Seelenleser - Teil 2

Autor: Anna :)
veröffentlicht am: 12.12.2011


Danke für eure Verbesserungen und Kommentare.
@Kitty: Haha, ja Ende 20 ist echt hart an der Grenze, ich werd drauf achten ;)
Ja klar hab ich Komplexe May, hat doch jeder mal. Ohne wär das Leben doch langweilig^^

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Als Moira in ihre Wohnung trat, wurde sie euphorisch von ihrem Freund Thomas empfangen. „Schatz! Rate einmal, welcher Klient mir heute zugesagt hat!“
Moira hasste es, wenn er sie Schatz nannte, und sie hasste es ebenfalls, wenn er Aioli gegessen hatte und ihr dann seinen Atem ins Gesicht hauchte. Thomas Hövel, in Holland geboren, stolperte gelegentlich über seine eigenen Füße oder vergaß seine Aktentasche im Bus. Er konnte sich bis zu diesem Tag nicht erklären, wie er an eine Frau wie Moira geraten war, die sich so von allen anderen Frauen unterschied und etwas ganz Besonderes war. Dabei war das ganz einfach zu erklären: Thomas war Anwalt und trotz seiner manchmal unverzeihlichen Tollpatschigkeit verdiente er in seiner Agentur eine Menge Geld. Moira war nicht so gemein, nur wegen des Geldes mit ihm zusammenzuleben. Sie sah das eher als Zweckgemeinschaft. Immerhin trug sie durch ihren Job auch etwas zur Miete bei und Thomas hatte das Gefühl, geliebt zu werden. Zwar fiel ihm nicht auf, dass Moira ihn eher als guten Freund sah, doch ihre leicht paranoide Neigung hatte er bis jetzt auch nicht bemerkt und die beiden lebten schon seit drei Jahren zusammen. An das „Schatz“ hatte sich Moira allerdings noch nicht gewöhnt und würde es wahrscheinlich auch nie.
„Nein, sag’s mir.“
Sie lies ihre Tasche auf die Ledercouch fallen und zog die Jacke aus.
„Mrs. Blair, die steinreiche alte Dame, von der ich dir erzählt habe!“, fuhr Thomas begeistert fort. Moira dachte nach. Oh ja, da war einmal eine kleine, weißhaarige Frau gewesen, von der Thomas so geschwärmt hatte. (Oder von ihrer Geldbörse?). Sie wurde beschuldigt, ihren ebenfalls schwerreichen Ehemann umgebracht zu haben um an den Nachlass zu gelangen. Insgeheim glaubte Moira nicht an die Unschuld der alten Frau. Sie erinnerte sie zu sehr an die hinterlistige Claire Zachanassian, einer Figur aus Dürrematts Buch „Der Besuch der alten Dame“, in dem besagte alte Frau einem verarmten Dorf eine Milliarde Dollar verspricht, wenn die Leute einen Mitbewohner- Claires Mann- umbringen. Im Buch war der Grund eine verleugnete Vaterschaft, bei Mrs. Blair war alles noch unklar. Bis vor Kurzem hatte sich die alte Dame geweigert, mit einem Anwalt in Verbindung zu treten, doch jetzt kam ihr Thomas wohl gerade recht, wo die Situation schon nach einem Juristen schrie.
Moira versuchte, wenigstens etwas Freude vorzutäuschen. Sie war zu aufgewühlt über die Begegnung mit dem seltsamen Fremden, um echte Begeisterung zu empfinden. Abgesehen davon interessierten sie Thomas Fälle nicht im Geringsten.
„Wie schön für dich.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln.
Thomas nickte eifrig wie ein kleiner Junge, der von seiner Mutter ein „Hast du fein gemacht“ bekommen hatte. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck wie er es manchmal tat und sein Blick wanderte an Moiras Körper entlang.
„Ich mag das Kleid, was du heute anhast“, sagte er und trat näher.
Oh nein bitte nicht, dachte Moira. Sie wusste was jetzt folgen würde und angesichts des üppigen Knoblauchbrotmahls, welches wahrscheinlich noch auf dem Weg in Thomas Magen war, hatte sie darauf nicht wirklich Lust.
Er trat auf sie zu und strich ihr durch die braunen gelockten Haare. In solchen Momenten der Euphorie wurde er immer sehr sentimental und machte ihr irgendwelche Komplimente.
„Und ich liebe dein Haar. Es ist so sanft und weich wie Wolle…“
Moira musste an sich halten. Einerseits wollte sie den Kopf möglichst so neigen, dass der Knoblauchatem an ihr vorbeizog. Und andererseits lachte ein Teil in ihr über diesen misslungenen Vergleich. Thomas Versuche, gefühlvoll zu sein waren ungefähr so erfolgreich wie der Versuch, eine schlankmachende Schokolade herzustellen.
„Und deine Augen strahlen immer so herrlich, wenn…“
Das Lachen, welches sich in ihrem Bauch zusammen gestaut hatte, machte sich jetzt lautstark Luft. Moira konnte nicht mehr an sich halten. Es sah einfach zu komisch aus, wie Thomas, der fast zwei Meter große, schlaksige, hundeäugige Thomas, sie mit gefühlsdusseligen Sentimentalitäten überschüttete. Moira wand sich sanft aus seinen Armen, gab ihm lachend einen Kuss auf die Wange und verschwand im Badezimmer.

Moira Saint Claire wurde einmal als neunjähriges Mädchen auf einer Gartenparty versehentlich im Keller der feiernden Nachbarn eingesperrt. Sie war, damals noch recht vorwitzig, dem Nachbarssohn unbemerkt hinunter zu den Vorräten gefolgt. Er hatte dort einige Kisten Cola gelagert, denn die Temperatur im Keller betrug sogar im Sommer niedrige 12°C, das perfekte Klima um Getränke kühl zu legen.
Doch irgendwie verirrte sich Moira in den zahlreichen Gängen und kleinen staubigen Zimmern. Der Nachbarssohn hatte sie sowieso nicht bemerkt und deswegen dauerte es ganze dreieinhalb Stunden, bis man Moira völlig verängstigt in der Ecke des Abstellraumes fand. Ihre Lippen waren von der stetigen Kälte bereits blau angelaufen und in der völligen Dunkelheit hatte das Mädchen nicht bemerkt, dass sie vor lauter Angst in den hintersten Bereich des Kellers gelaufen war. Von den Geräuschen der scharrenden Ratten und dem gelegentlich abbröckelnden Gestein steigerte sich ihre Angst vor der Finsternis mit jeder Minute.
Die Fantasie eines neunjährigen Mädchens kann ihm vieles vortäuschen. Moira hatte sich die gesamten drei Stunden nicht von der Stelle getraut und wurde dann mit tränenüberströmten Gesicht von ihren Eltern gefunden.
Seit diesem Vorfall vor nun ungefähr zwanzig Jahren waren ihre Ängste stetig gestiegen. Wenn sie abends durch die Straßen ging- enge Gassen vermied sie- hatte sie immer das dumpfe Gefühl, beobachtet zu werden. Wäre sie deswegen zu einem Arzt gegangen, so hätte er bestimmt eine Nyktophobie- die Angst vor der Dunkelheit und dem darin Verborgenen- festgestellt.

Es war Samstagvormittag und Moira wusste nicht genau, warum ihre Beine sie zielsicher zu der Wallmartfilliale gegenüber ihres Lieblingscafès trugen. Vielleicht war es nur Neugierde, aber vielleicht glaubte ein Teil in ihr dem Fremden von Vortag. Jedenfalls stand sie um elf Uhr achtundfünfzig mitten in einem Spülmittelgang und wusste nicht mehr weiter.
„Verzeihung, brauchen Sie Hilfe?“
Moira wandte sich um und blickte in das höflich lächelnde Gesicht einer untersetzten, pausbäckigen Blondine, die zu jung für ihr Alter aussah. Moira musterte das Namensschild an der Brust und entschied sich dann.
„Ja…Sandy“, entgegnete sie und blickte sich einmal zu allen Seiten um. „Das können Sie. Und zwar würde ich gerne wissen, ob hier bis vor Kurzem eine gewisse Maria De Lima gearbeitet hat.“ Was mache ich hier eigentlich?, ging es ihr durch den Kopf. Diese Frau, diesen Namen gibt es höchstwahrscheinlich gar nicht. Moira wollte sich schon mit einer Entschuldigung abwenden, da entgegnete Sandy Freeman mit ernstem Gesichtsausdruck: „Warum wollen Sie das Wissen?“
„Ich bin ihre Cousine Lisbeth aus London und wollte sie für ein paar Tage besuchen kommen“, log Moira ohne mit der Wimper zu zucken. Entweder war Sandy Freeman stumpfsinnig und naiv oder schlichtweg dumm, um auf eine solch schlechte Lüge einzugehen. Jedenfalls hellte sich ihr mädchenhaftes Gesicht schlagartig auf.
„Oh, ich wusste gar nicht, dass Maria eine Cousine hat. Ja, ja sie hat hier gearbeitet, wurde aber leider letzte Woche entlassen.“ Sie beugte sich vor und sagte gedämpft: „Sie als Verwandte wissen bestimmt den wahren Grund, aber hier geht das Gerücht um, dass Maria von ihrem Mann geschlagen wurde…“
Kein Verlangen nach einem Ausweis, kein Nachhacken. Abgesehen von der Verwunderung Moiras über so viel Naivität und Blauäugigkeit jagte ihr auch ein Schauer nach dem anderen über den Rücken. Maria De Lima gab es also, sie war keine Fantasiefigur und sie hatte hier gearbeitet. Allein die Tatsache, dass dieser Teil der Geschichte Aidan Adams stimmte, machte ihr Sorgen. Dass er den Namen der Brasilianerin gekannt hatte, war nichts Erstaunliches. Heutzutage konnte man den Namen einer Person in einem einzigen Internetbesuch über soziale Netzwerke und Suchmaschinen herausbekommen. Doch wie hatte er von Marias Mann wissen können? Und dass hier bis vor Kurzem ihr Arbeitsplatz gewesen war?
„Vielen Dank für Ihre Hilfe“, sagte Moira mechanisch und bevor Sandy Freeman etwas erwidern konnte, drehte sie sich um und verließ den Walmart.
Draußen auf der Straße blendete sie für einen Moment die morgendliche Sonne, die total im Kontrast zu dem schmutzig- gelben Supermarktleuchten stand. Moira verspürte das Bedürfnis, sich irgendwo in eine Einfahrt zu setzen und zu heulen. Aber dazu kam es nicht und bevor sie Sandys Worte weiter verarbeiten konnte, hörte sie eine melodische Stimme- „Guten Morgen, Moira“- hinter sich. Sie drehte sich hastig um und sah den Fremden vom Vortag- Aidan Adams- vor sich.







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