Untitled - Teil 2

Autor: Zoey
veröffentlicht am: 02.09.2011


Die Erinnerung war so stark, dass ich sie vor mir sehen konnte. Wie sie meine Hand nahm, wie sie die Ringe betrachtete, wie sie mich anlächelte. Als es klopfte, schreckt ich auf. Meine Schwester, Whitney, trat ins Zimmer. In der Hand hatte sie einen Teller mit chinesischem Gemüse mit Reis und ein Glas Wasser.
“Hier, für dich”, sagte sie und hielt mir den Teller hin. Ich nahm ihn entgegen. Als sich unsere Hände berührten, bemerkte sie, dass ich nur noch einen Ring trug.
“Wo ist denn der zweite Ring?”, hörte ich sie fragen.
“Ich habe ihn jemanden geschenkt.”
Sie setzte sich auf mein Bett und schaute mich mit ihren durchdringenden grünen Augen an. Wenn ma uns zwei zusammen sah, würde niemals jemand auf die Idee kommen, dass wir Geschwister sind, sondern eher ein Paar. Ihr hellblondes Haar, das ihr bis zum Po reichte, war von dunklen Strähnen durchzogen. Ihr ovales Gesicht mit der hohen Stirn, den fast nicht sichtbaren Augenbrauen, den grünen Augen, der kleinen Stupsnase und den roten Schmolllippen unterschieden sich so sehr von mir. Das einzigste, das wir beide von unserer Mutter geerbt hatten, waren die langen Wimpern. Ihre Taille genau zu ihrem rundum perfekten Körper. Sie trug ein mit Blumen bedrucktes Sommerkleid und eine rote Schleife im Haar. Ihre ebenfalls roten Sandalen und die weiße Strandtasche lagen auf dem Stuhl gegenüber von mir. Becca linste wie immer und überall aus ihrer Tasche heraus. Als der Wollknäuel mich entdeckte, sprang sie heraus und landete auf meinem Bauch.
Es klopfte.
“Aah, na endlich!”, rief Whitney aus, riss die Tür regelrecht auf und eine Sekunde später war ich mit der Orange alleine. Becca maunzte und rieb ihr Köpfchen an meiner Hand. Von draußen hörte ich Whitneys helles Glocken-lachen und eine andere weibliche Stimme, die mir sehr bekannt vorkam, jedoch nicht zuordnen konnte.
Zwei Minuten später rauschte Whitney wieder ins Zimmer, ließ jedoch die Türe offen stehen. Ich entdeckte eine dunkelblonde lange Mähne, die mit dem Rücken zu mir stand. Klein, zierlich, Wespentaille. Plötzlich machte es KLICK.
“Arianna?” Das Mädchen drehte sich um und ich entdeckte, dass es eigentlich gar kein Mädchen mehr war, sondern eine wunderhübsche junge Frau. Mein Blick wanderte zu ihrer rechten Hand, und tatsächlich glitzerte dort mein Ring. Nebendran jedoch steckte ein weiterer silberner Ring. Mit einem weißen Diamanten.



“Sie können ihre Gurte jetzt abnehmen.”, ertönte es aus den Lautsprechern. “Der Fernseh-Apparat über ihnen zeigt ihnen jetzt den Film ‘Wie ein einziger Tag’.”
Ich schnallte mich ab und lehnte mich in meinen Erste-Klasse-Sitz zurück. Die Frau neben mir, Mitte 50, braune Haare mit grauen Strähnen durchzogen, schwarzer knielanger Rock, weiße verzierte Bluse holte ihr Buch hervor und begann zu lesen. Als aus ihrem Buch ein Foto direkt vor meine Füße fiel, hob ich es auf und schaute es mir genauer an. Das Bild zeigte einen Jungen mit dunkelblonden Haaren, einer roten Badehose und einer Taucherbrille, die um seinen Hals hing. Er hatte den Arm um ein Mädchen gelegt, das gerade ihre schwarzen Haare auswrang und strahlend in die Kamera lachte. Sie trug einen olivgrünen Bikini, der ihre Bräune hervorragend zur Geltung brachte. Die beiden standen auf den Stufen eines Pools. Auf dem hellblauen Wasser trieb eine grüne Luftmatratze. Im Hintergrund sah man einen grünen Rasen, der in einen gepflasterten Weg überging. Das Backsteingebäude wirkte riesig und verdeckte fast den ganzen blauen Himmel. Ich riss meinen Blick los und gab es der Frau zurück. Sie zeigte auf den Jungen.
“Das ist Seth. Er und seine Schwester sehen sich gar nicht ähnlich, oder?” Ich schüttelte den Kopf und fragte sie, wie alt die zwei denn wären. “Seth ist 17, Joelle 16. Das Foto ist allerdings schon vor fünf Jahren aufgenommen worden. Ich habe sie an diesem Wochenende das letzte mal gesehen, denn ihr Vater meinte, dass ich schlechter Umgang für die beiden sei.”
“Oh, das tut mir Leid. Aber ihre zwei Enkel sind wirklich hübsch.”
“Das brauch ihnen nicht leid zu tun, denn ich bin gerade auf dem Weg sie zu besuchen. Ja, sie waren schon immer zwei hübsche Engel.”, lächelte sie.
Sie stellte sich als Kate vor. Wir unterhielten uns den ganzen Flug und als sie mich fragte, wohin meine Reise ging, erzählte ich ihr von Philipp, den ich schon seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. Seine Schwester hatte mich angerufen, dass er einen Motorradunfall hatte und im Krankenhaus lag. Ungeduldig fragte sie mich nach den zwei Ringen an meinen Fingern. Ich nahm den silbernen Ring von Philipp ab und zeigte ihr die Innenschrift. “TRUE” Dann nahm ich den Diamantring ab und gab ihn ihr zum bestaunen.
“Woher hast du denn so einen teuren Ring? Doch nicht etwa von einem Verehrer?”
“Mein Freund hat mir einen Heiratsantrag gemacht.”
“WAS? Du bist mit Philipp verlobt?”
“Nein, eben nicht. Mit Max. Ich habe ihm gesagt, dass ich erst darüber nachdenken muss. Und dann bekam ich den Anruf von Philipp’s Schwester, Whitney. Max hat zu mir gesagt, dass er nicht viel davon hält, dass ich zu Philipp fliege, aber er mich sowieso nicht davon abhalten kann. Ich weiß nicht, was ich machen soll.”
“Kleines, du musst dir darüber klar werden, ob du Max heiraten willst oder nicht. Ich kann dir dabei nicht helfen, aber ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.”, erwiderte sie und gab mir ihre Nummer.
Als wir aus dem Flugzeug ausstiegen, liefen wir zusammen zur Gepäckausgabe und verabschiedeten uns. Sie nahm mich in den Arm und strich mir über den Kopf. “Melde dich mal bei mir!”, rief sie mir zum Abschied zu. Ich lächelte sie an und hob die Hand.


Das Taxi hielt sofort an, als ich die Hand ausstreckte und der hilfsbereite Taxifahrer stieg aus und lud die zwei übergroßen Louis Vuitton-Taschen in den Kofferraum.
Als ich im Krankenhaus angekommen war, fragte ich die Schwester nach der Zimmernummer und sie stand auf und führte mich hin. Schon bevor ich klopfte, hörte ich Whitney’s glockenhelle Stimme. Als ich klopfte, kam sie aus dem Zimmer, umarmte mich und fragte ob ich den Flug gut überstanden hätte. Sie lachte, als ich ihr von Kate erzählte und besprach den Plan mit mir. Der Plan war, ich fuhr zu Whitney, bereitete ein Essen vor und Whitney würde Philipp dann hierher fahren. Sie hatte vor bei ihrem Freund zu schlafen, also hätten wir die ganze Nacht für uns.
Doch der Plan scheiterte schon bevor er überhaupt angefangen hatte, denn Whitney hatte die Tür aus Reflex offen gelassen und ich stand noch am Empfang. Als ich seine Stimme hörte, die meinen Namen sagte, drehte ich mich um.
Er sah schrecklich aus. Im Gesicht hatte er zu viele Blutergüsse und um seinen rechten Arm trug er eine Schiene. Wie er da so lag und seine blauen Augen zu meiner rechten Hand wanderten, sah ich wie seine Augenfarbe sich schlagartig änderte. Aber es war zu spät; er hatte den zweiten Ring schon gesehen. Sein Gesichtsausdruck, der sich von heller Freude auf düster änderte, erschreckte mich.
Angewurzelt blieb ich stehen und konnte mich nicht bewegen. Als ich zu ihm aufsah, konnte in den Schmerz in seinen Augen sehen. Aber da war nicht nur Schmerz in seinen Augen. Und auf einmal wusste ich, wann sich seine Augenfarbe von Blau zu Türkis veränderte. Ich tat einen Schritt vor - was weiß ich, was mich dazu getrieben hat. (Bestimmt nicht das Glitzern in seinen Augen.) Als ich am Bett angekommen war, ließ ich meine Tasche fallen und setzte mich zu ihm aufs Bett. Im Hintergrund hörte ich, wie Whitney das Zimmer verließ und leise die Tür schloss.
Eine Weile schauten wir uns nur an. Einer von uns zwei musste den ersten Schritt machen und soweit ich sehen konnte, würde er nie auf die Idee kommen das zu tun. Also fing ich an zu erzählen. Was seit der Begegnung passiert war, wie ich Max kennen gelernt hatte, dass Whitney mich angerufen hatte und dass ich ihn vermisste. Ich merkte, dass seine Augen langsam wieder das Meeresblau annahm, das ich kannte, aber trotzdem war immer noch Wut und vor allem Schmerz darin. Aber und zu sagte er etwas; aber ohne Bedeutung. Als ich zu Ende erzählt hatte, schauter er mich nach wie vor an, aber ich sah, dass er mit sich selbst kämpfte.



Sie bemerkte, dass ich auf den Ring starrte und schaute quälend zu Boden. Nach und nach jedoch kam sie auf mich zu und setzte sich zu mir. Eine ganze Weile lang schauten wir uns nur in die Augen. Dann fing sie an zu erzählen. Meine Wut ebbte ab und manchmal fügte ich etwas belangloses zu ihrer Erzählung dazu. Abprut hörte sie auf zu erzählen; anscheinend war sie fertig. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, aber ich war ihr definitiv noch eine Erklärung schuldig.






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