Ist es Liebe? - Teil 7

Autor: Sara
veröffentlicht am: 07.09.2011


Sie fand die Wand wieder. „Meinst du, hier gibt es irgendetwas, das uns helfen könnte?", wechselte sie das Thema.

Er drang nicht weiter in sie, sondern antwortete ihr ruhig, als sei nicht passiert. „Ich weiß nicht. Vielleicht liegen bei den Folterwerkzeugen ein paar Skalpelle."

Unwillkürlich schmunzelte sie. „Ich werde dich nicht operieren. Ich bringe dich nur um."

„Ein Versuch würde uns Gewissheit verschaffen", murmelte der Vampir offensichtlich amüsiert. „Und eine Ärztin wie du würde doch mit Sicherheit eine Menge darauf geben an einem lebenden Toten rumzuschnippeln."

Sie zog eine Augenbraue hoch und sah in der Schwärze in seine Richtung. „Du würdest den Versuch nicht überleben und so interessant ist ein Vampir nun auch nicht." Sie seufzte. „In meinem Studium musste ich schließlich ein paar Leichen sezieren."

Der Vampir grunzte. „Ich bin keine Leiche. Meine Anatomie würde dich mit Sicherheit faszinieren."

„War das ein unsittliches Angebot?"

Ein heiseres, männliches Lachen erfüllte den Raum. „Wünscht du es dir?"

Zumindest hatte er aufgehört, darauf zu bestehen, dass sie ihn umbrachte. „Mit einem bewegungslosen und gefühllosen Vampir?" Theatralisch griff sie nach ihrer Brust und ließ die Wand los. „Mein Traum geht in Erfüllung."

„Ich kann gut küssen."

Sie fand ein Regal an der Wand. Oder zumindest etwas in der Art. „Was?"

„Mein Mund funktioniert hervorragend. Und ich kann gut küssen."

Nun lachte auch sie. „Ich weiß nicht mal deinen Namen."

„Alec Slaughter", antwortete er sofort. „Der Schwarze Arkaios steht zu Ihren Diensten."

Sie grinste. „Was für Dienste wären das? Du kannst ja nicht einmal den Kopf schütteln."

„He", protestierte er leise. „Ich kann... küssen. Du solltest das wirklich mal ausprobieren."

Es war erstaunlich wie einfach er die ganze Atmosphäre auflockerte. „Ich denke... über das Angebot nach." Auf dem obersten Regalbrett fand sie ein paar Dosen, die nach Farbe rochen. Seltsam. Weshalb standen hier Farbdosen rum? Was für eine Folter könnte Farbe gebrauchen? Oder wollten sie die Wände hübsch anmalen?

„Du bist nicht von der spontanen Sorte, hm?", fragte er.

Als ihre Hand über ein paar kleinere Gerätschaften glitt, zuckte sie zusammen. Sie fühlten sich unglaublich vertraut an. Ihre Finger legten sich über ein paar Messer und strichen dann über Pinzetten, Scheren, Klemmen und Spekula. Hier war offensichtlich kreativ gefoltert worden. Sie schüttelte sich bei dem Gedanken. „Was?", fragte sie abwesend und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, was sie gerade gefunden hatte. Dabei fiel ihr auf, dass das Gewicht eines Skalpells überraschend schwer war. Aus was für einem Material war das? Aus Chirurgenstahl mit Sicherheit nicht.

Er seufzte leise. „Schon gut. Wie heißt du eigentlich?"

„Grace", entgegnete sie und legte die Geräte sorgsam zurück. Sie wollte ihn wirklich nicht operieren. Vielleicht traute sie sich zwar in einem waghalsigen Moment so etwas Verrücktes zu, aber eigentlich wusste sie, dass das nur ein Profi konnte. Doch sie konnte diese Dinge vielleicht an anderer Stelle nutzen. „Grace Newlands."

„Wie bist du in diese ganze Sache geraten? Ich meine... Morgana wird dich kaum auf der Straße aufgelesen haben." Er zögerte. „Oder...?"

Sie schüttelte den Kopf. „Ich hab vor einigen Wochen das Flugticket gekauft, um nach Afrika zu reisen. Ärzte ohne Grenzen und noch zwei Organisationen helfen mir bei der Ausgestaltung meiner Pläne, deshalb musste ich bisher nicht viel mehr tun, als Spenden aufzutreiben, mich impfen zu lassen und dieses Flugticket zu kaufen. Darum ist mir erst jetzt klar geworden, was das eigentlich für mich bedeutet. Afrika ist gefährlich und für mich war sogar in Planung, dass ich nach Brasilien gehe, wenn ich noch Geld habe." Sie fing an zu plappern, aber sie wollte einfach nicht wieder an Morgana denken. „Ich wollte vorher noch zum Grab meiner Eltern und mich verabschieden. Falls etwas passiert. Verstehst du?"

Er gab einen zustimmenden Laut von sich.

„Danach habe ich noch bei den Fosters vorbeigeschaut. Mr. Foster war es, der mich damals davor gerettet hat, dass mein Vater mich... umbrachte." Sie räusperte sich kurz. „Ich hab gemerkt, dass etwas nicht stimmte, aber ich konnte den Finger nicht drauf legen. Alle waren nett und ruhig wie immer. Nur haben sie darauf bestanden, dass ich über Nacht bleibe. Als die Nacht einbrach..." Diesmal war es zu viel. Sie spürte wie der Flashback zubiss. Sie versuchte sich zu wehren, wie auch bei der Erzählung über ihre Eltern, doch diesmal war es einfach zu viel. Ein Ventil in ihrem Hirn schien zu kollabieren und die Erinnerungen stützen auf sie ein.

Morgana stand plötzlich in der Küchentür und strahlte, als sie Grace erblickte.

Mrs. Foster schien sie zu kennen, denn sie starrte wie hypnotisiert die neue, bildschöne Besucherin an. Allerdings sah sie nicht wirklich glücklich über den Besuch aus. Grace konnte sehen, wie sich auf dem Gesicht der älteren Frau Verwirrung abzeichnete, als versuche sie sich daran zu erinnern, woher sie die Schönheit kannte.

Morgana trat einen Schritt auf sie zu, berührte sie und das Gesicht von Mrs. Foster wurde weich, wie bei einer Frau, die nach langer Zeit endlich wieder ihr Enkelkind auf dem Schoß hatte. Aufgeregt und freudig rief die ältere Dame die Kinder zusammen, um Tante Morgana zu begrüßen.

Grace versuchte höflich zu bleiben und lächelte die bildschöne, dunkelhaarige Italienerin an, die gerade reingekommen war. Auch wenn offensichtlich alle der Meinung waren, dass dies ihre Tante oder Schwester war, wusste Grace das besser. Mrs. Foster hatte nur einen Vater, der in einem staatlichen Altersheim war und seine Tochter für einen verrückten Hippie hielt.

Nacheinander knuddelte Morgana die Kinder und wandte sich dann Grace zu. „Wir haben Besuch!", rief sie freudig. Sie berührte Grace an der Schläfe und ihr Gesicht verzog sich ein bisschen. Das Lächeln wurde seltsam unangenehm. „Zieh dich aus."

Grace klappte ihren Mund auf. „Wie bitte?"

Morgana berührte wieder ihre Schläfe und ließ sie gar nicht los, während sie ihren Befehl wiederholte. Grace tat nichts dergleichen, sondern starrte nur schockiert in die Gesichter der schamhaften Fosters, die nichts an dem Befehl auszusetzen hatten. Angst hatte ihren Puls beschleunigt, als ihr klar wurde, dass hier etwas völlig falsch lief. Wirklich, wirklich falsch.

Morgana hatte sie ebenso schockiert angestarrt, bevor sie sich an die beiden ältesten Jungs wandte. „Fesselt sie. Auf den Stuhl da." Währenddessen wandte sie sich schon ab und trat auf Mr. Foster zu.

„Du fickst jetzt deine Tochter Lucy. Hart und grob, bis sie aus dem Arsch blutet. Erst dann kannst du kommen. In ihrer Fotze." Es gab keinen Moment, in dem Grace Zeit hatte, dies zu verarbeiten. Mr. Foster entkleidete sich wortlos und trat dann auf Lucy zu, die mit schreckensgeweiteten Augen ihren Vater ansah, doch sich offensichtlich nicht rühren konnte. Morgana lachte leise. „Lucy, Kindchen, willst du nicht reden?"

Die Neunzehnjährige sah ihren nackten, erregten Vater an. „Daddy?", flehte sie panisch ohne sich zu rühren, als er nach ihr fasste.

Er grinste nur. „Daddy wird dir jetzt zeigen wie lieb er dich hat. Wie früher."

Grace war augenblicklich schlecht geworden, doch Morgana lachte nur entzückt.

Die Söhne, Bob und Georg, hatten sie gefasst, als sie noch gar nicht daran gedacht hatte zu fliehen.

Grace hatte nur dagesessen und geglaubt, dass alles wieder normal sein würde, wenn sie aufwachte. Manchmal hatte sie diese Tagträume. Das sagte sie sich, als der jüngste Sohn der Fosters begann bei dem Anblick von Vater und stummer Tochter zu masturbieren. Während sich das andere ein Stück aus der Wade schnitt und es scharf anbriet. Grace hatte versucht nicht zu schreien, schließlich war das nur wieder einer ihrer Träume. Sie hatte das schon einmal geträumt. Es war zwar lange her, aber sie hatte das schon einmal geträumt. Sie wusste, dass es nicht echt war. Es durfte nicht echt sein. Trotzdem fühlte es sich unglaublich real an, als Morgana die Kleidung von ihrem Körper schnitt und sie vor allen entblößte. Es war auch echt gewesen, aber manchmal war es leichter, wenn man so tat, als sei es nicht so. Darin hatte Grace Übung.

„Grace? Grace!"

Grace schüttelte den Kopf und bemerkte, dass ihre Kopfhaut wieder juckte. Ungläubig drehte sie sich zu dem Vampir um. Für gewöhnlich war sie manchmal Stunden in diesen Erinnerungen, Visionen und Träumen gefangen. Sie hörten nicht einfach mitten drin auf. Grace wusste das, denn ihr war es schon öfter passiert, dass Klassenkameraden und Passanten die Polizei riefen, wenn sie zu lange nicht ansprechbar war. Aber Alecs Stimme hatte sie nahezu sofort aus dem Alptraum geholt. Unglaublich! „Du hast mich rausgeholt." Ob es daran lag, dass er ein magisches Wesen war? Sie hatte ihre Träume immer für eine Ventilfunktion gehalten, aber vielleicht war es einfach... übernatürlich.

Durch die Begegnung mit Morgana hatte sie eine Menge Zeit gehabt, über Übernatürliches nachzudenken. Sie hatte das alles erstaunlich schnell akzeptiert; vielleicht weil sie es auch einfach satt hatte ein Freak zu sein und so zumindest endlich eine Erklärung für diese grauenvollen Träume hatte.

Außerdem war es ihr schon vorher immer unterbewusst klar gewesen, dass es übernatürliche Wesen gab. Nicht weil sich ihr krankes Hirn so besser erklären ließ, sondern weil sie oft von diesen Monstern geträumt hatte. Später hatte sie sich eingeredet, die Traummonster seien Einbildung. Jetzt wusste sie es besser, nachdem sie Morganas Zähne und ihre blutige Nahrungsaufnahme beobachtet hatte.

„Was?" Der Vampir war offensichtlich verwirrt. „Was zur Hölle war gerade los mit dir?"

Grace räusperte sich. „Flashback. Das passiert öfter bei diesen Visionen." Sie lächelte bitter. „Das ist das fieseste an dem ganzen Scheiß. Sobald ich ein bisschen von dem Mist vergessen habe und ein paar grausige Details weg sind, kommen die Flashbacks und bringen alles wieder zurück." Sie seufzte. „Ich kann nicht viel darüber reden, okay? Sie stand plötzlich da und alle fanden das normal. Ich hab mir auch nichts dabei gedacht, bis sie mich an der Schläfe berührt hat und wollte, dass ich mich ausziehe."

„Sie musste dich berühren?" Offensichtlich war ihm die Information neu. Seine Stimme klang mehr als überrascht.

Sie lächelte seltsam stolz. Einem wahnsinnig alten Vampir konnte man wohl selten etwas Neues erzählen, richtig? „Ja. An der Schläfe. Aber ich hab nur gefühlt wie meine Metallplatte summte, sonst nichts."

Er schwieg einen Augenblick und sie sah sich weiter um. Dann räusperte er sich leise. „Metallplatte?"

Sie nickte in die Dunkelheit. „Als Kind wurde mir... Ich hab dir von meinem Vater erzählt, als er durchgedreht ist. Ich hatte ein... Loch im Kopf. Eine Metallplatte hält mein Hirn, wo es sein soll."

„Hm", machte er und schien plötzlich etwas zu verstehen.

Wie auf Kommando kitzelte ihre Platte. „Du versuchst dieses Kontrollding wieder, richtig?" Auch ihr wurde nun klar, dass sie offensichtlich seine... Kräfte blockierte oder umleitete. Faszinierend. „Ich bin immun gegen dich!"

„Ja", meinte er ebenfalls fasziniert, allerdings auch verwirrt und enttäuscht.

Sie brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was ihn so enttäuschte. Dann drehte sie sich vorsichtig zu ihm um und trat auf ihn zu. „Du hast die ganze Zeit immer wieder versucht..." Sie konnte den Satz nicht beenden. Er versuchte immer noch auf ihren Verstand zuzugreifen und sie dazu zu bringen, ihm ihre Kehle freiwillig in dieser Trance anzubieten. Schockiert starrte sie in die Dunkelheit. Sie hatte vollkommen vergessen, dass er schlussendlich doch ein Vampir und Blutsauger war. Vielleicht hatte er nicht einmal vor, sie umzubringen. Aber er versuchte zumindest auf ihren Verstand zuzugreifen. Dabei hatte sie sich ihm auf eine sehr intime Weise geöffnet. Sie hatte ihm sogar von ihren Eltern erzählt! Das hatte sie seit ihrer Kindheit niemandem mehr anvertraut.

Dass er sie trotzdem bluten lassen wollte, verletzte sie unglaublich. Mehr als nach dieser kurzen Bekanntschaft möglich sein sollte. Sie atmete tief durch. Das war lächerlich. Natürlich hatte er Hunger. Scheiße, in seiner Situation hätte sie mit Sicherheit alles versucht um etwas zwischen die Zähne zu bekommen. Sie selbst hatte in den letzten Tagen im Haus der Fosters wenig gegessen, denn der Geruch und dieses allumfassende Leid hatten ihren Appetit mehr als versiegen lassen. Jetzt wurde ihr bewusst, wie schnell dies ihren Sterbeprozess verkürzen würde. Vielleicht sollte sie sogar dankbar sein, dass sie zu viel Zeit hatte, über den Tod nachzudenken.

Doch der Vampir würde noch hier sein; genau so daliegen, wie er es jetzt tat und nichts gegen seinen Hunger tun können. Er musste es einfach aushalten, denn sterben würde er wahrscheinlich nicht so schnell.

„Wie lange bist du schon hier drin?"

„Sechshundertfünfzehn Tage", murmelte er in einer monotonen Stimme.

Schockiert starrte sie ihn an. Oder zumindest ungefähr. „Wow."

„Es tut mir leid. Ich hätte es nicht versuchen sollen", murmelte er zerknirscht. „Aber... Nun, dein Geruch ist sehr verführerisch. Und ich... verhungere."

Sie schnupperte und zog die Nase kraus, als sie den ekelhaften Geruch von Verwesung, Schimmel und Feuchtigkeit einatmete. Sie wusste, dass sie alles andere als gewaschen roch. Morgana hatte die Fosters jeden Tag, bevor sie vor dem Morgengrauen verschwand, angewiesen, Grace nicht mehr zu sehen. Ein Bad war ihr also nie angeboten worden. Die Fosters hatten einfach ihr Leben um sie herum weitergelebt. Als komme nicht jede Nacht ein Monster zu ihnen ins Haus. Als sitze Grace nicht direkt vor ihnen und schreie sich die Seele aus dem Leib. Als sei es vollkommen normal, dass einige Familienmitglieder einfach morgens nicht mehr da waren oder ihnen Körperteile fehlten. Sie erschauderte und konzentrierte sich auf Alecs Worte.

„Ich rieche verführerisch?", fragte sie, nur um ihn am Reden zu halten. Es half auf eine seltsame Art, wenn er sich mit ihr unterhielt. Es war, als würden die Flashbacks weichen.

Er lachte heiser. „Mehr als das. Du riechst unglaublich... lebendig."

„Danke", meinte sie unschlüssig. Das hatte ihr zumindest noch nie jemand gesagt. Ihr wurde plötzlich klar, dass er diese ganzen charmanten und netten Sachen nur sagen könnte, weil er sie dazu bringen wollte, dass... Er wollte von ihr trinken. Das war klar. Er machte allerdings auch keinen Hehl daraus, deshalb konnte er nicht unbedingt vollkommen berechnend sein. Außerdem wollte sie das nicht glauben.

Alec Slaughter war bisher ziemlich ehrlich gewesen. Bis auf die Hirnmanipulation vielleicht. Ansonsten war er bisher einfach nur nett gewesen. Wirklich, wirklich nett. Er hatte versucht ihr Trost zu spenden und er hörte ihr zu. Außerdem verurteilte er sie nicht rundheraus wegen ihrer Vergangenheit. Es klang vielleicht albern, aber er war tatsächlich der erste Mensch... Vampir, der... Sie wusste es nicht. Sie konnte einfach keine wirklichen Gründe finden. Wahrscheinlich versuchte er sie zu manipulieren. Er war mit Sicherheit nicht umsonst schon ewig auf der Welt, wenn er nicht eine Menge Tricks gelernt hatte. Manipulationen waren bestimmt seine Spezialität. Trotzdem war sie nicht wütend auf ihn. Sie dachte sogar immer noch darüber nach, ob sie ihn, naja, füttern sollte. Sie würde hier, in diesem dreckigen Loch, sterben. Vielleicht konnte sie zumindest einem Vampir helfen, der in ihren letzten Stunden so tat, als sei sie normal und anziehend. Statt verrückt und angsteinflößend.

In ihrem Leben war ihr bisher wenig Nettes begegnet. Sie erinnerte sich natürlich noch deutlich an ihre wundervolle Kindheit bei ihren Eltern, aber sie erinnerte sich genau so präzise an den Rest.

Das Ordnungsamt hatte nach dem Tod ihrer beider Eltern entschieden, dass es für ihre geistige Gesundheit besser sei, wenn sie zu Pflegefamilien kam, die Kinder meist wegen der staatlichen Geldunterstützung aufnahmen. Einer ihrer Pflegeväter war einfach nur ein perverser Mistkerl gewesen, der sie nachts gern streichelte. Sie war früh genug abgehauen, bevor einer ihrer Visionen zubeißen konnte und sie daran hinderte, sich zu wehren.

In der Schule war sie immer wieder die Neue gewesen. Ausgrenzung war die netteste Reaktion. Am College hatte sie Probleme gehabt durch ihre andauernde Isolation mit anderen Studenten Freundschaften zu schließen.

Selbst heute noch war sie nicht gerade bekannt dafür, dass sie besonders herzlich und freundschaftlich mit ihren Patienten und Kollegen umging. Sie arbeitete präzise und hielt sich von den meisten Ärzten in der kleinen Privatklinik fern, doch sie wusste, dass die Leute gerne über sie redeten. In Hollywood regierte zum Glück nur ein oberflächliches Interesse ohne Tiefgang an allem und jedem. Niemand versuchte wirklich hinter ihre Fassade zu sehen. Ihr Privatleben war vielleicht für kurze Zeit interessant, allerdings nicht ungewöhnlich genug, um wirklich Interesse zu erzeugen. Ihr Chefarzt vergaß sogar regelmäßig ihren Namen.

Graces Privatleben war in der heutigen Zeit nicht allzu unnormal. Nur... Sie suchte ihre Sexualpartner ziemlich gezielt aus und versuchte sie danach so schnell es ging wieder loszuwerden. Die wenigsten bekamen überhaupt ein Frühstück nach einem schnellen One-Night-Stand. In manchen Nächten waren die Träume schlimmer als in anderen. Nach solchen Nächten ging sie nach der Arbeit direkt in Bars und schleppte den erstbesten Kerl ab. In den wenigsten Fällen interessierte sie das Aussehen der Männer. Sie legte nur wert auf Kondome und Hygiene.

In diesen Nächten hatte sie Sex. Anonymen, schnellen Sex mit einem Unbekannten, um eine Nähe zu fühlen. Und um zu fühlen, dass sie am Leben war. Dass es sich lohnte zu leben. Dass es dumm wäre, wenn sie sich an den vielen Medikamenten aus der Klinik bediente und allem einfach ein Ende machte.

Diese Nächte waren mehr Zwang als Lust. Mehr Trieb als Freiheit. Sie genoss die Orgasmen, die Berührungen, die Nähe. Und sie schwelgte in dem Gefühl am Leben zu sein.

Danach hatte sie sich wieder eine Weile im Griff. Manchmal ganze Jahre. Manchmal nur ein paar Monate. Es würde so lange klappen, bis sie zu alt wäre, um Männer abschleppen zu können. Oder wenn sie hier starb.

Die Kälte zog unangenehm an ihren Füßen und das Kratzen in ihrem Hals wurde stärker. Das Letztere war wohl wahrscheinlicher: Der Tod hier, in diesem Keller.

Sie räusperte sich, um das raue Gefühl loszuwerden. Alec würde sich mit diesem Hunger auch halbtot fühlen, überlegte sie. So wie sie sich manchmal nach besonders zehrenden Träumen fühlte. Vielleicht half es ihm für eine Weile, sich lebendig zu fühlen, wenn sie ihn trinken ließ. Sie wusste, wie unbezahlbar dieses Gefühl war. Mehr wert als ein Menschenleben. Besonders ihrs. Vielleicht würde sie beim Gottesgericht, wenn sie jetzt starb, sogar ein Pluspünktchen sammeln. Aber in erster Linie ging es ihr um den Wunsch, ihn leben zu lassen. So, wie sie es manchmal brauchte.

Deshalb kniete sie sich neben ihm und tastete langsam nach seinem Gesicht.

„Was ist los?"

Sie berührte die Rippe, die wie ein Tennisball aus seiner Brust stand und zuckte zusammen. Schnell fand sie seine überraschend weichen Lippen und legte ihr Handgelenk auf seinen Mund. „Geht das so? Oder brauchst du meinen Hals?"

Seine Lippen bewegten sich, als wolle er protestieren. Doch dann fühlte sie auch schon wie seine Fänge ihre Haut durchstießen. Es schmerzte ein bisschen. Wie ein Nadelstich. Aber es war nicht wirklich unangenehm. Es war wie Blutspenden, stellte sie fest, als er den ersten Schluck trank und sich seine Kehle bewegte. Obwohl das Saugen wirklich...

„Oh mein Gott!", stöhnte sie erschreckt, als sich eine prickelnde Hitze in ihrem Unterarm ausbreitete und ihr direkt ins Hirn stieg. Lust brannte plötzlich in ihren Körper und ließ sie feucht werden. Sie zuckte zusammen bei der Gewalt der Regung, doch sie hatte nicht genug Zeit, um sich an dieses unglaubliche, brennende, köstliche Gefühl zu gewöhnen, als seine Zunge auch schon über die Einstichwunden strich und die Wunden schloss.





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