Neumond - Teil 11

Autor: Eisfeuer
veröffentlicht am: 13.12.2011


Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder den unmittelbaren Geschehnissen zu. Die Situation war immer noch angespannt, aber eine gewaltsame Konfrontation war gerade noch so von Espen abgewendet worden. Er musste sich sehr unwohl fühlen, zwischen zwei gereizten Wölfen eingezwängt. Zwischen dem bebenden István, seinem Alpha und mir, die total verängstigt war und bereit sich um jeden Preis zu verteidigen. Ich trat einen Schritt zurück, damit Espen sich wieder ein wenig entspannen konnte. Er lächelte mir dankbar zu und warf einen Blick auf István. Der schien innerlich mit seinem Wolf zu kämpfen. Schweißperlen traten auf seine Stirn und seine Augen glühten wie zwei lodernde Feuer. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper und mit einem Zischen ließ er die Luft aus seinen Lungen entweichen. Daraufhin schienen alle ihre angespannte Körperhaltung aufzugeben und sie traten sogar von den Ausgängen weg, auf uns zu. István wandte sich an mich, mit einem reuevollen Ausdruck im Gesicht: „Es tut mir leid dass ich mich nicht unter Kontrolle hatte.“.
Ich lächelte berechnend: „Mir nicht!“
Und mit diesen Worten rannte ich durch einen der freigewordenen Gänge, hinter dem ich die Freiheit vermutete. Doch ich war beunruhigt. Wieso folgte mir keiner? Ich hörte nur mein lautes Atmen und die wilden Schläge meines Herzens. Meine nackten Füße klatschten laut auf den Fels, dann hatte ich den Ausgang erreicht. Grelles Sonnenlicht blendete mich einen Moment und frische, eisige Luft brannte in meinen Lungen. Mir war gar nicht aufgefallen wie warm es in der Höhle gewesen war, aber jetzt wurden meine Gliedmaßen taub als ich durch den frisch gefallenen Schnee hastete. Meine Haut begann zu prickeln und zu jucken und ich ließ die Wandlung zu. Mit einem großen Satz schraubte ich mich in die Höhe, nur um wenige Sekunden später wieder zu landen. Kleidungsfetzen markierten meinen Weg, doch ich kümmerte mich nicht darum. Ich würde sie nicht mehr brauchen, jetzt brauchte ich nur noch meinen starken, pelzigen Körper. Ein Gefühl des Sieges stieg warm in meiner Brust empor, und ich wollte es der ganzen Welt mitteilen. Ich wollte jedem zuheulen wie ich István und seinem Rudel entwischt war. Doch ich beherrschte mich und konzentrierte mich aufs Laufen. Meine großen Pfoten trugen mich über den Schnee ohne tief einzusinken, und meine Muskeln beugten und streckten sich geschmeidig. Ich fiel in einen gleichmäßigen Lauf den ich tagelang durchhalten könnte. Meine Euphorie entkommen zu sein senkte sich wieder und ich prüfte meine Umgebung. Es war vollkommen windstill und so beschränkten sich die Gerüche auf die der Lebewesen, die meinen Weg kreuzten. Nicht dass es viele gewesen wären. Nur ein paar Mäuse huschten schnell vorbei, und aus dem Augenwinkel erkannte ich einen flüchtenden Hirsch. Kurz war ich versucht hinterherzujagen und meinen Magen mit warmem, saftigem Fleisch zu füllen. Doch ich war noch zu sehr Mensch um der Versuchung nachzugeben und so setzte ich meinen Weg fort.
Die Geräuschwelt jedoch hatte mehr zu bieten und meine Ohren zuckten, um den verschiedenen Quellen nachzugehen. Klopfende kleine Herzen, schmelzender Schnee, träumende Eichhörnchen und Siebenschläfer. Doch eine Sache konnte ich nicht zuordnen. Es klang noch weit entfernt, aber knackende Zweige waren normalerweise kein gutes Zeichen. Ich beschleunigte meinen Lauf durch den scheinbar friedlichen Wald und hörte erschrocken wie schnell das Knacken näher kam.
Jetzt bemerkte ich auch das Keuchen und ein lautes Dröhnen bei jedem Satz der Kreatur irgendwo hinter mir. Ich warf schnell einen Blick über meine Schulter um zu wissen mit wem ich es zu tun hatte. István. Er schlug sich wütend durch die dichten Bäume und mein Herz machte merkwürdigerweise freudigen Satz. Doch irgendetwas stimmte nicht.
Er war in Menschengestalt und hätte mich eigentlich unmöglich so einholen können. Und als ich noch einen Blick zurückwarf bekam ich es mit der Angst zu tun. István war nur noch ungefähr drei Meter von mir entfernt und ich sah wie seine Muskeln pumpten um ihn noch schneller voranzubringen. Aber am meisten schockten mich seine Augen. Sie waren nicht mehr so leuchtend bernsteingelb, sondern fast völlig schwarz und schienen jedes Licht zu schlucken. Seine sonst so stolzen Gesichtszüge waren vor Wut völlig verzogen und ich erkannte den Wahnsinn darin. Er erinnerte mich so an meinen Onkel, dass sich meine Angst in reine Panik verwandelte als ich begann um mein Leben zu rennen. Auch István verlängerte seine Schritte und ein wildes Knurren drang aus seiner Brust. Wir flogen gemeinsam durch die Natur, doch im Gegensatz zu vorhin war ich nicht mehr beschwingt und glücklich. Die eisigen Finger der Todesangst krallten sich um mein Herz und begannen es zu zerquetschen. Ich wusste dass ich dieses Tempo nicht mehr lange durchhalten konnte, erst recht nicht wenn mir meine Furcht den Atem nahm. Schon begannen die ersten Stiche meine Seiten zu quälen und ich mir wurde bewusst dass ich meinen Tod nicht viel länger heraus zögern könnte. Doch ich würde erst aufgeben wenn ich am Boden lag. István sollte hart für meine Leiche kämpfen müssen. Während diesem Gedanken, weiteten sich erschrocken meine Augen. Ein riesiger Baumstumpf erschien wie aus dem Nichts, und ich hatte nicht genügend Zeit um ihm auszuweichen. Mit letzter Kraft zwang ich meine Beinmuskeln mich aus dem Schnee zu heben und sprang. Doch es reichte nicht. Meine linke Vorderpfote knackte, als sie hart gegen das Holz krachte und der Knochen zersplitterte. Ich überschlug mich und landete auf dem Rücken. Entgegen meinen Instinkten nahm ich all meine Willenskraft zusammen und verwandelte mich zurück in einen Menschen. Ich wollte nicht als Wölfin gegen einen Menschen sterben. Diese letzte Würde wollte ich mir bewahren, wenn mir doch schon so viel davon genommen wurde.
István übersprang den toten Baum locker mit einem großen Satz und landete zu meinen Füßen. Ich unternahm keinen Versuch mehr zu flüchten und sah dem Tod ins Auge. Es war ebenso schwarz wie Istváns. Dieser ging auf die Knie und beugte sich nach vorne. Er stützte seine großen Hände neben meinen vergleichsweise zarten Schultern ab und ließ sich langsam hinab sinken. Jetzt bedeckte er meinen schmerzenden Körper mit seinem und sein Gesicht war dicht vor meinem. Der Wahnsinn war aus seinem Ausdruck verschwunden, aber ich spürte seine rohe Macht dicht unter der Oberfläche sprudeln. Er roch süß und vertrauenswürdig, was es nur umso schwieriger machte zu akzeptieren dass er mich gleich töten würde. Ich wollte meine Augen schließen, doch sie gehorchten mir nicht und blieben weit aufgerissen. Dadurch musste ich in Istváns kalten, immer noch schwarzen Pupillen starren. Ich tat meinen letzten, schmerzvollen Atemzug.
Und dann küsste er mich.






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