit einem "Geht klar!" in den Flur wollte ich Mom und Dad erläutern, dass Angel eingeweiht und einverstanden war. Ich hörte jedoch nicht, ob sie das kapiert hatten, denn ich war schon wieder in meinem Zimmer und suchte hektisch mein Zeug. Ich entschied mich für das Kleid, elegante schwarze Schuhe mit Absatz und eine schwarze Stoffjacke. Für den Tag danach legte ich mir ein Top, eine Jeans und einfache Turnschuhe zurecht. In die volle Tasche quetschte ich außerdem meinen Kulturbeutel und Schminke. Jedenfalls den Rest, den ich nicht am Montag mitnehmen würde. Ich zerrte gerade am Reißverschluss, als mein Vater eintrat und mir eine gute Nacht wünschte. Offenbar hatten sie meine Nachricht verstanden. Ich fiel erschöpft ins Bett, als er wieder die Tür hinter sich schloss. In hohem Bogen flogen meine Kleidungsstücke durch mein halbes Zimmer und landeten zerknautscht in einer Ecke. Als ich mich schön eingekuschelt hatte, holte ich mein Handy hervor und schrieb Paul mit meinen letzten Kräften eine SMS:
Hi, willst du morgen mit ins Hell?
Schon nach einer Minute, -es war 23:07 Uhr, da kann man sich bei so etwas fast wundern-, machte es "Pling" und eine Nachricht erschien auf dem Display.
Ja, gerne :) Ich muss doch auf dich aufpassen!
Mit angestrengtem Blinzeln konnte ich das lesen, dann fielen mir die Augen wieder zu. Ich dachte nur noch, dass ich die Sache mit Rick noch Paul erzählen muss. Er macht sich sonst unnötige Sorgen!
Am nächsten Morgen wurde ich von etwas Ungemütlichem unter meinem Körper wach. Verschlafen und noch nicht aufnahmefähig tastete ich danach und zog das Etwas hervor. Es war mein Handy. Ich verzog das Gesicht und ärgerte mich. Warum weiß ich nicht genau. Auf alle Fälle rollte ich vor Schreck aus dem Bett, als Tim die Tür aufriss und brüllte: "Aufstehen! Wir fahren!" Das Plumpsen, mit dem ich aufkam, war ohrenbetäubend und tat höllisch weh. Wimmernd und fluchend zog ich mich hoch und starrte meinen kleinen Bruder böse an. Der lachte sich schlapp und flüchtete vor mir, als ich es endlich geschafft hatte, mich aufzurappeln. Ich hinkte hinterher, bog aber nicht in die Küche ab, sondern ins Bad, wo ich Katzenwäsche machte. Erst dann begab ich mich in die Küche, wo mir gleich die Uhr ins Auge fiel: 07:56Uhr! Hallo?! Wohin wollten die denn? Doch nicht nach Honolulu! Und selbst wenn, dann müssten sie noch lange nicht mich wecken. Missmutig pflanzte ich mich auf einen freien Stuhl und sah den leeren Teller, der vor mir stand, an. "Hallo, Schatz." Ich antwortete meinen Eltern nicht, sondern schielte mit einem tötenden Blick zu Tim, der jetzt unruhig auf seinem Stuhl herum rutschte. "Hm." schnaufte ich. Mit viel Mühe hielt ich meine Augen offen und lächelte gequält. Ich hatte weder Hunger, noch wollte ich hier sitzen. Als nach einer gefühlten Ewigkeit meine lahme Familie gespeist hatte, standen sie auf und verabschiedeten sich. Das letzte Wort, dass meine Mutter mir noch entgegenschleuderte, war: "Skyla, vergiss nicht die Küche noch aufzuräumen!" Innerlich bedankte ich mich, triefend vor Sarkasmus. Beim Spülmaschine-Einräumen stieß ich mir den Fuß und fluchte lauthals. Heute war echt nicht mein Tag, ich überlegte kurz, ob heute Freitag der 13. war. Aber sofort fiel mir ein, dass Samstag war, dazu auch noch der 18. Dabei meldete sich mein Gedächtnis noch einmal mit dezentem "Paaaaartyyyyy!" Ich gab mich geschlagen, hüpfte auf einem Bein zu meinem Handy und schrieb Angel eine SMS.
"Komme gleich."
"Alles klar! Vergiss nichts. ;)" kam prompt die Antwort und ich kontrollierte wirklich. Manchmal war ich sehr vergesslich. Die Zahnbürste schnappte ich mir noch, dann den Haustürschlüssel und mit einem "Knall!" war ich weg. Die Küche war nur zur Hälfte ordentlich und bedurfte später etwas mehr Zuwendung, doch Angel wartete.
Auf dem Weg zur Bushaltestelle wurde meine Tasche immer schwerer, jetzt bereute ich die ausschweifende Garderobe, die ich eingepackt hatte. Ächzend stellte ich die Tasche auf dem staubigen Beton der Haltestelle ab und musterte unbeteiligt die Plakatflächen. Wie fast immer war die Nahaufnahme eines hübschen Mädchens und Jungens darauf, die das Produkt, in diesem Falle eine Packung Marlboro Zigaretten und ein Sommerkleid von H&M, anpries. Ein kräftiger Windstoß machte mich auf den Stadtbus aufmerksam, der angerauscht kam. Ich stieg ein und bezahlte brav, weil ich nicht, so spießig es klingt, erwischt werden wollte. Einem meiner Freunde ist es Mal so ergangen und es war weiß Gott nicht ein schöner Tag für ihn. Mit einem Ruck fuhr der Bus los und ich flog geradezu auf einen Sitz neben einer Business-Frau, die angesäuert zu mir schielte. Lustlos ließ ich die Umgebung an mir vorbeiziehen, beobachtete aus dem ruckelnden Bus die Menschen. Nach vielen Haltestellen sprang ich aus dem nun leeren Bus und wanderte in eine der kleinen Straßen. Die Nummer 6 war ein schönes gepflegtes Häuschen mit einem blühenden Garten, einem kleinen Balkon und altmodischen Fenstern. Ich klingelte und wartete ungeduldig, bis mir eine verschlafene Angel mit Schlafmaske und Jogginghose aufmachte. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab, was bei ihr aussah, als stände sie in Flammen. Ich folgte ihr durch den gemütlich eingerichteten Wohnbereich, die Treppe hinauf zu den Schlafzimmern. Ihres war ein wenig klein geraten, total überfüllt und in einem Weiß-Blau gehalten. Die Tasche blieb in einer Ecke stehen, während ich mich zu Angel auf das Bett legte. Bis jetzt war noch kein Wort gefallen, was auch nicht passieren würde, weil wir beide Morgenmuffel waren und einfach unsere Ruhe wollten, jedenfalls um halb Neun am Wochenende. Einen Moment lag ich neben ihr und musste dann feststellen, dass ich nicht mehr einschlafen würde. Als ich mich aufgerafft hatte, wandte ich mich Angel zu und bedeutete ihr, dass ich Frühstück machen würde. Sie nickte und ich ging in die Küche. Dort bereitete ich Rührei, Speck -scheiß auf die Kalorien- und Orangensaft zu, verteilte alles auf zwei Teller und Tassen und stellte es anschließend auf ein großes Tablett. Ich trug es vorsichtig hoch und musste sofort wieder runter, weil ich das Besteck vergessen hatte. Zum Glück wohnte ich praktisch bei meiner Freundin, deshalb fand ich es schnell. Es war auch nichts Neues, dass ich Frühstück machte, Angel war eine ziemlich schlechte Köchin. Wieder oben aßen wir und besprachen den Tagesplan. "Heute Abend geh'n wir auf die Party, oder?" fragte Angel mit vollem Mund. "Ich dachte wir gehen heute ins Hell!", rief ich, "Ich hab mich mit Paul verabredet." Ich wollte ihm auch nicht absagen, es war mir unangenehm. "Nimm ihn doch mit auf die Party!" schlug Angel vor und ich zog die Nase kraus. "Was ist das überhaupt für eine Party und von wem?" "Diana gibt die Party am See und hat die halbe Schule eingeladen, auch noch ältere. Paul würde sicher nicht langweilig werden." "Na, gut." murmelte ich, schrieb ihm eine SMS. Er bejahte trotz meiner gegenüber ihm geäußerten Bedenken und wollte wissen, ob ich und Angel mit ihm dennoch am Sonntag zum Hell gehen. Schulterzuckend sagte ich zu und vergaß dabei meine Eltern, die ja auch zurückkommen würden.
Den restlichen Tag verbrachten wir mit allen möglichen Dingen, von Schönheitsschlaf und einem lustigen Beauty-Marathon bis hin zu einem Soap-Nachmittag. Um 18 Uhr gingen wir duschen, zogen uns an und schminkten uns sorgfältig. Angel machte meine Haare und verzweifelte fast, schließlich war sie doch zufrieden. Wir sahen uns an und mussten sagen: Wow.

Paul wanderte gemütlich zu Angels Haus, er hatte etwas weiter weg geparkt. Er klingelte und wartete geduldig, aber nicht lange. Schon nach ein paar Sekunden flog die Tür auf und zwei wunderhübsche Damen traten heraus. Paul erkannte Angel in dem schwarzen Mini fast nicht, die Schminke war bezaubernd eingesetzt und sie sah einfach super aus. Daneben stand Sky, Smoky-eyes durchlöcherten ihn und das Rot ihres ebenfalls kurzen, aber hochgeschlossenen Kleides leuchtete ihm schon von weitem entgegen. Sky war schön, sehr schön. Ihr Haar war mit einem ausladenden Reif geschmückt, an dem Federn kunstvoll hin und her wippten. Sie müsste wahrhaftig verboten werden, denn er zwang sich angestrengt, sie nicht die ganze Zeit anzustarren. Sie begrüßten sich und er machte den Mädchen Komplimente, die von Herzen kamen. Natürlich freuten sie sich, besonders Angel, die mal wieder für alles an Sky verantwortlich war. "Aber du siehst heute auch nicht schlecht aus!" meinte Angel aufrichtig und hätte sie nicht Fabi, würde sie Paul sofort abknutschen. Er war einfach zu süß! Die drei Freunde gingen zu Pauls Auto, ließen sich auf die Sitze fallen und mit einem Brummen startete der Motor.

Ich saß hinten, sah aus dem Fenster und stellte fest, dass mein Kopf wie leer gefegt war. Ein Stückchen Glücksgefühl durchströmte mich und ich freute mich, trotz der letzten Ereignisse auf die Party. Warum sollte ich mir von einer dummen Erinnerung den Tag vermiesen lassen? Rick würde nicht auftauchen, ich hatte Angel und Paul. Bei diesem Gedanken fiel mir wieder ein, dass er ja noch gar nicht wusste, was mit Rick passiert ist. Dass Vic mich gerettet hatte und wir uns... Na, ja. Aber das mit dem Kuss würde ich nicht erzählen, dass ging ihn nichts an. Angel lotste Paul durch die Stadt, auf eine holprige Landstraße und somit zum See. Schon von weitem konnten wir die Lichter sehen und laute Musik wehte durch das Fenster zu uns. Wir hielten abrupt an und stiegen aus. Paul schloss sein Auto ab und begleitete Angel und mich zum See, der in schillerndes, buntes Licht getaucht war. Überall hingen Lampions, an Ästen aufgehängt, und die unzähligen Bänke und Tische waren von jungen Menschen bevölkert. "Hey Angel, Sky!" winkte Diana uns zu sich. Wir begrüßten die Gastgeberin überschwänglich und stellten ihr Paul vor. Die Beiden kamen ins Gespräch, irgendwas Belangloses, und irgendwann zog ich Angel mit zu den anderen Gästen. Diana schien sich für Paul zu interessieren und die beiden verstanden sich ziemlich gut. Ich sah mich um, die halbe Schule musste hier sein. Diana war für ihre Partys berühmt-berüchtigt geworden, so tummelten sich hier auf engstem Raum 10-12 Klässler von allen Schulen, Jüngere und Ältere. Angel suchte gelangweilt das Buffet ab und stopfte sinnlos ein Stück Kuchen in sich, trank dann ein ganzes Glas Erdbeer-Bowle auf ex. "Was ist denn mit dir los?" fragte ich vorsichtig und schob sie etwas abseits von der trinkenden, tanzenden und quatschenden Menge. "Nichts!" rief sie aufgebracht und fuchtelte mit den Händen vor meinem Gesicht herum. "Angel!" ermahnte ich sie, hielt ihre Arme fest, "Sag es mir." Ihr Widerstand wurde schwächer und schwächer, bis sie schließlich seufzend flüsterte: "Fabian hat mich betrogen." Meine Augen wurden groß und irgendwie fühlte ich mich bestätigt. Ich konnte Fabi noch nie richtig leiden. "Mit wem?" fragte ich und schüttelte Angel leicht an den Schultern. "Barbie." Warum hatte ich überhaupt gefragt? Wenn ein Typ seine Freundin mit jemanden betrog, dann mit Barbie. Trotzdem tat mir Angel leid. Sie liebte ihn und er war ein Arsch. "Wenn ich den in die Finger bekomme!" knurrte ich und ballte eine Hand zur Faust. Jetzt war es Angel, die mich zur Vernunft rief: "Sky! Vergiss es. Er ist den Ärger nicht wert." Ihre Worte klangen schwach, es kostete sie Kraft, das auszusprechen. Wie hatte sie es bloß ausgehalten, den ganzen Tag mit dieser Last so fröhlich zu sein?! Das Mädchen war mir ein Rätsel und Freude zugleich. Ich sah, wie ihr eine kleine Träne über die gerötete Wange glitt und nahm sie in den Arm: "Schon gut, er hat dich nicht verdient. Vergiss den Arsch und reiß auf dieser geilen Party einen heißen Jungen auf!" Ich spürte ihr Lächeln an meiner Schulter und zog sie hoch. "Auf in die Schlacht!" meinte ich übermütig und wir liefen ins Getümmel. Die improvisierte Tanzfläche füllte sich rasend schnell und Angel tanzte die Hälfte der männlichen Gäste an. Die meisten wurden, soweit sie es nicht schon waren, genauso gut gelaunt wie sie. Ich stand schnell wieder Abseits und nippte an der köstlichen Erdbeer-Bowle, sah mich schweigend um. Inzwischen waren noch mehr Leute aufgetaucht, mal mehr, mal weniger interessiert musterte ich die Masse. Angels Problem beschäftigte mich noch... Warum machte Fabi Schluss, legte aber ein paar Tage zuvor noch Leidenschaft an den Tag!? Es war mir ein Rätsel... Plötzlich umschlossen Hände meine Hüfte und drehten mich herum. Überrascht, und auch ein bisschen erschrocken, sah ich Paul in die Augen. "Hey!" meinte er, "Warum stehst du hier so allein?" Schulterzuckend deutete ich auf Angel, die gerade eng umschlungen mit einem großen blonden Typen tanzte. "Was ist mit Fabi?" fragte Paul sofort. "Er hat sie mit der Schulschlampe betrogen..." raunte ich, und trotz der nun lauten Musik verstand er. "Die Arme." seufzte er und schloss damit das Thema, dass er mich auf die Tanzfläche schob. Paul wusste ja, dass ich nicht tanzen konnte und so zeigte er mir lachend weitere Moves. "Tut mir Leid, Kleine, aber du hast einfach keinen Groove. Da hilft selbst der beste Trainer nichts!" Dieser Satz brachte Paul einen Stoß in die Rippen ein, sodass er sich glucksend entschuldigte. Er versuchte es mir zu zeigen, doch ich konnte es beim besten Willen nicht besser und so alberten wir ausgelassen herum. Ich legte irgendwann die Arme um seinen Hals und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sofort blickte er sich um, sah mich dann an und nickte. Ich grinste. Paul war auch aufgefallen, dass Angel und der Typ verschwunden waren. Wohin wusste niemand... Mein Blick schweifte durch die Menge und auf einmal erkannte ich statt Angel, eine andere bekannte Bewegung. Die Person, die ich nur von hinten sah, hatte die Statur und die Körpersprache von jemandem, den ich nicht hatte sehen wollen.
Das konnte nicht sein...
Das war nicht...
Dort, ein paar Meter weiter, stand...
Vic!
Ich zog hörbar die Luft ein und blickte hastig weg. Ich wusste nicht, ob Vic, ich meine Herr Davids, mich ebenfalls entdeckt hatte. Der Gedanke an unseren Kuss, der mir so durch Mark und Bein gegangen war, schob sich vor mein inneres Auge. Seine sanften, würzigen Lippen, die Berührungen, die auf meiner Haut wie Feuer brannten und unser Zungenspiel.
Warum war ER hier?

Victor fuhr mit seinem Freund Matthias auf dem Waldweg zur Party. Sie mussten schnell sein, sie hatten jetzt wirklich lange genug gebraucht. Dieser blöde Verkehr! Unwirsch parkten sie, sodass knirschender Kies davonflog. Die Beiden schleppten das schwere DJ-Pult zur improvisierten Bühne. Eigentlich bestand diese aus ein paar Tischen, die nebeneinander standen. Als sie es endlich geschafft hatten und ihn dort schnaufend abstellten, erhob er sich und sah sich um. Und da sah er sie. Zwischen den Menschen, einen gutaussehenden Jungen anlächelnd. Victor wusste nicht, als er zusagte, dass SIE hier wäre. Dann hätte er Matthias nicht geholfen, die Sachen seiner Schwester für ihre Party herzufahren. Oder vielleicht hätte er es gerade deshalb getan. Wer konnten schon ahnen, dass ein so ein Sunny-Boy auftauchte und ihm Sky wegnahm? Jetzt war es zu spät. Ein kleiner Geist in seinem Hirn gab kleinlaut zu bedenken, dass es ein Missverständnis sein könnte. Der kleine Geist war die Hoffnung, die er unentwegt von dem Kuss genährt hatte. Victor ignorierte den Anblick, sowie den Hoffnungsschimmer gekonnt und wandte sich ruckartig seinen Freunden zu. Diana lief auf sie zu, umarmte stürmisch ihren großen Bruder, dann nickte sie verhalten Victor Davids zu. Seitdem er Praktikant bei ihnen war, hielt sie sich zurück. Er konnte es ihr nicht verübeln. Dann solltest du es Sky auch nicht verübeln, sie ist jung!, schrie eine andere Stimme. Verärgert schüttelte er den Kopf, was ihm verständnislose Blicke von Matthias und Diana einbrachte. "Ihr wollt bestimmt noch ein wenig bleiben, Jungs!? Probiert die Erdbeer-Bowle, die ist wirklich gut. Amüsiert euch, aber nicht auf Kosten meiner Freunde! Und vergesst ni..." Dianas schneller Redeschwall, der nicht zu versiegen schien, ging schließlich in der Menge unter. Matthias verdrehte die Augen und zog seinen Freund, der verkniffen auf die Tanzfläche starrte, mit sich. Vic konnte Sky nun nicht mehr entdecken, sie war vom Erdboden verschluckt, nicht mehr aufzufinden, verschwunden! "Suchst du jemanden?" fragte Matthias mit hochgezogener Augenbraue und musterte ihn. "Nein, ich dachte nur, ich hätte einen Bekannten gesehen..." murmelte dieser und ließ sich die empfohlene Erdbeer-Bowle, die schon einen großen Verlust vorzuweisen hatte, einschenken. Mit ein paar Schlucken, ohne den Alkohol zu genießen, trank er das Glas aus und drehte sich nach Matthias um. Er tanzte übermütig mit einem Mädchen, das, Victor war sich nicht ganz sicher, in der 9. Klasse war. Sie war viel zu jung für Matthias, aber beide hatten ihren Spaß. Schon zig Mal hatte er seine Berufswahl verflucht, als er Sky kennenlernte, doch heute stach es noch heftiger in seiner Brust. Er konnte Sunny-Boy nicht von Sky wegzerren, ohne dabei nicht aufzufallen! Die Untätigkeit, die Machtlosigkeit und einfach die Situation, machte ihn wütend. Wütend auf sich selbst. Langsam spazierte er durch die Menge, suchte Skyla und ihren Begleiter. Er wollte sie sehen, vielleicht sogar über das, was zwischen ihnen passiert war, reden. Diese Ungewissheit machte Vic kaputt.

Ich sah Paul in die Augen, zerrte ihn dann von der Tanzfläche. "Was ist los?" fragte Paul besorgt, "Ist Rick hier?!" "Nein! Ich muss dir da noch etwas erzählen... Wegen Rick, meine ich." Erstaunt legte er den Kopf schief und ließ sich hinter die Grillhütte ziehen. Als wir allein waren, fing ich an, die Geschichte mit Rick und Victor Davids in der Gasse zu erzählen. Den Kuss, der daraufhin folgte, ließ ich gepflegt aus, aber die Tatsache, dass Rick gebührend bestraft und im Moment in Haft war, natürlich nicht. "Da muss ich ja gar nicht mehr auf dich aufpassen!" schmollte er gespielt und ich flötete: "Oh, ich werde dich so vermissen, mein Held!" Schallend brachen wir in Gelächter aus. "Wer ist dieser Victor eigentlich?" fragte Paul plötzlich und holte mich aus einem Lachflash. "Victor? Victor Davids? Er ist Referendar an unserer Schule, in Sport und Mathe. Du hast ihn bei der Bushaltestelle gesehen, an der du mich abgeholt hast, als ich..." "Ich weiß, ich weiß!" unterbrach er mich. Seine Hand strich über den Rand meines Kleides, hielt an meinem Hals inne und suchte nach der Wunde, die Ricks Messer hinterlassen hatte. Sanft schob Paul das Kleid zur Seite und betrachtete den dunkelroten Streifen. "Ach Skyla." seufzte er, "Was machst du bloß immer?!" Ich zuckte mit den Schultern und lehnte mich an seine Schulter. "Danke, dass du für mich da warst, Paul." flüsterte ich und wollte ihm, ohne groß zu überlegen, einen Kuss auf die Wange geben. Aber er drehte plötzlich seinen Kopf, sodass meine Lippen auf die seinen trafen. Überrascht riss ich die Augen auf und war wie gelähmt.

Victor suchte die halbe Party nach Sky ab. Je länger sie verschwunden war, desto hektischer war seine Suche. Schließlich erkannte er das leuchtend rote Kleid, dass sie angehabt hatte, hinter der Grillhütte. Erleichtert kam er näher, quetschte sich zwischen den Jugendlichen hindurch. Irgendwie hatte er befürchtet, dass sie gegangen war. Nach ein paar Schritten sah er auch die zweite Person, Sunny-boy, der mit Sky redete. Beide lachten plötzlich laut auf und ihre klare Stimme ließ Vic zusammenzucken. Inzwischen war er nur noch einige Meter von den Beiden entfernt. Victor Davids blieb stehen wie erstarrt und beobachtete, wie Sky sich an Sunny-boy lehnte, etwas sagte und sich dann zu ihm beugte. Es war klar, was passieren würde und Victors Augen wurden groß. Brennender, stechender Schmerz durchzuckte ihn und zu seinem Entsetzen wurde ihm klar, dass er eifersüchtig war. Eifersüchtig auf einen Grünschnabel. Wegen Skyla. Das dürfte nicht sein!, schrie eine Stimme, doch sie ging im Geheule und Gejammer anderer Stimmen unter. Scheiß auf den Job und die Karriere!, dachte er, wandte sich aber trotzdem um. Sky liebte ihn nicht und daran würde auch ein Ausraster nicht ändern. Er würde nur sein Referendariat an der Schule verlieren... Schritt für Schritt ging er zurück, und obwohl er sie nicht mehr sah, hatte er den Kuss vor seinen Augen. Da schoss ihm ein dümmlicher Gedanke durch den Kopf: Küsste er gut?

Die Berührung war sanft, doch irgendwie falsch... Ich fühlte nicht dieses Schweben, dieses Fallenlassen und Wissen, dass jemand da ist. Nicht dieses unergründliche, blinde Vertrauen. Oder dieses Prickeln, das mich wie eine Million Watt durchströmt hatte. Nun konnte ich mich wieder regen, meine Muskeln gehorchten meinem Willen. Und ich hatte diesen Kuss nicht gewollt. Vielleicht ein bisschen zu stark stieß ich Paul weg und er stolperte gegen die Rückwand der Hütte. Er musste die leise Wut in meinen Augen gesehen haben, denn sofort stammelte er eine Entschuldigung. "Sky! Es tut mir wirklich Leid... Aber... Ich dachte, weil wir uns schon einmal..." Beschämt über meine heftige Reaktion senkte ich den Kopf und besah die trockene Wiese. Er hatte Recht. Ich hatte ihn schon geküsst und jetzt flippte ich aus, weil er es tat. "Paul", hob ich an, "Das Ganze war ein Fehler... Ich denke wir sind Freunde!" Ich sah auf und ihm direkt in die Augen. "Oder habe ich da etwas missverstanden?" Paul lächelte ungezwungen. Es schien, als hätte ich ihm eine schwierige Entscheidung abgenommen. Ohne zu überlegen war ich geradeheraus gewesen, hätte ihm auch übel wehtun können. Erleichtert, dass ich nicht mit Paul stritt, nahm ich seine Hand und zog ihn zurück zu der Menschenmenge. "Schwamm drüber?" "Schwamm drüber!". Damit hatte Paul dem unausgesprochenen Pakt, dass sie nur Freunde waren, zugestimmt. Was war denn schon zwischen ihnen? Eine leicht, lockere Disko-Bekanntschaft, die sich auch im normalen Leben gut verstand. Und außerdem schwirrte ihm noch die Begegnung mit dieser Diana im Kopf herum, die so sympathisch und unkonventionell die hübscheste Gastgeberin abgab, die er seit langem kennengelernt hatte. Sky zog ihn zurück zu den anderen Gästen und grinsend über ihr ungeübtes Gehampel, das sie "Tanzen" nannte, nickte er vage in Richtung Diana. Sie verstand und lächelte ihn aufmunternd an. Langsam tauchte er durch die Menge, die in den paar Minuten hinter der Holzhütte scheinbar noch größer geworden war. Schließlich erreichte Paul das DJ-Pult, das improvisiert auf vier Tischen stand und vor dem sich Diana mit einem kleinen Südländer angeregt unterhielt.
Ich blickte Paul nicht hinterher, ich hatte gesehen, zu wem er wollte. Wie gesagt, er und Diana hatten sich gut verstanden. Suchend blickte ich mich um. Angel war nicht wieder aufgetaucht und auch die andere Person, weiter wollte ich nicht darüber nachdenken, konnte ich nicht ausmachen. Vielleicht, nein, ganz sicher war es besser so. Er war er, ich war ich. Aber warum war er hier? Ich sollte Diana fragen... Plötzlich schüttelte mich jemand an der Schulter: "Sky!" Überrascht drehte ich mich um und sah die wohlbekannten blauen Augen von Angel, die ein wenig zerzaust vor mir stand. "Ich hab dich die ganze Zeit gerufen! Warst du wieder Mal in Gedanken versunken?" Der tadelnde Ton in ihrer Stimme schwand augenblicklich einem Lachanfall. Offensichtlich hatte sie etwas mehr Alkohol getrunken, als ihr guttat. "Was ist denn mit dir los?" fragte ich, schon das zweite Mal an diesem Tag. "Hm...", überlegte Angel scherzhaft, mit einer ordentlichen Portion Galgenhumor, "Mein Freund hat mich betrogen und jetzt hab ich das auch getan!" Jetzt wurde ich leicht panisch: "Inwiefern?" "Na ja, ich und Lukas haben ein bisschen geknutscht." Lukas? Ich überlegte angestrengt, ob ich ihn kannte. Wir hatten viele "Lukas" in der Schule, aber wahrscheinlich war es der aus unserem Jahrgang... Die anderen waren zu jung oder alles andere als hübsch. Obwohl, hieß es nicht, man könne sich Menschen "schön-trinken"? Aber im Prinzip war es auch egal, welcher. Ob er jetzt Hinz oder Kunz hieß, ist doch nicht wichtig. "Sonst nichts?" fragte ich sie noch einmal. Angel schüttelte wankend den Kopf und ergänzte unerwartet gleichgültig: "Und da kommt die Schlampe sogar." Ich blickte in die Richtung, in die Angel sah, doch erst ein paar Sekunden später sah ich "die Schlampe". Barbie, wer hätte es auch anderes sein sollen, stöckelte mit bunt-billigen 10cm Absätzen, pinken Minikleid und ledernem Handtäschchen provokant auf uns zu und warf gekonnt ihre blonde walle-walle Mähne zurück. Es erinnerte mich schwer an eine Musical Aufführung in London, in der eine der Hauptdarstellerinnen ihre Haare mit "Toss, Toss" jeweils mit linker und rechter Hand nach hinten bugsierte. "Oh, hallo Angelika.", sagte sie scheinheilig im Vorbeigehen und ignorierte mich gekonnt, "Wie geht es Fabi?" Dieser einzelne Satz brachte mich, zu meiner Verwunderung, aus der Fassung. Wutentbrannt machte ich zwei große Schritte auf das aufgedonnerte Barbiepüppchen zu und baute mich in meiner ganzen Kleine vor ihr auf. Meine Stimme schwoll von Wort zu Wort mehr an, bis ich ihr schließlich ins zugekleisterte Gesicht schrie. "Du kleine Schlampe lässt Angel in Ruhe, und Fabian auch, sonst werde ich dir deine hässliche Visage polieren. Wenn du auch nur ein bisschen Verstand besitzt, lässt du uns in Ruhe, Flittchen! Und jetzt zisch ab, Barbie!" Nach meinem Ausbruch wurde es mucksmäuschenstill, soweit das bei dieser ohrenbetäubenden Musik ging. Ich weiß nicht, was mich dazu bewegte, doch ich vermute schwer, dass es der Alkohol war. Die Traube, die sich um uns gebildet hatte, gaffte mehr oder weniger begriffsstutzig, Angel kicherte, Barbie reckte gekränkt den Hals und streckte ihren aufgeblasenen Busen vor. Nie zuvor hatte jemand solch wahre Worte zu ihr gesagt.
Ich zog Angel davon. Diese Party war so am Arsch!
Einatmen, ausatmen.
Da war ich einmal allein, sturmfreie Bude, und dann so was! Am Waldrand standen ein paar Grüppchen, die sich lachend unterhielten und einige sahen auf, als wir uns an ihnen vorbei zwängten. Eigentlich wollte ich hier nur noch weg. Aber wie? Ich wollte Paul die Party nicht vermiesen und ihn schon gar nicht von Diana wegholen, vorausgesetzt, ich fand ihn überhaupt. Auf einmal hörte ich Angel würgen, ich drehte den Kopf und sah, wie sie sich vor ihre schönen Schuhe übergab. Bei dieser Begegnung hätte ich auch gekotzt. Wir mussten weg, das tat Angel nicht gut. Vielleicht würde ich Joshua erreichen?! Das war eine gute Idee. Entschlossen zückte ich mein Handy, wählte seine Nummer und wartete. Die Musik von der Tanzfläche schallte herüber, doch ich hörte laut und deutlich das "Tuuut".
"Hallo?" hörte ich seine tiefe Stimme aus dem Lautsprecher, während ich Angel hastig ein Taschentuch reichte.
"Hi Joshua, ich bin's, Sky"
"Äh... Was ist denn? Ich kann grad nich so gut." Tatsächlich hörte ich im Hintergrund eine weibliche, genervte Stimme im hohen Tonfall "Joshua!" rufen.
"Ich brauche deine Hilfe. Angel geht's scheiße. Sie ist total betrunken... Holst du uns ab?" Eine ganze Weile schwieg er, dann räusperte er sich.
"Wartet, ich brauche vielleicht eine halbe Stunde... Dann bin ich da."
Ich half Angel, sich auf einen umgestürzten Baumstamm zu setzen und legte mit den Worten "Danke Joshua, du bist der Beste!" auf. Im Moment war es mir egal, dass er "Besuch" hatte. Seine Schwester war betrunken und musste nach Hause! Ich ließ mich neben sie plumpsen und ruinierte auch mein schönes Kleid mit matschigem Moos. Natürlich hatte ich darauf geachtet, nicht bei der Kotze zu sitzen. Resigniert seufzte ich und dachte an die Party. Gerade mal 2 Stunden hatten alles aus dem Lot gebracht, und wie sehr, wusste ich zu diesem Zeitpunkt selber noch nicht. "Geht's wieder?" fragte ich Angel und versuchte, in der Dämmerung ihr Gesicht zu erkennen. Ein schwaches Nicken konnte ich noch erhaschen, alles andere ging jedoch in Dunkelheit unter. "Da ist ein Wochenende, das möglicherweise super werden könnte, schon in den Startlöchern gescheitert." brachte Angel mühsam heraus. Sie traf den Nagel auf den Kopf und ich fügte nur halbherzig hinzu: "Wir haben ja noch Sonntag." Nach kurzem Überlegen ergänzte ich weiter: "Na ja, ein bisschen weniger Sonntag. Dafür war doch der heutige Morgen ganz nett. Stimmt's?" Wenn ich deprimiert war, suchte ich verzweifelt positive Aspekte. Manchmal war das nicht mal so schlecht, zumindest als Deprimierter, der auf ein vergangenes und somit unveränderliches Ereignis zurückblickte. Jeder hing seinen Gedanken nach, lauschte der brummenden Musik und sah die Lichter auf der Tanzfläche umherschwirren. Angels Blick schweifte glasig in die Ferne ab, streifte die Schatten der Bäume, die dicht an dicht dastanden. Ich sah gelassen dem fröhlichen Treiben zu und stellte mir vor, wie es wäre, ein anderes Leben zu führen. Zum Beispiel das von Laura Bürger, die weder auf dieser Party, noch jemals auf einer anderen war und immer nur Rollkragenpullover trug. Ihre Brille saß verbogen auf ihrer Nase und Laura schlich stumm durch die Gänge, darauf bedacht, keinem in die Quere zu kommen. Das wäre erschreckend erbärmlich..., dachte ich. Plötzlich riss mich ein unglaublich lautes Dröhnen aus meinen Gedanken. Ich zuckte zusammen und erst als ich das Vibrieren in meiner Tasche spürte, erkannte ich meinen Klingelton. Es war merkwürdigerweise das Rattern eines Maschinengewehrs, offenbar hatte Timothy daran gespielt, das mich über den Anruf in Kenntnis setzte. Fluchend ging ich ran und wurde von einem etwa genauso genervten Joshua angemotzt. "Wo bleibt ihr denn? Ich vergammel hier ja praktisch!" Ich unterbrach ihn patzig: "Ich wusste nicht, dass bei dir eine halbe Stunde 10 Minuten sind. Wo stehst du?" Er erklärte etwas milder, dass er das Ende der Waldstraße erreicht hatte und nun mit laufendem Motor auf uns wartete. "Wir kommen schon..." Ohne ein weiteres Wort legte ich auf und sah zu Angel, die wie ein Häufchen Elend dasaß und mit der Übelkeit kämpfte. "Angel", sagte ich behutsam, "Wir gehen jetzt nach Hause." Ich stützte sie leicht und ging zielstrebig um die Menge herum, die auch schon alkoholisiert war. Glücklicherweise saßen wir schon in der Nähe der Straße, oder eher des Pfades, denn sonst müssten wir uns noch durch die halbe Party quetschen und alles jedem erklären. Das einzige, auf was ich keine Lust hatte, waren dumme Fragen! Ich sah Joshuas heißgeliebtes Auto schon von weitem, das leuchtende Ferrari-Rot war nun wirklich, selbst in dieser stockdunklen Nacht, nicht zu übersehen. Der Motor schnorrte sanft und ich überlegte fieberhaft, was es für ein Modell war. Doch die Kopfschmerzen, die nun eingesetzt hatten, und das gleißende Licht seiner Scheinwerfer hinderten mich am Erinnern. Als die Fahrertür aufging, schob ich mein Gegrübel auf ein anderes Mal und begrüßte Joshua, der mit zerzausten Haaren und einem einfachen T-Shirt und Jeans am Auto angelehnt dastand. Wieder fiel mir auf, wie gut er doch aussah. Er hielt die Tür auf und Angel ließ sich darauf nieder. Sofort fielen ihre Augen zu und ihr Kopf knickte weg. Ich setzte mich rasch hinter sie, legte ihren Kopf vorsichtig auf meine Schulter und schnallte uns an. Dabei fiel es mir merklich schwer, den Apparat zuschnappen zu lassen, denn der Schlitz bewegte sich schwankend. Plötzlich beugte sich der Wuschelkopf von Joshua über mich und ich hörte den Klick, mit dem der Gurt einschnappte. "Danke." murmelte ich und das freche Grinsen seinerseits ließ mir die Schamesröte ins Gesicht schießen. Sein dämliches Grinsen, das ich gerade verabscheute, wurde noch breiter. Wahrscheinlich sah ich aus wie eine reife Tomate, oder wie mein Kleid. Na toll. Joshua verschwand aus dem dämmrig dunkeln Auto und setzte sich ein paar Sekunden später auf den Fahrersitz, ließ den Motor aufheulen und fuhr los. Die Fahrt über den schlecht befestigten Boden kam mir vor wie eine Achterbahnfahrt und ich kämpfte gegen den Würgereiz an. Nicht ganz unschuldig war die Erdbeer-Bowle... Neidisch starrte ich auf Angel, die selig schlafend nichts davon mitbekam. Mein Blick schweifte hinüber zum Fenster, doch draußen war es so finster, dass man nicht einen Meter weit sehen konnte. Joshua grinste immer noch dämlich, stellte aber keine Fragen, worüber ich wirklich dankbar war. Das sonore Brummen des Motors, die wohlige Wärme und die weichen Ledersitze ließen mich eindösen. Irgendwie beruhigte der vertraute Geruch des Autos mich. Es war die typische, aber natürliche Duftwolke, die jede Familie umgab. Man kann es nicht definieren, aber trotzdem weiß man sofort: das ist Angels Pulli! Ich schlief auf der Fahrt also ein und bemerkte nicht, wie wir stoppten.
Ich wachte auf. Das erste, was mir auffiel, war, dass ich nicht in meinem Bett lag. Etwas verwirrt riss ich die Augen auf und starrte an die dunkle Decke, als suche ich dort die Antwort auf die umgestellte Frage: Wo war ich? Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Schwärze, und ich konnte ein aufgesprühtes Deckentattoo erahnen. Es war ein schwarzer Drache, im Stil von den Straßensprayern. Als ich mich aufsetzte und einmal tief Luftholte, stieg mir Angels Geruch in die Nase. Jetzt stand außer Frage, dass ich mich in Joshuas Zimmer, beziehungsweise Bett, befand. Hastig sah ich unter die Bettdecke. Man weiß ja nie! Doch ich war angezogen, bis auf die Schuhe natürlich, und hatte offenbar nichts getan, was ich nun bereuen könnte. Das Zimmer lag im Dunklen, trotzdem erblickte ich schemenhaft die Umrisse eines Schreibtisches, auf dem allerlei unnütze Dinge standen, Wäsche auf dem Boden, einen Schrank und eine kleine Couch, auf der etwas großes lag. Oder jemand großes. Jetzt, wo ich genauer hinsah, ging mir auf, dass es Joshua war. Wenn er nicht geschlafen hätte, wäre ich nun vor Scham im Boden versunken, denn sein nackter Oberkörper zog mich etwas zu lang in seinen Bann. Ich schob das auf den Alkohol und hatte damit womöglich Recht, denn die Bewegungen mit dem Kopf waren einfach zum Kotzen. Und das wortwörtlich! Ich ließ mich nach hinten fallen und stöhnte laut auf, als der Reißverschluss des Kleides in meinen Rücken stach. Einige Minuten lag ich noch so da, dann warf ich einen Blick auf Josh und stand auf. Er schlief offenbar und sehr langsam zog ich mir die Feinstrumpfhose von den Beinen. Ich sah noch einmal zu Josh, seine Augen waren jedoch geschlossen. Dachte ich. Mit schnelleren Bewegungen zog ich den Reißverschluss auf und streifte mir das Kleid von den Schultern. Als ich aufsah, schaute ich in ein grinsendes Gesicht, mit amüsiert blitzenden Augen. Joshua setzte sich auf, betrachtete ruhig meinen halbnackten Körper, ich hatte nur Unterwäsche an, und sein Grinsen wurde einen Tick anzüglicher. Ich hüpfte mit einem Quieken und rotem Kopf zurück in sein Bett, zog die Decke bis zum Kinn. "Oh, schade. Ich dachte, du würdest jetzt ein heißes Striptease hinlegen." Wieder dieses Grinsen. Mein Kopf war höchstwahrscheinlich hochrot und ich dankte Gott für die Dunkelheit. Meine Stimme versagte bei seinen Worten, was ihn jedoch nicht zu überraschen schien. "Aber du fängst doch bestimmt was mit mir an!?" fragte er wie nebenbei und sah mir unverwandt in die Augen. "Nein." presste ich mühsam hervor. Mir war das ganze so peinlich, dass mein einziger Gedanke war: Shit! "Stimmt, war da nicht dieser Typ, Peter oder so, von dem Angel öfters erzählt?" "Paul?" fragte ich nach. "Ja, genau der. Er scheint's ihr ja angetan zu haben..." Was? Das hörte ich zum ersten Mal! Außerdem hatte Angel das Aus zwischen ihr und Fabian doch so zugesetzt!? Ich schob Joshuas Vermutung auf sein mangelndes Verständnis und brummte ein "Keine Ahnung." Nach einer kurzen Pause, in der ich mich in die kuschelige Bettdecke einwickelte, hörte ich seine kehlige Stimme: "Gute Nacht, Kleines." Ich brachte nur noch ein "Hmm." zustande, dann übermannte mich der Schlaf erneut. Mir war es vor lauter Müdigkeit entgangen, dass ich in seinem Bett schlief.
Am nächsten Morgen rüttelte mich jemand unsanft wach. "Skyyyyyy!" vernahm ich eine durchaus bekannte Stimme. "Sky, wach auf." Als ich mit altbekannten Mühen die Augen aufbekam, blickte ich in Angels Gesicht, die etwas merkwürdig dreinschaute. "Was ist hier gestern Abend noch so passiert?" Ihre Frage stand eine Weile im Raum, bevor sich realisierte, wie sie angesäuert auf meine Kleidung auf dem Boden schielte. "Nichts, Angel,..." wollte ich sie beruhigen, würde aber etwas stürmisch von ihr unterbrochen: "Und warum rennt Joshua mit so einem dämlichen Grinsen herum?!" Ich seufzte, sah meine beste Freundin an und fing an zu erklären. "Ich bin in seinem Zimmer aufgewacht und in dieser Klamotte zu schlafen war ungemütlich. Also hab ich sie ausgezogen und dein herzallerliebster Bruder hat mich begaffen können. So einfach." Während meiner Ausführungen beruhigte sie sich zusehends, es war schon fast auffällig, wie sehr sie das mitnahm. Ich sprach sie sofort darauf an: "Warum wäre dir das so unangenehm?" Entgeistert starrte Angel mich an und fragte lediglich: "Würdest du deine beste Freundin ins Messer laufen lassen?!" Der Satz sagte genug. Für Angel war Josh der Idiot, der die Mädchen ins Bett brachte und sie dann fallen ließ. Und ich konnte ihr es nicht verübeln, solche Gedanken zu denken. Besonders in Zusammenhang mit Josh, der ihr schon einmal eine gute Freundin erst weggeschnappt und dann vertrieben hatte. Ich schwieg und setzte mich auf. Meine Haare schienen der Schwerkraft zu trotzen, wie jeden Morgen, und ich sammelte die Kleidung ein. "Hier." Angel hielt mir meine Tasche vor die Nase und ich nahm sie dankend entgegen. Wortlos, ich war nie ein Morgenmensch, ging ich an ihr vorbei ins Bad und zog mich aus. Mit leichten Kopfschmerzen sprang ich unter die Dusche und ließ das Wasser über mein Gesicht laufen. Das kühle Wasser wusch meine Gedanken rein und ich beseitigte die Reste der Party. Ehrlich gesagt war ich froh, dass ich nicht in den Spiegel gesehen oder Angel etwas kommentiert hatte. Als ich nun wieder aus der Badewanne klettern wollte, rutschte ich unglücklich aus und knallte mit dem Knie gegen den Rand. Ich schrie auf und hüpfte ungelenk, jetzt endlich auf sicherem Boden, auf und ab. "Alles klar mit dir?" hörte ich Joshuas dumpfe Stimme durch die Tür. Hektisch, ein Handtuch aus dem alten Holzschrank hervorziehend, bejahte ich, doch der Schmerz pochte unangenehm im Knie. Leise fluchend trocknete ich mich ab, holte frische Kleidung aus meiner Tasche und kämmte die kurzen Haare, die wirr in meine Augen fielen. Ich trottete aus dem Bad, schmiss meine Sachen in Angels Zimmer und ging in die Küche. Dort erwarteten mich schon ein gedeckter Tisch, zwei dampfende Tassen Kaffee und ein verlockendes Schokoladenhörnchen. Angel saß mir gegenüber und wir quatschten ein bisschen, doch auch sie blieb eher stumm. Als Josh hereinkam und sich die Espresso-Maschine anschmiss, dröhnte ebenfalls nur das Surren durch die Küche. Mein und sein Blick trafen sich und wieder erschien sein breites Grinsen. Ha ha ha, dachte ich ironisch, sehr lustig.
Das Frühstück verlief ereignislos, bis auf die Tatsache, dass meine Mutter anrief und "nur mal nach dem Rechten schauen" wollte. Dabei fiel mir siedend heiß ein, dass ich noch die Küche aufräumen musste, denn der halbherzige Versuch von gestern würde nicht ausreichen, meine Mutter zufrieden zu stellen. Ich ignorierte den grinsenden Josh so gut es ging und sah Angel stumm dabei zu, wie sie Anrufe abblockte. Es war offensichtlich, wer da anrief. Sollte Fabian es doch versuchen, Angelika war nicht dumm und selbst ihre Liebe zu ihm konnte diesen "Fehltritt", wie er es nannte, nicht überdecken. Wie viel Überwindung es Angel kostete, entnahm ich ihren eisigen Augen. Joshua nahm seinen Espresso und verschwand im Flur. Ich und Angel räumten den Tisch ab, gingen in ihr Zimmer und redeten über die missglückte Party. "Ich hab Herrn Davids gesehen..." teilte ich meiner Freundin mit, die sofort große Augen bekam. „Echt? Oh mein Gott! Hat er was gesagt? Habt ihr getanzt? Habt ihr euch nochmal ge..." Sie wurde von einem "Riiiiinnnng!" unterbrochen. Es war jetzt schon sein sechster Anruf. Entschlossen nahm ich Angels Handy und schaltete es aus. Fast wäre ich dran gegangen, um ihm mal gehörig die Meinung zu geigen, aber ich sah Angels flehendes Kopfschütteln vor meinem inneren Auge. "Also.", fuhr sie fort, "Was ist passiert?" "Nichts." antwortete ich knapp. "Wie?!" fragte sie verblüfft nach. "Nichts. Er ist nach einer Weile verschwunden, ich habe ihn nur einmal bei Diana gesehn." Meine Stimme klang rational, doch innerlich tobte ein kleiner Sturm der Enttäuschung. Vic, äh... ich meine Herr Davids, hatte mich auch gesehen... Bereute er also unseren Kuss und wollte mich nicht mehr sehen? Schnell wechselte Angel das Thema, sie hatte mitbekommen, wie es mich auffraß. "Hast du Barbies Gesicht gesehen, als du ihr die Meinung gesagt hast? Zum Schießen!" Leise lachten wir über ihre Reaktion und ich lenkte das Gespräch vorsichtig auf diesen Luca. "Welchen Luca?" fragte mich Angel irritiert und kniff die Augen zusammen. Ihre Stirn kräuselte sich leicht, bis sie dann einer Erleuchtung erlag. "Ach so! Du meinst Lukas! Du mit deinem miesen Namensgedächtnis..." Ich grummelte unwillig, musste aber zugeben, dass sie Recht hatte. "Wir haben ein bisschen rum geknutscht, aber er hat so gesabbert..." Sie verzog das Gesicht angewidert und ich lachte. "Da ist deine Rache ins Wasser gefallen!" kicherte ich und Angel sah mich verständnislos an, bis sie schließlich grinste. Ich rechnete es ihr hoch an, dass sie meinen Spaß nicht verkannte. "Du, Angel..." setzte ich an, "Ich muss jetzt mal nach Hause..." "Warum denn? Bleib doch noch ein bisschen!" "Ich muss die Küche noch aufräumen." Angesichts meiner Schnute verkniff sich Angel ihren Lachanfall und nickte nur verhalten.
Als ich zu Hause ankam und den Schlüssel aus der Tasche kramte, kicherte ich immer noch. Das musste ziemlich gestört aussehen und die Passanten glotzten verdattert. Der Grund war, wie zu erwarten, etwas verschroben. Denn als ich gehen wollte und "Bis zum nächsten Mal!" gerufen hatte, hatte Josh mir zugezwinkert und dieses anzügliche Lächeln gegrinst, das nun einen Schuss Verwegenheit besessen hatte. Idiot, hatte ich gedacht und musste über die ganze Aktion trotzdem grinsen. Natürlich nur innerlich, schließlich würde ich das nie offiziell zugeben. "Angel? Darf ich deinen Bruder schlagen?" hatte ich gefragt und Josh hatte die Augen zusammengekniffen. Ich wusste beim besten Willen nicht, was er dachte. "Natürlich, solange es gerechtfertigt ist!" Mein allseits verhasstes Gewinner-Lächeln hatte sich ausgebreitet und das von Josh war verschwunden. "Das würdest du nie tun!" hatte er locker gemeint. Ich wusste nicht, dass man so unter Selbstüberschätzung leiden konnte. "Oh, doch!" Inzwischen hatte ich direkt vor ihm gestanden und zu ihm aufgesehen. Er war groß, und hatte eine gut gebaute Figur. Natürlich würde er gewinnen. "Nein, wirst du nicht." hatte er mir leise widersprochen und sein Lächeln wiedergewonnen. Eine kleine Schweigepause hatte sich um uns gelegt, dann hatte ich ihm auf den Oberarm geschlagen. So gezielt und genau, dass Josh zusammengezuckt war und sich den Arm gerieben hatte. "Aua! Sky!" Ich hatte laut gelacht und davonrennen wollen, doch er war schneller gewesen und hatte die Tür zugeschlagen. "Wie hast du das gemacht?" hatte er aufrichtig erstaunt gefragt und ich kicherte. "Akupunktur. Meine Mom hat mal so einen Lehrgang gemacht." Wenn man auf einen speziellen Punkt drückte, überall am Körper gab es die, tat es nicht nur dort weh. Ich kannte das zur Genüge vom Ellenbogen... Wirklich schmerzhaft. "Ist sogar für etwas gut." hatte ich ihn an- an oder eher ausgelacht. "Kleines Miststück!" hatte er gezischt und ich erkannte, dass ich jetzt lieber gehen sollte. "Ciao!" hatte ich gerufen, immer noch lachend, und die Tür aufgerissen. "Komm her, du kleine Kröte!" hatte Josh mir hinterher gerufen und ich hatte sein Grinsen gehört. Idiot, dachte ich gutmütig.
Nun stand ich in unserer Küche und blickte auf das große Chaos, das sich mir bot. Seufzend schmiss ich meine Tasche in einer Ecke, entledigte mich meiner Schuhe und fing an, das Geschirr in die Maschine zu räumen.
Nach ganzen zwei Stunden war ich fertig und das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Genau in dem Moment machte es "Pling!" und ich bekam eine SMS.
Kommst du heut Abend ins Hell? Paul
Ich überlegte. Bei dem Gedanken, womöglich Victor, ich meine Herr Davids, zu treffen, drehte sich mein Magen um. Auch der gestrige Abend hatte Spuren hinterlassen...
Nein, ich bleib hier.
Frag doch Angel oder Diana?! Sky
Okay, wo wart ihr gestern eig.? Paul
Lass es dir von Angel erzählen! CU viel Spaß Sky
Ich klappte mein Handy zu und ging in mein Zimmer. Dort zog ich meine Sportsachen an und kramte meine Ohrstöpsel hervor. Ich wollte meinen Kopf frei bekommen und da half nur eins: Joggen im Wald!
Als ich die Tür hinter mir schloss und langsam die Straße entlang lief, brummte ein Lied in meinen Ohren. Meine Playlist war aggressiv und laut, während ich auf dem Wald zulief. Wie immer standen die Bäume dicht beieinander und bogen sich im Wind. Ich lief unaufhörlich auf ihn zu und setzte einen Fuß auf den Pfad. Plötzlich hielt ich inne. Erinnerungen keimten auf, die ich lieber nicht sehen wollte. Doch ich tat sie so schnell wie möglich ab und konzentrierte mich auf die Musik. Das Laub unter meinen Füßen knirschte und die Blätter rauschten im Wind, aber ich bekam nichts mit. Nach ein paar Schritten hielt ich es nicht mehr aus, schaltete die Musik aus und sah mich ein bisschen zu schnell um. Die Panik hatte mich ergriffen und fesselte mich. Ein Knacksen kam aus dem Unterholz. Jetzt wollte ich nur noch weg von hier. "Er ist nicht da, er ist nicht da..." murmelte ich mir aufmunternd zu und lief zurück zur Straße. Die rettende Straße, dachte ich, wusste aber, dass auch auf so einer Straße ER aufgekreuzt war. Mein Puls beschleunigte sich rasch und ich keuchte angestrengt. Inzwischen waren meine Beine zentnerschwer, die Kehle trocken. Ein Laut der Erschöpfung entwich mir, als ich um den Häuserblock rannte. Meine Augen schienen mir so groß wie Äpfel, ich rechnete bei jedem Auto und jedem Passanten damit, dass ER es war. Die Menschen, die mich schon ganz verwirrt anstarrten, machten mir auf der Stelle Platz, als ich an ihnen vorbei hastete. Mein Blick klebte an unserer Haustür und ich kramte meinen Schlüssel aus meiner Hosentasche hervor. Zitternd versuchte ich, den Schlüssel in das Schloss zu stecken, ich brauchte ein paar Sekunden, bis es mir endlich gelang. Als ich mich wieder in Sicherheit wiegen konnte, sank ich keuchend mit dem Rücken an der Tür hinunter. Scheiß Idee, dachte ich. Dabei hatte der Tag relativ gut angefangen, und jetzt das! Ich stand auf, ging in das Bad und stellte mich unter eine kalte Dusche. Sofort reagierte mein Körper und eine fette Gänsehaut erfasste mich. Nachdem ich mich eingeseift hatte und trocken war, zog ich mir einen kuscheligen Pullover und die Hose eines Trainingsanzuges über und ging in die Küche. Ich erwischte mich dabei, mich misstrauisch umzusehen. ER war nicht hier! In der blitzblanken Küche schmierte ich mir ein Brot und aß. Der Laptop meiner Mutter stand vor mir und ich checkte meine E-Mails, Facebook und ging auf ICQ online. Eine E-Mail war von Interesse, die anderen nur Werbung. Sie war von meiner Brieffreundin aus Berlin:

Hallo Sky,
Wie geht's dir? Bei mir ist soweit alles paletti.
Schule ist so lala, aber ich hab ja meinen heißen Nachhilfelehrer! *__*
Wie sieht's bei dir aus? Die Bewerber stehen ja bestimmt Schlange, hast du dir endlich einen geschnappt?!
Der eigentliche Grund, weshalb ich schreibe ist, dass ich fragen wollte, ob du in den Herbstferien eine Woche nach Berlin kommen willst. Wir haben so lange nichts mehr miteinander gemacht. Shoppen steht an! ;)
Schreib schnell zurück :*
Rocky

Rocky, oder eher Roxana, war ein Paradiesvogel. Das fiel zwar in Berlin nicht besonders auf, doch ihr dunkel gehaltener Kleidungsstil, ihre schwarz-lilafarbenen, kurzgeschorenen Haare und ihr punkiger Musikgeschmack waren immer etwas Außergewöhnliches. Dabei war sie ziemlich lieb und freundlich, was man bei ihrem Aussehen nicht gerade annehmen konnte. Ich schloss die E-Mail und schrieb in Gedanken auf die To-Do-Liste, meine Eltern danach zu fragen. Bei Facebook las ich nur Mist und so loggte ich mich schnell aus. ICQ gestaltete sich schon etwas interessanter. Jemand unbekanntes hatte mich angeschrieben... Der Name "Lucky Luke" sagte mir nichts, außer, dass es eine Comicfigur war. "Kennen wir uns?" schrieb ich, doch derjenige war nicht online und so musste ich wohl oder übel meine Neugierde zügeln. Ich schaltete den Laptop lustlos aus und schlurfte in mein Zimmer, in dem ich mich auf mein Bett schmiss und wahllos ein Buch aus dem Regal zog. "Der ballspielende Hund" stand auf dem Einband. Das dünne Heftchen war von Agatha Christie geschrieben worden und handelte von dem Privatdetektiv Poirot, der die Umstände des Todes der alten Emily Arundell aufklären soll. Ich hatte dieses Buch zwar schon öfter gelesen, doch jetzt schlug ich wieder die erste Seite auf. "Emily Arundell starb am 1.Mai. Obwohl sie nur ganz kurze Zeit krank gewesen war, erregte ihr Tod wenig Aufsehen..."
Irgendwann, es musste schon 19Uhr gewesen sein, hörte ich ein Auto auf den Hof fahren. Schon an dem Geräusch des Motors wusste ich, dass es meine Familie war. Ich legte das Buch zur Seite, rappelte mich auf und ging hinunter. Dann öffnete ich die Tür und begrüßte Timothy, der mit seinem Köfferchen im Schlepptau auf mich zukam. Dann schlüpfte ich in meine Schuhe und half meinen Eltern, die Koffer ins Haus zu tragen. Als wir fertig waren, setzten wir uns an den Tisch und aßen die belegten Brote, die Mom währenddessen geschmiert hatte. "Wie war's?" fragte ich in die Runde und erntete einen kleinen, vorwurfsvollen Blick von meinem Dad. "Ihr geht es nicht gut, Skyla." klärte Mom mich auf und sah Tim dabei zu, wie er die Krümel vom Teller leckte. "Lass das!" Er schaute sie beleidigt an und stellte den Teller zurück auf den Tisch. "Ich geh in mein Zimmer." meinte ich leise, stand auf und ging hinaus. "Skyla! Skyla!" rief Mom und ich hörte in ihrer Stimme, dass es jetzt unklug wäre, nicht darauf zu reagieren. "Was denn Mom?" wollte ich genervt wissen und schaute zur Tür herein. "Sie hätte sich wirklich gefreut dich zu sehen." Der Vorwurf wurde von einer Sorge ersetzt, die mir nicht ganz behagte. "Ist gut, Mama. Das nächste Mal gehe ich mit..." Mit diesen Worten verschwand ich in meinem Zimmer und zog mich aus. Dann wusch ich mich, zog meinen kuscheliges Nachthemd über und putzte meine Zähne. Als ich schließlich im Bett lag, fielen meine Augen sofort zu.
"Skyla! ...Skyla!" rief mich etwas, vernebelt, wie in einer dicken, warmen Hülle. "SKYLA!" Langsam erfasste ich die Bedeutung der Laute, die ich vernahm. Eisige Kälte erfasste plötzlich meinen Körper und ich schlug entsetzt die Augen auf. "Was ist denn!?" fuhr ich die Person an meiner Bettkante an, die ich nur verschwommen sehen konnte. "Du musst aufstehen! Wir haben schon 6:15Uhr!" Mein Herz setzte einen Moment aus. "Schon 6:15Uhr?" schrie ich, "Scheiße!" Ich sprang aus dem warmen Bett, stieß mit der Person zusammen, die sich als meine Mutter entpuppte und riss mir hektisch Klamotten aus dem leeren Schrank. Jeans, Top, Pulli. Geht klar!, dachte ich und war im nächsten Moment damit beschäftigt, meine Haare zu kämmen, was heute natürlich nicht komplizierter sein sollte, als an "normalen" Tagen. Könnte man meinen. Ich beschloss, mein Aussehen, zum Glück hatte ich keine Augenringe, einfach zu ignorieren und sprang in Höchstgeschwindigkeit in die Küche, stopfte mir die Honigbrote, die ich gerne genossen hätte, in den Mund. "Deine Haarsträhne..." meinte mein Vater etwas irritiert und fuchtelte über seinem Kopf. "Ich weiß." entgegnete ich trocken und mein Blick verfinsterte sich. Diese kleine Strähne stand frech ab und bog sich dann, wie eine Palme, in alle Richtungen. "Wir holen etwas beim Bäcker..." murmelte mein Dad. Mittlerweile war ich fertig und verschwand erneut im Bad. 15 Minuten, bis der Bus losfahren würde und ich war noch nicht einmal im Auto. "Bin fertig!" schrie ich, doch mein Dad stand schon in der Haustür. Er hatte den Koffer schon im Kofferraum verstaut und so konnten wir sofort losfahren. Beim Bäcker hielten wir und ich musste entsetzt feststellen, dass ich meine Tasche vergessen hatte. 5 Minuten noch... Als wir endlich, mit Koffer, Tasche und Essen, bei der Schule ankamen, erkannte ich beschämt, dass meine Klassenkameraden schon alle im Bus saßen und die meisten Koffer eingeräumt waren. Ich sprang mit einem Küsschen für Dad aus dem Auto, schnappte mein Gepäck und eilte zum Bus. Herr Bauer trat davor von einem Bein auf das andere und sah grimmig drein. "Skyla! Da bist du ja endlich!" "Tut... Tut mir leid Herr Bauer." keuchte ich. "Jetzt ab in den Bus!" Als ich den Bus betrat, suchte ich Angel, die winkend auf und ab hüpfte. Sie saß im hinteren Teil und hatte mir ein Plätzchen freigehalten. Die Klasse war hibbelig und unruhig, wartete ungeduldig auf die Fahrt. "Skyla, Skyla, Skyla..." Barbie schüttelte gespielt ungläubig den Kopf und seufzte theatralisch. "Ich dachte, du kommst wenigstens dieses eine Mal pünktlich." Gekonnt ignorierte ich die Bemerkung und ging an Barbie vorbei. Doch direkt hinter ihr saß jemand, der die Szene aufmerksam beobachtete. "Morgen Herr Davids." nickte ich Victor Davids zu und beachtete ihn augenscheinlich nicht weiter. Doch seine dunklen Augen sagten etwas aus, das ich nicht ganz verstand. Wut? Warum denn das?! Ich beschloss gezwungener Maßen, mir keine Gedanken über den gutaussehenden Mann zu machen und ließ mich neben Angel nieder, die leicht grinste. "Verschlafen?" "Ja." "Wie immer." Meine Freundin erntete daraufhin einen giftigen Blick von mir, was ihr ein noch größeres Grinsen auf das Gesicht zauberte. Schläfrig zog ich mein Handy heraus, steckte die Kopfhörer hinein und suchte "Alice in Chains". Sofort ertönten Disharmonien und meine Gedanken schweiften ab. Meine Augen fielen zu und das Traumland lockte meinen Geist...
"Sky!" Etwas rüttelte an meiner Schulter und erschrocken riss ich die Augen auf. Hatte ich geschlafen? "Wir machen Pause. Kommst du mit?" Angel stand erwartungsvoll im Gang, legte den hübschen Kopf schief. "Was?! Wie lange habe ich gepennt?" fragte ich verschlafen, während ich mich stöhnend streckte. Mein Hintern war platt und schmerzte schrecklich, also wartete ich nicht auf eine Antwort, sondern schob Angel zur Seite und war im nächsten Moment aus dem leeren Bus gehüpft. "Etwa zwei Stunden." lachte sie und zog mich zur Raststätte. Der Wind pfiff kalt an uns vorbei und wirbelte unsere Haare umher. "Viertel Stunde Pause und ich will mir noch etwas zu Essen kaufen und auf die Toilette!" Angels Worte wurden mit dem Wind mitgerissen, doch ich verstand trotzdem. Der Himmel war grau, es sah nach Regen aus und ich war froh, einen Pullover über mein Top gezogen zu haben. Als wir endlich in der Raststätte standen, rannte Angel sofort zur Toilette und wartete ungeduldig. Ich sah mich stattdessen um und beobachtete meine Klassenkameraden dabei, wie sie jetzt schon Pommes und Burger in sich stopften, als hätten sie Tage gehungert. In meiner Hosentasche fand ich 3,67€, die ich ohne mit der Wimper zu zucken wieder einsteckte. Wie sollte ich denn ein matschiges Baguette, das zudem völlig überteuert war, hinunter bekommen? "Ihhh!" hörte ich zu meiner Linken jemanden sagen, "Die Toiletten sind so ekelig!" Es gab nur eine, die hier Ansprüche haben konnte und mit einer dermaßen hochnäsigen Stimme sprach. Barbie. Ich drehte mich um und hob eine Braue, denn das kleine rosa Püppchen stand in einer pinken Leggins und einer ebenfalls pinken Trainingsjacke zwischen den Jungs. "Hey, der rosa-rote Panther kommt uns besuchen!" rief ich laut und winkte dem pinken Fleck in der Raststätte zu, der mich erschrocken anstarrte. Natürlich grinsten die Jungen über beide Ohren, als Barbie zu mir stampfte und mit ihrem manikürten Fingernagel auf mich zeigte. "Was hast du gesagt?!" Ihre Entrüstung äußerte sich in ihrer piepsigen, fast schon hysterischen, Stimme. "Ich sagte: Der rosa-rote Panther kommt uns besuchen!" äffte ich sie nach und verkniff mir das Lachen, obwohl selbst die Typen, die sie vorher so angeschmachtet hatte, das nicht schafften. Barbie schnappte nach Luft und suchte verzweifelt nach Worten. "Hat der Panther seine Sprache verloren?" fragte eine Stimme, die ich sehr gut kannte. "Komm, Angel, ich bekomme Augenkrebs von dieser Farbe..." Ich zog die kichernde Angel weg und ließ Barbie stehen, die inzwischen hochrot war und hyperventilierte. Draußen lachten wir hemmungslos los und Angel verschluckte sich fast an ihrem Brötchen, dass sie sich zuvor gekauft hatte. "Ihr Gesicht war genauso leuchtend wie ihr Outfit!" seufzte sie, als wir uns beruhigt hatten und verkniffen uns das Kichern. "Wie viel Uhr haben wir?" Wie sich herausstellte, waren wir zu spät, aber zum Glück nicht die letzten. Herr Bauer wies Vic, ich meine Herrn Davids, an, die Klasse auf Vollständigkeit zu überprüfen. Ich holte wie auf Kommando meine Musik hervor und schloss die Augen. Doch Angel rüttelte brutal an meiner Schulter. "Sky! Nicht wieder einschlafen! Ich hab mich so gelangweilt die Fahrt über!" Griesgrämig murmeln drehte ich mich weg, denn müde war ich immer noch. Der Bus fuhr los und ich war gerade am Einnicken, als ich wieder aufgeweckt wurde. "Man, was soll denn das?!" sagte ich laut und drehte mich zu meiner Sitznachbarin um. Doch dort saß nicht Angel, sondern jemand, der etwas feindselig dreinblickte. "Oh!" entfuhr es mir, "Tut mir leid, Herr Davids!"
Mein Herz hatte eine Oktave höher angestrebt und pochte unangenehm laut. "Schon okay." seufzte er resigniert. Resigniert?! Was war denn mit ihm los? "Angelika wollte die Plätze tauschen." erklärte er, aber die Frage, wie diese Situation entstanden war, war mir noch überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Dieser banale Grund enttäuschte mich, auch wenn ich das nie zugegeben hätte. "Ach so." entgegnete ich und schloss wieder die Augen, um ihn nicht allzu offensichtlich anzustarren. Aber der Schlaf wollte und wollte mich nicht in eine angenehme Schwärze ziehen. Dieser Geruch nach dem Deo, seine Nähe und einfach dieser Mann machte mich verrückt. Ständig drehte und wendete ich mich, nervös und angespannt. Schließlich, nach etlichen Versuchen, musste ich eingenickt sein...
Bei einem kleinen Hüpfer des Busses schreckte ich auf und brauchte einen Moment, um mich zu orientieren. Ich sah dorthin, wo ich meinen Kopf abgestützt haben musste und stellte entsetzt fest, dass dort eine ziemlich muskulöse Schulter ihren Platz hatte. Mein Blick hangelte sich an diesem überirdischen Körper entlang und blieb an den schwarzen Augen hängen. Sie waren eher dunkelbraun, Schokolade, dachte ich... "Entschuldigen Sie bitte..." stotterte ich und senkte den Blick sofort. Als ich keine Reaktion erhielt, schielte ich vorsichtig herüber und erhaschte ein sonderbares Lächeln, das sich im Fensterglas spiegelte. Hastig wandte ich den Blick wieder ab. Da sich die Müdigkeit nun endgültig verflüchtigt hatte, schaltete ich die Musik aus und kramte ein Buch aus dem Rucksack. "Ein gutes Buch..." sagte Victor plötzlich und überrascht wandte ich mich zu ihm. "Agatha Christie schreibt sehr gute Kriminalromane." Ich nickte zustimmend und fragte, ohne in seine Augen zu sehen: "Hast du es schon gelesen?" "Nein, aber ein anderes mit Poirot." Vic lächelte mich offen an und ich schluckte schwer. Mein Magen fühlte sich flau und leer an, während er seinen Blick nicht abwandte.

Victor beobachtete Skyla, als sie den Bus betrat. Irgendwie ging ihm dieser Kuss zwischen ihr und dem Sunny-boy nicht aus dem Kopf... Auch jetzt beachtete Sky ihn nicht wirklich, ihre halbherzige Begrüßung war flüchtig. Es kränkte ihn, dass sie ihn nach ihrem Kuss beim Krankenhaus nicht mehr wirklich Beachtung schenkte. Entschlossen wandte er sich ab und sah aus dem Fenster, wo die Eltern ihren Kindern zum Abschied winkten. Einer der Männer sah sich suchend um, wobei Victor sein Gesicht erblicken konnte. Er erinnerte ihn an jemanden...
Die Fahrt war langweilig, von Barbies peinlichen Annäherungsversuchen mal abgesehen. Vic erwartete schon sehnlichst die Pause, in der er sich die Beine vertreten konnte und so spazierte er gemütlich den schmalen und dreckigen Pfad entlang. Er erkannte Sky und Angel, wie sie in der Raststätte verschwanden, die zuvor von einer ganzen Schar ihrer Mitschüler gestürmt worden war. Dieses Mädchen verfolgt mich!, dachte er und trat einen Kieselstein weg.
Als die Pause sich dem Ende neigte, war er voll und ganz damit beschäftigt, die Schüler zusammen zu treiben. "Herr Davids!" sagte eine honigsüße Stimme, "Ich finde die Unpünktlichkeit schrecklich!" Die lebensgroße Nachbildung der beliebten Puppe war nicht gerade ein Augenschmaus und er erwiderte schroff: "Ich habe jetzt keine Zeit, Barbara!" Sie kräuselte ihre markante Nase, ein Zeichen ihres Missfallens, wie er es schon öfter gesehen hatte, und verschwand im Bus. "Du kannst dich ja vor Verehrerinnen kaum retten!" lachte hinter ihm Herr Bauer, der es mitbekommen hatte. Er bemerkte das säuerliche Gesicht seines Gegenübers und fügte hinzu: "Barbara ist sehr aufdringlich..." "Jaha!" bekräftigte Vic und Herr Bauer lachte nochmals laut auf. Plötzlich versteinerten sich seine Züge. "Sie wissen doch schon, dass Sie keine Angebote annehmen dürfen. Selbst wenn sie den ersten Schritt tut. Lassen Sie sich nicht provozieren!" forschend sah er seinen Referendaren an, der ernst nickte. "Gut! Alles ist wieder im Bus verstaut." Mit diesen Worten sprang Herr Bauer in das Fahrzeug und gab dem Fahrer ein Zeichen.
Victor saß wieder auf seinem Platz und dachte darüber nach, wie sehr er sich zusammenreißen musste, wenn Sky ihm über den Weg lief. Ihm war zum Schreien und Lachen zumute. Eine Woche würde er sie fast rund um die Uhr um sich herum haben und die Aussicht war alles andere als einfach. Herr Bauer hatte eine Ansage gemacht und davon abgesehen, hatte Skyla ihren Sunny-boy. Verbissen ging er diesen düsteren Gedanken nach und stierte aus dem Fenster.
"Herr Davids?!" fragte jemand neben ihm, "Könnten Sie mit mir Plätze tauschen?" "Natürlich." erwiderte er, während Victor sich umwandte. Als er jedoch sah, wem er gerade einen Gefallen tat, ahnte er böses. Angel grinste ihm frech entgegen und quetschte sich neben ihn. "Vielen Dank! Jetzt kann ich mich wenigstens mit ein paar Leuten unterhalten. Sky-", sie machte eine theatralische Pause und seufzte, "-Schläft die ganze Zeit nur!" Vic schluckte schwer und riskierte einen Blick zu dem unbesetzten Platz. Tatsächlich lag Skyla wie ein Schluck Wasser und schlief. Ihr Gesicht war blass, aber ihre Züge wie eh und je puppenhaft zart. Angelika räusperte sich vernehmlich und erschrocken drehte er sich zu ihr um. Etwas ertappt stand er auf und ging schweigend zum leeren Platz. Vorsichtig schob er Skys Beine zur Seite und das nervöse Kribbeln verdrängte er. Als er sich jedoch auf dem Sitz nieder ließ, wurde sie wach. "Man, was soll denn das?!" Victor sah sie mit zusammen gekniffenen Augen an und erst da bemerkte sie, wen sie angeschnauzt hatte. Ihre Entschuldigung war süß und er nahm es ohne weiteres hin. Dieses Mädchen verfolgt mich wirklich!, schoss es ihm durch den Kopf und er spürte plötzlich etwas Schweres auf seiner Schulter. Er sah an sich hinunter und blickte in das Gesicht von dem wunderhübschen Mädchen, das ihn verfolgte. In seinen Gedanken, Träumen, Wünschen. Er roch ihr Erdbeershampoo und hoffte, sie würde ihm noch einen letzten Kuss geben. Doch er genoss einfach die Tatsache, dass sie schlafend wie ein Engel auf seiner Schulter ruhte und er sie beobachten durfte. Je länger Victor Davids Sky ansah, desto heftiger war der Wunsch, diesen dämlichen Beruf an den Nagel zu hängen und sie auf der Stelle zu küssen. Sie wachte irgendwann auf und die Röte in ihrem Gesicht war nicht zu übersehen, als sie ihn bemerkte. Es entlockte Vic ein Lächeln, obwohl er ja eigentlich nicht mehr an sie denken wollte, geschweige denn diesem flauen Gefühl im Magen nachzugehen. Das Ergebnis würde zu schmerzhaft sein...
Victor besah sich Skyla, die vertieft in das Buch dasaß, und stand ruckartig auf. Nach ihrer kleinen Unterhaltung, ihm war aufgefallen, dass sie ihn geduzt hatte, fühlte er sich noch mehr zu ihr hingezogen. Das durfte nicht so sein! Skyla bemerkte seine Bewegung und blickte überrascht auf, während Vic sich ein wenig zu schnell an ihr vorbeidrückte.

Ich musterte den Referendar mit zusammen gekniffenen Augen und Übelkeit stieg in mir auf. Warum wollte er gehen? Hatte ich etwas falsch gemacht? Was war das nur eine Situation zwischen uns, seit dem Kuss vor dem Krankenhaus?! Tausend und eine Frage schwirrten in meinem Kopf, als plötzlich ein Ruck durch den Bus ging. Herr Davids, der gerade dabei war, sich an mir vorbei zu quetschen, kam ins Straucheln. Erschrocken schloss ich die Augen, dachte "Er wird sich weh tun!" und wartete auf den Aufprall. Aber der Aufprall blieb aus, stattdessen spürte ich einen heißen Atem auf meinem Gesicht. Als ich einen Blick riskierte, sah ich direkt in zwei dunkelbraune Augen, die mich anfunkelten. Eine kleine Ewigkeit sahen wir uns in die Augen und ich konnte nichts dagegen tun. Mein Blick wanderte zu seinen Lippen, die eine magische Anziehungskraft auf mich auswirkten, während das Blut in meinen Ohren rauschte, die Stimmen meiner Mitschüler zu einem angenehmen Summen schmolzen. Sein Atem war flach und ich hatte plötzlich das Gefühl, er wäre ein Stück näher gekommen. Leicht beugte ich mich zu ihm hin, doch sein Blick wurde abweisend und sein Kiefer steif. Mit einem Ruck stieß Vic sich mit der rechten Hanf von der Lehne meines Sitzes ab und stand da wie zuvor. Zwei große Schritte, und er war bei Angel, die sich die ganze Zeit über fröhlich mit Diana unterhalten hatte. Ich sah, wie sie redeten und wie meine beste Freundin etwas sagte, dann aber zu mir geschlichen kam. "Wir lief es?!" fragte sie grinsend und schmiss lachend den Kopf nach hinten, als sie mein verträumtes Gesicht sah. "Erzähl!" Als ob es etwas zu erzählen gab!
Die Fahrt zum Selbstversorgerheim war langweilig, aber Angel war eine super Ablenkung, besonders nach diesem fast-Kuss. Schließlich kamen wir ohne weitere Bremsunfälle bei dem schlichten großen Gebäude an. Der Garten war riesig, der Wald drum herum düster und geheimnisvoll. Dieser ganze Ausflug war vielversprechend, wenn man bedachte, dass die Fenster sehr weit unten lagen... Angel sah sie an und grinste ihr Angel-Grinsen: "Denkst du, was ich denke?!" "Ich denke ja, wenn ich denke, du weißt was ich denke." Eine Weile dachten wir nach, saßen auf unseren Koffern und warteten auf Diana und Co. "Hey, Diana!" rief Angel sie und unsere Freundin kam mit ihrem Köfferchen auf uns zu. "Hast du die Fenster gesehen?" Diana nickte und ein kleines Augenzwinkern entwischte ihr. "Das wird cool..." Ich ahnte, dass eine grandiose Idee sich in ihrem hübschen Köpfchen breitgemacht hatte. "Wie findest du eigentlich Paul?" erkundigte sich Angel und ich lauschte einer kleinen Schwärmerei von Diana. Vorsichtig schielte ich zu Herrn Davids, der gerade dabei half, die Koffer aus dem Bus zu schaffen. Er war nicht von schlechten Eltern, dass sah man unter diesem Shirt sehr deutlich. So einige Andere gafften, sodass ich mich abwandte und ihnen nicht den Hals zu brechen oder hinauszuschreien, dass wir uns schon geküsst hatten, wovon sie nur träumen konnten. Ein großer Wermutstropfen war allerdings da, denn irgendwas war seitdem passiert. War er abweisender geworden? Wollte er mich nicht in seiner Nähe? Diese Spannung, die pure Elektrizität, die wir entwickelten, war nicht so leicht zu ertragen. Trotzdem hielt er es aus. Im Gegensatz zu mir, die sich so leicht hatte einlullen lassen. Das im Bus war ziemlich riskant! Ich seufzte enttäuscht, wütend und auch resigniert. Er wollte nichts von mir. Victor Davids war viel älter, gutaussehender und niveauvoller als ich, eine 16-jährige Schülerin und ein 22-jähriger Referendar. Warum musstest du dich in ihn verlieben?!, dachte ich wütend und erstarrte. Hatte ich gerade etwas gedacht, das ich eigentlich nicht zugeben wollte?! Es war ein bisschen wie Selbsterkenntnis, diese Gedanken. Andererseits wusste ich weder, wie Vic, ich meine Herr Davids, dazu stand, noch, ob ich ihn wirklich richtig liebte. Es könnte schließlich nur eine kleine harmlose Schwärmerei sein, die sich in ein paar Wochen verflüchtigte.
Als jeder Koffer zu seinem Besitzer gefunden hatte, setzten wir uns in Bewegung. Wie eine große Karawane zogen wir zum Hauptgebäude.
Die Eingangshalle, sofern man den etwas zu groß geratenen Raum so nennen konnte, war lichtdurchflutet und man hatte durch die riesige Glasfront einen wunderbaren Ausblick auf den Wald. Von dem Raum führten zwei Korridore ab, die im Dunkeln lagen. Das zweite Detail, das auffiel, war eine rote Couch und der Fernseher, der in der Diagonalen etwa 2m aufwies. Herr Bauer bat die Klasse, die in aufgeregtes Gemurmel gefallen war, um Ruhe. "Wir hatten leider keine Möglichkeit, Jungen und Mädchen getrennt unterzubringen, aber ich denke, ihr könnt euch benehmen. Kein Alkohol und Drogen und keine Partys..." Jedes Mal war es das Selbe! Ich hörte nicht mehr hin und einigte mich stillschweigend mit Angel und Diana auf den rechten Korridor. Als wir endlich in unsere Zimmer durften, drängten wir uns durch und liefen den dunklen Flur entlang. "Wir gehen weit nach hinten, oder?" fragte ich und Diana nickte entschlossen. Also gingen wir weiter, bogen um eine Ecke und fanden uns schließlich vor zwei Türen wieder. Ich und Angel besetzten das rechte, Diana und Kathy, ein eher unbekanntes Mauerblümchen, das linke Zimmer. Ich öffnete die Tür und hörte neben mir Angels "Wow." Die Wände waren in einem cremefarbenen Weiß gestrichen worden, die Betten standen einzeln und waren bezogen. Der Kleiderschrank war klein, dafür aber hoch und nicht klapprig. Eine weitere Tür führte zu dem eigenen Bad, welches eine saubere Toilette, eine Dusche und ein Waschbecken besaß. Der Spiegelschrank würde locker für mehr als zwei Personen reichen. Wie wir schon festgestellt hatten, lagen die Fenster sehr tief und waren groß genug für einen menschlichen Körper. Zwei Kleine Nachtschränkchen rundeten das Bild ab. "Das ist cool. Wir haben eine Internetverbindung hier..." Mein Koffer wanderte in eine Ecke und ich fing an, ihn auszuräumen. Stück für Stück landete die Kleidung im Schrank, Angel beobachtete mich. "Was war das im Bus mit Davids?" "Nichts!" Mein Kopf ruckte zu ihr und empört starrte ich sie an. "Nichts? Barbie hat Panik geschoben, als er gestolpert ist. Und weißt du, was ich alles aushalten musste, als ihr für Barbies Geschmack etwas zu nah beieinander wart??!!" Ich konnte es mir vorstellen und lachte herzhaft. "Das ist nicht lustig!" Angels Stimme war zwar freundlich, aber in ihrem Gedicht erkannte ich Ernsthaftigkeit. "Sky, wenn sie irgendetwas mitbekommt, hast du, und vor allem ER ein Problem!" Mein Lachen blieb mir im Halse stecken und ich zupfte nervös an der letzten Jeans, die ich gerade verstaute. "Was soll denn schon passieren?" fragte ich trübselig und dachte an sein Verhalten. Er war nett, mehr nicht. "Mehr als du glaubst, Kleine!" flötete meine Freundin augenzwinkernd und bestätigte mir, dass nicht nur ich unter Stimmungsschwankungen litt. "Na klar!" meinte ich missgelaunt und sarkastisch, verbarg aber damit nur meine Freude. Wenn wirklich etwas geschah? Bekam ich noch einen kleinen Kuss? Oder mehr?! Bei dem Gedanken wurde mir heiß und kalt zugleich... Mein Gott, was dachte ich da! War das zu fassen?! Die Koffer wurden leer und fanden ihren Platz unter den Betten, das Zimmer wieder vom Chaos gereinigt. Der Schrank im Bad war über und über mit Tübchen, Döschen und Schachteln gefüllt, der penetrante Geruch von Deo strömte heraus. "Komm, wir gehen zu Diana und Kathy..." schlug ich vor.
Die zwei waren noch lange nicht fertig, sondern tratschten munter über ihren Plan. Eine Party, soviel war klar. "Aber kein Wort zu irgendjemanden!" warnte Diana uns, und zog die Augenbrauen hoch, "Verstanden!?" Wir nickten brav, hielten jedoch inne, als es plötzlich an der Tür klopfte. Herr Davids sah vorsichtig hinein und versteinerte für einen Augenblick, fing sich wieder und sagte mit der Lehrerstimme: "Ihr sollt bitte alle in 5 Minuten in den Aufenthaltsraum kommen." Bevor wir etwas sagen konnten, schloss sich die Tür und nichts erinnerte an den heißen Victor Davids, der mir mit seinem schwarzen Wuschelkopf den Verstand vernebelte. Dreckskerl. Nicht, dass er es ahnen konnte, aber ich litt unter den gegebenen Bedingungen... Hoffentlich war es bald vorbei, sodass ich ihn vergessen konnte. Oder wollte ich das wirklich?! Wir standen auf und schlenderten den Gang entlang, nachdem wir die Zimmer abgeschlossen hatten. Aus den anderen Räumen kamen unsere Klassenkameraden, quatschend und freudig erregt, angesichts der Ankunft.
Herr Bauer erläuterte die Pläne der Woche, nachdem er endlich für Ruhe gesorgt hatte. "Frühstück gibt es immer um 8Uhr. Gruppe 1 deckt die Tische, Gruppe 2 kümmert sich um das Essen, Gruppe 3 räumt ab und Gruppe 4 spült." Er hielt inne, bis das Gemurmel verstummte und teilte dann die Gruppen ein. Zu meinem Leid war Angel in Gruppe 1, ich in Gruppe 4.
Spülen. Super.
"Wir werden natürlich... Ruhe!... RUHE!" Die Klasse schwieg betreten, und er fuhr fort: "Wenn das nicht besser wird, könnt ihr euch Freizeit und Freiheiten gleich abschminken! Also. Wir werden natürlich die Aufgaben wechseln, damit sich niemand ungerecht behandelt fühlt. Sie werden auch gemacht und zwar ordentlich..., sonst muss die komplette Gruppe zwei Aufgaben übernehmen. Morgen werden wir..." Okay, dachte ich, laber ruhig, Bauer... "Hey Angel, ich frag Ben, ob er mit mir die Gruppe tauscht." Ben, ein gemächlicher Schüler von 16 Jahren, war groß und fett. Die braunen Haare standen vorwitzig ab und die orangenen Kontaktlinsen leuchteten. Er war kaum zu übersehen, doch ich zog es vor, ihn später zu fragen. Herr Bauer war am Ende mit den Nerven und seinem Vortrag, und entließ uns. Jeder stürmte in eine andere Richtung, hektisch redend und geschäftig wuselnd. "Diana, was sollen wir machen?" fragten Angel und ich gleichzeitig, Diana lachte. "Wir haben Freizeit. Um 19Uhr gibt es Abendessen." Sie verschwand und ich zog Angel mit aufs Zimmer. Dort beschloss ich, den Garten zu erkunden und streifte mir eine dünne Jacke über. "Kommst du mit?" "Nein." antwortete Angel, während sie wieder ihren Koffer durchwühlte. Also ging ich allein los, durchquerte den Gemeinschaftsraum und öffnete die Tür. Es war 18 Uhr, die Dunkelheit brach schon herein und es wurde kühl. Der Schotter unter den Schuhsohlen knirschte laut in meinen Ohren, während ich mich umsah. Der Bus war längst verschwunden, die Straße leer und nur von ein paar Laternen beleuchtet. Links und rechts führte ein schmaler Streifen Grün hinter das Haus, der von alten und vertrockneten Blumen geschmückt war. Es muss im Hochsommer wundervoll aussehen, dachte ich. Ich folgte dem steinernen Weg nach hinten, um mich ein wenig mit der Umgebung vertraut zu machen, denn das Schlafen fiel mir sonst immer sehr schwer... Meine Augen gewöhnten sich zügig an die Finsternis und ich erkannte, dass "Garten" eine untertriebene Bezeichnung war. Der riesige Platz, der sich mir erstreckte, war ein Park. Hunderte Bäume raschelten im sanften Wind, Sträucher und Blumen säumten ordentlich den steinigen Weg. Ich schritt ihn gemächlich entlang und zog den Duft der Pflanzen ein. Köstlicher Lavendel stieg mir in die Nase und ich schloss genüsslich die Augen. Da hörte ich plötzlich ein Geräusch. Es war dicht neben mir, und nicht menschlich... Mein Körper, meine Sinne spannten sich an und ich lauschte angestrengt. Wieder ertönte dieses Geräusch, sodass ich unwillkürlich zusammenzuckte. Da fiel mein Blick auf eine spiegelglatte Oberfläche, die im Dämmerlicht glitzerte. Mir fielen auch die Punkte auf, die dort saßen. Schleimige fette Kröten. Erleichtert entspannte ich mich und lächelte leicht über meine Schreckhaftigkeit. Ein kleiner Teich mit Kröten jagt mir Angst ein, dachte ich belustigt. Trotzdem war etwas in der Luft... Ein Gefühl, nicht mehr als eine Ahnung. "Hallo?!" fragte ich zögernd. Wenn niemand da ist, blamierst du dich auch nicht, dachte ich, fühlte mich aber wie ein Idiot. Nun hörte ich tatsächlich Schritte auf dem Kiesweg, die langsam näher kamen. "Hallo?!" Meine Stimme war panisch, meine Gedanken überschlugen sich. Rick? Hier?
Im nächsten Moment trat die Person aus dem Schatten der Bäume und ich seufzte erleichtert. "Sky, was machst du hier draußen?" Die Frage lähmte mich, doch ich riss mich sofort wieder zusammen. Herr Davids stand dicht vor mir, ich roch das Deo und sah in seinen dunklen Augen das Mondlicht. "Ich... Ich wollte nur etwas... frische Luft... schnappen." erklärte ich stockend und hörte mein Herz laut pochen. Vic schaute mich zweifelnd an, meinte dann aber sorgenvoll: "Gut, aber nicht allein draußen umher spazieren!" Mein Nicken war aufrichtig, sodass Victor mir ein leichtes Lächeln schenkte. Ich konnte mein eigenes Lächeln nicht unterdrücken, das mich überschwänglich einnahm. Die Freude, die meinen Körper unter Strom setzte, machte das Denken zu einer Kunst, doch meine gerunzelte Stirn reichte ihm. "Wenn du nicht reingehst, muss ich bei dir bleiben." erklärte er und in einem klitzekleinen Winkel meines Hirns fragte ich mich, ob er ein Wörterbuch hatte "Skyla-Deutsch; Deutsch-Skyla" In diesem Winkel wurde es als Unsinnig abgestempelt und zu den Akten gelegt. "Okay." meinte ich heiser. Wir liefen los und steuerten auf die Bäume zu, die nun dichte schwarze Schatten warfen. Ein bisschen mulmig wurde mir schon, ich rückte unwillkürlich näher zu ihm. Unter Vics, ich meine Herr Davids, Blick wurde mir unerträglich komisch zumute und ich versuchte es zu ignorieren. Es misslang mir kläglich... Auf einmal spürte ich schweren Stoff auf meinen Schultern und roch das himmlische Deo. Überrascht wandte ich mich um und erkannte, dass Vic mir seine Jacke umgehängt hatte. "Du wirst ja krank, Sky." sagte er tadelnd, längst war seine Lehrerstimme einer sanften und persönlicheren gewichen und lullte mich ein. Ich erwiderte "Danke." und klammerte mich an die Jacke. "Kein Problem." Die Bäume um uns herum waren dichter geworden, inzwischen erkannte ich die Herberge nicht mehr. Auch die Lichter waren im Dickicht verschwunden, nur der Mond schien blass durch die Wipfel. "Können wir zurück?" fragte ich nach einer Weile und versuchte meine Angst zu verbergen. Vic bemerkte es und zog mich an sich: "Hey, keine Angst." Er senkte die Stimme, flüsterte in mein Ohr: "Er ist nicht hier." Auf meiner Haut bildete sich eine Gänsehaut, doch nicht vor Angst, sondern vor Aufregung. Sein Duft umhüllte mich, die Hitze stieg mir zu Kopf, als ich seinen muskulösen Körper an meinem spürte. Ich sah auf, in seine dunklen Augen und betrachtete seine Züge. Sie waren nicht makellos, aber verführerisch und ich legte wie von selbst meine Hände in seinen Nacken. Vic senkte langsam den Kopf, sah mir in die Augen und zog mich enger an ihn heran. Seine Hände ruhten auf meiner Hüfte und längst war jeglicher Gedanke wie weggeblasen. Ich dachte nicht nach, ob es richtig oder falsch, klug oder dumm, vernünftig oder nicht war. Denn das einzige was zählte war, dass es sich unglaublich gut anfühlte. Unsere Lippen senkten sich aufeinander, die sanfte Berührung wurde intensiver und brachte mich um meinen kläglichen Rest Verstand.

Victor konnte nicht glauben, dass er Sky gerade küsste. Es war verboten, würde ihm alles kosten, und doch konnte er nicht aufhören. Ihre zarten Hände in seinem Nacken zogen ihn herab, und vorsichtig spielte er mit seiner Zunge an ihren Lippen. Vic spürte, wie sie leicht den Mund öffnete und sich ihre Zungen fanden. Heiß rieselte es seinen Rücken hinab, Erregung durchströmte ihn, während des Zungenspiels. Unbewusst glitten seine Hände ihren schlanken Rücken hinauf und wieder etwas weiter hinab. Etwas sagte ihm, dass es falsch war, doch wesentlich mehr sagte ihm, wie unbeschreiblich gut das war. Victor hatte sich fast in dem Kuss verloren, wäre ihm nicht ein unangenehmes Thema eingefallen. Schweren Herzens löste er sich von Sky und sah in ihr gerötetes Gesicht, das ihn erstaunt und ein wenig gekränkt anblickte. "Tutut- tut... mir leid..." stotterte sie, Vic unterbrach Skyla schärfer als er wollte: "Nein, muss es nicht. Ich bin selbst schuld." Es war zuckersüß von ihr, aber der Sunny-Boy grinste Vic vor seinem inneren Auge hämisch an und erinnerte Vic daran, dass sie nicht zu ihm gehörte. Etwas wehmütig betrachtete er Skylas geschwollene Lippen. "Wir sollten zurückgehen."

Ich nickte zerstreut und folgte Vic in einigem Abstand. Wow, was für ein Kuss!, schoss mir durch den Kopf. Trotzdem nagte unerbittlich gnadenlos der Verdacht, Victor Davids könne nichts für mich empfinden. Nichts würde ich weniger ertragen als pure Gleichgültigkeit. Beim ersten Schritt Richtung Herberge versagten mir fast die Beine, beim zweiten zitterten sie nur noch und als wir in einvernehmlichen, jedoch unangenehmen Schweigen ankamen, hatte ich mich wieder gefangen. Warum?, fragte ich mich innerlich, Warum hatte er den Kuss so merkwürdig unterbrochen? Vics Gesichtsausdruck war mir nicht vertraut, ich kannte ihn aus der Schule, wenn er eine Aufgabe lösen wollte. Verzweifelt suchte ich den Fehler, den Makel, den ich an mir übersehen hatte, als ich ihn küsste. Was hatte ich falsch gemacht?! All diese Fragen fanden keine zufriedenstellenden Antworten, lediglich Vermutungen konnte ich aufstellen. Vorsichtig schielte ich zu Vic, der abwesend die Gegend betrachtete. Die Tür der Herberge war sacht erleuchtet und man konnte meine Mitschüler in ihren Zimmern sehen. Unsere Schritte knirschten ohrenbetäubend laut und ich fragte mich zum hundertsten Mal, was da eben losgewesen war. Wie auch vor zwei Minuten, wusste ich keine Antwort darauf. Ich zwang mich, dieses Thema ruhen zu lassen. In Gedanken versunken blieb ich vor der Tür stehen, bis mich der gutaussehende Referendar neben mir sanft hindurch schob. Etwas überrumpelt sah ich zu ihm hinauf und wollte den Blick sofort wieder senken. Doch die Vorhalle, oder eher der Raum, war so leer und dunkel, dass ich über die Couch stolperte. Victor, ich meine Herr Davids, packte reflexartig meinen Arm und gab mir halt, indem er mich zurückzog. Ungeschickt hing ich in seinen Armen und spürte nur allzu deutlich die Wärme... Und dieses Deo... Meine Züge verhärteten sich, während ich mich etwas erbost von ihm losmachte. Wortlos stapfte ich in den rechten Flur, als sich langsam um mich herum Bewegung breitmachte. "Sky, du weißt schon, dass wir jetzt Abendessen haben?" sagte jemand und ich nickte genervt: "Ja, ich kann auch Uhren lesen!" Ein kleiner Blick nach hinten versicherte mir, dass Vic mir nicht gefolgt war. Mühselig bahnte ich mir einen Weg zu den Zimmern und rettete mich angesichts der Flutwelle an Schülern. Diana lehnte in der Tür und wartete offensichtlich. "Und, gibt es was sehenswertes da draußen?" Die leicht spöttelnde Art brachte meine Laune auch nicht auf den Höhepunkt und ich nahm die Jacke von meinen Schultern und schmiss sie auf das Bett. Bei ihrem Anblick zog Diana eine Augenbraue hoch und sah mich fragend an. "Hm." brummte ich, "Kommst du essen, oder soll ich alleine gehen?" Perplex starrte meine Freundin mich an und fragte vorsichtig: "Willst du nicht reden?" Stumm schüttelte ich den Kopf und ging schnellen Schrittes zur Tür hinaus. "Wirklich?" "Wirklich."

Vic verstand ihre Reaktion nicht. Was war denn nun in sie gefahren? Skys merkwürdiger Sinneswandel war ihm unbegreiflich. Hatte er etwas falsch gemacht? Oder lag es an etwas anderem? Victor hatte keinen blassen Schimmer, wie er sich verhalten sollte. Geistesabwesend ging er zu seinem Zimmer, schloss auf und betrat den dunklen Raum. Er schaltete den Lichtschalter an, sodass das eher untypische warme Licht alles flutete. Gegenüber der Tür war ein kleines Fenster, durch das man eine schöne Aussicht auf den Wald hatte. Sein Koffer stand unberührt darunter, ein hoher, schmaler Schrank säumte die Wand, daneben ein kleines Bett. Eine Tür führte ins winzige Badezimmer, indem neben dem Waschbecken und dem WC nur eine Dusche Platz gefunden hatte. Einen Moment lang stand Victor einfach da, dann überlegte er erst, warum er sich überhaupt hier befand. Er hatte seine Jacke wegräumen wollen, doch die war in Besitz von Sky. Den Platz würde Vic gerne tauschen, doch er würde sich das nie eingestehen.

Ich stampfte neben Angel den Flur entlang, zum Essraum. Mir stand noch ein wunderbarer Abend mit Spülwasser und Lappen bevor, meine Stimmung sank unterirdisch. Im Aufenthaltsraum bogen wir in eine offene Schiebetür ein, die in einem großen Raum mündete. Offenbar das Esszimmer, denn überall auf den kleinen Gruppentischen standen Besteck und Teller. Angel war mit dem Verteilen der Wasserkrüge beschäftigt, als wir ankamen. "Hey, Angel." Sie sah auf und nickte uns nur zu. Die meisten Mitschüler saßen auf ihren Stühlen und redeten ununterbrochen. Wir setzten uns an irgendeinen Tisch und schwiegen. "Möchtest du jetzt reden?" fragte Diana nicht mehr ganz so grob. "Nein, wirklich... Es ist nichts." Doch sie schien ihre Neugierde nicht unter Kontrolle zu haben: "Wessen Jacke war das? Was ist da draußen passiert? War es Steve? Oder Leon?" Bei Steves Namen zuckte ich leicht zusammen. Ich hatte ihn eiskalt abgewiesen und seitdem nicht mehr einen Gedanken an den armen Kerl verschwendet... Ein großer Klumpen Schuldgefühle machte sich in mir breit. Und Leon? Ach, was. Der doch nicht! "Nein." seufzte ich tief, "Es ist nichts." Diese verfluchte, himmlisch duftende Jacke wurde mir langsam zum Verhängnis. Zu meinem Glück fiel mein Blick auf einen breiten, riesigen Rücken, der aus der Menge hervorstach. "Beeen!?" rief ich, bevor Diana auf die Idee kommen könnte, mir noch unangenehmere Fragen zu stellen. Er drehte sich um. "Hey... Ich wollte fragen, ob du mit mir die Gruppe tauschst. Wegen Angel. Bitte!" Ich klimperte lächelnd mit den Wimpern, obwohl mir danach nicht wirklich der Sinn war, und er brummte: "Na gut... Welche Gruppe?" "Vierte. Danke, Ben!" Wenigstens ein Problem gelöst. Langsam fragte ich mich, warum ich überhaupt so schlecht drauf war. Okay, der abgewürgte Kuss, aber schließlich hatte das auch einen ganz pragmatischen Grund: Keiner sollte sich Sorgen machen oder Verdacht schöpfen. Andererseits hätte er es laut aussprechen können, was ihn bedrückte. Und damit war ich zu 100% sicher: etwas war mit ihm los, spukte in seinen Gedanken. Ich sollte mit ihm sprech- "-SKY!" Ich zuckte zusammen. "Was ist denn?" fragte ich reflexartig und sah Angel wütend an. Ich durfte nicht wütend sein, ich hatte keinen Grund dazu, erinnerte ich mich und gab mit innerlich eine ordentliche Schelle. "Ich habe dich dreimal gefragt, ob dir nicht gut ist. Du bist so abwesend und puterrot im Gesicht." sagte sie besorgt und ich erkannte die leise Vorahnung in ihrem Blick. "Du hast Recht." gab ich zu, wusste dabei, dass Angel den kleinen Wink verstehen würde. "Ich gehe mal mit dir raus." Diana nickte leicht: "Ich sage Herrn Bauer Bescheid." "Danke." Inzwischen mussten wir uns durch die schmalen Gänge zwischen den Esstischen zwängen, um zum Ausgang zu gelangen. Angel flüsterte leise: "Wieder wegen ihm?" Angesäuert nickte ich und zog sie weiter hinaus in den Aufenthaltsraum. Er war dunkel und leer, lediglich eine kleine Lampe spendete flackerndes Licht. "Wir haben uns geküsst, draußen..." "Das ist doch super!" unterbrach sie mich begeistert. "Ich habe doch noch gar nicht fertig erzählt!" Meine Stimme wurde immer unruhiger, spürte im Hals einen fetten Klos. "Also..." forderte sie mich sanft auf, weiter zu sprechen. "Er hat den Kuss abgebrochen und sich so komisch verhalten. Was hab ich denn falsch gemacht?!" Irgendwo machte mein eingeschränkter Rest Verstand gerade eine Notiz: "Bitte nicht so hysterisch!" Arme Angel, stellte ich wenig später fest. "Hast du in irgendeiner Weise mal überlegt, dass er eine Freundin haben könnte?" Spätestens bei dem Wort "Freundin" klingelten bei mir sämtliche Alarmglocken. Warum hatte ich nicht daran gedacht!? Vielleicht war die Antwort simpel wie niederschmetternd: Ich war blind.
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„Hast du?“ Pause. „Nein, natürlich nicht!“ platzte es aus mir heraus. Ich war lauter als beabsichtigt, doch der Lärm aus dem Essensraum gewährte etwas Schutz. Mir war speiübel und konnte mitverfolgen, wie die Galle meinen Hals hinauf kroch. Ich wankte, stolperte in meiner Hast über Angels Füße und fiel der Länge nach hin. Dann erbrach ich mich auf den Boden. Angel war in einem Moment bei mir. „Hast du dir wehgetan?“ fragte sie und suchte mit den Augen hektisch den Raum nach einem Tuch ab. Als sie keins fand, sagte sie: „Einen Augenblick!“ und rannte in Richtung Essensraum. Ich bekam in dem Halbdunkel mit, wie eine große Gestalt auf mich zukam, hinter ihr noch Angel und eine dritte Person, ebenfalls groß. Ich erkannte an der Stimme, dass es Herr Bauer sein musste. Sie umringten mich und mir wurde ein Taschentuch gereicht. Jemand half mir auf, ich lehnte an einer Wand. Zu viele Stimmen, dachte ich, zu laut. Aber ein sanftes, beruhigendes Gemurmel ließ mich im Schlaf versinken.






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