Neumond - Teil 8

Autor: Eisfeuer
veröffentlicht am: 09.12.2011


„Ihr habt was?!“ Meine Stimme überschlug sich. István wedelte beschwichtigend mit den Händen.
„Beruhig dich! Er kriegt Wasser und Brot von uns. Er ist zwar erbärmlich schwach und wehleidig, aber zwei Stricke um Arme und Beine wird er schon überleben.“ Fassungslos bohrte ich ihm meinen Zeigefinger in die, zugegeben beeindruckend muskulöse, Brust. „Bring mich sofort zu ihm, oder du wirst es bereuen mich kennen gelernt zu haben!“
István grinste nur breit: „Das bezweifle ich. Und wenn du aufhören würdest mich zu betatschen, würde ich dich sogar zu ihm bringen.“ Ruckartig, als hätte ich mich verbrannt, riss ich meine Hand weg und ballte sie an meiner Seite zu Faust. „Geh vor!“, raunzte ich ihm errötend entgegen. Zum Glück verkniff er sich jeden weiteren Kommentar und glitt lautlos durch einen schmalen Gang. Ich folgte ihm und verfluchte mich für meinen lauten Atem, der von den felsigen Wänden verstärkt widerhallte. István konnte mich zu leicht aus der Fassung bringen, das könnte gefährlich werden. Ach was, ich log mir doch nur etwas vor. István war die personifizierte Gefahr. Eine dunkle, alle Sinne benebelnde Gefahr. Nicht wie ein schleichendes Gift, sondern eher wie eine unaufhaltsame Naturgewalt. Und irgendwie faszinierte mich das. Ich schüttelte den Gedanken schnell ab und wandte mich innerlich unverfänglicheren Themen zu. Marek. Ich hatte ihn irgendwie in diese ganze Sache zwischen Wölfen hinein gezogen, und jetzt musste ich ihn auch sicher wieder hinaus bringen. Die ganze Zeit war ich einfach völlig mit meinen Gedanken beschäftigt István hinterhergelaufen, doch jetzt konzentrierte ich mich auf einen möglichen Fluchtweg. Wir schienen immer tiefer in die Erde einzudringen, doch flackernde Fackeln erhellten den schmalen, kühlen Gang. Ich schnüffelte möglichst unauffällig. Es roch nach rauchigem Feuer, nassem, modrigem Fels und dann traf mich durch einen kleinen Luftzug ein warmer, holziger Moschusduft. Die Wölfin in mir räkelte sich genussvoll und ein leises, behagliches Brummen, ähnlich dem Schnurren einer zufriedenen Katze, entfuhr mir. Zum Glück schien István es nicht bemerkt zu haben, denn er drehte sich nicht um und lief einfach weiter. Beruhigt atmete ich noch einmal tief seinen Geruch ein. Er wirkte irgendwie elektrisierend auf mich und feine Härchen in meinem Nacken und auf meinen Armen stellten sich auf. Wieso hatte ich das noch nicht vorher bemerkt? So etwas konnte mir nicht entgangen sein, dazu war ich schon zu oft vom Leben geprüft worden. Abrupt blieb István plötzlich stehen und ich wäre fast gegen seinen warmen Körper gelaufen. Er drehte sich zu mir um. Seine Augen leuchteten im schummrigen Licht der Fackeln und ich musste mich mit aller Kraft auf seine Worte konzentrieren um alles mitzubekommen.
„Marek ist einen Höhlenabschnitt weiter. Du kannst gleich alleine zu ihm gehen. Ich gehe nicht davon aus, dass du ihn wieder fesselst. Geh einfach mit ihm zur Haupthöhle zurück, einen Weg nach draußen gibt es von hier sowieso nicht. Einen Fluchtweg kannst du also knicken.“
Mein Hirn meldete sich glücklicherweise wieder zurück und ich wandte mich zum Gehen. Da schloss sich seine kräftige Hand um meinen Arm und zog mich zurück. István fesselte mich mit seinen Funken sprühenden Augen und trat einen Schritt näher. Ich merkte wie ich zitterte. Ich kam mir vor wie seine Beute, doch es war kein durch und durch unangenehmes Gefühl. Trotzdem wich ich zurück bis ich kalten Fels an meinem Rücken spürte. István folgte mir und stellte sich so dicht vor mich dass ich spürte wie sein Atem über meine Haut streichelte. Mein Herz trommelte wild in meiner Brust und verteilte rasend schnell Hormone durch meinen ganzen Körper. Ich vibrierte bis in die letzte Nervenfaser und versank in Istváns Augen. Seine Stimme klang rau und belegt als er zu sprechen begann: „Ich weiß nicht was zwischen dir und Marek ist. Ich weiß nur dass er dich noch nie berührt hat, so dass er nicht das Recht hat Anspruch auf dich zu erheben. Und ich weiß wie du vorhin reagiert hast, als mein Geruch in deiner Nase lag.“ Bei diesen Worten senkte er seinen Kopf und strich mit seiner Nase über die zarte Haut an meinem Hals. An der verletzlichen Stelle über meiner Halsschlagader hielt er inne und atmete tief ein. Zweifellos bemerkte er auch meinen tobenden Puls, denn er streckte langsam die Zungenspitze aus und streichelte vorsichtig mit ihr darüber. Ein Beben ging durch meinen Körper und er hob wieder seinen Kopf. Er trat noch einen Schritt näher, bis unsere Leiber fast miteinander verschmolzen und ich bemerkte wie durch einen Schleier dass auch seine Lippen näher kamen. Ich schloss benommen meine Augen und fühlte wie unsere Lippen sich fast berührten. Dann sagte er tief und verführerisch: „Ich wollte nur dass du das auch weißt.“, trat schnell zurück und hastete den Gang entlang, immer weiter weg von mir.
Sein plötzliches Verschwinden verursachte fast eine Art Vakuum und ich war froh über die harte Felswand in meinem Rücken die mich stützte. Ich schien ein Spielball meiner Gefühle geworden zu sein, und jeder der wollte konnte mich herum schubsen. Ich nahm ein wenig Haltung an. Jetzt mussten erst mal Prioritäten gesetzt werden. Erste Mission: Marek. Dann konnte ich mich immer noch um den Rest kümmern. So rigoros wie möglich strich ich István aus meinen Gedanken und ging den Gang weiter. Wie...mein Entführer (es war gar nicht so einfach István aus dem Kopf zu kriegen) schon gesagt hatte, vergrößerte er sich nach ein paar Metern zu einer kleinen Höhle. Es gab ein etwa handtellergroßes Loch in der Decke, durch das grelles Licht schien. Ich war sofort geblendet und trat einen Schritt zur Seite, aus dem direkten Strahl hinaus. Meine Augen gewöhnten sich schnell an die wechselnden Lichtverhältnisse und so sah ich sofort den Körper der dort auf dem Boden lag.
„Du bist gekommen.“, Marek war heiser und versuchte sich aufzusetzen, doch seine hinter dem Rücken gefesselten Hände hinderten ihn daran.
„Marek.“, ich kniete mich neben ihn und half ihm auf. Dann löste ich die rauen Stricke und zuckte schuldbewusst zusammen als ich sah wie tief sie sich in seine Haut eingeschnitten hatten. Marek schüttelte seine tauben Handgelenke und ein bisschen wundgescheuertes, rohes Fleisch blitzte auf.
Erschrocken packte ich seine Hände: „Zeig mal her!“. Es war nicht so schlimm wie ich gedacht hatte, doch eindeutig sehr schmerzvoll. Ich schloss Marek in meine Arme und versuchte ihn zu trösten, obwohl er keinen Laut von sich gegeben hatte. Ich wusste auch so wie er sich fühlte.
„Danke.“, nuschelte er, gedämpft durch meine Schulter.
Ich drückte ihn noch fester.






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