Neumond - Teil 2

Autor: Eisfeuer
veröffentlicht am: 21.11.2011


Und jetzt? Ich zögerte. Konnte ich ihm vertrauen? Erinnerungen durchzuckten mich und ich zitterte. Es war besser wenn ich niemandem vertraute, das würde mir eine Menge Schmerzen ersparen.
Also blieb noch eine einzige Möglichkeit, Flucht. Außerdem hatte ich ein Ziel zu erreichen. Ich raffte also schnell alles Nahrhafte aus der Vorratsecke, verstaute es gut in einem weiteren Fenster und wandte mich zum Fenster. Ich kämpfte kurz mit dem Riegel, dann schwang ich ein Bein über das Sims und warf mein Päckchen in den Schnee. Ein leises Hüsteln hinderte mich daran auch das andere Bein aus dem Fenster zu schwingen.
Erschrocken erstarrte ich und schaute wieder einmal in eisblaue Augen. Er grinste mich spöttisch an: „Willst du schon gehen?“. Ich spürte die Hitze in meinem Gesicht aufsteigen. Mist, das war nicht gerade meine übliche Eleganz. Ich sprang leicht vor ihn auf den Boden, bückte mich und drückte mein Diebesgut an meine Brust. „Und, was dagegen?“, versuchte ich mein Erröten zu überspielen. Meine Beine zitterten. Er hob eine Augenbraue: „Eigentlich nicht, aber angesichts der Tatsache dass ich dich ein paar Stunden vorher zusammengebrochen im Schnee aufgesammelt habe, bezweifle ich dass du es mit“, er schaute auf mein kleines Paket, „einem Brot und drei Streifen Dörrfleisch weit schaffst. Mal ganz abgesehen davon dass es vielleicht ein klein wenig unhöflich ist.“
Er fröstelte, „Aber lass uns unsere kleine Konversation lieber nach drinnen verlegen, dort ist es wärmer und es gibt mehr Essen für dich.“ Und mit diesen Worten stapfte er selbstsicher um die Hütte zur Tür und hielt sie auffordernd offen. Eigentlich hatte er ja recht, ich spürte meine Kräfte schon wieder schwinden und immerhin hat er bis jetzt weder versucht mich zu vergewaltigen, noch mich umzubringen oder ähnliche tolle Aktionen.
Ich schüttelte diese düsteren Gedanken ab und spürte die Wärme aus der Türöffnung dringen. In ein paar Tagen konnte ich mich immer noch auf wieder auf den Weg machen. Das gab den Ausschlag. Hoch erhobenen Hauptes stapfte ich hinter ihm her über die Schwelle und hörte mit meinem feinen Gehör wie er beinahe lautlos die Tür schloss.
Sein großer, muskulöser Körper verursachte einen kleinen Luftzug als er zur Feuerstelle ging und mit einem Stock ein wenig in der Glut stocherte. „Ich heiße übrigens Marek“, informierte er mich.
Ich schwieg, gebannt vom Muskelspiel seines Arms. Innerhalb von Sekunden loderten wieder Flammen auf. Er schaute irritiert auf und ich richtete ertappt meinen Blick auf sein Gesicht: „Willst du mir nicht auch deinen Namen verraten?“. „Nein“, antwortete ich kurz. Marek lachte verblüfft auf: „Ähm...okay. Und wie soll ich dich dann ansprechen?“ Kurz war ich versucht ihm meinen Namen zu nennen, dann besann ich mich wieder. Ich durfte so wenig Spuren wie möglich hinterlassen, wenn ich endlich Ruhe finden wollte. Ungeschickt wechselte ich das Thema: „Wohnst du allein hier?“
Seine Augen durchschauten mich mühelos und ich senkte beschämt meinen Blick, doch er antwortete auf meine Frage: „Ja, das restliche Dorf ist etwa eine Viertelstunde zu Fuß entfernt. Dort bekomme ich meine Vorräte“, er zwinkerte, „die du heute ernsthaft geschmälert hast“.
Marek setzte sich auf die Strohpritsche die unter seinem Gewicht leicht nachgab und klopfte auf eine freie Stelle neben ihm. Doch ich ignorierte es und kniete mich vor das Feuer und unterdrückte ein erleichtertes Seufzen als mein Körper nicht mehr mein Gewicht tragen musste. Er überging meine Reaktion, doch ich sah in seinen faszinierenden Augen wie es in seinem Kopf arbeitete.
Ich durchbrach die Stille: „Und die Dorfbewohner geben dir einfach so ihre Lebensmittel? Oder musst du gar nicht bezahlen...?“ Ich ließ die Frage bedeutungsvoll offen und er schüttelte vehement den Kopf und rümpfte die Nase: „Ich bin kein Dieb.“, stellte er scharf klar. Ich schien ihn ernsthaft beleidigt zu haben. „Ich jage für sie im Wald und verkaufe die Pelze.“ Ein Teil in mir horchte bei dem Wort „jagen“ auf und ich erbebte. Hoppla, ich hatte mich nicht so gut unter Kontrolle wie ich dachte.
Marek hatte das natürlich nicht übersehen und sein Gesicht erstarrte zu einer bitteren Maske: „Keine Angst, ich töte alle süßen Kaninchen so schnell und schmerzlos wie möglich. Ich bin kein Monster.“
Ein hysterisches Kichern stieg in mir auf, als ich daran dachte wie er reagieren würde wenn er wüsste wie vielen Kaninchen ich schon hungrig die Kehle aufgerissen hatte, ohne die geringsten Schuldgefühle oder Gewissensbisse. Er zog die Augenbrauen hoch: „Ich glaube es ist besser wenn du dich schlafen legst. Es war ein ganz schön schwerer Tag für dich, du bist sicher müde.“ Marek hatte Recht. Bei seinen Worten musste ich ein Gähnen unterdrücken. Er stand auf und deutete auf die Pritsche. „Du kannst dort schlafen. Ich lege mich mit einem Fell vor das Feuer.“ Er ging zu einer versteckt stehenden Truhe und zog einen grauen Pelz hervor. Durch den Schwung wehte ein kleiner Luftstoß zu mir und traf meine Nase. Ich erstarrte. Alle meine Härchen richteten sich auf und meine Kehle schnürte sich zu.






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