Die Bestimmung - Flucht

Autor: lucy-josephin
veröffentlicht am: 26.03.2012


Ich schließe meine Augen. Das Ganze spielt sich immer wieder ab: Er springt. Vor meinen Augen. Ins Nichts. Für mich. Meine Gedanken setzen aus und ich erstarre. Der Dolch in meiner Hand fällt klappernd zu Boden und ich nehme nichts mehr wahr. Wie eine Walze überrollt mich die Erkenntnis, dass er... Und dass ich ihn nie wieder sehen werde.
Vielleicht wäre es nicht so gekommen, wenn..., ja was, wenn?

Ich stand auf. Das Feuer war in der Nacht herunter gebrannt und nur noch schwarze Kohle war in dem Steinkreis zu erkennen. Hastig packte ich meine Sachen und nahm den Bogen in die Hand. Ich müsste heute ungefähr das doppelte hinter mich legen, wenn ich es schaffen wollte. Meine Vorrat an Pfeilen, Brot und Wasser ging zur Neige und ich würde erst in drei Tagen in der Stadt Jourell ankommen. In Jourell müsste ich mich zwar verstecken, aber ohne Lebensmittel wäre ich auch so schnell tot. Ich hängte mir den Bogen um und lief los. Seit Tagen war ich auf der Flucht vor den Häschern des Prinzen. Er wollte mich töten, meine Eltern ließ er auch ermorden... Wenn ich einmal aus dem Weg geräumt war, wäre es ihm ein Leichtes den Thron meines Vaters zu besteigen, aber ich könnte das nicht zulassen. Emian würde sein Königreich unterdrücken und ausbeuten, er war so skrupellos, dass er seine eigene Familie töten konnte. Also wäre ihm das genauso egal. Ja, ich schämte mich beinahe, seine Schwester zu sein und nur zugesehen zu haben, wie mein jüngerer Bruder mit dem Hass seines Lehrers aufgewachsen war. Diesem Lehrer, Sasoban, hatten wir diese Situation zu verdanken. Er bläute ihm ein, dass das Reich mit harter Hand geführt werden müsse und das es nicht Rechtens ist, wenn ich einmal regiere. Nur ein richtiger König sollte dieses Land besitzen, kein Mädchen, das ja so dumm ist. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich ein lautes Knacken hörte. Mein Kopf drehte sich ruckartig in alle Richtungen, sodass mir meine kastanienbraunen Locken ins Gesicht fielen. Ich blies sie davon und erkannte so einen winzigen Zipfel eines Gewandes. Langsam ging ich darauf zu, die Idee, dass es ein Häscher war, kam mir garnicht, denn er hätte sich nicht versteckt. Mit angelegtem Pfeil schnellte ich um den Baum, hinter dem sich der Ungebetene verbarg, zielte auf die Person. Zu meiner Überraschung war es ein junges Mädchen, etwas kleiner und dürrer. Ihr schmales, kindliches Gesicht wurde blass und sie zitterte. Sofort legte ich meinen Bogen zur Seite und musterte sie schlicht. Sie war verdreckt und an ihren Händen klebte roter Beerensaft, außerdem waren ihr Haare zerzaust. Womöglich hatte sie sich verlaufen und müsste eine Nacht im Wald verbringen. Nur ihre Augen passten nicht in dieses Bild... "Was machst du hier, Mädchen?" fragte ich sie sanft. Sie zögerte, dann sprach sie jedoch mit dem Akzent der Jourellner: "Ich hab mich verlaufen. Wir sind auf dem Weg nach Gors gewesen, als die Nacht hereinbrach und wir hinterrücks überfallen wurden. Ich wurde panisch und lief davon." Die Vögel zwitscherten fröhlich im Sommerwind, doch ich legte keinen Wert darauf, nicht wie so oft davor. "Wo wohnst du, in Jourell, stimmt's?" Sie nickte zaghaft. "Ich bring dich hin." beschloss ich und ging ein größeres Risiko für mich und sie ein. Aber allein im Wald würde sie auch nicht länger überleben.

Sie war unproblematisch. Sie schwieg und ich schwieg und hin und wieder sagten wir uns gute Nacht und guten Morgen, Bedankten uns. Ich brachte ihr das Bogenschießen bei und sie erklärte mir im Gegenzug die essbaren Kräuter, Gräser, Blumen und Beeren. Ich verriet ihr nicht meinen echten Namen, sie jedoch schon. Magdalena, oder einfach Lena und ich war für sie eh nur Wuschelkopf oder Verona. In den drei Tagen nach Jourell freundeten wir uns an, obwohl wir nicht über Vergangenes oder Persönliches redeten. Lena blühte auf in der Natur und als wir dann eines Abends unter dem sternenklaren Nachthimmel lagen keine 500 Meter von der Stadtmauer entfernt fragte sie. "Wuschelkopf, vor was fürchtest du?" Ertappt, dachte ich. "Vor nichts Gutem." Sie stützte ihren Kopf auf meine Schulter und meinte nur: "Du sagst nie etwas." Ich wurde immer anwesender: "Das ist zu gefährlich! Es würde dir den Kopf nicht kosten oder dir einige Schmerzen ersparen, wenn du nicht fragst." Lena blieb nun stumm. Fast unhörbar murmelte sie: "Prinzessin." Ich biss mir auf die Lippe, Emian hatte bestimmt einen Preis auf meinen Kopf ausgesetzt und überall hingen Plakate mit meinem Gesicht darauf. Ich konnte mich nicht in der Stadt blicken lassen... Ich fiel in einen unruhigen Schlaf, während Magdalena neben mir von meiner Schulter glitt und sich auf den Blättern des Waldboden zusammen rollte.





Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz