Angel - Teil 3

Autor: Rehaugenfrau87
veröffentlicht am: 25.10.2011


Es würde noch Stunden dauern, bis der Schienenverkehr wieder aufgenommen werden konnte. Das ganze Terrain wurde nach Spuren abgesucht. Sam hatte seine Leute angewiesen jeden kleinsten Hinweis einzutüten. Nicht, der Honigaugen wegen, sondern weil es sein Job war, weil hier ein Mord vorlag.
Die Tote (der Tote ist immer derjenige, an dem der Kopf noch dran ist), lag immer noch so auf den Gleisen, wie sie vorgefunden worden war. Der Assistent des Gerichtsmediziners wartete lediglich auf Sam’s okay, ihre Überreste da runterzukratzen und sie zu Karin in die Pathologie zu bringen.
Inzwischen waren Dutzende Fotos gemacht worden. Ihr Gesicht war absolut unverletzt. Der Tod und ihre unwahrscheinlich helle Haut gaben ihr eine ätherische, feenartige Aura. Die Haltung ihrer Arme und Hände gaben Rätsel auf. Auch hier gab es absolut keine Verletzungen. Sie trug einen Daumenring an der linken Hand. Einen schlichten, mattierten Silberring. Die Zartheit ihrer Handgelenke passte zu dem Kindlichen in ihrem Gesicht. Insgesamt war alles an ihr schmal und filigran. Es waren keine Papiere gefunden worden, nichts was die Frau aktuell identifizierte, doch Sam entdeckte eine Wölbung in der Kurzjacke, die sie trug. Und zwar dort, wo sie noch nicht blutdurchtränkt war. Er zog ein Handy aus der Innentasche der Jacke. Mit einer Vorsicht, als wolle er sie nicht wecken. Seine behandschuhte Hand griff nochmals hinein. Möglicherweise hatte sie auch ihren Ausweis oder anderes dabei gehabt. Ein leiser Geruch von Parfüm mischte sich in das Kupfer von Blut und Innereien. Jasmin. Sam stellte sich vor, wie sie es auf die Mulde unter ihre Kehle getupft hatte. Den Sommer ersehnend, den Tod erhalten.
Das Handy war nicht nur unversehrt, sondern auch eingeschaltet. Er wollte gerade die Kontaktliste durchgehen, als sein eigenes läutete.
“Burg“, meldete er sich knapp. Es war die Maklerin. Frank hatte sie ihm empfohlen, und der Verkauf des Hauses war bereits mehr als überfällig. Sam hörte ca. eine Minute lang wortlos zu.
“Können Sie das alles arrangieren?“, fragte er schliesslich. „Also wie in diesem Unser-Haus-im-Glück-Ding?“ Offenbar verstand die Frau am anderen Ende nicht wirklich, was er meinte.
“Regeln Sie das. Kümmern Sie sich um einen Gärtner, eine Putzkolonne, alles was Sie brauchen, um Ihren Provisionsanteil zu erhöhen. Machen Sie es einfach. Und schicken Sie mir die Rechnung.“
Er legte auf ohne eine Antwort abzuwarten.
Es gab keine Kontaktliste, außer die vom Autoservice und der Auskunft, also keine außer den Rufnummern, die bereits vom Anbieter einprogrammiert waren. Auch Einträge zu ausgehenden Anrufen fehlten. Sam drückte die Taste zu den Anrufen in Abwesenheit. Als das Handy zu läuten begann, hätte er es vor Schreck fast fallengelassen. Es war Twisted Nerve. Das fröhliche Pfeifen passte zur Sonne, verhöhnte den Rest dieses Szenarios. Frank, der gerade die Spuren am Fundort der Beine sondiert hatte, sah ihn achselzuckend an. „Hast du Ave Maria erwartet? Geh schon ran, Mann.“
“Hallo?“
Die irritierte Stille am anderen Ende hatte Sam bereits einkalkuliert. Die Stimme, die danach folgte allerdings nicht.
“Oh, Herr Burg, ich muss mich entschuldigen. Offenbar habe ich die falsche Taste erwischt. Hier ist Lilian Weiss, wir haben vor zwei Minuten miteinander telefoniert.“ Mittlerweile war Lilian nicht nur frustriert, sondern ziemlich angepisst.
“Ich weiss, dass wir vor zwei Minuten miteinander gesprochen. Wen wollten Sie sprechen?“, ertönte es am anderen Ende.
“Nicht Sie.“, entfuhr es ihr, „Will sagen, es geht nicht um Sie, also um Ihr Haus...“
“Frau Weiss.“, die bereits souveräne Stimme am Telefon wurde durchdringend, gleichzeitig sanft, als spräche sie zu einer geistig Behinderten. „Sie haben nicht die Wahlwiederholung gewählt, sondern eine andere Nummer, und ich will jetzt erfahren, wem die Rufnummer gehört, die Sie gewählt haben.“
Verblüfft starrte Lilian das Display ihres Handys an. Gleichzeitig fiel ihr ein, dass der Mann am anderen Ende ein Bulle war. Verbindung zu M. David stand in fröhlichem Grün auf ihrem Handy.
“Ich will Marie David sprechen.“
“Sind Sie eine Verwandte?“
“Nein, ich bin ihre Vermieterin.“
“Sagen Sie mir die Adresse.“
“Wie bitte?“
“Sagen Sie mir die Adresse von Marie David. Wir treffen uns dort. Bringen Sie einen Zweitschlüssel mit.“
“In Sonnenberg. Am Lerchenweg 9.“
“In einer halben Stunde.“
“Hören Sie, ich habe Termine...“
“Bis gleich.“







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