Till the End of Abyss

Autor: Noa
veröffentlicht am: 23.11.2011


Erstes Kapitel

„Elaine! Jetzt komm schon! Steh endlich auf!“, drang eine nervende Stimme in ihr Ohr. Es war Elaines Mutter, die sie immer wie ein Sklave hin und her scheuchte. So empfand sie es jedenfalls. Elaine war einfach viel zu fertig, als das sie noch nach der Arbeit mit ihrer kleinen Schwester Mia zu einer Vorstellung gehen sollte. Schläfrig suchte sie nach dem Wecker auf dem Nachtschränkchen. Es war kurz vor halb acht.
„Nun mach endlich! Die Vorstellung beginnt um acht Uhr.“, brüllte sie verzweifelt. Ihre Mutter hasste Elaine. So fühlte sie, seit Mia da war. Ständig ging es nur um sie und Elaine war immer nur das Werkzeug ihrer Pläne. Ihre Mutter beachtete sie nie und ein Mutter-Tochter-Gespräch existierte nicht einmal. Für sie war es ein Fremdwort. Was ihre Mutter wollte, das wurde auch gemacht und wenn nicht, dann brummte sie Elaine Strafen auf. Deshalb belog Elaine sie ständig und statt in Nachhilfe zu gehen, vergnügte sie sich mit ihren Freunden in der Stadt. Denn es gab überhaupt keine Nachhilfe. Das Geld das ihre Mutter darin investierte, benutzte sie als ihr Taschengeld. Nach ihrer Ausbildung verschwand Elaine sowieso aus der Wohnung. Ihre Mutter sollte sich zurecht finden. Mia war erst fünf und eine ganz schöne Nervensäge.
Da hörte sie schon ihre kleinen Füßchen über den Boden tanzen.
„Elaine, aufstehen, Zirkus gehen.“, sagte sie und zupfte an ihrem Ärmel.
„Mia, lass mich doch in Ruhe.“, meckerte Elaine und drehte sich von ihr weg.
„Mama hat gesagt, aufstehen! Ich will Zebra sehen.“
Sie stampfte mit dem Fuß auf den Boden und spielte an ihren kleinen goldenen Engelslöckchen, die ihr den Rücken hinunter hingen.
„Elaine…“, schniefte sie und begann gleich an zu weinen. Das tat sie immer, wenn sie etwas nicht bekam. Eine verwöhnte kleine Göre.
„Mia!“, brüllte sie so laut, dass sie sich erschreckte und weinte.
„Verdammt nochmal!“, schrie ihre Mutter und kam ins Zimmer gerannt. Sie zog Elaines Decke weg und schlug ihr aufs Bein, damit sie wach wurde. „Du bist unmöglich! Wach endlich auf!“
Sie nahm Mia auf den Arm und tröstete sie liebevoll. Sogleich beruhigte Mia sich und schlang sich um Mutters Hals.
„Elaine ist böse!“, flüsterte sie ihrer Mutter und lachte.
Elaine stand auf, zog sich andere Klamotten an und ihre Mutter kleidete Mia. Sogar ihre kleine fünfjährige Schwester bekam mehr Aufmerksamkeit, Liebe, Kleidung und andere tolle Sachen von denen Elaine nur träumte. Sogar mit ihren achtzehn Jahren durfte sie nicht einmal Mutters Auto fahren, nur wenn sie dabei war. Denn sie glaubte sie würde es sonst schrotten.
Um viertel vor Acht nahm sie Mia bei der Hand und lief durch das kleine Dorf, am Wald vorbei an eine große Wiese, wo das riesige Zelt stand. Die Vorstellung hatte längst begonnen, sie kamen nämlich fünf Minuten zu spät. Noch schnell kaufte Elaine zwei Karten und gab sie dem Mann vor dem Zelteingang. Er wünschte ihnen einen schönen Aufenthalt und stellte sich beiseite. Mia lief aufgeregt los und sogleich mussten sie vor einer riesigen Menge anhalten. Die Leute waren größer als Elaine und so konnte sie nichts sehen. Mia beschwerte sich sofort und wollte auf ihre Schultern. Mit einem genervten Seufzer nahm sie sie hoch, sodass sie über die Menge hinweg blicken konnte. Nur durch ihre ständigen Worte, welche Tiere Mia sah, wusste Elaine welche Show gerade aufgeführt wurde. Sollte sie jetzt die ganzen zwei Stunden hier stehen bleiben? Ihr taten schon nach zehn Minuten die Schultern weh. Suchend schaute sie sich nach einer Sitzgelegenheit um und entdeckte einen engen freien Platz. Noch bevor sie sich an den Leuten vorbeidrängeln wollte und Mia nur für ein paar Sekunden aus den Augen verlor, verschwand sie beim nächsten Umdrehen. Erschrocken blickte sie um ihre Achse und konnte sie nirgends entdecken. Nach wenigen Minuten war ihr Lachen unter der Tribüne zu hören. Elaine folgte dem Klang und geriet immer näher an den Vorstellungsplatz. Es war etwas dunkel unter den ganzen Leuten und wenn sie Klatschten hatte sie das Gefühl, es würde in ihren Ohren doppelt so laut klingen. Mia war von weitem zu sehen und leise rief sie ihren Namen, aber sie rannte immer weiter und weiter. Am Ende der Tribüne fand sie sich vor einem Vorhang wieder. Vielleicht war das der Eingang zur Backstage. Ihr Gefühl sagte ihr, dass es eine ganz schlechte Idee wäre dort hinein zu gehen, aber sie durfte Mia nicht verlieren. Vorsichtig schob sie den Vorhang beiseite und wagte einen Blick hinein. Es schien still und ruhig zu sein. Rechts und links waren überall Käfige verteilt, in denen einige Tiere waren. Sie entdeckte Mia bei einem Tiger, als sie ihre Hand durchstecken wollte. Blitzschnell zog Elaine sie davor weg und fing wieder zu meckern an.
„Was machst du bloß da? Hör auf! Willst du deine Hände verlieren?“, motzte sie sie an, aber Mia ließ es kalt. Sie wehrte sich auf ihrem Arm und seufzend ließ Elaine sie hinunter.
„Aber bleib bei mir. Nicht wieder weglaufen.“
Mia nickte und schaute sich von weitem die Tiere an. Sie zeigte auf den faul herumliegenden Leoparden.
„Tiger!“, rief sie.
„Nein, du Dummerchen. Das ist ein Leopard.“, berichtigte Elaine sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Da hörte sie plötzlich ein Geräusch von weitem und schnappte sich Mia. Fliehend rannte sie durch den Vorhang zurück zur Menschenmenge. Im Nacken hatte sie das Gefühl, das sie jemand gesehen hatte. Hoffentlich gab das keinen Ärger. Es schien sie keiner verfolgt zu haben und sie hatte Glück gehabt.
Der Platz war immer noch nicht belegt und schnell tauchte sie mit Mia an der Hand in die Menschenmenge. Sie gingen die Tribüne hoch und quetschten sich neben eine ältere Dame. Mia nahm sie auf ihren Schoß und sie konnte nun besser auf den mit Heu bedeckten Platz blicken.
„Nun meine Damen und Herren, die zwei besten Artistinnen dieser Show!“, rief der Moderator, ein kleiner bärtiger alter Mann, mit schwarzem Zylinder und Smoking. Seinen dunklen Holzstock wirbelte er in der Luft herum, als sei das schon ein Kunststück. Zwei dürre, blasse und junge Frauen, die eine blond, die andere schwarzhaarig betraten gekleidet mit Badeanzug und Saalschläppchen den Platz. Sie verbeugten sich und kletterten die hohen Leitern hinauf. Das Zelt war gute zehn Meter hoch. Oben angekommen wurden ihnen zwei Seile zugeschmissen an denen sie sich mit den Füßen festklammerten und freihändig schaukelten. Danach wechselten sie die Standplätze und warteten auf die Schaukeln ab. Sie hingen sich mit beiden Beinen kopfüber daran und schwankten hin und her. Irgendwann streckte die Blondhaarige ihre Hände aus und die Schwarzhaarige hielt sie fest. Mit kräftigen Schwüngen waren sie so weit oben, das sie tatsächlich losließ und in der Luft einen Salto machte. In der Zeit kam ihr die leere Schaukel entgegen und sie klammerte sich an sie. Der Sprung war unglaublich professionell und sah atemberaubend aus. Die Menge klatschte zufrieden und brach in Jubeln aus. Es dauerte noch zehn Minuten bis sie ihre anderen Kunststückchen vollendet hatten.
Mia erfreute die Show und als dann ein Elefant dazu geholt worden war, wollte sie am liebsten hinunter springen. Mit beiden Armen umschlang Elaine ihre kleine Schwester. Ihr Herz klopfte noch immer, als ihr bewusst war, dass sie sie fast verloren hätte.
Der Elefant umschlang den Bauch der blonden Artistin und die Schwarzhaarige schwang sich auf seinen Rücken. Das Tier hob die Blonde hoch und beide wanken den Zuschauern zu, die erneut in Jubel ausbrachen. Danach trat wieder der alte Mann zum Vorschein und verbeugte sich im Scheinwerferlicht.
„Als nächstes haben wir den atemberaubenden Gummimenschen Ando.“, rief er und ein athletischer junger Mann in komplettem Sportanzug sprang aus dem Vorhang. Zuerst genoss er den Jubel der Leute und dann begann er mit seiner Vorführung. Er hob die Haut unter seinem Kinn wie ein Tuch über seinen Mund. Die Menge gab würgende Geräusche von sich. Dann lachte er und fing den Reif, den der alte Mann ihm in die Hand schmiss, auf. Zuerst balancierte er ihn in seinen Hüften, danach schlang er sich mit seinem elastischen Rücken um den Reif durch. Sein Kopf schaute zwischen seinen Füßen heraus. Elaine kam es so vor, als hätte er überhaupt keine Knochen. Es folgten auch weitere dieser Kunststückchen und jedes Mal musste die Menge etwa lachen oder sich davor ekeln. Die Show dauerte tatsächlich schon über eine Stunde an und Elaine hatte bis jetzt nichts beeindruckt. Sie wollte am liebsten gleich wieder nach Hause gehen. Ihre Schwester hingegen, amüsierte sich prächtig und klatschte immer, sobald etwas Wunderbares geschah. Der alte Mann meinte, als die Pferde zur Show traten, das kleine Kinder danach nur für drei Euro eine Runde reiten durften. Ihre Mutter hatte ihr kein Geld gegeben und deswegen musste sie von ihrem eigenen bezahlen. Mia würde wieder weinen und bei ihrer Mutter petzen gehen. Das Theater wollte sie sich unbedingt sparen und ging deshalb sofort darauf ein.
„Meine Damen und Herren, ich bitte eine zehn Minütige Pause für unsere talentierten Künstler. Danach beginnen wir sofort mit der Tiger Bändigung. Solang dürfen sie mit der „Animal-Karte“ die Tiere besichtigen gehen.“
„Ich will Tiere sehen!“, sprudelte es aus Mia heraus.
„Nein! Ich hab wegen dir später kein Geld mehr. Es reicht!“, brüllte Elaine sie an und die alte Dame neben ihr schaute sie an, als sei Elaine eine unbarmherzige Mutter.
Sie grinste nur verlegen und nahm Mia bei der Hand.
„Wir vertreten uns die Füße.“
Vorsichtig ging sie die Treppen hinunter und verließen das stickige Zelt. Draußen betrachtete Mia die ganzen leuchtenden Lampenketten und bunten Farben die sich in ihren Augen widerspiegelten. Es war ziemlich dunkel um neun Uhr und sie durfte es wirklich nicht riskieren Mia hier zu verlieren. Auch wenn sie ihre Schwester nervte und im Moment hassen tat, hatte sie sie trotzdem lieb.
Mia führte Elaine durch den ganzen Zirkus und später standen die Leute an den Käfigen an. Mias nerviges Jammern und Winseln trieb Elaine bis an ihre Grenzen und sie zückte ihren Geldschein heraus. Sie bezahlte und lief mit ihr zuerst an den offenen Käfigen vorbei. Dort waren Kamele, Hunde, zwei Elefanten und ein großer Tiger zu sehen. Drinnen waren dann die restlichen Tiere und ein Gong ertönte. Das war das Signal zum Weitermachen, aber Elaine wollte nicht wieder in der Menge stehen und lief heimlich an den Tieren vorbei, um eine Abkürzung zu nehmen und als sie durch den Vorhang sprinten wollte, wurde der blitzschnell zur Seite gezogen. Ein junger Mann, gerade mal zwanzig, blickte sie mit verdutztem Blick an. Seine Haut war leicht gebräunt und sein Haar war dunkelbraun. Die Spitzen hingen in der Höhe seiner Ohren, er hatte einen Pony und einen stufigen Schnitt. Seine Augen dunkel wie die Nacht und man konnte nicht einmal seine Pupillen entdecken. Er trug einen dunklen Smoking, passend zur Show.
Er schaute Elaine an und blickte dann an ihr vorbei, als wäre ihr jemand gefolgt. Dann brummte er, sodass seine Brust wie ein Bass klang und atmete tief durch.
„Was tun Sie hier?“, fragte er höflich, aber trotzdem war er sauer.
„Bitte, lass mich durch. Da oben wartet mein Platz auf mich und ich habe keine Lust eine ganze Stunde wieder zu stehen.“, bettelte sie und blieb ihm Gegenüber respektlos.
Da grinste er schöpferisch und beugte sich ein wenig zu ihr herunter, um ihr in die Augen sehen zu können. Er jetzt entdeckte Elaine sein tiefes dunkles Blau in den Augen. Solch schöne Farbe hatte sie noch nie in ihrem Leben zuvor gesehen. Eine Gänsehaut durchfuhr sie.
„Machen wir einen Deal!“, meinte er. Elaine zückte eine Augenbraue hoch und ihr gefiel es gar nicht wie er sie anschaute. „Du wirst mein Assistent in der Show und dafür lass ich dich passieren.“
„Erpressung!“, lachte sie auf.
„Deine Entscheidung. Etwa du gehst den Deal ein oder musst außen herum laufen.“
Natürlich wusste sie, dass sie dann zu spät käme. Außerdem auch wenn sie den Deal nicht eingehen würde, dann würde er sie in der Show trotzdem dran nehmen können. Es wäre seine Rache für meine Ablehnung und es wäre peinlich zu sagen, dass sie sich weigerte auf die Bühne zu treten.
„Warum ich? Kannst du nicht jemand anderen nehmen?“, nörgelte sie und versuchte ihm den Deal auszuschlagen, aber je länger sie mit ihm diskutieren musste, desto eher gehen ihre Plätze verloren.
„Ich will Assistent sein!“, meldete sich Mia und lächelte den Jungen vergnügt an. Der kniete sich zu ihr herunter und streichelte über ihre Wange.
„Du darfst natürlich auch mitgehen.“
„Also schön!“, platzte es aus Elaine heraus, da sie es nicht ertragen konnte, dass Mia wieder beachtet wurde und außerdem ihr Platz wahrscheinlich schon längst besetzt worden war.
Der Junge grinste und streckte seine Hand ihr entgegen.
„Dann würde ich mal sagen, haben wir einen Deal…“, verstummte er zum Schluss, da er gerne ihren Namen erwähnt hätte.
„Elaine.“, lächelte sie und nahm seine Hand mit Vergnügen entgegen.
„Noel.“
„Französische Herkunft?“
Er grinste jedoch nur.
„Jetzt müssen wir dich in die erste Reihe bekommen. Das wird aber kein Problem sein, da…“, erklärte er und sie unterbrach ihn: „1. Reihe? Davon war keine Rede.“
„Beruhig dich! Immerhin bekommst du dann einen Sitzplatz und ich darf nur Assistenten aus der ersten Reihe nehmen.“
Elaine schnaubte und hatte sowieso keine Wahl.
„Pass auf, setz dich einfach auf den einzigen freien Platz in der ersten Reihe. Die Männer die die Reihe nach den Karten fragen wissen Bescheid.“ Er schob den Vorhang beiseite, sodass sie hindurch gehen konnte. „Geh schon!“, drängelte er noch hinterher und schloss dann den Eingang.
Elaine tauchte wieder zwischen der Menge auf und quetschte sich mit Mia an der Hand durch. Tatsächlich ließen sie die Männer passieren mit einem geprüften Blick in den Augen. Elaine setzte sich in die erste Reihe auf den freien Platz. Von dort aus, sah man viel besser das Geschehen und nun endlich fielen ihr auch einige Patzer bei der Show auf. Die Zirkuskünstler waren so extrem hochkonzentriert, das sie bei der kleinsten Anstrengung anfingen zu schwitzen. Es beeindruckte Elaine, dass sie die Zuschauer einfach abschalteten, als wären sie überhaupt nicht da. Als die Tiger endlich dran kamen, sprang Mia auf und stellte sich an die Absperrung. Sie hing sich an das Holzgestell und hätte am liebsten alle Tiger streicheln wollen. Aber vorher bauten sie dort einen Käfig zur Sicherheit auf. Der Dompteur war ausgerechnet Noel. Folgte jetzt ihr Einsatz? Bei den riesigen Katzen? Auf ihrer Haut schauderte es und sie wollte am liebsten aus dem Zelt herausrennen. Jedoch zu ihrem Glück rief er niemanden auf, sondern leistete eine wunderschöne und tatsächlich beeindruckende Vorstellung. Er legte sogar seinen Kopf in das Maul eines Tigers, ohne irgendwie Angst zu haben. Er war der erste der nicht anfing vor Nervosität zu Schwitzen. Elaine wäre regelrecht vom Stuhl gefallen. Sie respektierte ihn sehr. Noel knuddelte sogar mit den Tieren und einer leckte einmal sein Gesicht ab. Wie schaffte er es mit so jungen Jahren mit den Tieren umgehen zu können, als wären es seine Haustiere. Solch ein Talent musste man erst einmal besitzen.
Nach der Vorstellung folgte der Clown über den sich jeder kaputt zu lachen schien, außer Elaine. Sie fand ihn überhaupt nicht lustig und manche Leute starrten sie an, als wäre sie ein Muffel. Aber sie ignorierte die Blicke im Nacken und welche die versuchten von der Seite in sie einzudringen. Danach trat Noel ein weiteres Mal auf, jedoch war er das Highlight der Show. Was würde er wohl nun vorführen?






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