Lass mich nicht allein

Autor: Tami
veröffentlicht am: 19.11.2011


Im Radioapparat, den ich in Hörweite hingestellt hatte, kam die immer gleiche Musik, so dass ich sie nur mit einem Ohr hörte. Sie lief auch nur damit es nicht ganz still war in der Wohnung. Vor mir lag ein ungeöffnetes Briefcouvert in dem eine Mahnung wegen meiner Miete war. Ich wusste das, da ich sie vor einer Woche nicht bezahlt hatte.
Ein paar Freunde hatten mir schon gesagt, ich sei in den letzten Tagen irgendwie abgestumpft und fragten mich, was denn los sei, ob ich Probleme hätte. Instinktiv antwortete ich jeweils: „Nein, ich habe nur ein bisschen viel Arbeit.“
Ich saß auf der großen grünen Couch, die mir meine Großmutter geschenkt hat, da sie eine neue gekauft hat, und starrte auf den schwarzen Fernsehbildschirm, als würde ich dort die Antworten auf meine Fragen bekommen. Normalerweise schalte ich den Fernseher zu dieser Zeit immer ein um zu schauen, ob etwas Spannendes kommt, aber mir war nicht danach zu Mute. Gerade als ich erkannte, dass „unser Lied“ läuft, streicht mir etwas um die Beine. Es war Racker, mein kleiner Freund. Er ist ein achtjähriger Dalmatiner und mein ganzer Stolz. Sein Blick verriet mir, dass er herumtollen möchte. Ich kraulte ihn am Kopf und schaute ihn mit traurigen Augen an. Da wurde er plötzlich ganz zahm und sprang auf den freien Platz neben mir. Das grüne Monster von einer Couch senkte sich ein wenig unter seinem Gewicht.
Es war erst bald drei Wochen her, dass sich mein Freund von mir getrennt hatte. Wir wären an diesem Tag ein Jahr zusammen gewesen. Wenn ich meine Augen schloss, sah ich noch genau sein Lächeln. Ich hatte das Gefühl besessen davon zu sein. Ich bemerkte, wie mir ein paar Tränen in die Augen steigen wollten und griff augenblicklich nach der TV-Fernbedienung. Vielleicht wäre Ablenkung doch nicht so schlecht, dachte ich. Die Stimme des Berichterstatters in den Tagesnews übertönte die leise Radiomusik im Hintergrund. Es war nicht der bekannte Typ, den ich erwartet hatte, sondern ein Moderator, den ich zuvor noch nie gesehen habe. Es schien, als versuchte er mit irgendwelchen Gesten mit denen er seine Berichtserstattung untermalte, die Zuschauer zu fesseln. Was im wohl eher nicht gelang, denn nach meiner Meinung war er einfach nur hässlich. Wie sollte sich jemand bei diesem Anblick auf die Nachrichten konzentrieren können! Ich hoffte sehr, dass er nur eine Stellvertretung ist.
„Aus London berichtete …“ Beim Stichwort London schoss mir sofort die Tatsache in den Kopf, dass ich meiner langjährigen Brieffreundin, die ich bei einem Sprachaufenthalt kennengelernt habe, antworten sollte. Der Briefwechsel war anfangs sehr regelmäßig. Ich bedauerte es, dass ich nicht öfters zum Schreiben kam und oft einfach nicht daran dachte.
Ich musste ihr schreiben, unbedingt! Ich suchte mein schönstes Briefpapier und schrieb ihr in einem langen Brief wie ich verlassen wurde und wie traurig ich nun war. Ich wusste, dass sie es verstehen würde und dass sie mich vielleicht mit ein paar wenigen Worten aufheitern konnte. Obwohl es mir unanständig vorkam, dass ich mich erst bei ihr meldete, wenn ich jemanden brauchte, brachte ich die Zeilen sofort, ohne noch einmal durchzulesen, auf die Post.
Racker kam natürlich mit. Draußen war es schon dunkel. Ich fürchtete mich ein wenig. Als ich auf dem Rückweg beim großen Bauernhof vorbeiging, begann Racker plötzlich zu bellen. Ich war total perplex vor Schrecken. Irgendetwas hatte mich gebissen. Das Licht von der Straße war sehr dämmrig, so dass ich beim besten Willen nicht sehen konnte, was es war. Mich durchfuhr ein höllischer Schmerz ausgehend vom linken Fußknöchel. Ich humpelte zur nächsten Lampe und riss mein Hosenbein herauf um zu sehen wie ernst die Bisswunde war. Dabei konnte ich klar die Abdrücke von Zähnen erkennen.







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