Hey ho Life, hier bin ich <3 - Teil 3

Autor: Boom Shaka-Laka
veröffentlicht am: 06.12.2011


11. Oktober, Mi

Liebes Tagebuch,
es gibt viiiieeeel zu erzählen! Gestern Abend habe ich Jan wieder gesehen!! Und es war völlig ungeplant und unbeabsichtigt. Das muss ja dann wohl Schicksal sein! Schließlich wohnen in Berlin ja nur schlappe dreieinhalb Millionen Leute… Allerdings kann ich ihn noch nicht so richtig einordnen. Er ist irgendwie seltsam. Interessant auf jeden Fall auch. Erwähnte ich schon attraktiv? Hmmm. Ich weiß einiges über Männer, ich habe zwei redselige Schwestern und ich bin ja auch nicht gerade auf der Wurstpelle daher geschwommen. Männer reden im Allgemeinen nicht viel über sich und ihre Gefühle. Manche sind auch ganz besonders unkommunikativ im weitesten Sinne. Jan ist das eigentlich nicht, wie ich bis jetzt feststellen konnte. Er redet viel und hat immer eine Menge Zuhörer. Er hat viele enge Freunde und anscheinend auch Freundinnen. Aber mir gegenüber ist er irgendwie anders.
Bin ich nicht mal ein bisschen Smalltalk wert für ihn, oder was? Er ignoriert mich! Das ist doch ehrlich zum kotzen!
Aber wenn er dann mal was sagt, ist es immer irgendwie… okay. Er reißt keine dämlichen Witze und lacht dann hohl. Er gibt einem nicht das Gefühl, er würde gar nicht zuhören. Und trotzdem fühle ich mich irgendwie belanglos. Eine unter Hunderten!

Und so kam es dazu:
Toni und ich waren am gestrigen Dienstag in einem Café in der Nähe der Uni und haben dort nach einen Job gefragt. Sie hatten zwar gerade keinen Bedarf an schusseligen Studenten, aber einen Kaffee haben wir trotzdem getrunken. Es hätte mir gefallen dort zu arbeiten, war irgendwie eine coole Location. Knarrende Holzdielen, antike Tische mit geschwungenen Beinen und französische Bistro-Stühle aus schwarzem Metall. Man bekommt seinen Café Latte serviert in riesigen Tassen, wobei jedes ein Einzelstück ist und niemals zum Teller mit den Plätzchen oder Marzipan-Waffeln passt. Abends werden mit Schinken umwickelte geröstete Datteln und Kartoffelpuffer mit Frischkäse und Rucola-Pesto gereicht. Auf den breiten Fensterbänken gibt es Kissen und Decken, die zum verweilen einladen und die sanften Töne von Cat Stevens oder Yael Naim umschmeicheln dein Ohr.
Toni und ich fläzten uns draußen auf eine mit einer roten Decke bestückten Bank und genossen die herbstliche Sonne und das Farbenspiel der Blätter in den Straßenbäumen. Unzählige Menschen strömten durch die Straßen, erledigten Einkäufe, führten Hunde aus und eroberten in Grüppchen die Imbiss-Stände und Döner-Kebabs.
Da kommt doch nicht etwa Jan vorbei?! Mit seinem Mitbewohner Richard. Ich hab ja so gegrinst... hoffentlich ist es nicht so aufgefallen. Zufälle gibt’s, unglaublich. Ich hasse diesen Spruch eigentlich, aber manchmal stimmt es einfach.
Ich hatte nicht gemerkt, wie die beiden sich unserem Tisch näherten. Erst als Toni mir einen Ellenbogen in die Rippen stieß und auf die beiden Jungs deutete, bemerkte ich sie. Und wie gesagt, ich grinste.
Richard auch, Jan kein bisschen. Sie setzten sich uns gegenüber und Richard begrüßte uns mit einem lahmen „Hi!“, Jan mit einer Grimasse.
Jan trug eine weite, helle Jeans zu derben Boots, dazu ein kariertes Hemd, das unter dem dunkelblauen Pulli herausschaute. Seine Locken, um die ihn jedes Mädchen beneiden sollte, quollen wieder unter einem Cap hervor. Mr. Styler. Er wirkte aber irgendwie düster. Dunkle Ringe umgaben seine Augen und irgendwie sah er schlecht gelaunt aus. Die Schmetterlinge in meinem Bauch, als Jans Augen meine trafen, empfand ich umso mehr als frevelhaft. Okay, seine Augen waren schön, ein heller Braunton, wie Bernstein, aber für diesen heftigen Schmetterlings-Schwarm in meinem Bauch war das ja wohl nicht mal andeutungsweise gerechtfertigt. Es war zu früh und noch dazu viel zu einfach. Sooo leicht (eigentlich ja mit gar nichts!) durfte das Herz einer Frau einfach nicht erobert werden. Das musste verdient werden!
Also hüstelte ich leicht und zwang mich zu Contenance.
Das fiel mir dann auch nicht sehr schwer, denn ich wurde kaum beachtet. Die Unterhaltung drehte sich um Dinge, bei denen ich nicht mitreden konnte. Ich trommelte leise mit den Fingern auf den Tisch, trank ein paar Schlucke und durchsuchte meine Haarspitzen auf Spliss.
Nach ein paar Minuten Schweigen meinerseits fühlte ich mich sträflich missachtet. Jan hatte nicht mal mehr andeutungsweise in meine Richtung geblickt. Das war ja wohl furchtbar unhöflich, mich nicht mal nach meinem Wohlbefinden oder was auch immer zu fragen! Ich schmollte. Toni hatte mich anscheinend auch vergessen.
Nach ein paar weiteren Minuten, deren Sekunden mir vorkamen wie körperliche Schmerzen, beschloss ich der Runde meine Anwesenheit vorerst du entziehen und stand ruckartig auf, um rein zur Toilette zu schlurfen. Mal in den Spiegel gucken. Die Toilette war schwarz-weiß gefliest und über und über mit Stickern und Tags verunstaltet.
Man wusste ja nie nach so einem langen Tag. Ich hatte eigentlich ganz schöne Haare, und rote Wangen... die Berliner Luft schien gut zu sein! Bestärkt in meinem Selbstbewusstsein und überzeugt davon, dass ich durchaus ein paar würdigende Blicke verdient hätte, spazierte ich wieder nach draußen.
Und siehe da, es stand ein neuer Kaffee auf meinem Platz.

***

„Nanu, wer hat sich denn da erbarmt?“ Ich blicke interessiert, aber meine innere Genugtuung verbergend, zu Toni.
Er hebt seine Hände:
„Ich war nicht der selbstlose Spender.“
Ich wende mich also an den nächsten in der Runde, Jan.
Er zuckt nur unverbindlich mit den Schultern:
„Ich würde es nicht gerade als selbstlos bezeichnen, vielleicht eher als höflich?“
Ich lächele.
„Danke!“
„Lass es dir schmecken.“
Er erhebt seine Tasse, prostet mir zu und blickte mich dabei an. ‚Wow’, denke ich bei mir, ‚Er hat mich mal mit seiner Aufmerksamkeit beehrt, wie überaus nett!’. Pah, ich bin ja wohl nicht auf gönnerhafte Trost-Kaffees angewiesen.
Also ziehe ich eine Augenbraue nach oben und lasse mein Lächeln gefrieren.
Ich habe mich gerade gemütlich zurückgelehnt, innerlich schon wieder auf ignorantes Verhalten mir gegenüber eingestellt und mir deshalb ein paar wichtige Termine im Zusammenhang mit meinem Studium ins Gedächtnis geholt, als Jan auf einmal das Wort an mich richtet:
„Wie gefällt dir denn das Studium bis jetzt?“
Überrascht blicke ich auf und schlucke schnell ein paar Salzstangenbrösel hinunter.
„Hm, das ist eine gute Frage! Es ist natürlich alles neu und abgefahren und ich muss mich an vieles gewöhnen und so.“
Er grinst. Himmel, er hatte ein hübsches Grinsen! Es lässt sein kantiges Gesicht weicher werden.
„Das ist schon klar, so ging es uns allen. Mich interessiert mehr, ob du mit der Wahl deiner Fächer zufrieden bist?“
Ich zwinge mich ihm ins Gesicht zu sehen, wenn er mit mir redet, weil ich gelernt habe, dass das höflich ist. Aber es fällt mir schwer, weil sein Gesicht auf mich wirkt wie der Pluspol auf den Minuspol. Anziehend ist gar kein Ausdruck!
Während wir also über die Grundlagen der Soziologie reden, gesteht er mir, dass er anfangs auch zwei Semester dieser Geisteswissenschaft studiert hat. Aber er hatte festgestellt, dass es definitiv nicht das war, was er sich erhofft hatte. Allerdings schafft er es mich nicht zu beunruhigen:
„Ich wollte dich damit nicht ängstigen, mach dir keinen Kopf darüber. Die Sache mit der Soziologie war für mich eine schnelle Idee weil ich eigentlich überhaupt keine Pläne hatte. Da du ja auch noch Psychologie gewählt hast, dürfte deine Entscheidung also um ein vielfaches fundierter getroffen worden sein, oder?“
„Ich habe mich schon vor einer ganzen Weile entschieden und ja, ich habe konkrete Pläne.“
Ich erzähle noch nicht welche genau das sind. Frauen sollten keine offenen Bücher sein.
Er öffnet seinen Mund und will mich anscheinend gerade fragen, aber da wird er von Richard von der Seite unterbrochen.
Toni und er haben über irgendeinen Songtext diskutiert und brauchen nun Jan’s fachmännischen Rat. Ich nutze die Gelegenheit und beobachte ihn. Während er erzählt, dreht er sich eine Zigarette mit dem Geschick eines Gewohnheitsrauchers. Er braucht überhaupt nicht hinzusehen! Ich versuche zu verstehen, was er erzählt, aber obwohl ich gut englisch sprechen und verstehen kann, kapiere ich nur die Hälfte.
Toni nickt respektvoll und erklärt mir:
„Jan ist nämlich ein Genie! Er hört einen Songtext genau einmal und kann danach alles auswendig!“
Auch ich mache ein beeindrucktes Gesicht:
„Wirklich…?“
„Ist wohl so.“ Er zieht tief an seiner Zigarette und atmet den Rauch aus. Dabei spitzt er seine Lippen und Hitze durchzieht meinen Körper. Dann durchschauert es mich kühl und ich bekomme Gänsehaut. Und das alles NUR weil er einen Kussmund macht?!
„Kannst du das nur mit englischen Songs?“ bringe ich kurzatmig hervor.
Richard antwortet für Jan:
„Nein, er merkt sich jedes ausländische Wort sofort, beinahe egal welche Sprache, aber sein Englisch ist nahezu perfekt.“
Ich strafe Richard mit Missachtung, weil ich es hasse, wenn jemand einfach ungefragt für jemand anderen antwortet, ich schenke meine Aufmerksamkeit ungeteilt Jan:
„Das ist doch sicher ein großartiges Talent! Warum machst du dann nichts mit Sprachen?“
Er zuckt mit den Schultern.
„Keine Lust.“
Er sieht mich nicht mehr an und Richard erklärt:
„Das wäre ja dann zu langweilig.“
Ich rolle innerlich mit den Augen. Ahaaa.
„Außerdem mache ich ja was mit Sprachen,“ fügt Jan hinzu, „ich habe Altgriechisch und Hebräisch belegt.“
Endlich hebt er sein Gesicht wieder und ebenfalls einen Mundwinkel zu einem angedeuteten Lächeln.
„Wow!“ meine ich anerkennend, „Das klingt aber wirklich schon nach Fortgeschrittenensprachbildung.“
Ich straffe meine Schultern und versuche ihn geheimnisvoll anzusehen, was auch immer das bedeutet. Ich interpretiere es als eine Mischung aus Anerkennung, Neugier, aber beides keinesfalls übermäßig, und kommentarloser Hinnahme.

***

Ich dachte schon, ich hätte es geschafft und die illustre Männerrunde würde mich in ihre tiefsinnigen Gespräche mit einbeziehen. Aber da hatte ich mich zu früh gefreut.
Jan drückte seine Zigarette im Ascher aus. Das war alles, kein weiteres Wort, kein Nicken, kein Lächeln. Und dann sprachen sie wieder über irgendwelche Typen, die ich nicht kannte, Frauen, die ich nicht kenne wollte und Parties, bei denen ich nicht dabei war.

Okay, Sophie, so viel dazu.
Nach den beiden Begegnungen mit dem dunkel-geheimnisvoll-gutaussehenden Jan hatte ich mein Urteil bereits gebildet. Er lebte ein schnelles Leben mit Alkohol, Parties, Sex und Hardcore-Musik und studierte nebenbei ein bisschen Archäologie und total sinnlose alte Sprachen, weil er sonst nichts Besseres zu tun hatte. Anscheinend fiel ihm das alles ungerechterweise nicht schwer und er konnte locker Studium und Rock’n’Roll-Lifestyle unter einen Hut bringen. Er rauchte stark, hielt nichts von normalen Umgangsformen und das mit dem Kaffee spendieren war bestimmt auch total berechnend gewesen.
Mein Handy klingelte, das Display zeigte Leilas hübsches Lächeln. Ich ging ran, ich hatte ja sonst nichts zu tun. Sie wollte nichts bestimmtes, es war einfach nur wieder ein schwesterlich-neugieriger Anruf um an meinem Leben teilzuhaben. Auf ihre Frage hin, ob ich denn schon jemand ‚interessantes’ kennen gelernt hätte, konnte ich aber dann doch nicht beantworten, also versprach ich sie zurückzurufen. Sie erzählte mir noch, dass Sie bald mit der A-Nationalmannschaft ein EM-Quali-Spiel in Berlin hat. Sie hätte Karten für mich und zwei Freunde reserviert. Ich nahm es zur Kenntnis.
Als ich aufgelegt hatte, drehte sich das Gespräch um die Erstsemesterparty. Immerhin hörte ich heraus, dass Jan auch kommen würde. Anscheinend musste diese Feier jedes Jahr eine großartige Sause sein, denn die Jungs benutzten Formulierungen wie „Abriss“, „Koma“ und „da geht der Punk ab“. Ich musste in mich rein lachen. Hatten die nichts Besseres zu tun?

Jetzt sitze ich zumindest wieder zu Hause an meinem Schreibtisch und frage mich, was ich machen kann, um Jan auf mich aufmerksam zu machen. Leila gab mir bei gerade eben bei unserem ausgiebigen Telefonat den Rat, mich schick zu machen, zu lachen und Spaß zu haben. Ich solle mich nicht gleich auf einen Typ versteifen, ich solle mich viel lieber aufs Studium konzentrieren. Ich wüsste ja schließlich, wie anstrengend und zeitverschlingend Beziehungen sein könnten. Sie hatte ja Recht.

Aber Jan. Er ist soooo…! Sein Desinteresse bewirkt bei mir genau das Gegenteil. Ist das etwa normal?
Ich wünschte ich könnte Toni über ihn ausfragen, so wie das Mädchen immer untereinander machen. Aber Toni ist definitiv kein Mädchen, er kennt Jan schon eine halbe Ewigkeit und ich will mich nicht als albernes kleines Mädchen ihm gegenüber outen. Er kennt nur die coole Sophie, die, die jeden Kerl um den Finger wickeln konnte.
Habe ich das etwa verlernt??

Verdammt, liebes Tagebuch!
Es ist spät, aber immer noch Mittwoch. Und gerade eben war Jan kurz bei uns und hat Toni irgendwas für seinen Computer vorbei gebracht. Ich war duschen und kam gerade nur mit Handtuch bekleidet aus dem Badezimmer und wusste von nichts.

***

Meinem knurrenden Magen folgend tapste ich barfuss in die Küche und bückte mich nach unten zum Kühlschrank. Es war dunkel, aber wozu Licht machen, wenn der Kühlschrank eh beleuchtet ist? Dafür war ich eindeutig zu faul. Ich langte nach einer Packung mit Wiener Würstchen, schloss die Tür wieder, wirbelte herum und knallte gegen jemanden.
„Waaah!“ schrie ich und ließ vor Schreck die Packung mit den Würstchen fallen.
Meine Augen mussten sich erst noch an die Dunkelheit gewöhnen, aber dann erkannte ich Jan im selben Augenblick als ich merkte, dass mein Handtuch rutschte.
Jan bemerkte es ebenfalls. Beherzt griff er nach dem Knoten verhinderte damit eine filmreife Blamage meinerseits.
„Uh la la, Sophie“ grinste er, „Du brauchst nicht gleich die Hüllen fallen zu lassen, nur weil ich eure WG mit meiner Anwesenheit beehre.“
Er zeigte jede Menge Zähne.
Ich presse meine Lippen zusammen um nichts unerhört Freches zu erwidern.
„Tach.“
Eine Sekunde war es still. Und dann fragte ich total entgeistert:
„Was machst du denn hier?!“
„Ich wollte nur eine rauchen.“ Mit dem Daumen deutete er auf die Balkontür hinter sich.
Ich übernahm das Festhalten meines Handtuchs wieder selbst und er ließ es auch gleich darauf wieder los. Immer noch starr vor Schreck hob ich die Würstchenpackung auf und wandte mich zum Gehen. Ich war schon halb draußen, als er mir noch hinterher rief:
„Du riechst übrigens gut!“

***

Ich konnte hören wie er noch immer grinste! Knallrot vor Scham und weil ich nicht sonderlich schlagfertig war stapfte ich über den Flur in mein Zimmer zurück und hier sitze ich nun, mit rotem Kopf und diesen Worten in meinem dämlichen Hirn! „Du riechst übrigens gut!“ In der Top-Ten-Liste der peinlichsten Begegnungen wird diese Begebenheit und meine nicht gerade charmante Reaktion einen Platz ziemlich weit oben ergattern!
Jetzt aber wirklich Gute Nacht!
Oh maaaaan!






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