Die Nacht, in der ich nicht schlafen konnte - Teil 3

Autor: sunny
veröffentlicht am: 14.08.2011


So, hier kommt Teil vier; Teil fünf ist noch nicht ganz fertig, kann also diesmal etwas länger dauern!

Kapitel vier
Menschen in Abendfarben

Ich sitze mit untergeschlagenen Beinen auf den Kissen neben meiner Hängematte, mein Skizzenbuch auf dem Schoß. Ich habe es nicht durchgeblättert, wohlweislich. Ich habe einfach so schnell wie möglich eine leere Seite gesucht. Jetzt huscht mein Stift über das Papier, rasch und unruhig, ohne besondere Vorstellung von dem Objekt, dass er schafft, ohne besonderes Ziel.
Aber nach einigen Minuten starre ich frustriert auf die Seite hinunter und schlage das Buch heftig wieder zu.
Es läuft aufs selbe hinaus. Es läuft doch alles aufs selbe hinaus!
Selbst wenn ich zwanghaft versuche, nichts bestimmtes zu zeichnen, kommt am Ende doch etwas heraus, das mit Jack zu tun hat. Ein Herz. Eine Blume. Ein Monster. Seine schmale Nase. Schwarze Augen.
„Verdammt nochmal“, flüstere ich müde und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Aber sobald ich die Augen schließe, taucht Jacks Gesicht vor mir auf. Jacks Lächeln. Jacks Augen in der Farbe, in der ich sie am liebsten sehe… in dieser Farbe… die sie nur in bestimmten Momenten annehmen…
Nein, nicht daran denken. Wenn ich mich daran erinnere, werde ich mich auch daran erinnern, wie es kaputt ging, und das tut zu sehr weh. Es macht mich kaputt.
Ja, es macht mich kaputt. Es frisst mich auf. Frisst mich von innen auf. Und es ist hungrig, als hätte es seit Jahren nichts zwischen die Zähne bekommen… dieses Gefühl.
Schmerz.
So tiefer Schmerz.
Der Schmerz sitzt tiefer als die Trauer, tiefer als die Scham und die Angst. Nicht aber tiefer als die Liebe. Nichts reicht tiefer als Jack selbst.
Zart streichen meine Finger über das Skizzenbuch. Ich lehne den Kopf zurück und schließe die Augen. Wenn ich die Erinnerungen nicht vertreiben kann, kann ich sie ebenso gut zulassen. Und woran ich mich am liebsten erinnere, ist…
Ich weiß nicht. Was ist meine liebste Erinnerung? Sie sind alle so schön, und alle so unangenehm, beides zugleich – bis auf eine. Diese eine ist nur schön, nichts anderes, aber leider führt sie unweigerlich zu einer Erinnerung, die nur unangenehm ist, nichts anderes. Darum bin ich wieder unruhig.
Nichts ist perfekt, nach wie vor. Nichts. Erst recht nicht in meinem chaotischen, improvisierten Leben.
Und die Sache mit Jack macht nichts einfacher. Dadurch wird nur alles noch viel komplizierter. Ist es also nicht eigentlich gut, dass es vorbei ist?
Vorbei…
Dieses Wort, dasselbe Wort, dass vor einigen Wochen noch Hoffnung und nichts als Hoffnung für mich bedeutete, treibt mir jetzt Tränen des Schmerzes und der Trauer in die Augen.
Vorbei… ich will nicht, dass es das ist! Das wollte ich nie… das wollte ich, trotz allem, nie. Es tut so weh. Vorbei. Wie kann etwas so Tolles, etwas so Fantastisches und Unglaubliches, so einfach vorbei sein?! Ich begreife es nicht, und ich will es auch gar nicht begreifen.
Vorbei. Etwas wie das mit Jack und mir sollte nie, niemals vorbei sein.
Ich erinnere mich wieder, wie es angefangen hat…



Am Abend dieses Mittwochs, anderthalb Wochen, nachdem ich in Berlin angekommen war, saßen wir alle zusammen um den großen Tisch in der Küche. Alle, das bedeutete Niki, Lars und Ben, Susan und Jack.
Ich wagte kaum, jemanden anzusehen. Schon jetzt konnte ich in keiner Weise mehr nachvollziehen, wie ich mich am Vormittag dazu hatte hinreißen lassen können, mich von Jack verbinden zu lassen. Geschweige denn, mein T-Shirt von alleine auszuziehen!
Jetzt schämte ich mich einfach nur noch. Die Scham war so stark, dass sie alle anderen Gefühle konsequent überlagerte. Wie konnte ich nur… Wie hatte ich das nur geschehen lassen können?! Ich verstand mich selbst nicht mehr, Jack nicht mehr, die Welt nicht mehr… und ich hatte solche Angst davor, was alle von mir halten und wie sie mich behandeln würden, dass ich Jacks erste Worte fast nicht gehört hätte.
„Unsere Monster hat ein Problem.“
Mein Blick zuckte nach oben, und ich sah Susans vor Sorge verzogenes Gesicht und blickte sofort wieder weg. Ängstlich presste ich meine zitternden Hände in meinen Schoß, zog die Schultern hoch, im Versuch, mich zu verstecken vor ihren fragenden besorgten Blicken. Wie konnte ich… wie konnte ich… wie konnte ich das nur zulassen…
„Heute Morgen haben Susan und ich es durch Zufall entdeckt. Etwas später kam auch Nikolas dahinter.“ Er nickte Niki zu. „Aber Monster will nicht darüber reden. Wir kennen auch nicht die ganze Geschichte – keiner von uns – wir wissen nur, was wir gesehen haben. Und das ist… naja…“ Ich hörte, wie er wieder heftiger atmete, genau wie heute Morgen beim Anblick meines Körpers. Ich schämte mich. Ich schämte mich so sehr. Ich fühlte mich so unwohl, hier sitzen und zulassen zu müssen, dass er es erzählte, dass ich mir von ganzem Herzen wünschte, mich doch bitte, bitte einfach in Luft auflösen zu können. Aber natürlich geschah das nicht.
Stattdessen spürte ich Jacks Hand an meinem linken Arm und zuckte.
„Monster“, sagte er, sehr sanft, „Monster, sieh mich an.“
Vorsichtig, widerstrebend hob ich meinen Blick, bis ich dem seinen begegnete. Seine Augen waren von einem ruhigen, gleichmäßigen, warmen Braun, und sobald ich sie ansah, versank ich auch schon in ihnen. Sofort wurde ich ruhiger und alles war erträglicher.
„Darf ich?“, fragte er leise, und ich konnte nur nicken, auch wenn ich keinen blassen Schimmer hatte, was er meinte, weil ich meinen Blick nicht mehr von seinem lösen konnte.
Jack nahm meine Hand in seine und zog sie unter dem Tisch hervor. Er unterbrach den Blickkontakt, aber ich löste meinen Blick nicht von seinem schönen Gesicht. Ganz vorsichtig nahm er meinen Ärmel und schob ihn nach oben.
Je mehr von meinem Arm sichtbar wurde, desto stiller schien das Zimmer zu werden. Ich weiß nicht, ob noch jemand atmete. Ich tat es nicht. Ich tat gar nichts, außer Jack anzustarren, als würde es mein Leben retten.
„So sehen ihre ganzen Arme und Beine aus“, erklärte Jack leise, als er meinen Ärmel bis zum Ellbogen hochgeschoben hatte. „Am Rücken und auf der linken Schulter ist es schlimmer. Sie hat… sehr viele… Narben, die von früheren Verletzungen zeugen.“ Es fiel ihm sichtlich schwer zu sprechen. „Ihr seht eine mildere Version. Niko und ich haben sie vorhin schon verbunden. Aber es war… es ist… schlimm.“ Er schüttelte den Kopf, sah mich an. „Ich verstehe nicht, wie du dich damit überhaupt bewegen kannst!“
Ich schwieg. Wahrscheinlich war ich einfach daran gewöhnt, mich so bewegen zu müssen.
Ein Schluchzen durchbrach die Stille, und ich riss mich endlich von Jacks Anblick los, um erschrocken nach der Quelle zu suchen.
Es war Susan. Sie weinte. Als sie meinen erschrockenen Blick bemerkte, sprang sie auf und rannte um den Tisch herum, um mir um den Hals zu fallen.
„Vorsicht!“, warnte Jack, aber sie hörte nicht auf ihn und drückte mich nur fest an sich. Trotz der Schmerzen in meinen Armen und vor allem in Schulter und Rücken tat es irgendwie gut, umarmt zu werden. Auch wenn mir ihre Tränen nicht ganz geheuer waren.
„Arme Monster!“, heulte Susan. „Wie konntest du damit leben? Warum hast du denn nichts gesagt?... du armes Ding…! Ich hätte dir doch geholfen… oh…“
Zaghaft, um ihre Tränen zu stoppen, hob ich meine Arme und erwiderte ihre Umarmung vorsichtig. Aber das Gegenteil war der Fall; anstatt, dass ihre Tränen versiegten, heulte sie nun nur noch lauter.
„Wer hat dir das angetan?“, fragte Lars schockiert. Mit großen Augen sah er zu uns herüber.
Ich schwieg, ich konnte nicht antworten, nicht einfach so zugeben, was ich all die Jahre über zugelassen hatte.
„Wer auch immer es war, er gehört hinter Gitter“, fand Ben grimmig, und ich sah an seinem harten Gesichtsausdruck, dass er es absolut ernst meinte. „Oder Schlimmeres. Eher Schlimmeres.“
Fassungslos ließ ich die Arme sinken. Natürlich mochte ich nicht, was mein Bruder mir angetan hatte, und irgendwo war mir auch bewusst, dass es falsch war, was er tat; trotzdem war die Vorstellung, ihn im Gefängnis zu wissen oder anderweitig Vergeltung geübt zu wissen, neu für mich und irgendwie schockierend. Anders als meine Mutter hatte sich mein Bruder wenigstens mit mir beschäftigt. Und ich konnte nicht… ich wollte nicht… dass ihm etwas geschah. Er war doch mein Bruder. Ich liebte ihn. Trotz allem liebte ich ihn, denn er war lange Zeit das Einzige gewesen, was ich hatte. Als ich weglief, hatte ich nicht bezweckt, dass er in irgendeiner Weise bestraft wurde für das, was geschehen war. Es gefiel mir, ihn dort zu Hause in Sicherheit zu wissen. Ich wollte nur, dass es aufhörte; dass er aufhörte, mir weh zu tun. Irgendwann war dieser Wunsch stärker geworden als mein Bedürfnis nach Geborgenheit und Zugehörigkeit.
Also sagte ich: „Nein!“ Noch bevor ich nachdenken konnte und ohne eine bestimmte Reaktion zu erwarten. Sofort ergriff mich wieder das Bedürfnis, mich zu verstecken.
Überrascht löste Susan sich von mir. Alle sahen sie mich überrascht und ablehnend an; mit genau den Blicken, vor denen ich mich so gefürchtet hatte. Hastig sprang ich auf, rannte aus der Küche, den Flur entlang und in mein Zimmer. Wieder einmal verkroch ich mich im Wandschrank.
Kurze Zeit später schon war Jack da. Er kletterte zu mir in die Nische, zog die Türen hinter sich zu und sah mich an. Er sagte gar nichts, er streckte bloß die Arme nach mir aus.
Ich brauchte ein paar Sekunden, aber zu meiner eigenen Überraschung nahm ich sein stummes Angebot an, kroch zu ihm und schmiegte mich vorsichtig an seine warme Brust, zusammengerollt zu einer kleinen Kugel. Jack legte beide Arme um mich und hielt mich fest. Nach einer Weile spürte ich, wie seine Finger begannen, ganz sanft über meinen Rücken zu streichen. Eine Gänsehaut überwältigte mich, aber ich wurde auch ruhiger. Beruhigt schloss ich die Augen, ließ mich fallen und lauschte unser beider regelmäßigen Atemzügen.
„Es ist gut“, flüsterte Jack, „Alles ist gut.“
Vielleicht wäre es ein guter Augenblick gewesen, um zu weinen, und vielleicht hätte ich auch weinen wollen, mir endlich den ganzen Schmerz, das ganze Leid, die ganze Vergangenheit von der Seele weinen wollen; aber es kamen keine Tränen, keine einzige. Ich konnte nicht um mich weinen. Ich konnte überhaupt nicht weinen. Seit mehr als fünfzehn Jahren schon hatte ich das nicht mehr getan. Ich fand es jedesmal wieder merkwürdig, wenn Figuren in Filmen wegen Kleinigkeiten weinen konnten, oder wenn jemand gar wegen eines Films oder Buches weinte. Irgendwann einmal hatte ich darüber nachgedacht und schließlich auch eine Erklärung gefunden, die ich mir nie ganz eingestehen wollte.
Es lag an meinem Bruder. Es lag daran, dass er mich früher immer bestraft hatte, wenn ich zu weinen anfing. Irgendwann hatte ich deshalb einfach damit aufgehört. Ich weinte nicht, wenn er mich schlug. Ich weinte nicht, wenn er mich anschrie. Ich weinte nicht, wenn er mir verbot, mich mit Freunden zu treffen (weshalb ich auch keine hatte). Ich weinte überhaupt nicht mehr. Ich hörte ganz einfach schlicht und ergreifend damit auf. Und es dauerte Jahre, bis mir das bewusst wurde.
Irgendwann später ging Jack. Inzwischen lag ich mit geschlossenen Augen und langsam atmend in seinen Armen. Ich schlief nicht, aber ich machte mich auch nicht bemerkbar, sondern ließ zu, dass er mich vorsichtig auf den Kissen ablegte und mit meiner Decke zudeckte. Ich regte mich nicht, bis ich ganz sicher war, dass er gegangen war. Erst dann öffnete ich die Augen und starrte blicklos in die Dunkelheit. Nach einer ganzen Weile stand ich auf, zog mich mit steifen Bewegungen um und legte mich dann in die Hängematte, weil ich mir sicher war, auf dem Schlafsofa heute kein Auge zu zu kriegen. Ganz tief verkroch ich mich unter meiner Decke und starrte durch die schmutzige Scheibe des kleinen Dachfensters nach draußen. Irgendwann schlief ich über dem Betrachten des Sternenhimmels ein.
Man hätte meinen können, dass Jack damit seine Schuldigkeit für getan halten und sich aus meinem Leben zurückziehen würde. Aber als ich am nächsten Morgen, gerädert von einer unruhigen Nacht und mitgenommen von der Begegnung mit einem reuigen Ben in der Küche vor die Tür trat, war er schon wieder da. Ohne ein Wort stieß er sich von der Hauswand ab, hielt mir eine Tüte mit Gummischlangen entgegen, bis ich mir gehorsam eine genommen hatte, und trabte neben mir her bis zu Fabrizios Eisdiele.
„Wie lange arbeitest du heute?“, fragte er, als wir dort angekommen waren.
Verwirrt sah ich ihn an. „Bis sechs Uhr.“ Wie immer eben.
„So lange?“, fragte Jack mit gerunzelter Stirn.
Ich nickte nur.
Er seufzte. „Gut, hast du danach schon was vor?“
Zögernd schüttelte ich den Kopf.
Er lächelte, sein zweites Lächeln für mich. „Okay, ich hol dich ab!“ Schon im Gehen wandte er sich noch einmal nach mir um. „Nicht weglaufen!“
Haha. Mit großen Augen sah ich ihm nach, wie er, nun deutlich schneller als eben, die Straße zurück lief, die wir gekommen waren, und dabei fast eine Frau über den Haufen rannte.
Was war denn jetzt los? Ich konnte mir keinen Reim auf sein Verhalten machen. Was hatte er vor? Mich hatte noch nie jemand abgeholt, abgesehen von Susan, die mich zum Shoppen geschleppt hatte… das wollte er mir doch hoffentlich nicht antun? Wo wollte er denn mit mir hin, verdammt nochmal?!
Ich war furchtbar neugierig, aber es half ja alles nichts. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten und den ganzen Tag während der Arbeit darüber nachzugrübeln.
Als Jack um Punkt achtzehn Uhr in der Tür stand, war ich noch nicht ganz fertig. Aufgeregt winkte ich ihm zu, beeilte mich mit dem Abkassieren des älteren Ehepaares und flitzte schließlich hastig nach hinten, um mich umzuziehen und meine Tasche zu holen.
Jack grinste, als ich wieder nach vorn kam und zu ihm ging. Es war das erste Mal, dass ich ihn so grinsen sah; ein wenig vorfreudig und verschmitzt, wie ein kleiner Junge. Mir wurde flau bei diesem Grinsen. Und wieder einmal stellte ich mir die Frage, wie ein einzelner Mensch dermaßen schön sein konnte.
Er hielt mir die Tür auf und lotste mich nach draußen. Im Vorbeigehen winkte ich meinen Kollegen zum Abschied zu. Samira, eine von ihnen, grinste und zwinkerte mir zu, was mich umso mehr verwirrte.
Auf der Straße nahm Jack meine Hand und grinste mir wieder zu, bevor ich protestieren konnte.
„Komm!“ Er begann, zu rennen, hielt wieder an, löste seine Hand von meiner, nahm mir meine Tasche ab und hängte sie sich selbst um, bevor er wieder nach meiner Hand griff und weiter rannte. Mir war ein wenig unangenehm, dass er jetzt meine Tasche trug und ich somit nicht einfach weglaufen konnte, ohne meine Dinge bei ihm zurück zu lassen, aber gleich darauf redete ich mir ein, dass es keinen Grund geben würde, wegzulaufen. Das hier war Jack, der mir nichts tun und mich zu nichts zwingen würde.
Zumindest hoffte ich das.
Wir fuhren mit der Bahn und dann mit dem Bus.
Als ich fragte: „Was hast du denn vor?“, grinste er nur wieder und entgegnete: „Wart’s ab. Es wird dir gefallen.“
Unsicher sah ich mich um, als wir den Bus verließen. Hauptsächlich war hier Grün zu sehen; grünes Gras, grüne Büsche, grüne Bäume. Jack streckte mir seine Hand hin, und wie immer nahm ich sie nach kurzem Zögern. Er lächelte und führte mich zwischen zwei Büschen hindurch über das grüne Gras.
Dahinter befand sich noch mehr Gras, und in einiger Entfernung sah ich Wasser glitzern.
Genau dorthin gingen wir. Ein Boot lag am Ufer, und Jack nahm einen knallorangefarbenen Plastiksack heraus, verstaute meine Tasche darin und hielt mir dann seine Hand hin.
„Steig ein!“
Unsicher sah ich ihn an, dann wieder zum Boot. Wenn ich einsteigen würde, wäre ich mit ihm ganz allein in diesem angsteinflößenden Gefährt auf dem großen, weiten See, ohne eine Möglichkeit zur Flucht. Ich wäre ihm hilflos ausgeliefert. Schwimmen konnte ich nicht, weil ich mich immer vor dem Schwimmunterricht gedrückt hatte, aus Angst, jemand könnte meine Wunden bemerken.
„Vertrau mir“, sagte Jack sanft, „Ich werde dir nicht wehtun.“
Aufmerksam sah er mich an, seine Augen wieder in diesem warmen Braun, aber ich zögerte.
„Ich… kann nicht… schwimmen.“
Jack ließ die Hand sinken und trat einen Schritt auf mich zu.
„Wir werden nicht kentern“, versprach er mir, „Und wenn doch, verspreche ich dir, dass ich dich retten werde. Das werde ich immer tun, bevor ich irgendetwas anderes tue. Okay?“
Ich sah ihn an, in seine Augen, die mich wie immer in ihren Bann zogen; das schien, unabhängig ihrer Farbe, jedes Mal so zu sein. Schließlich nickte ich und ließ mir von ihm in das Boot helfen.
Es war ein Ruderboot, und wir hatten zwei Paar Paddel. Jack zeigte mir, wie ich meine benutzen sollte, und nach einigen Anfangsschwierigkeiten fanden wir in einen gemeinsamen Rhythmus.
Wir ruderten über mehrere Seen, Jack schien nicht müde zu werden und zeigte mir verschiedenste Wasservögel („Schau, die Ente da hinten hat Küken! Kannst du sehen, wie viele es sind?“ – „Vorsicht, nicht nach rechts, sonst schrecken wir die Blesshühner auf!“ – „Geh lieber nicht zu nah an die Schwäne heran. Sie sind zwar schön, aber furchtbar aggressiv, vor allem, wenn sie Junge haben. Sieh mal, die Mutter trägt eines auf dem Rücken. Siehst du es?“) und einige der Pflanzen am Ufer („Der Baum da ist schon über hundert Jahre alt, siehst du? Und immer noch so aufrecht!“ – „Die Pflanzen hier wachsen fast überall an den Ufern. Sie verbreiten sich wie blöd und sind nicht besonders empfindlich. Die hast du bestimmt schon mal gesehen.“). Bald ließ ich mich von seiner Begeisterung anstecken, lächelte und freute mich mit ihm, wenn wir wieder eine Ente mit kleinen Küken oder einen besonders interessant gewachsenen Baum entdeckten. Wir kamen auch an ein paar Häusern vorbei, und ab und zu begegneten uns andere Boote oder, in der Nähe der Ufer, auch Schwimmer. Aber hauptsächlich waren wir allein mit uns und der Natur, was mir irgendwie unheimlich gut tat. Als Jack das Boot schließlich ans Ufer lenkte, mir hinaus half und es die Böschung hinauf zog, war ich fast gänzlich entspannt. Nahezu fröhlich folgte ich Jack an seiner Hand eine Anhöhe hinauf.
Oben stand die Ruine eines alten Gebäudes, vielleicht einer Burg. Der Turm stand noch, und Jack führte mich die enge Treppe hinauf bis ganz nach oben. Ich verschwendete kaum einen Gedanken daran, ob es gefährlich war. Wen interessierten schon solche Nebensächlichkeiten? Jack war bei mir, und es ging mir gut; es ging mir wirklich richtig gut.
Eine ganze Weile saßen wir oben auf dem alten Turm und schauten über die Welt, die im Abendglan z da lag; Wasser, Bäume, Himmel und viele, viele Häuser in der Ferne. Ich konnte immer noch nicht fassen, wie groß Berlin war.
„Es ist schon spät“, sagte Jack irgendwann, als wir in die tief stehende Sonne blinzelten, „Lass uns gehen, deine Verbände wechseln und etwas essen.“
„Wie spät ist es denn?“, fragte ich abwesend, ganz in diesen Anblick vertieft.
Jack warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war eine faszinierende Uhr, weil sie irgendwie die Form eines Monsters hatte. „Halb neun“, verkündete er.
„Was?“, fuhr ich auf. „So spät schon?“
Jack lachte. „Ja, stell dir vor. Aber wenn du willst, beeilen wir uns ein bisschen auf dem Rückweg, dann sind wir um zehn bei dir.“
Aber ich schüttelte den Kopf. „Nein, nicht beeilen. Das würde den Moment kaputt machen.“
Erstaunt, aber glücklich, sah er mich an. Dann stand er auf und reichte mir abermals seine Hand. „Dann komm, lass uns langsam gehen.“ Er grinste.
Ich lächelte. „Okay.“
In aller Ruhe ruderten wir durch die dunkler werdende Welt zurück. Jetzt kam uns niemand mehr entgegen, wir waren komplett allein. Im Gebüsch hörte ich es jetzt öfter rascheln. Anscheinend waren einige Tiere wach geworden.
Im Halbdunkel erreichten wir die Wiese, von der wir gestartet waren. Gemeinsam zogen wir das Boot ans Ufer und drehten es um, die Paddel darunter gelegt.
„Wem gehört das Boot?“, wollte ich neugierig wissen.
„Einem Freund von mir“, erklärte Jack.
„Ein guter Freund?“
„Ziemlich, ja.“ Er lachte mich an. „Du taust ja auf! Das ist schön!“
Rot werdend wandte ich den Blick ab und schob das letzte Paddel unter das Boot.
„Na, komm, wir warten auf den letzten Bus“, forderte Jack mich auf und hielt mir seine Hand hin.
Ich nahm sie, sah ihn aber nicht an. Schweigend liefen wir nach vorn, zwischen den Büschen hindurch auf die Straße, zu der einsamen Bushaltestelle. Es gab eine einzige Bank, auf der wir uns nieder ließen. Niemand anders war unterwegs. Anscheinend trieben sich nicht viele Leute Donnerstag Abends auf abgelegenen Straßen herum.
„Ist dir kalt?“, riss Jack mich aus meinen Gedanken.
Tatsächlich war es das, was mir aber erst in diesem Moment auffiel. Heute trug ich nur ein Langarmhemd, weil alle meine Kapuzenpullover in der Wäsche gelandet waren. Außerdem war es ein warmer Tag gewesen, und als ich morgens aus dem Haus ging, hatte ich noch nicht damit gerechnet, so lange fort zu bleiben. Zögernd nickte ich, und Jack zog sofort seine Sweatshirtjacke aus und legte sie mir um. Es war eine schwarze Jacke mit dem weißen Aufdruck eines Monsters. Anscheinend hatte Ben recht gehabt, als er bei unserer ersten Begegnung behauptete: „Jack steht auf Monster“.
Bei dem Gedanken an Ben fiel mir etwas ein und ich fuhr auf. „Die anderen!“
„Welche anderen?“, fragte Jack irritiert.
„Susan und die Jungs! Sie werden mich suchen!“ Da ich immer noch kein Handy hatte, konnten sie mich mobil nicht erreichen. Aber Jack lächelte beruhigend. „Sie wissen Bescheid. Keine Angst, ich entführe dich schon nicht einfach so.“
„Du hast es ihnen gesagt?“
„Dass ich mit dir einen Ausflug mache, ja. Sie haben auch meine Handynummer, wenn also etwas sein sollte, sind wir erreichbar.“ Er zwinkerte mir zu.
Erleichtert sank ich zusammen. „Danke.“ Es war ungewohnt für mich, mir so viele Gedanken zu machen. Früher war ich niemandem Rechenschaft schuldig gewesen, hatte sowieso selten verraten, wo ich gewesen war. Es hatte sich auch niemand Sorgen um mich gemacht. Höchstens geschimpft, das ja, und bestraft, wenn ich wieder kam.
„Wofür?“, lachte Jack. Er streckte eine Hand aus und strich sanft durch mein Haar. „Danke, dass du mitgekommen bist. Das hat mich gefreut.“
Ich schauderte unter seiner Berührung. Sofort zog Jack seine Hand zurück. „Entschuldige… ich hab nicht nachgedacht.“
Aber ich wehrte ab. „Ist okay… es ist okay. Du… darfst das.“
Meine Worte machten mir selbst Angst; vor allem deshalb, weil ich genau meinte, was ich sagte. Es war, als müsse ich mich selbst neu kennen lernen. Was war das für ein Mensch, das neue „Ich“? Es hatte sich verändert, das auf jeden Fall; es war mutiger als früher. Konnte es sein, dass ich begann, mich zu öffnen?
Erneut unterbrach Jack meine Gedanken. Er sagte nichts, er streckte nur erneut seine Hand aus und strich durch mein langes Haar, ganz sacht, ganz vorsichtig, sehr langsam. Ich hielt ganz still, versuchte, meine Gänsehaut unter Kontrolle zu bringen, und konzentrierte mich auf seine Berührungen.
„Deine Haare sind wie ein blass orangener Wasserfall“, sagte er, und dann kam der Bus.
Auf dem Rückweg fuhren wir nur Bus; einmal stiegen wir um von einem in den anderen, aber mit der Bahn fuhren wir nicht mehr, weil wir ja nicht zur Eisdiele zurück mussten, sondern direkt zum Haus, das mit dem Bus besser zu erreichen war. Als wir aus dem zweiten Bus ausstiegen und uns auf den Weg die Straße entlang machten, war es dunkel, und Jack legte vorsichtig einen Arm um meine Taille, bemüht, mir nicht weh zu tun. Ich genoss das Kribbeln in meinem Bauch und ließ es zu.
Alle waren zuhause, selbst Lars, der sonst abends meist irgendwo unterwegs war, gerade jetzt in seinen Semesterferien. Im Gegensatz zu den anderen dreien hatte er auch keinen Job. Susan trug Zeitungen aus und nahm ab und zu Babysitterjobs an, Niki half in einem Freibad aus und Ben an einem Kiosk um die Ecke.
„Da seid ihr ja“, strahlte Susan, als wir die Wohnung betraten. „Habt ihr Hunger?“
Ich starrte auf die Teller mit Spaghetti, die sie uns aufgehoben hatten. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich Hunger gehabt hatte, aber jetzt, wo Susan fragte, hätte ich gern etwas zu Essen gehabt. Es war verrückt; alles andere schien in den Hintergrund zu rücken, wenn ich mit Jack zusammen war. Sogar die grundlegendsten Bedürfnisse meines Körpers. Wie hatte ich bitte den ganzen Abend lang keinen Hunger verspüren, ja nicht mal darüber nachdenken können? Es wäre genau meine Abendessenszeit gewesen, als wir mit dem Boot über die Seen gerudert waren… es war mir ein Rätsel.
Am Tisch unterhielten sich alle fröhlich. Die Stimmung war insgesamt entspannt und gelöst; vielleicht, weil sie merkten, dass auch ich mich besser fühlte. Denn trotz allem hing die erschütternde Verkündung von gestern immer noch drohend über allen Köpfen.
„Wie geht’s deinen Wunden?“, fragte Ben irgendwann. Aber er tat es in einem so nebensächlichen, selbstverständlichen Tonfall, dass es mir gelang, tief durchzuatmen – und zu antworten.
„Besser“, gab ich zu. Keine Ahnung, warum, aber schon allein Jacks Anwesenheit schien dafür zu sorgen, dass nichts mehr so wehtat wie sonst. Selbstverständlich also ging es mir besser, denn Jack saß mir gegenüber, den Mund voll Spaghetti, und lächelte mir mit zusammengekniffenen Augen zu.
„Darf ich mal sehen?“, fragte Ben und streckte eine Hand nach meinem Arm aus, der noch immer in Jacks schwarzer Pulloverjacke steckte.
Ich zögerte, Bilder zogen vor meinem inneren Auge auf, die ich nicht sehen wollte. Dann berührte mich etwas am Bein, ich zuckte zusammen, hob den Kopf und begegnete Jacks ernsthaftem Blick.
Ich nickte und reichte Ben meinen Arm. Sprechen konnte ich nicht, aber ich sah zu, wie er mir die Pulloverjacke auszog und den Ärmel meines Hemdes vorsichtig nach oben schob. Fachkundig tastete er meinen Arm ab, hielt an einem Pflaster vorsichtig inne.
„Darf ich es abmachen?“
Ich nickte, warum auch nicht, wenn er es nicht täte, würde Jack das gleich übernehmen.
Es tat weh, als er das Pflaster abzog, aber nicht zu sehr. Ich versuchte, mich zu erinnern, wann ich das letzte Mal ein Pflaster gehabt hatte; es war sicher über fünfzehn Jahre her, damals war ich noch ein kleines Kind und das Pflaster hatte ein buntes Muster; Bären oder Hasen, etwas in der Art. Die Erinnerung war verschwommen, aber da, was ich außerordentlich faszinierend fand, da ich mich eigentlich an so gut wie gar nichts mehr aus meiner Kindheit erinnerte. Ich wusste, dass ich mal einen Vater gehabt hatte, irgendwann, in grauer Vorzeit. Erinnern konnte ich mich aber nicht, weder an ihn noch an irgendetwas, das mit ihm im Zusammenhang stand. Es war einfach weg, futsch, verschwunden. Ich fragte mich, was mit meinem Vater passiert war. War er gegangen oder gestorben? Hatte Mama ihn verlassen? War sie schon immer so gewesen, oder erst, seit mein Vater weg war?
Ich wusste es nicht. Ich wusste gar nichts, aber ich begann, darüber nach zu grübeln, während Ben und Jack meine Verbände nach und nach erneuerten, einige der Blutergüsse mit Creme einrieben und jede Wunde einer genauen Musterung unterzogen.
„Dein Handknochen war mal gebrochen“, stellte Ben fest und fuhr über meinen Handrücken, „Hier, fühlst du das? Er ist ein bisschen schief wieder zusammengewachsen, wahrscheinlich, weil sich niemand drum gekümmert hat.“
„Tatsächlich?“ Erstaunt hob ich meine Hand, um sie genau zu mustern. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass sie jemals gebrochen gewesen sein könnte. Wahrscheinlich lag dieses Ereignis schon zu lange zurück, war Teil meiner im Nebel verborgenen Kindheit. „Ich kann mich nicht daran erinnern.“
Ben lächelte mich an und sah auf einmal seltsam glücklich aus. „Du sprichst mit uns, das ist so toll.“
Ich wurde rot und zog verlegen die rechte Schulter hoch (die linke schmerzte zu sehr). „Ähhh…“
Jack lachte leise, eine Art amüsiertes Glucksen, das mir ausnehmend gut gefiel. Ben fiel in sein Lachen mit ein.
„Am Anfang warst du sehr verschlossen, und jetzt hättest du eigentlich noch mehr Grund, es zu sein, aber du sprichst mit uns, als seien wir schon Jahre befreundet. Das macht mich glücklich“, erklärt er lächelnd. „Tut mir Leid, wenn ich dich in Verlegenheit bringe, aber das ist es, was ich empfinde.“
„Du immer mit deinen Empfindungen“, brummte Lars dazwischen, und Niki kicherte amüsiert vor sich hin, woraufhin Susan ihn in die Seite boxte. „Jetzt macht ihn nicht nieder, weil er über seine Empfindungen spricht. Es gibt ohnehin viel zu wenige Jungs, die das tun. Ihr solltet ihn eher loben. Nehmt euch mal ein Beispiel an ihm! Ich kannte da mal einen Jungen, der hat…“ Und es folgte ein typischer Susan-Wortschwall, voll von irgendwelchen unwichtigen Informationen, die keiner von uns hatte wissen wollen. Ich merkte, wie ich lächelte. Das gehörte schon so sehr dazu, dass ich mir ein Leben ohne Susan schwer vorstellen konnte. Dabei war ich gerade mal anderthalb Wochen bei ihnen.
Niki stöhnte. „Wozu haben wir eigentlich ein Radio?“, fragte er ironisch. „Susan übernimmt diesen Job problemlos mit.“
„Das Radio ist doch eigentlich ganz nützlich“, fand Lars, „Falls Susan mal mit Essen oder Schlafen beschäftigt sein sollte… nein, obwohl, das ist eigentlich auch kein Hindernis.“ Er grinste.
Susan riss die Augen auf. „Rede ich im Schlaf? Ich hab mal im Schlaf geredet! Das war aber sinnloses Zeug…“ Zum Glück bekam sie Nikis Kommentar an dieser Stelle nicht mit, sondern quatschte ungerührt weiter. „Einmal kannte ich ein Mädchen, das hat die ganze Zeit im Schlaf geredet, aber so, dass man dachte, sie würde sich wirklich mit einem unterhalten! Sie hat sogar Fragen beantwortet…“
Lange saßen wir nicht mehr so zusammen, weil es spät und ein Donnerstagabend war. Wir mussten alle ins Bett, also verabschiedete Jack sich recht bald und machte sich – nun wieder mit seiner Pulloverjacke – auf den Heimweg.
Als ich dann allein in meiner Nische in der Hängematte saß, begann ich, über Jack nachzudenken. Darüber, was ich über ihn wusste – was nicht besonders viel war – und darüber, was ich wissen wollte – alles. Mir fiel auf, dass ich tatsächlich so gut wie nichts über ihn wusste. Ich wusste nicht mal, ob er eine Freundin hatte, wie alt er war oder woher er kam. Was für eine Familie hatte er? Hatte er Geschwister? Wie kam er mit ihnen aus?
Plötzlich begann mich alles, was irgendwie mit Jack zusammenhing, brennend zu interessieren. Und das gefiel mir nicht. Es bedeutete, dass ich mehr an Jack hing, als gut für mich war.
Ich wusste doch gar nicht, was er von mir wollte. Vielleicht tat ich ihm einfach nur Leid und er hatte gar kein ehrliches Interesse an mir, wollte nicht mit mir befreundet sein. Wen würde das wundern? Jack war so absolut faszinierend, so lieb und so – schön! Und ich war nur… ich. Ein kleines, nicht besonders hübsches, mit Narben übersätes, seelisches Wrack. Was wollte überhaupt irgendwer mit mir anfangen? Ich konnte noch immer nicht begreifen, wieso Susan und die Jungs mich so einfach aufgenommen hatten. Susan wahrscheinlich einfach aus ihrer freundlichen und naiven Art heraus; aber die Jungs waren doch nicht so naiv… vielleicht waren es einfach alles herzensgute Menschen. Vielleicht hatten sie einfach Mitleid mit mir gehabt, weil ich nicht gewusst hatte wohin… oder sie dachten, sie fänden niemand anderen Dummen, der das winzige letzte Zimmer der WG übernahm. Welches andere Interesse sollte jemand an mir haben? Ich wusste sehr gut, dass mein Äußeres nicht besonders ansprechend war. Klein war ich, dürr und bleich. Selbst in der prallen Sonne wurde meine Haut nicht braun, höchstens rot. Mein knochiges Gesicht versteckte ich gern hinter meinen langen Haaren, die zu allem Überfluss auch noch diese merkwürdige Farbe hatten. Rotblond waren sie, nicht wirklich rot und nicht wirklich blond, glatt, langweilig und irgendwie blass wie alles an mir. Selbst meine Augen waren nicht richtig blau, sie schienen eher durchsichtig, so hell waren sie. Wie Wasser. Fad und Farblos, als würden sie bloß schattenhaft die Farbe des Himmels wiederspiegeln. Nichts an mir schien eigen, beständig, besonders zu sein; alles war langweilig bis hässlich, bleich und von blassen Sommersprossen übersät.
An manchen Tagen war ich dankbar für mein unscheinbares Äußeres, aber jetzt war einer der Momente, in denen ich mir wirklich wünschte, schön zu sein. Schön für Jack. Schön für die anderen. Schön, damit mich irgendwer mögen könnte.
In dieser Nacht träumte ich schon wieder von Jack, und es war kein schöner Traum. Am Morgen war ich beinahe müder als am Abend zuvor.






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz