Wir lieben die Sterne zu sehr, um uns vor der Nacht zu fürchten

Autor: MusicJunkie91
veröffentlicht am: 28.07.2011


°°°Sein Atem streicht über meine Wange und ein leises „Ich liebe dich“ dringt in mein Ohr. Mein Herz klopft, meine Hände macht sich selbstständig und erkundet seinen Körper, so wie er den meinen erkundet. Ich lebe hier, jetzt in diesem Moment und ich hoffe, das er nie vorbei ist.°°°


„Valerie, nein, lösch das!“, schreit meine beste Freundin und versucht mich einzufangen. Aber ich schaff es immer wieder ihr auszuweichen und krieg mich dabei vor lachen kaum noch ein. „Ist doch voll süß!“, rufe ich und schmeiße mich lachend auf mein großes Himmelbett. Kurze Zeit später ist sie über mir und beißt mir ins Ohr. „Komm schon.“ Ich lache und gebe ihr die Kamera, auf der ein Foto von ihr ist, das ich gemacht habe, während sie eine Gurkenmaske aufgetragen hatte. Heute ist unser wöchentlicher Verwöhnabend. Wir machen uns jeden Mittwochabend Gesichtsmasken, essen Weintrauben, trinken Sekt und sprechen über alles, was wir die Woche über erlebt haben. Unsere Freundschaft hat nämlich einen kleinen Haken – wir gehören unterschiedlichen Cliquen an. Während sie zu den beliebteren Teenys gehört, bin ich meistens bei den nicht so beliebten Schülern anzutreffen. Ich sitze in der äußersten Ecke der Mensa, sie mittendrin. Das liegt einfach daran, dass ich einfach nicht an Mode und den neuesten Trends interessiert bin, dass ich keinen Sport mache .. Aber ich will auch gar nicht zu dieser Gruppe gehören.
Viola ließ sich auf den Rücken fallen und sah an den Himmel meines Bettes, an dem ich lauter Leuchtsterne angebracht hatte. „Hast du den neuen Schüler gesehen?“ „Welchen? Das kleine Blondchen oder diesen durchtrainierten Macho?“ „Den durchtrainierten Macho natürlich!“ Sie rollt sich auf den Bauch und lässt beim Lachen ihre weißen Zähne blitzen. „Er hat unglaublich blaue Augen!“ „Hm. Keine Ahnung.“ Ich drehe mich zu ihr und zucke mit den Achseln. „Ist doch auch egal. Ich werde nie ein Wort mit ihm wechseln.“ „Ja, ich glaube dazu wird niemand die Gelegenheit haben. Piper hat ihn mit niemandem reden lassen.“ Sie schnaubt verächtlich. Piper ist die „Chefin“ der Clique, der Viola angehört. Ein Grund mehr, sich da nicht anzuschließen. Sie ist eine Schlange. Ich habe nie verstanden weshalb Vi sich das antut. Sie selbst sagt, dass es daran liegt, dass die anderen nett sind.
Dieser neue Junge .. ja, natürlich war er mir aufgefallen, wem war er nicht aufgefallen? Kristina, meine offizielle beste Freundin, hatte Englisch mit ihm zusammen und mir in unserer zweiten Stunde, Geschichte, alles über ihn erzählt. In der Mittagspause hab ich ihn dann gesehen und musste zugeben, dass Kristina Recht behielt, was sein Äußeres anging. Aber er gehört nicht zu der Sorte männlicher Wesen, die ich kennenlernen wollte, dafür sah er mir zu sehr nach Football-Spieler aus.
Vi reißt mich aus meinen Gedanken indem sie mir eine Weintraube in die Nase schiebt. Sie kennt mich schon so lange. Wir haben uns das erste Mal gesehen, als wir vor sechzehn Jahren Nachbarn wurden und unser Verhältnis wurde besser und besser. Aus mir, dem eigenbrötlerischen Freak, wurde eine selbstbewusste junge Frau, die wusste, was sie wollte und aus Vi, der Besserwisserin mit der seltsamen Kleidung wurde eine Trendsetterin. Es war schade, als wir nach der Grundschule in verschiedene Klassen kamen, was dann auch zu den unterschiedlichen Freundeskreisen geführt hatte, aber wenn ich mit jemandem sprechen musste, dann war es sie und nicht Kristina. Ich vertraute Viola und sie vertraute mir. Sie war wie eine Schwester für mich und wusste alles über mich, so wie ich alles über sie wusste.
Sie legte sich wieder auf den Rücken. „Carlos hat mich gefragt, ob ich mit ihm zum Abschlussball gehe.“ Sie war seit drei Monaten mit Carlos, einem Afroamerikaner und Basketballstar der Schule, zusammen. „Ist doch schön“, erwidere ich und schaue sie neugierig an. Sie nickt und lacht leise. „Er hat ein Zimmer besorgt, im \'Four Seasons\'.“ Sie dreht sich zu mir und flüstert: „Ich weiß nicht, ob ich bereit dazu bin, weißt du? Ich meine .. ich hab ihn echt gern, aber liebe ich ihn?“ „Vi .. du weißt, dass ich dir da nicht helfen kann.“ Sie streicht ihre blondierten Haare zurück und beginnt dann, meine zu einem Zopf zu flechten. „Was, wenn er mich nicht mag? Verstehst du?“ „Ja, natürlich. Vi, hör auf den Herz, okay?“ „Ich will nicht auf mein Herz hören.“ Sie holt tief Luft. „Schau in meine Zukunft, Val, sag mir, dass er mich nicht nur benutzt. Sag mir, dass ich damit keinen Fehler mache.“ Ich ziehe meinen Kopf weg und schaue sie traurig an. „Das kann ich nicht und das weißt du auch. Wenn ich es tue und ich sehe, dass du besser nicht mit ihm schlafen solltest, dann tust du es nicht und das würde nicht nur deine Zukunft ändern, auch seine und wer weiß, was noch für Personen davon betroffen wären.“ Sie seufzt. „Ich weiß, tut mir leid.“
Ich nicke und betrachte meine Fingernägel. Es ist eine schreckliche Gabe, in die Zukunft sehen zu können. Oft sehe ich Dinge, die ich nicht wissen will. Ein weiterer Grund, weshalb ich mich von den meisten fernhalte. Kristina hat sich mir aufgedrängt und die paar anderen Freunde, die ich habe, ebenfalls. Ich will diese Gabe nicht haben. Viola ist die einzige, die davon weiß, nicht einmal meinen Eltern habe ich es erzählt. Wer will schon eine Tochter die sagen kann, wann ihre Eltern sterben?
„Er heißt Ted“, wechselt Vi das Thema. Ich nickt. „Ja, schon mitbekommen.“ „Kristina?“ „Wer sonst.“ Sie lacht und gähnt dann laut. „Lass uns schlafen. Ich hab morgen Sport.“ „Ja, gute Idee.“ Gemeinsam gehen wir ins Bad, waschen uns und ziehen uns unsere Nachthemden über. Dann kuscheln wir uns in mein Bett. Ich lösche das Licht und schließe meine Augen.

>Ein Tropfen eiskaltes Wasser fällt auf meine Wange. Erschrocken schaue ich nach oben. Ich befinde mich in einer Höhle. Wie komm ich hierher? Was ist passiert? Ich drehe mich um mich selbst und sehe in einer Ecke eine Gestalt hocken. Langsam gehe ich zu ihr. Ich lasse mich neben sie fallen, als ich ein schwaches Wimmern höre. Sie kommt mir bekannt vor. Ein weiterer Tropfen fällt auf mein Haar. Erneut schaue mich um und sehe, dass aus vielen Rissen und Spalten Wasser quillt. Wir scheinen unter Wasser zu sein. Ich schaue das Mädchen an, versuche herauszufinden, wer sie ist, versuche ihr Gesicht zu erkennen. Ein Stein fällt neben sie. Ich hebe den Blick und erschrecke. Es sieht aus, als würde die Höhle jeden Moment zusammenbrechen - wir müssen hier raus! Ich zerre an dem Mädchen und versuche sie wegzuziehen , aber es geht nicht, es klappt nicht, sie bleibt einfach sitzen, wiegt sich hin und her und wimmert weiter. Und dann ist es soweit. Die Wände brechen und das Mädchen und ich werden von dunklem Wasser umschlungen. Ich sehe noch den entsetzten Blick von dem Mädchen, erkenne es. Dann wird alles dunkel.<

„Val? Val! Wach auf!“ Viola rüttelt mich und ich öffne schwerfällig meine Augen. Sie seufzt. „Du hast mir ganz schön Angst gemacht.“ Ich drehe meinen Kopf und schaue auf die Uhr. Es ist bereits halb sieben, in einer Stunde muss ich mich auf den Weg zur Schule machen und ich fühle mich, als hätte ich keine Sekunde geschlafen. Viola umarmt mich. „Ich werde mich nie an deine Visionen gewöhnen .. du zuckst immer so.“ Ich lächle traurig. „Ein weiterer Grund, weshalb ich nie einen Freund haben werde.“ Ich stehe auf und strecke mich. Auch Vi erhebt sich und umarmt mich nochmal. „Wir sehen uns später.“ Ich nicke und verschwinde in mein Bad.
Unter der Dusche lasse ich mir Zeit, versuche die Müdigkeit aus meinen Knochen zu spülen. Danach betrachte ich mich im Spiegel, während ich mir meine langen Haare bürste. Meine dunkelblauen Augen sind von dicken Augenringen umrandet. Ich habe seit Nächten nicht mehr richtig geschlafen. In letzter Zeit häufen sich die Visionen. Ich sehe so viele Dinge, die ich nicht sehen möchte, ich sehe Menschen sterben, Fehler, die begangen werden. Ich habe Angst. Ich habe richtig schlimm Angst. Ich will diese Visionen nicht haben, ich will das nicht.

Zwei Stunden später sitze ich im Unterricht und versuche aufzupassen. Aber es geht nicht, ich kann nicht vergessen, was ich heute Nacht gesehen hatte. Ich hatte sie erkannt, aber ich wage nicht, ihren Namen auch nur zu denken, aus Angst, es so zu festigen, es so zu besiegeln. Ihren Tod, diesen grausamen Tod des Ertrinkens. Schon so viele verschiedene Arten des Sterbens erlebt, dass ich den Menschen nur wünsche, dass sie einfach einschlafen. Ich wurde erdrosselt, erstickt, ich bin von einer Klippe gestürzt, selbst ermordet wurde ich mal. Das hatte kein Mensch verdient, keinen dieser Tode, egal, was er sein Leben über gemacht hatte, denn das war einfach nur schrecklich.
Ich schaue auf meine Hände, ich umklammere die Tischkante, versuche an was anderes zu denken. Kristina wirft mir einen besorgten Blick von der Seite zu. „Val, was ist los?“ Ich schüttele den Kopf und springe auf, als es endlich klingelt. Ich mache mich auf den Weg zu meinen Spind, schaue nicht nach vorne, nicht zur Seite. Schnell wechsele ich meine Bücher und mache mich auf den Weg in die andere Klasse, als ich merke, wie es mich überrollt. Manchmal spüre ich, wie eine Vision kommt und kann noch irgendwo hingehen, wo mich niemand sehen wird. Aber diese kommt so plötlich, dass ich mich gerade noch in eine Nische stürzen kann, als es geschieht.

>Wir rennen eine lange Straße entlang und versuchen ihm zu entkommen. Sie läuft ein Stück vor mir lang, ich höre sie keuchen und jammern. Sie will nicht, dass er sie erwischt, sie will sich nicht vorstellen, was er alles mit ihr tun könnte. Sie rennt und rennt, aber es nützt nichts, er fängt sie ein. „Hab ich dich“, flüstert er mit heiserer Stimme. Ich erkenne sein Gesicht nicht, ich versuche ihn von ihr weg zu stoßen, aber er ist zu stark. Er zieht ein Messer aus seiner Tasche und ..<

Jemand mit einem festen Griff rüttelt mich. „Hallo? Hallo! Geht es dir gut?“ Es war eine mir unbekannte Stimme. Ich war vermutlich wieder zusammengebrochen, so wie immer, wenn mich eine Vision erwischte. „Ja .. ja ..“ Ich versuche aufzustehen, die Person hilft mir und hält mich an den Schultern fest. „Val? Sag doch bitte.“ Wer war das, der da meinen Namen kannte? Ich blickte hoch und sah in ein wunderschönes Gesicht mit Augen, die hätten meine sein können. Er lächelte und zeigte mir seine weißen Zähne. „Ich bin Ted. Freut mich, dich endlich kennenzulernen.“





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