Juliana - Teil 5

Autor: lucy-josephin
veröffentlicht am: 09.04.2012


24.12

Heute war der Ball. Und Weihnachten. Ich hatte in den Ferien Zeit bekommen, mir Klamotten und ein Kleid für den Ball zu besorgen. Das Kleid war dunkeltürkis, knielang, hatte einen Ziergürtel mit einer lila Blüte und war schweineteuer.
Gestern mussten wir den Weihnachtsbaum schmücken, den Frau Tiegel hat aufstellen lassen. Ich saß mit Dörte in meinem Zimmer und sie steckte mir meine krausen Haare hoch. Ich schaute in den Spiegel vor mir. Ich hatte schwarze Ballerinas an und war leicht geschminkt. Dörte stand hinter mir und war ganz aufgeregt. Sven hat sie gefragt, ob sie mit ihm auf den Ball geht. Daraufhin wurde Dörte rot und sagte mit einem verlegenen Lächeln ja. Ich ging natürlich mit Ray auf den Ball. Christina hatte freie Auswahl und hat sich für Jannis entschieden. Selbstverständlich war Felix total beleidigt und hat aus Protest Fifi gefragt. Es ging also alles wieder drunter und drüber. Dörte und ich übten Walzertanzen und stiegen uns so oft auf die Füße, dass wir bald nicht mehr konnten und uns lachend auf die Betten schmissen.
Ich schaute auf die Uhr. Halb Sieben. Wir gingen runter. Unten stand der leuchtende Weihnachtsbaum, die Schüler aus dem Internat, die nicht zu ihren Eltern fuhren, standen schon in einem Kreis um ihn herum. Ich schaute mich um und suchte Ray, aber Dörte zog mich mit zu Sven. Dann sangen wir Lieder wie >Oh, du fröhliche< oder >O Tannenbaum<. Die Stimmen klangen sehr zaghaft in diesem riesigen Raum. Frau Tiegel sprach noch ein paar Gebete, das Krippenspiel fing an. Ein paar Schüler aus der Unterstufe hatten es eingeübt. Nach einer halben Stunde war das Stück vorbei und der Ball fing an.
Ich setzte mich auf einen Stuhl. Die Tanzfläche war leer und niemand traute sich, etwas zu machen. Ich hörte eine Stimme. „Darf ich um diesen Tanz bitten?“ Ich musste lächeln bevor ich sah, wer mich fragte. Ray in einem Ausgehanzug sah zum Schießen aus. „Sehe ich so amüsant aus?“ hakte er beleidigt nach. „Ich finde schon.“ kicherte ich und gab ihm einen Kuss. „Aber du siehst bezaubern aus.“ meinte er und zog mich hoch auf die Tanzfläche. Aus den Boxen trällerte irgendein Menuett von Johann Sebastian Bach. Als ich und Ray aufstanden, gingen auch Dörte mit Sven auf den leeren Fleck zu. Langsam kam ein bisschen Bewegung in das ganze Bild. Ich und Ray fingen als Erste an zu tanzen. Mir war zwar mulmig zu mute, aber irgendwann vergaß ich die Anderen um mich herum und ich fühlte mich, als wäre ich mit Ray allein.
Langsam wurde es zu voll für uns und wir entfernten uns von den Tanzenden. Wir gingen in die Kälte hinaus und eilten zur Trauerweide. Ray legte mir sein schwarzes Jackett um die Schultern. Ich schob die Äste zur Seite und setzte mich auf die Bank. Ray setzte sich neben mich und ich kuschelte mich an ihn. Er schwieg. „Was ist los?“ fragte ich ihn. „Du.“ sagte er nur und sah mich an. „Wie?“ „Du bist hier.“ „Soll ich jetzt gehen?“ „Nein. Ich will doch, dass du da bleibst.“ sagte er in Gedanken versunken. „Über was grübelst du?“ „Drüber, wie es weitergeht. Mit uns, natürlich.“ „So wie immer:“ flutschte mir über die Lippen „Ich küsse dich und du mich.“ Er lächelte mich an. Ich gab ihm einen Kuss und er erwiderte ihn. Die Trauerweide erweckte den Anschein, als wären wir in einem Raum. Ganz allein. Die Sterne über uns, die wir durch das Dickicht erkannten, leuchteten. Der Teich lag still da. Die Welt war nicht heil, aber für diesen einen Moment schon.





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