Mit dir, ohne dich - Teil 6

Autor: sunny
veröffentlicht am: 01.10.2011


Sechs
Ablenkung

Es gab nicht Vieles, das ich durfte, und nichts davon hätte mich jetzt beruhigt. Blieb also nur etwas Unerlaubtes. Und was lag da näher als… Clara?
Leider hatte ich nicht viel zum Anziehen. Nur das, was ich am Tag des Unfalls getragen hatte, und die Kleidung war erstens kaum mehr zu gebrauchen und zweitens mit unangenehmen Emotionen behaftet gewesen, weshalb ich Schwester Hanni gebeten hatte, sie wegzuwerfen. Nun musste ich also mit dem einzigen Kleidungsstück, das ich besaß (Die Krankenhaushemdchen wagte ich nicht als „Kleidung“ zu bezeichnen!) auf den Flur hinaus, und das war ein weißer Frotteebademantel, den das Krankenhaus mir zur Verfügung gestellt hatte. Bedauerlicherweise besaß ich nicht sehr viel Geld, nicht mehr als die siebenundsechzig Euro dreiundzwanzig, die sich am Tag des Unfalls in meiner Hosentasche befunden hatten. Ich hatte nichts bei mir gehabt, keinen Ausweis, keine Versicherungskarte, nichts. Keine Handtasche, keinen Rucksack, nicht einmal ein Handy oder ein Portemonnaie. Nur einen Anhänger in Form eines Marienkäfers und die siebenundsechzig Euro dreiundzwanzig in meiner Hosentasche. Nicht mal Schmuck hatte ich getragen, keinen Ring, keine Armbanduhr, nichts.
Hastig verbot ich mir weiteres frustrierendes Nachgrübeln und schlüpfte in den Bademantel, der in meinem Schrank untergebracht war. Ich fühlte mich sicher auf den Beinen. Und ganz egal, was sämtliche Ärzte auch sagen würden- ich war mir auch absolut sicher, dass ich Clara sehen wollte. Und zwar jetzt. Sofort.
Auf dem Flur herrschte reger Betrieb, als ich einen Blick hinauswarf. Ich wartete, bis Hanni und eine weitere Schwester ins Stationszimmer zurückgekehrt und die Praktikantin mit dem Getränkewagen in einem Zimmer verschwunden war. Dann befanden sich bloß noch zwei Frauen auf dem Gang, die augenscheinlich auf irgendwen warteten. Jedenfalls gehörten sie nicht hierher und wussten somit auch nicht Bescheid über mich.
Rasch schlüpfte ich hinaus auf den Gang. Meine Frotteepantoffeln (Passend zum Bademantel) machten kein Geräusch auf dem Gummiboden, als ich eilig den Gang entlang und durch die doppelflügelige Glastür ins Treppenhaus floh. Jetzt bloß schnell. Hoffentlich hatte mich keiner gesehen.
Von Jaden wusste ich, auf welcher Station die Kleine lag. „Die Intensivstation ist nur zwei Stockwerke höher. Darum schaue ich manchmal vorbei. Sie liegt in einem verglasten Zimmer, ich kann sie durch die Scheiben sehen.“
Also gut. Das dürfte doch gar nicht so schwer sein.
Ich stiefelte die Treppe nach oben, was sich doch als ganz schön anstrengend erwies. Eines meiner Beine tat nur sehr widerwillig seinen Dienst und ich musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht vor Schmerz das Gesicht zu verziehen. Von der Gehirnerschütterung, die mich vor ein paar Tagen hatte ohnmächtig werden lassen und der ich auch Übelkeit und Schwindel verdankte, merkte ich allerdings fast nichts mehr. Nur die Wunde an meiner Schläfe pochte noch, wie diverse andere Wunden an meinem Körper.
Aber es ging. Ich konnte laufen. Na also, dachte ich zufrieden, wer sagt’s denn. Die Treppe hatte ich fast geschafft. Jetzt durfte mir nur niemand begegnen, der mich kannte, sonst läge ich schneller wieder in meinem Zimmer, als mir lieb war.
Leider trieben sich auf der Intensivstation auffällig viele Ärzte herum. Ich musste mir etwas einfallen lassen.
Dummerweise fand ich kein passendes Versteck, um diesen Vorsatz in aller Ruhe umsetzen zu können; also musste es schnell gehen.
Verdammt schnell, bevor mich hier jemand entdeckte.
Also gut… ähm… hier war der Plan: Reingehen und so schnell wie möglich Claras Glaszimmer finden.
Ich holte tief Luft und stiefelte los. Bemüht, zielstrebig auszusehen, schob ich die große Glastür auf und marschierte einfach an den Ärzten vorbei. Leider machte mein Bein mein selbstbewusstes Auftreten ein wenig zunichte. Was sich auch sofort rächte.
„Äh, Moment, Sie können hier nicht einfach so rein!“, sprach mich ein Arzt an. Ich tat mein Bestes, ihn zu ignorieren, und humpelte tapfer weiter.
„Hey, Sie! … Mädchen!“ Jetzt drehten sich auch andere Ärzte und Pfleger nach mir um. Eine Krankenschwester stellte sich mir beherzt in den Weg, was mich aufgrund des leidigen Beines leider zum Anhalten zwang.
„Ich muss da durch“, teilte ich ihr trotzdem entschlossen mit.
Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Das hier ist die Intensivstation. Da können Sie nicht einfach so rein marschieren.“
„Ich muss da trotzdem durch“, beharrte ich trotzig.
Ein Pfleger packte mich am Arm. Meine Versuche, ihn abzuschütteln, gingen kläglich schief. Wütend funkelte ich ihn an. „Lassen Sie mich los!“, brüllte ich. „Ich muss da jetzt durch, verdammt!“
Ein schriller Pfeifton erklang und eine rote Lampe über einem der Zimmer begann zu blinken, was die Anzahl der auf dem Flur versammelten Personen sofort um einiges reduzierte. Der Pfleger machte jedoch immer noch keine Anstalten, mich loszulassen.
„Wohin wollen Sie denn überhaupt?“, fragte die Schwester, die mir den Weg versperrte. Verdammt neugierig, diese Krankenschwestern. Langsam fing ich an zu glauben, dass sie alle so waren. Die auf meiner Station waren es jedenfalls definitiv.
Ich schnaufte durch die Nase und überlegte, ob ich mein Anliegen preisgeben sollte oder… lieber nicht.
„Rein“, intonierte ich, durchaus in dem Wissen, dass sie das als Provokation empfinden würden.
Doch noch bevor sie reagieren konnten, sagte jemand hinter uns: „Joelle!“
Da der Pfleger mich noch immer festhielt, konnte ich mich nicht umdrehen; ich erkannte aber auch so, dass Jaden endlich aufgetaucht war. Er war einfach so da und schaffte es, Überraschung, Resignation, Sorge, Ärger und Amüsiertheit in das einzige Wort zu legen, das er sagte. Joelle.
„Is this the girl you told us about?“, fragte eine zweite Stimme, eindeutig amüsiert. Sie war dunkel und weich und jagte mir unwillkürlich Schauer über den Rücken. Ich kannte sie nicht. Wer war das?
Die Krankenschwester funkelte mich böse an, aber noch bevor sie etwas sagen konnte, stand plötzlich Jaden zwischen mir und ihr. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Was tust du hier?“, wollte er wissen.
Ich hätte mich gern zu voller Größe aufgerichtet, aber erstens tat mein Bein mittlerweile höllisch weh und zweitens hielt mich der Pfleger immer noch fest.
„Mich… ablenken?“, versuchte ich es mit einer Version der Wahrheit.
„Du gehörst ins Bett, und das weißt du!“, schimpfte Jaden. Meine Güte, warum war er denn so aufgebracht? Was tat ich denn schon Schlimmes?
„Na schön, Spielverderber!“, entgegnete ich, nun meinerseits sauer. „Ich will Clara sehen, und zwar sofort! Nur lassen mich diese“ Ich zerrte vergeblich an meinen Armen, „Möchtegernwächter hier nicht durch!“
„Entschuldigung.“ Die Krankenschwester war hinter Jaden getreten und sprach ihn an, woraufhin er sich zu ihr umdrehte. „Gehört das Mädchen zu Ihnen, Herr Flynn?“
Jaden seufzte und strich sich mit einer Hand in seiner typischen Geste das Haar aus der Stirn. Sein Blick huschte kurz zu mir, bevor er antwortete: „Ja, das kann man wohl so sagen.“
Die Schwester lächelte ihn an. Jaden war eben ein Herzensbrecher!
„Dann tut es uns natürlich Leid, das wussten wir nicht.“ Sie warf mir einen säuerlichen Blick zu. „Offen gestanden hat sie sich auch nicht viel Mühe gegeben, es uns zu erklären!“
„Das kann ich mir vorstellen“, gab Jaden trocken zu. „Ich entschuldige mich hiermit für sie. Sie wollte sicher kein Chaos verursachen. Sie ist nur momentan…“ Er sah mich an, „In einem etwas schwierigen Zustand.“
Schwieriger Zustand?!?!
Die Krankenschwester warf einen Blick auf mein schmerzendes Bein und die eingegipste linke Hand und nickte verständnisvoll. Offensichtlich war ich nicht der einzige schwierige Patient.
Der Pfleger ließ mich endlich frei, woraufhin ich erleichtert seufzte und erstmal meine verwendbaren Glieder streckte. Ich verkniff mir einen Fluch und sah Jaden auffordernd an.
Er seufzte erneut.
„Wäre es wohl möglich, dass wir ganz kurz... einen Blick auf Clara werfen?“, fragte er die Krankenschwester vorsichtig.
Die Schwester lächelte ihn charmant und warmherzig an. Sie war eindeutig in ihn verschossen!
„Aber sicher, Herr Flynn“, stimmte sie widerspruchslos zu, „Sie wissen ja, wo.“
Irgendwie hatte ich plötzlich schlechte Laune.
„Danke“, sagte Jaden und schenkte ihr ein Lächeln, bevor er mich am Arm packte und um eine Ecke zog.
„Hey!“, protestierte ich.
Jaden presste mich gegen die Wand und starrte mich kurz wütend an, bevor er losließ und laut durch die Nase schnaufte. „Man, Joelle!“, begann er zornig, „Was hast du dir bloß dabei gedacht?!“ Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und wand sich hin und her. „Verdammt nochmal, du dummes Mädchen!“ Auf einmal war er bei mir und drückte mich fest an sich. „Hast du eine Ahnung, was alles hätte passieren können?“ Er löste sich von mir, blieb aber ganz dicht vor mir stehen. „Wenn du auf der Treppe hingefallen wärst… oder wenn du wieder in Ohnmacht gefallen wärst! Was, wenn dein Bein jetzt einen Schaden davongetragen hat?“ Er seufzte schon wieder und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ja, ja, ich weiß, das ist dir egal.“ Seine Hand blieb kurz auf meiner Wange liegen. „Weißt du überhaupt, was du mir für Sorgen machst?“
Er machte sich Sorgen? Das hatte ich nicht gewollt.
„Das tut mir Leid“, beteuerte ich.
„Ich weiß“, seufzte Jaden.
Jemand trat neben uns und ich wandte den Blick von Jaden ab, um den Jemand anzusehen.
Er war größer als ich, größer selbst als Jaden, und er lehnte lässig neben uns an der Wand, die Hände in den Hosentaschen. Seine Augen, auf mich gerichtet, waren von einem vereinnahmenden Braun, sie glühten förmlich. Sein Haar war dunkelblond und stand ihm in wirren Wellen vom Kopf ab.
Er hatte das wundervollste schiefe Lächeln, das ich je gesehen hatte.
Da war ich mir a b s o l u t sicher.
„Hi“, sagte er.
Ich war einen Augenblick lang so gebannt von seinem Anblick, dass ich gar nichts sagen konnte. Dann sagte ich: „…hi.“
Das war nun wirklich nicht die intelligenteste Antwort, aber es war alles, was mir einfiel.
Jaden trat einen Schritt zurück, legte die Hände an den Hinterkopf und den Kopf in den Nacken. Mit einem Seufzer ließ er sie wieder fallen. Er sah mich an.
„Joelle, das ist Valentin, ein Freund von mir. Er kommt aus England.“ Dann wandte er sich an Valentin. „Valentin, that’s Joelle.“
„Nice to meet you, Joelle.“ Valentin lächelte mich an.
Zaghaft lächelte ich zurück. „Thank you, Valentin.“
Jaden seufzte erneut. „Okay, let’s go to Clara, so that you’ll be in your bed as soon as possible, Joelle.“
Trotzig verzog ich das Gesicht. „I’m okay! You really don’t need to put me in bed like a bird in its cage! It’s my life, and I decide what to do with it!”
Jaden wandte sich zu mir um. „And if you decide to ruin it, I won’t stand beside you just watching!”
Valentin lachte. “You speak English very well, Joelle.”
Überrascht sah ich ihn an. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht. „Oh… yes! Thank you!“
Für einen Augenblick blitzte etwas in meinem Hinterkopf auf, ein Schatten, kaum mehr als ein Gefühl, und ich hielt inne und versuchte, es zu fassen zu bekommen; aber nicht sehr lange, denn dann humpelte ich Jaden hinterher, der einfach losgelaufen war.



***

Okay, Leute, mit dem siebten Teil gibt's leider ein kleines Problem... ähhhhm... ich brauch dafür was, was ich geschrieben habe; ich hab's mir extra notiert und dann irgendwo einsortiert, damit ich's nicht verliere. Tja... und kann mir zufällig irgendwer sagen, WO ich das einsortiert habe??? Man, man, aman; seit Tagen such ich jetzt schon danach, und ich FIND'S EINFACH NICHT!!!
Wünscht mir glück, Leute :)-





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