Seelenleser

Autor: Anna :)
veröffentlicht am: 06.12.2011


Hey Leute,
das mit meiner alten Geschichte war total mies und ich möchte mich auch nochmal entschuldigen :/ war blöd was ich gemacht habe aber ich hoffe, ihr seid nicht zu nachtragend :) Tut mir echt leid!

Also und jetzt ist mir tatsächlich wieder eine Idee im Kopf herumgeschwirrt, die ich dann auch sofort zu Papier gebracht habe :P mir ist schon wieder kein anderer Titel eingefallen^^ aber ich hoffe mal, der ist jetzt nicht so schlecht ;) viel spaß beim lesen. LG Anna
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Das erste Mal begegnete sie dem Mann in ihrem Lieblingscafé im Zentrum von Brooklyn. Eigentlich begegnete sie ihm nicht direkt, sondern bemerkte ihn über den Rand ihrer Zeitung hinaus. Oder besser gesagt, sie bemerkte, dass er sie beobachtete. Er saß einige Tische weiter weg, mit dem Gesicht zu ihr. Das Café war sehr geschmackvoll und modern eingerichtet, mit dunklen Möbeln, einer schwarz polierten Theke und kleinen viereckigen Tischen mit passenden Stühlen. Sie war hier seit mehr als fünf Jahren Stammgast und trank, wenn sie kam, immer einen Kaffee.
Aber heute war alles anders, denn er war da und beobachtete sie. Ein mulmiges Gefühl beschlich sie, begleitet von Entrüstung.
Er saß schon länger als sie an seinem Tisch, allein, mit einem Glas Cappuccino in der rechten Hand. Und beobachtete sie. Nicht unauffällig und diskret, nein, mit unverhohlener Neugier in den kohlrabenschwarzen Augen und einem leichten Lächeln, das um seine Lippen spielte.
Sie lugte dezent über den Rand ihrer Zeitung hinweg. Ein Schauer durchfuhr sie, als seine Augen direkt den ihren begegneten. Schnell zog sie den Kopf wieder zurück und wünschte sich in diesem Moment zwei Löcher auf Augenhöhe in der Zeitung. Sollte sie vielleicht aufstehen und gehen? Nein, das war zu gefährlich. Sie hatte zwar nur einen kurzen Fußweg nach Hause, doch es wurde langsam dunkel draußen und ihre allzu intensive Vorstellungskraft würde sie überall Verfolger sehen lassen. Na ja, vielleicht waren ihre Bedenken ja gar nicht so unbegründet, denn von einem wildfremden Mann beobachtet zu werden, war nun mal nicht das Alltäglichste und Ungefährlichste, was ihr passierte.
Der Mann setzte das mittlerweile leere Cappuccionoglas ab und stellte es auf den Tisch. Dann tat er das, was sie die ganze Zeit schon befürchtet und verdrängt hatte. Er stand auf und ging zielstrebig und doch mit eleganten Bewegungen auf sie zu.
Sie hob die Zeitung noch ein Stückchen höher und merkte, wie die Temperatur ihres Kopfes Ausmaße wie in einem Hochofen annahm.
Drei Schritte entfernt… O Gott, war er vielleicht ein Psychopath? Oder anderweitig geisteskrank? Sie duckte sich hinter der Zeitschrift, dessen Buchstaben, Wörter und Sätze keinen Sinn mehr ergaben. Als er noch zwei Schritte entfernt war, spannte sich alles in ihr an, sie war bereit, notfalls aufzuspringen und die Dose Pfefferspray aus ihrer Handtasche zu ziehen, welche sie immer dabei hatte. Oder plötzlich auf die Toilette rennen? Aber bevor sich noch die letzte Faser ihres Körpers anspannen konnte, stand er schon vor ihr. Das Abbild der Eleganz; eine Hand lässig in der Tasche seines modischen Herrenmantels versunken, das dunkelbraune Haar zu einer feschen Frisur gekämmt und einen so selbstsicheren Blick zur Schau tragend, wie ihn Edison gehabt haben musste, als er den Leuten seine Wechselstromexperimente vorgeführt hatte.
„Sag mir deinen Namen, und ich sage dir wer du bist.“
Der Satz klang aus seinem Mund wie das wunderschönste Kompliment. Sie merkte sofort die Weichheit in seiner Stimme und die Begabung, mit Worten umzugehen. Doch die Bedeutung des Satzes war nun wirklich ziemlich weit von einem Kompliment entfernt.
Sie legte mit zitternder Hand die Zeitung auf den Tisch und sah den Mann misstrauisch an. Er schien wie sie Ende Zwanzig zu sein, vielleicht auch älter und sah weder aus wie ein Psychopath noch verhielt er sich so. Trotzdem weigerte sie sich, die sämtlichen angespannten Fasern in ihrem Körper zu entspannen. Heutzutage wusste man ja nie…
„Wie bitte?“, hatte sie sagen wollen, aber dadurch dass sie die ganze Zeit nichts gesagt hatte und ihre Kehle wie zugeschnürt war, klang es eher wie „Wi-tte?“
Der junge Mann lies sich von diesem seltsamen Froschlaut, der durch ihre vor Misstrauen verengten Augen noch bestärkt wurde, nicht beirren.
„Du hast doch einen Namen, oder?“, erklang die Dichter- Stimme wieder, begleitet von einem Grinsen, das keinen Zweifel an der Ironie in seiner Frage lies.
Dass er sie duzte, fiel ihr gar nicht auf. Sie war nicht gerade ein Mensch, der auf Förmlichkeiten und Höflichkeit pochte. Sie war zwar ordentlich und pünktlich, aber nicht so konservativ eingestellt. Was sie in diesem Moment -der für die vielen Gedanken die ihr durch den Kopf gingen, viel zu kurz war- wirklich beschäftigte, war das offensichtliche Interesse des jungen Mannes an ihrem Namen. Sie sah kurz zu dem Kellner mittleren Alters hinüber, einem potentiellen Retter, falls eine Unterhaltung eskalieren sollte. Manchmal ging ihr durch den Kopf, dass sie vielleicht leicht paranoid war. Aber eigentlich waren ihre Ängste doch verständlich…
„Moira“, sagte eine fremde weibliche Stimme. „Ich heiße Moira.“
Moment mal…ich? Dann bemerkte sie, dass es ihre Stimme gewesen war, die den jungen Mann zu einem wirklich beeindruckenden Wortschwall animierte.
„Moira… Moira“, wiederholte er wie ein nachdenklicher Poet. „Moira Saint Claire, Direktrice in einer kleinen Abteilung bei IBM, neunundzwanzig Jahre alt, ist auf einem guten Weg zu einer paranoiden Schizophrenie.“
Ganz über den letzten Satz und seine Folgen im Klaren, nahm der junge Mann mit einem zufriedenen Grinsen seine Hand aus der Tasche und setzte sich neben Moira auf einen Stuhl. Diese musste sich vorerst entscheiden, ob sein Wissen über sie eher imposant oder beängstigend war. Sie räusperte sich uns brachte durch etwas Stuhlrücken ein wenig Abstand zwischen sich und den Fremden.
„Woher wissen Sie das?“, fragte sie, und wunderte sich, dass ihre Stimme gefasster klang, als erwartet. „Sind Sie ein Stalker?“
Der junge Mann lachte, und jede Frau hätte Moira angesichts ihrer abweisenden Haltung für verrückt erklärt. Einige der relativ jungen Damen im Café warfen ihm sogar kurz verstohlene Blicke zu, nur um dann enttäuscht festzustellen, dass sein Interesse einer anderen galt.
Aber Moira war nun mal nicht jede andere Frau und sie war immer noch nicht bereit, die verkrampfte Hand um das Pfefferspray zu lockern.
„Nein, Moira, ich bin kein Stalker. Ich bin ein Seelenleser. Ein hübscher Name, nicht? Den habe ich mir selbst ausgedacht.“
Irgendwelche Synapsen in Moiras Gehirn fanden in diesem Moment wohl zueinander, verknüpften sich und trugen zu höherem Denkvermögen bei. Denn auf einmal wurde ihr klar, dass dieser Mann verrückt sein musste. Eine andere Erklärung gab es nicht für dieses unheimliche Auftreten. Auch wenn er vielleicht nicht aussah wie einer, Moira konnte sich gut vorstellen, dass unter dem schicken Herrenmantel die Zwangsjacke eines Psychopathen verborgen lag.
„Ich bin nicht paranoid!“, sagte sie tonlos, als hätte sie seine Antwort überhört. „Und ich kenne Sie nicht. Lassen Sie mich in Ruhe.“ Wäre die Pfefferspraydose nicht aus Metall gewesen, sie wäre in ihrer Hand zerdrückt worden wie eine Klopapierrolle.
Gleich zieht er ein Messer und bringt mich um, ging ihr durch den Kopf.
Doch der junge Mann lachte nur erneut.
„Ach nein, bist du das nicht?“, sagte er und dasselbe Lächeln, mit dem er sie vorher beobachtet hatte, umspielte seine Lippen. „Hast du nicht gerade daran gedacht, dass ich ein wahnsinniger Mörder und Psychopath sein könnte? Und hältst du in deiner Tasche nicht krampfhaft eine Dose Pfefferspray fest? Unhöflich möchte ich auf keinen Fall sein. Ich heiße Aidan Adams und bin, wie gesagt, ein Seelenleser.“
In diesem Moment geschahen bei Moira zwei Dinge gleichzeitig. Zum einen lockerte sich der Griff um das Spray so plötzlich, dass es mit einem Dumpfen Geräusch der Schwerkraft folgend zum tiefsten Punkt der Tasche fiel und somit für immer ihren verkrampften Händen entschwand. Außerdem verstand sie, dass der Fremde soeben ihre intimsten Gedanken wiedergegeben hatte und sie begriff die eigentliche Unmöglichkeit dieser Tat. Entweder sie war einer schlechten Fernsehsendung ins Visier geraten und gleich würde ein Kameramann hinter der Theke hervorspringen, oder- und das war weitaus beängstigender- sie hatte es tatsächlich mit einem wahnsinnigen Stalker zu tun. Trotz dieser Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, bahnte sich ein Wort den Weg durchs Gehirn auf ihre Lippen.
„Seelenleser?“
Ein irrationales Wort, das in der heutigen Gesellschaft für Lacher seitens der politisch Korrekten geführt hätte. Nur einer der von allen guten Geistern verlassen war, konnte sich so ein Wort ausdenken.
Doch der Fremde, der den seltenen und seltsamen Namen Aidan Adams hatte, war sich keiner Schuld bewusst und nickte selbstsicher.
„Ich kann es dir auch demonstrieren. Siehst du die ältere Frau mit den schwarzen Haaren dort drüben?“
Obwohl Moira, wenn sie sich umdrehte, den Mann nicht mehr im Blick haben würde, und es auch eine billige Ablenkung sein konnte, bewegte sie langsam den Kopf in die gezeigte Richtung. Dort, an einem Ecktisch mit einer dampfenden Tasse Kaffee vor sich saß eine Frau, die älter aussah, als sie war. Die schwarzen Locken glänzten vor Vitalität, doch die Augenringe und der müde Gesichtsausdruck erzählten eine andere Geschichte. Hätte Moira geahnt, dass Aidan Adams im Begriff war, ihr diese Geschichte zu erzählen, wäre sie wahrscheinlich aufgesprungen und raus gerannt.
Er musterte die ältere Frau, die eigentlich wohlgenährt aussah, und sagte: „Sie heißt Maria de Lima, ist siebenundfünfzig Jahre alt und arbeitet seit neunzehn Jahren beim Wall- Mart gegenüber.“
„Oh ja natürlich“, entgegnete Moira, nicht im Mindesten beeindruckt. Da waren ja die Zaubertricks des schlechtesten Amateurs besser.
Aidan Adams fuhr unbeeindruckt von ihrer sarkastischen Bemerkung fort.
„Sie wurde jahrelang von ihrem Mann misshandelt und hat sich vor Kurzem von ihm getrennt. Seitdem bekommt sie ständig wütende Anrufe und Sms von ihm. Sie musste ihre Nummer ändern. Vor zwei Tagen wurde ihr wegen zu schwerwiegenden und im Beruf hinderlichen persönlichen Angelegenheiten gekündigt.“
Moira schnappte nach Luft und beinahe wäre ihr „die Arme!“, herausgerutscht. Doch rechzeitig erinnerte sie sich an die Möglichkeit der Hochstapelei. Es war bemerkenswert, dass ihr der junge Mann ohne mit der Wimper zu zucken eine solche Lüge auftischen konnte.
Sie griff nach ihrer Tasche und stand auf. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie ihm zugehört hatte und so lange sitzen geblieben war. Anscheinend machte es Aidan Adams Spaß, sich über andere Menschen lustig zu machen. Moira war es gewohnt, wegen ihrer leichten (oder war es eine schwere?) Paranoia ausgelacht zu werden. Zwar kam es nicht oft vor, dass sie Menschen darauf ansprachen, aber für Moira waren die schiefen Blicke mancher Leute schon genug.
Sie würde sich garantiert nicht von diesem Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, zum Narren halten lassen.
„Sie sind doch verrückt!“, sagte Moira und sah ihn nicht einmal an, als sie an ihm vorbei zur Tür ging. „Wagen Sie es ja nicht, mich zu verfolgen, sonst schreie ich!“
Sie hörte nur noch sein angenehmes Lachen, als sie in die warme Nacht New Yorks hinaustrat.






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