Ein unbeschreibliches Gefühl - Teil 6

Autor: Christian Claus
veröffentlicht am: 14.09.2011


„Welche Symptome?“ „Nun, ständige Müdigkeit, Fieber, Übelkeit. Es sieht wie eine normale Grippe aus, aber das ist ein Dauerzustand bei mir.“ „Jenny, ich glaube ich bin der falsche Ansprechpartner für dich. Ich habe eine neue Freundin, sie ist super. Die Beziehung, die wir hatten, ist Geschichte, das weißt du, aber abgesehen davon, wie war die Restzeit in den USA?“ Jenny sagte nun gar nichts mehr, sondern rannte fort, tränenüberströmt. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, doch was habe ich anders gemacht als sie? Gar nichts, und das war der Punkt. Jeder sollte jetzt sein eigenen Leben führen, auch wenn es für sie wohl bald kein Leben mehr geben wird. Ich recherchierte im Internet nach dem Thema „Aids“ und entdeckte Erschreckendes. Warum gerade Jenny? Wo sie doch eigentlich so ein liebenswerter Mensch war, der mal einen Fehler gemacht hat. Ich rief sie sofort an. „Jenny, ich wollte mich entschuldigen bei dir, da ich vorhin so ungerecht zu dir war. Es tut mir leid. Ich möchte, dass wir wieder Freunde werden. Du kannst über alles mit mir reden.“ „Auf einmal, Chris? Woher denn dieser plötzliche Sinneswandel?“ „Nun Jenny, meine Gefühle zu dir waren nie richtig weg und ich halte eine Freundschaft zwischen uns beiden jetzt für das Beste. Ich unterstütze dich bei deiner schweren Krankheit.“

Jenny war sichtlich erleichtert über meine Worte und in den folgenden Tagen in der Schule konnte sie sich wieder gut in die Klasse integrieren. Darüber, dass sie HIV-Positiv ist, habe ich gegenüber den anderen kein Wort verloren. Und das war auch besser so. Ich wollte nicht dass sie deswegen wieder gemobbt wird, da hat sie in ihrer damaligen Schule schon zu viel durch. So vergingen die Jahre und der Gesundheitszustand von Jenny verschlechterte sich zusehens. 2003 kam sie gar nicht mehr zur Schule, sondern hütete das Bett.

Besorgt besuchten Steffi, mit der ich übrigens immer noch glücklich zusammen war, und ich Jennifer zu Hause. Sie lag in ihrem Bett und sah furchtbar aus. Der Bettschrank war voll mit Medikamenten. „Chris, bist du es? Schön,…dich zu sehen. Setzt euch doch. Wie läuft es in der Schule?“ „Nun,…“ setzte ich an. „Das Abitur ist so gut wie in der Tasche, bei vielen von uns in der Klasse. „Das hört sich ja wirklich gut an. Chris, kannst du deine Steffi kurz raus schicken?“ „Klar, gar kein Problem.“ meinte ich zu Jenny und ein kurzer Blick zu Steffi genügte, dass sie rausging.

„Chris…du musst noch eins wissen. Ich habe nie aufgehört dich zu lieben. Vom ersten Tag an, wo ich dich sah, bis jetzt ist meine Liebe zu dir ungebrochen. Ich will, dass du das weißt.“

Mit diesen Worten im Kopf verließ ich mit Steffi das Haus. Es sollten Jennys letzte Worte sein. Eine Woche später wurde sie auf dem Hauptfriedhof in Beeskow beerdigt. Ihre Familie und auch ich waren dabei anwesend. Es war der traurigste Moment in meinem Leben, an ihrem Grab zu stehen und ihre Urne zu betrachten. Doch der Gedanke, dass sie jetzt von oben auf uns herabschaut und uns zuwinkt, gab mir Trost.

Jennys Tod konnte ich lange nicht verwinden. Doch nach vielen Jahren, ich hatte Stefanie im Alter von 25 Jahren geheiratet, war ich wieder glücklich, auch wenn ich Jennifer nie vergessen konnte. Noch heute steht ein Bild von uns beiden in meinem Regal. Und oft ertappe ich mich dabei, wie ich mit meinem Finger ihr engelsgleiches Gesicht berühre…

Ende





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