Neumond - Teil 5

Autor: Eisfeuer
veröffentlicht am: 24.11.2011


Wir fuhren erschrocken auseinander, und ich versuchte das Geräusch zu orten. Marek fluchte und fuhr sich mit den Händen durch die Haare: „Verdammt! Wieso bin ich dir bloß ohne Waffe hinterhergelaufen! Ich bin so ein Vollidiot!“
Ich ignorierte ihn und starrte in die dichte Dunkelheit zwischen den großen Tannen. Ein gelbes Augenpaar erwiderte meinen Blick und das Blut gefror in meinen Adern. Marek grummelte immer noch vor sich hin und ich trat einen Schritt zurück bis ich an ihn stieß.
„Sei ruhig.“, befahl ich ihm so gelassen wie möglich.
„Wieso?! Was glaubst du eigentlich-‘‘ Er verstummte, als er den Wolf aus dem Schatten treten sah.
Ich hörte ihn schlucken und fühlte die Spannung die von ihm ausging. Er wusste genau was für eine Rolle er jetzt annahm. Die der Beute. Mein Blickfeld veränderte sich als ich seine Angst roch. Ein Knurren stieg tief aus meiner Brust. Er gehörte mir. Der graue, riesige Wolf mir gegenüber fixierte mich. Es war eine eindeutige Drohgebärde und sein Nasenrücken runzelte sich als Vorstufe zum Zähne fletschen. Unter zusammengebissenen Zähnen zischte ich Marek noch eine letzte, überlebenswichtige Anweisung zu: „Egal was passiert, lauf nicht weg. Bleib stehen, vermeide Blickkontakt und beweg dich NICHT!“
Dann dachte ich nicht mehr menschlich. Ich nahm den Geruch meines Gegners auf, sog ihn tief in die Nase. Da waren noch mehr. Mindestens drei andere Wölfe lauerten hinter den Bäumen. Sie rochen holzig, nach dem Wald und dieser Duft verführte mich beinahe dazu meine Angriffshaltung aufzugeben. So roch niemand der jemanden umbringen wollte. Doch die Körperhaltung des Wolfes vor mir verriet das Gegenteil. Er lauerte tief über den Boden geduckt, mit aufgestelltem Nackenfell und stark angespannten Lefzen. Ich hörte Marek in meinem Rücken schwer atmen und traf eine Entscheidung. Ich konzentrierte mich auf meinen Körper, meine Empfindungen und meine Wahrnehmung ohne den Wolf aus den Augen zu lassen. Ein elektrisierendes Gefühl schoss meine Haut entlang und ließ sie kribbeln. Dann, zu schnell für menschliche Augen, sackte ich auf große Pfoten, getragen von kräftigen Beinen. Meine Kleidung zerriss mit einem hässlichen Reißen und ich schüttelte sie ab. Wie sehr hatte ich dieses Gefühl in den letzten Stunden vermisst. Meine Beute hinter mir hörte kurz auf zu atmen, dann schlug ihr Herz hektisch und sie begann zu hyperventilieren.
Meine Raubtierinstinkte drängten mich dazu sie zu jagen, ihr die Kehle aufzureißen um dann genüsslich ihre Knochen abzuknabbern. Mein linkes Ohr zuckte schon nach hinten, doch ich konnte mich gerade noch beherrschen. Ich hatte andere Prioritäten. Erst musste ich meine Konkurrenten loswerden. Die Situation hatte sich nicht groß verändert. Jetzt musste etwas geschehen. Ich spannte meine Muskeln an und sprang auf den Wolf vor mir zu. Er wich mir knurrend aus und setzte zum Gegenangriff an. Ich ließ ihm keine Chance und stürzte mich wieder auf ihn. Ich erwischte nur ein Büschel Haare und knurrte frustriert. Mir blieb keine Sekunde, da griff er mich an. Ich duckte mich schnell, doch ich hatte den Abstand falsch eingeschätzt. Er hing in meinem Nackenfell und zerrte daran. Der brennende Schmerz machte mich rasend und ich schnappte wild um mich. Sein schwerer Körper hing auf meinem Rücken und ich wand mich hin und her um zu entkommen. Als er den festen Griff seiner Kiefer lockerte um nachzufassen, ergriff ich die Möglichkeit die sich mir bot und wandte mich blitzschnell um. Er schnappte ins Leere und seine Zähne klackten aufeinander. Wir hielten uns nicht mehr mit Knurren und anderen Drohgebärden auf, sondern kämpften schonungslos. Ich biss und kratzte wie ich nur konnte und unser beider Fell wies rote Streifen auf. Meine zahlreichen kleinen Wunden brannten, doch keine Verletzung war schwer. Meine Muskeln brannten wie Feuer und wir atmeten schwer, doch keiner dachte auch nur daran das Feld zu räumen. Zahllosen Angriffen folgten ebenso zahllose Gegenangriffe ohne einen klaren Sieger. Die anderen Wölfe des Rudels hielten sich im Hintergrund, jaulten nur ab und zu leise und ungeduldig. Doch ich konzentrierte mich nicht auf sie, nur auf meinen direkten Gegner. Seine Augen waren bernsteingelb und wirkten merkwürdigerweise belustigt.
Genug.
Die raue Stimme erschien in meinem Kopf und ich war verwirrt. Kam sie etwa von meinem Konkurrenten? Ich vertrieb diesen Gedanken indem ich wieder auf seinen Hals lossprang. Dunkel knurrend und zu schnell für eine Reaktion meinerseits warf er sich auf mich, drückte mich flach auf den Boden und umschloss meine Kehle mit seinem Maul. Ich spürte die heiße Feuchtigkeit seines Atems und seine scharfen Zähne, die meine Haut durch das Fell nur leicht anritzten. Ich zappelte mit meinen Beinen um ihn loszuwerden, doch er verstärkte nur den Druck und ich hielt voller Angst um mein Leben still. Daraufhin erhob er sich langsam und ich schloss meine Augen in Erwartung des Todesstoßes. Doch nichts geschah. Zögernd öffnete ich sie wieder und blinzelte fassungslos. Dort, wo der Wolf gestanden hatte, stand jetzt ein breitschultriger Mann. Auf meinen Blick hin lachte er dunkel und heiser. Plötzlich ertönte ein dumpfes Geräusch.
Marek war ohnmächtig in den Schnee gefallen.






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